24.11.2010
Ein Parlamentsprotokoll und die
Kommunistenverfolgung im Jahre 2010
Die Linksfraktion im
Bundestag fordert Rehabilitierung von antifaschistischen
Widerstandskämpfern, die Union feuert ideologische Breitseiten
dagegen
Eigentlich sollte sich der Bundestag nicht mit
offenkundigen Selbstverständlichkeiten befassen (müssen). Doch im
Hohen Haus wütet noch immer der Kalte Krieg. Er verhindert, dass
allen Kämpfern gegen das Nazi-Regime Gerechtigkeit widerfährt.
Auszüge aus einer Debatte, die Erschreckendes über ideologische
Beschränktheit verrät.
Manche Debatten im Parlament gehen einfach »unter«. Aber man
kann sie nachlesen. Da ist zunächst ein Antrag der Linksfraktion
vom 16. Juni 2010, Drucksache 17/2201. Zitat: »Der Deutsche
Bundestag ehrt in besonderer Weise die Leistungen der Frauen und
Männer, die sich aktiv gegen das NS-Regime gewandt haben und in
zahlreichen Fällen ihr Leben eingesetzt haben, um Widerstand gegen
die Naziherrschaft in Deutschland zu leisten. Er sieht diesen, nicht
sehr zahlreichen, Widerstand gegen das Hitler-Regime in seiner
Integrität als unteilbar an. Die Anerkennung des politischen
Widerstandes der Kommunistinnen und Kommunisten (...) gehört für
den Deutschen Bundestag zum unteilbaren Erbe des Widerstands gegen
das NS-Regime.
Klar doch! Möchte man sagen, doch wer die zum Antrag gehörende
Debatte nachliest, den ereilt kaltes Grausen. Sie fand am
vergangenen Donnerstag statt und wurde vom Unionsabgeordneten
Klaus-Peter Willsch aus Bad Schwalbach eröffnet. Wann, so fragte er
die linken Antragsteller, »werfen Sie endlich ihren ideologischen
Ballast über Bord und belästigen nicht immer wieder dieses Haus
mit ihrer kommunistischen Traditionspflege?« Sodann bot er ein
Schaustück in einseitiger Geschichtsbetrachtung, wie es –
umgekehrt – einstige SED-Ideologen nicht besser vermocht hätten.
Er versuchte die deutschen Kommunisten, von denen nicht wenige
selbst unsagbar unter Stalins Diktatur gelitten haben, mitschuldig
zu machen an den Säuberungen der 30er Jahre in der Sowjetunion.
Klar stünde »außer Frage«, dass Kommunisten die
nationalsozialsozialistische Gewaltherrschaft bekämpften. »Doch
wofür? Was vorher sprichwörtlich nur Programm war, wurde nach
Kriegsende sehr schnell Wirklichkeit. Jene, die vorher gemütlich in
ihren östlichen Widerstandsnestern bei Väterchen Stalin ausgeharrt
hatten, kamen nun nach Ost-Berlin zurück und errichteten genau das,
was sie wollten: die zweite Diktatur auf deutschem Boden.« Dass
Willsch namens der Union den Antrag der LINKEN ablehnte, ist klar.
Denn er sei »nur eines: Eine Verhöhnung derer, die wirklich gegen
Tyrannei und für die Freiheit gekämpft haben!«
Bettina Kudla sprang ihrem CDU-Kollegen bei: »Dass die
Bundesrepublik als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat
Anhängern des Stalinismus die Opferrolle in Form opulent gefüllter
Entschädigungsfonds versagt, ist konsequent und eine Würdigung von
zig Millionen wirklichen Opfern«, tat sie kund und trat an gegen
Legenden, mit denen die SED nur vertuschen wollte, »dass die
kommunistische Politik indirekt dazu beitrug, dass die
Nationalsozialisten an die Macht kamen und Widerstand überhaupt
erst notwendig wurde«.
Nur um Kudlas Kompetenz zu illustrieren: 1962 geboren, studierte
sie in München Betriebswirtschaft, kam 1990 nach Halle und war
Bürgermeisterin und Beigeordnete für Finanzen der Stadt Leipzig.
Man kann, so man wirklich will, im Bundestagsprotokoll nachlesen,
was die SPD-Abgeordnete Gabriele Fograscher beizusteuern hatte. Der
Zwang zu Effizienz spricht gegen die Lektüre. Dass die »Befassung
mit Geschichte (...) immer lehrreich ist«, stimmt gewiss. Man fragt
sich jedoch, warum es der FDP-Abgeordnete Stefan Ruppert dann
unterlässt. Klar in der Position trat dagegen Volker Beck von den
Grünen auf. Er erinnerte daran, dass das
Bundesentschädigungsgesetz »viele benachteiligt hat, vor allem
ausländische Verfolgte und verschiedene deutsche Verfolgtengruppen,
wie Sinti und Roma, Wehrdienstverweigerer, Homosexuelle, vom
NS-Erbgesundheitsgesetz Betroffene, sogenannte Asoziale und durch
eine eigene Ausschussklausel eben auch die Kommunistinnen und
Kommunisten.« Doch sie gehörten zu »den aktivsten
Widerstandskämpfern; sie wurden in den Konzentrationslagern
geschunden, gequält und ermordet«. Becks Fazit: »Es gab und gibt
keinerlei Grund, Menschen aus dieser Opfergruppe eine Entschädigung
vorzuenthalten.«
Jan Korte von der Linksfraktion, auf dessen Initiative der Antrag
maßgeblich basiert, zitierte aus einem 2009er »Spiegel«-Artikel,
der offenbar keinen Einlass ins Handarchiv der Union fand: »Die
Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommunisten
lag siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis
Millionen Menschen ermordet hatten, während man westdeutschen
Kommunisten politische Straftaten wie Landesverrat vorwarf.«
Kalter Krieg, Modell-West, Anno 2010: Im Zusammenhang mit dem
KPD-Verbotsverfahren in der Bundesrepublik kam es zwischen 1950 und
1968 zu rund 200 000 Ermittlungsverfahren gegen (auch mutmaßliche)
Kommunisten. Zwischen 7000 und 10 000 wurden verurteilt. Neben dem
häufigen Verlust des Arbeitsplatzes, der staatsbürgerlichen Rechte
und sonstiger Einschränkungen für die Verfolgten, verging sich der
Staat auch am Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Laut Paragraf 6
Absatz 1,2 war von Entschädigung ausgeschlossen, wer nach dem 23.
Mai 1949 die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes bekämpfte. Das unterstellten auftragserfüllende
Juristen – viele dienten beflissen schon in Hitlers Willkür-Reich
– den Kommunisten.
Nun fordert die Bundestagsfraktion der LINKEN die
Wiedereinführung von Anstand und einen Härtefonds.
Mit freundlicher Genehmigung des Neuen
Deutschland Bundestagsdrucksache 17/2201 16. 06. 2010
Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic,
Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina
Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.
Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime
anerkennen
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/022/1702201.pdf Bundestags-Plenarprotokoll
zum Thema (S. 7804 bis 7809, 71. Sitzung, 11. November 2010)
http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17071.pdf
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