23.12.2010
Ermutigendes Studierendenvotum
Universität heißt Freiheit
von Rüstung und Privatwirtschaft
An der Universität Köln fand in der Zeit vom
13.-17. Dezember eine Urabstimmung darüber statt, ob in die
Grundordnung der Universität eine Zivilklausel ("Forschung und
Lehre ausschließlich für friedliche und zivile Zwecke")
aufgenommen werden soll. Trotz erheblichen Gegenwinds vor allem aus
der Uni-Leitung votierten fast 2/3 der abstimmenden Studierenden mit
JA. Dies ist die zweite Urabstimmung über eine derart
grundsätzliche Frage der Orientierung der Hochschulen in der
Geschichte der Bundesrepublik überhaupt.
Die erste Urabstimmung mit einem ähnlich überzeugenden Ergebnis
fand im Januar 2009 in der Universität (TH) Karlsruhe statt, die
Ende 2009 mit dem Forschungszentrum Karlsruhe
(Ex-Kernforschungszentrum) zum Karlsruher Institut für Technologie
(KIT) zusammen geschlossen wurde. Und genau daher rührt eine
inzwischen auf internationaler Ebene geführte Diskussion über die
Zivilklausel als Symbol für Freiheit und Autonomie der
Universitäten von militärischen oder zivilmilitärischen Zwecken.
Das Forschungszentrum brachte in die Fusion eine Zivilklausel ein,
die als völkerrechtlicher Türöffner für den deutschen Einstieg
in die Nukleartechnologie diente, aber von der Belegschaft in
jahrzehntelangen Kämpfen zu einem friedenspolitischen
Selbstverständnis entwickelt worden war. Die Uni hat keine
derartige Bindung und betreibt Militärforschung. Wegen der für
2011 geplanten vollständigen Verschmelzung kann es nur zwei Wege
für das KIT geben. Entweder der Uni-Teil bekommt sie ebenfalls, wie
Studierende, Beschäftigte, Personalrat, Gewerkschaften,
Abgeordnete, internationale Persönlichkeiten und viele mehr
fordern, oder es entsteht der untragbare Zustand von Kernforschung
und Waffenforschung unter einem Dach im schärfsten Gegensatz zu den
Lehren aus der deutschen Geschichte und zu den weltpolitischen
Herausforderungen.
Die Universitäten dürfen nicht erneut machtpolitisch
missbraucht werden. Genau das aber geschieht flächendeckend mit der
zunehmenden Ökonomisierung und Militarisierung der
Bildungsstätten. Hebel dafür sind eine permanente
Unterfinanzierung mit der Folge von Fremdsteuerung durch Drittmittel
für militärische und privatwirtschaftliche Zwecke, Abbau
demokratischer Mitwirkungsrechte, Prekarisierung (Zeitverträge) und
andere Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen und
Tarifverträgen.
Die Geheimhaltung von Drittmittel-Forschungsaufträgen für die
BAYER AG und andere Privatfirmen und die Forderung im
Studentenparlament nach Offenlegung in Verbindung mit Anträgen für
eine Zivilklausel waren Ausgangspunkt für den Protest an der Uni
Köln. In bewundernswerter Weise hat dort der "Arbeitskreis
Zivilklausel" die Aufklärung und Mobilisierung der
Studierenden angepackt.
Aus dem angefügten Interview mit dem AK-Vertreter Peter Förster
in "junge Welt" können weitere Einzelheiten
einschließlich der geschichtlichen Mahnung entnommen werden, die
nie in Vergessenheit geraten darf.
Lesenswert dazu auch der angefügte Bericht von Marcus Meier in
"Neues Deutschland", insbesondere die von der Hochschule
angekündigte juristische Prüfung, ob eine Zivilklausel gegen
Grundrechte verstoßen würde. Diese Prüfung liegt seit zwei Jahren
auf dem Tisch, als Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers
Erhard Denninger im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Sein
Kernsatz lautet: "Die forschungs- und ausbildungspolitische
Ausrichtung einer Hochschule oder eines Forschungszentrums auf die
im Grundgesetz und in den für die wiedervereinigte Bundesrepublik
völkerrechtlich konstitutiven Verträgen zum Ausdruck gebrachte ‚Friedlichkeit'
ist nicht als Element einer verfassungsrechtlich unzulässigen ‚Tendenzuniversität'
anzusehen. Vielmehr ist eine solche ‚Friedens-Finalität' ein
zentral wichtiges und normativ hochrangiges Element der Organisation
und Funktionen staatlicher Institutionen der Bundesrepublik
Deutschland." Die Forderung nach Zivilklauseln steht also in
völliger Übereinstimmung mit den Grundrechten und der Verfassung.
Das Votum der Studierenden in Köln ist ein weiterer Eckstein
einer ermutigenden Bewegung an den Hochschulen, die nachweislich
durch die Bildungsstreiks befördert worden ist und die vor zwei
Jahren noch niemand vorherzusagen gewagt hätte.
Die bundesweite und internationale Entwicklung kann der
Webdokumentation der "Initiative gegen Militärforschung an
Universitäten" www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
entnommen werden (tabellarische Übersicht vom 21.12.10).
Dietrich Schulze für VVN-BdA NRW, 21. Dezember 2010
junge
Welt vom 21.12.2010
"Ein sehr klares Votum für
eine friedliche Hochschule"
An der Uni Köln stimmten von 8000
Studenten 65 Prozent für eine Zivilklausel. Ein Gespräch mit Peter
Förster
Interview: Michael Schulze von Glaßer
Peter Förster studiert an der Uni Köln und ist im dortigen
"Arbeitskreis Zivilklausel" aktiv
Im Rahmen der Wahl zum Studierendenparlament stimmten die
Studenten der Uni Köln in der vergangenen Woche auch über eine
"Zivilklausel" ab - damit soll verhindert werden, daß an
der Uni für militärische Zwecke geforscht wird. Wie ist die
Abstimmung ausgegangen?
65 Prozent der Kölner Studierenden, die an der Abstimmung
teilgenommen haben, stimmten dafür. Nur 20 Prozent waren dagegen,
15 Prozent enthielten sich. Das ist ein sehr klares Votum für eine
friedliche Hochschule. Mit einer Zivilklausel verpflichtet sich die
Hochschule, nur zivilen und friedensfördernden Zwecken zu dienen
und nicht mit der Rüstungsindustrie oder dem Militär
zusammenzuarbeiten. 8000 Studierende haben sich an dieser Abstimmung
beteiligt.
Welche Militärforschung findet an der Uni Köln denn statt?
Was machen andere Unis auf diesem Sektor?
In Köln unterliegen Forschungsprojekte, die von der
Privatwirtschaft mitfinanziert werden, der Geheimhaltung. Das ist
undemokratisch, intransparent und führt offenkundig dazu, daß
destruktive Wissenschaft wie Rüstungsforschung realisiert werden
kann. Die gleiche Vorgehensweise erleben wir mittlerweile auch bei
öffentlich geförderter Rüstungsforschung: Die Bundesregierung hat
den Inhalt von rüstungsrelevanten Forschungsprojekten der
Bundeswehr an öffentlichen Hochschulen zur Verschlußsache
erklärt.
Diese Methode entspricht dem aktuellen Kriegskurs der Regierung,
bei dem der Öffentlichkeit entscheidende Informationen vorenthalten
werden. Wir wissen lediglich, daß an der Uni Köln zur Zeit in der
Medizin eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr stattfindet.
Außerdem kamen im Bereich der internationalen Politik Vertreter der
Bundeswehr als Dozenten zum Einsatz. Gerade durch die
Geisteswissenschaften soll Krieg ideologisch begründet und zu einem
normalen Mittel der Politik erklärt werden.
An anderen Unis sieht es ähnlich aus: Allein aus Bundesmitteln
wird bundeswehrrelevante und wehrtechnische Forschung an etwa 27
Hochschulen gefördert.
Welche praktische Auswirkung hat denn ein solches
Studierendenvotum?
Die meisten Hochschulen sind undemokratisch verfaßt. Im
Hochschulrat der Uni Köln sitzen etwa Vertreter der Deutschen Bank
und des Chemiekonzerns Bayer. Dieser Rat bestimmt wiederum das
Rektorat, also die Uni-Leitung. Das Kölner Rektorat hatte schon vor
der Zivilklausel-Abstimmung erklärt, einem Votum nicht folgen zu
wollen. Wir haben mit der Abstimmung daher nur einen ersten Schritt
getan und nun eine gute Grundlage für den weiteren Streit für
friedliche Wissenschaften geschaffen - die große Mehrheit der
Kölner Studierenden steht hinter uns.
Es ist aber noch ein langer Weg, bis die Zivilklausel in die
Grundordnung der Uni verankert werden kann. Doch selbst dann muß
man immer ein Auge darauf haben, daß wirklich nur für friedliche
Zwecke geforscht wird. Der Kampf für friedliche Forschung und Lehre
hört mit einer Zivilklausel nicht auf.
Schränkt eine Zivilklausel nicht die Freiheit von Forschung
und Lehre ein?
Im Gegenteil: Die Forderung nach Freiheit der Wissenschaft ergibt
sich auch daraus, was wir aus dem deutschen Faschismus gelernt
haben. Die Hochschulen hatten damals zum Vernichtungskrieg und zum
Holocaust beigetragen. Im Grundgesetz wurde daher festgeschrieben:
Die Wissenschaft soll nie wieder partikularen Interessen unterworfen
werden.
Die marktradikalen Kräfte versuchen heute aber, diese Freiheit
ideologisch umzudeuten in "die Freiheit der Wissenschaft, sich
zu verkaufen".
www.zivilklausel.uni-koeln.de/
Neues
Deutschland vom 21.12.2010
Langer Weg zur Zivilklausel
Studierende streiten in Köln mit
Rektorat um Abschaffung der Rüstungsforschung
Von Marcus Meier, Köln
Die hochschulpolitische Linke will an der Universität Köln eine
Zivilklausel in der Grundordnung der Hochschule verankern. 65
Prozent aller Studierenden sprachen sich in einer Urabstimmung
dafür aus. Doch die Hochschulleitung mauert.
Auch an der Universität zu Köln ist es eher die Ausnahme, dass
ein Bündnis von "dielinke.SDS" über Jusos und Junge
Grüne bis hin zur FDP-nahen "Liberalen Hochschulgruppe"
sich gemeinsam für friedliche Forschung stark macht. Doch genau das
passiert gerade an der altehrwürdigen Hochschule. 65 Prozent der
Studierenden sprachen sich vorige Woche parallel zur Wahl des
Studierendenparlaments dafür aus, eine so genannte Zivilklausel in
die Grundordnung der Uni aufzunehmen. Konkret soll die
"Verfassung" der Hochschule um folgende Passage ergänzt
werden: "Die Universität wirkt für eine friedliche und zivile
Gesellschaftsentwicklung. Sie ist selbst eine zivile Einrichtung,
betreibt keinerlei Militär- oder Rüstungsforschung und kooperiert
nicht mit Einrichtungen des Militärs oder der
Rüstungsindustrie."
Bei der Hochschulleitung stoßen die friedensbewegten
Studierenden indes auf wenig Gegenliebe. So erklärte das Rektorat
kategorisch, dass eine Zivilklausel von der Uni nicht übernommen
werde. Kein Wunder, sagt Peter Förster, Juso und einer der
studentischen Initiatoren. "Das Rektorat wurde nicht
demokratisch, sondern vom Hochschulrat gewählt, und da sitzen die
Bayer AG und die Deutsche Bank mit am Tisch."
Patrick Honecker, Leiter Presse und Kommunikation der Uni Köln,
hält Zivilklauseln für anachronistisch: "Die Zivilklausel
wurde nach dem Zweiten Weltkrieg für Großforschungseinrichtungen
eingeführt. Hier ging es vor allem darum, dass in Deutschland keine
Atomwaffenforschung betrieben werden sollte." Das sei heute
nicht mehr aktuell. "Wir lassen gerade juristisch
prüfen", ergänzt Honecker, "ob eine Zivilklausel nicht
gegen Grundrechte verstoßen würde."
Honecker lege das Grundgesetz falsch aus, glaubt hingegen Peter
Förster. "Im Grundgesetz geht es um die Realisierung der
Menschenwürde, des Allgemeinwohls und des Friedens als Konsequenz
aus dem Antifaschismus." Die Forschungsfreiheit bedeute
"sicherlich nicht die Freiheit von Partikularinteressen wie
diejenigen der Rüstungsindustrie oder sonstiger Geldgeber".
Doch genau daran orientiere sich das Kölner Uni-Rektorat. In Sachen
Zivilklausel "stehen wir am Anfang des Weges", gesteht
Förster. Erstes Ziel: Transparenz. "Die Uni muss endlich offen
legen, von wem sie Drittmittel erhält. Wir wissen schlicht nicht,
wo Rüstungsforschung stattfindet." Zwar gebe es an der Uni
Köln keine ingenieurswissenschaftlichen Fakultäten. Doch könne
Kriegsforschung, so Förster, auch in den Geisteswissenschaften
stattfinden. Bundesweit formieren sich an vielen Hochschulen
ähnliche Initiativen wie in Köln. Denn längst seien alle großen
Hochschulen an militärischen und zivilmilitärischen
Forschungsprogrammen beteiligt, resümiert Dietrich Schulze von der
"Initiative gegen Militärforschung an Universitäten".
Gleichwohl, eine Zivilklausel allein macht aus einer Hochschule
keine entmilitarisierte Zone. So finden an der Uni Tübingen noch
immer fragwürdige Veranstaltungen statt, zum Beispiel ein Seminar
"Angewandte Ethnologie und Militär" oder ein
"Sicherheitspolitisches Forum", zu dessen Einladern die
Uni selbst und der Reservistenverband der Bundeswehr zählen. Es
folgten heftige Auseinandersetzungen - trotz und wegen einer 2009
beschlossenen Zivilklausel.
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