11.11.2010
Erinnerung an die letzten Opfer des Holocausts in
Dortmund
Schild zur Erinnerung an die
Verbrechen der Stahlindustrie von 1945 an der Phoenix-See-Baustelle
in Dortmund Hörde angebracht
In einer Gedenkrede zum Jahrestag der
Reichspogromnacht führte Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA,
am 9. November 2010 an der Hermannstr. in Dortmund-Hörde aus: „Zum
Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938 erinnern wir, die
Dortmunder VVN-BdA, daran, wie die Verfolgung und Ermordung von
Millionen von Jüdinnen und Juden einen ersten Höhepunkt erreichte.
Es soll nun auch daran erinnert werden, wie alles endete. Wir
erinnern besonders an Julie Risse und Klara Adolf, die zu den
letzten Opfern des Holocaust gehörten. Die beiden Jüdinnen waren
im April 1945 von Nachbarinnen verraten und aus Essen in das
Auffanglager des Dortmund Hörder Hüttenvereins gebracht worden,
von wo sie zur Erschießung abtransportiert wurden.“
VVN-BdA-Mitglieder erinnerten bei der Hörder Mahnwache am Jahrestag
der Reichspogromnacht am 9.11.2010 besonders an die Opfer der
Industrie.
Gegenüber der Hermannstr. 174 wurde mit dem Bau des Phoenix-Sees
bekanntlich eine der letzten authentischen Stätten von Widerstand
und Verfolgung in Dortmund beseitigt. Im Asphaltierwerk, das ein
Panzerwerk war, wurde sogar ein illegaler Streik durchgeführt,
Unter der nun abgerissenen Halle (Vergüterei) befand sich eines der
grausamsten Arbeitserziehungslager, gemeinsam betrieben von Gestapo
und Stahlindustriellen wie Albert Vögler. Von dort wurden bis kurz
vor dem Einmarsch der US-Truppen Gefangene zum Erschießen an der
Bahn bei der Straße „Am Ölpfad“ und in der Bittermark
abtransportiert. Über die Wiederentdeckung des Gestapokellers durch
Gisa Marschewski und Ulrich Sander hatten die Medien 2001berichtet.
Dort, wo die Gefangenen abtransportiert wurden und heute nur noch
die Andeutung einer Einfahrt (Kantstein) zu sehen ist, soll eine
Tafel aufgestellt werden, so wurde der VVN-BdA von den Planern und
dem Stadtarchiv versichert.
Die VVN-Mitglieder legten an der Stelle des früheren
Auffanglagers Blumen nieder und befestigten eine provisorische
Gedenktafel. (siehe Fotos von Traute Sander)
Ulrich Sander führte aus:
„Wir erinnern besonders an Julie Risse und Klara Adolf, die zu
den letzten Opfern des Holocaust gehörten. Die beiden Jüdinnen
waren im April 1945 von Nachbarinnen verraten und aus Essen in das
Auffanglager des Dortmund Hörder Hüttenvereins gebracht worden,
von wo sie zur Erschießung abtransportiert wurden.
Vor Baubeginn, ja vor der Planung des Sees sagten wir in einer
Erklärung: Der Gedenkort an ermordete Zwangsarbeiter darf nicht im
Phönix-See versinken. Wir erklärten:
‚Der Gedenkort an die ermordeten Zwangsarbeiter und an die
Jüdinnen Julie Risse und Klara Adolph darf nicht im See von Hörde
versinken. Die Organisationen Internationales Rombergparkkomitee und
- Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten, haben beantragt, auf dem Gelände Phönix Ost an der
Hermannstraße in Hörde einen Gedenkort für die Opfer der Gestapo
und der Zwangsarbeit in Dortmund zu schaffen. Das muß auch möglich
sein, wenn der See hier entsteht.’“
Dazu einiges zur Vorgeschichte: Schon in den Verhandlungen vor
dem Landgericht Dortmund gegen die Mörder vom Rombergpark und der
Bittermark war von dem Auffanglager am Emschertor und an der
Hermannstraße die Rede. (Siehe Urteilschrift vom 4.4.1952,
Aktenzeichen 10 Ks 23/51) Lange vergessen war der genaue Standort
des Lagers und damit der Tatort der Verbrechen. (Lange vergessen war
auch, dass von hier Jüdinnen in den Tod geführt wurden.) Das
Internationale Rombergparkkomitee und die VVN-BdA Dortmund haben
diesen Standort wiederentdeckt und auch die Akten dazu vorgelegt.
Diese sind geprüft worden, und am 9. Juli 2001 schrieb der
VVN-BdA der Direktor des Stadtarchivs, Dr. Högl: "Die
Recherchen Ihrerseits finden in den o.g. Akten (insbesondere
Sonderheft 6-10 Js 155/49) ihre volle Bestätigung. Es besteht somit
kein Zweifel, daß Insassen des ‚Auffanglagers‘ in Hörde
(ehemals Hermannstraße/Emschertor), darunter ausländische
Zwangsarbeiter und jüdische Bürgerinnen, auf heimtückische Weise
von den Nationalsozialisten ermordet worden sind."
Verwiesen sei auch auf das Buch "KZ der Gestapo"
(Stuttgart 2000) mit Vorwort von Prof. Mommsen, verfasst von Dr.
Gabriele Lotfi. Darin wird der authentische Ort der Verbrechen, an
dem deutsche, ausländische und jüdische Menschen bis kurz vor
ihrer Ermordung im Rombergpark, in der Bittermark oder am Hörder
Bahndamm eingekerkert waren, ausführlich beschrieben.
Unter den Hunderten Toten waren auch die Essener Jüdinnen Julie
Risse und Klara Adolph, die bis dahin überlebt hatten -, auch sie
wurden im Rombergpark ermordet.
Lotfi: "Zahlreiche Gefangene des Hörder Auffanglagers
wurden zusammen mit Insassen des Dortmunder Polizeigefängnisses im
Rombergpark und in der Bittermark hingerichtet."
Die Pförtner des Hüttenwerkes vom Emschertor berichteten laut
Akte 10 Js 155/49: Eines Nachts, etwa 14 Tage vor dem am 12. April
1945 erfolgten Einmarsch der US-Amerikaner, wurden 50 bis 60
deutsche und ausländische Gefangene, vornehmlich solche, die kurz
zuvor erst angekommen waren, von Männern in SS-Uniform abgeholt.
Sie kamen nicht zurück. Ausgewählt und somit zum Tode verurteilt
hatten sie die betrieblichen Bewacher P. und K. Es blieben nur noch
rund 25 Gefangene zurück, die P. kurz vor Einmarsch der Amerikaner
bei der Gestapo in der Benninghoferstraße in Hörde ablieferte.
(Damit ist erwiesen, dass nicht nur die Gestapo, sondern auch
Mitarbeiter der Stahlindustrie an den Morden beteiligt waren.“
In seiner Gedenkrede führte Ulrich Sander weiter aus: „Wir als
VVN-BdA fordern deshalb seit langem in einer Aktion ‚Verbrechen
der Wirtschaft 1933-1945’ die Kennzeichnung von Tatorten der
Wirtschaftsmanager. Der Dortmund Hörderhütten-Verein, dessen
Stahlwerk nun in Händen von Thyssen/Krupp, ist, war mitschuldig an
den Verbrechen. Dieser heutige Konzern TKS Thyssen-Krupp Stahl AG
sollte sich an der Würdigung der Opfer beteiligen.
Wir schrieben an die Stadt Dortmund, und zwar mit dem Ergebnis,
dass eine Gedenkstele zugesagt wurde, ein Gedenkort über die
Verbrechen an den Zwangsarbeitern in Dortmund jedoch nicht. Wir
bekräftigen heute: Sie dürfen versichert sein, daß wir die
Beseitigung der authentischen Stätte des Verbrechens nicht
widerstandslos hinnehmen werden. Wir meinen: Es sollte in jedem Fall
eine Gedenktafel für die mindestens rund 60 NS-Opfer an der
Hermannstraße/Emschertor angebracht werden.
Liebe Freundinnen und Freunde,
verehrte Anwesende.
Am 9. November 1938 war der Tag, an dem die Synagogen brannten,
an dem das bürgerliche Leben der Juden in Deutschland zerbrach. Sie
wurden zum Freiwild. Nach Kriegsbeginn wurden sie dann zu Opfern der
millionenfachen Judenvernichtung durch die SS, die Gestapo, die
Wehrmacht.
Es darf kein Vergessen geben.
Wir erneuern den Schwur: Nie wieder Krieg – nie wieder
Faschismus.
Auch im Nahen Osten muss Frieden herrschen. Frieden zwischen
Israelis und Arabern. Es wird ihn nie geben, wenn nicht Israel und
Palästina als Staaten anerkannt werden. Jede einseitige
Unterstützung der Israelis oder der Palästinenser in dem
gegenwärtigen Konflikt, verlängert Krieg und Kriegsgefahr.
Es muss Schluss sein mit jedem Antisemitismus. Aber es muss auch
der in unserem Lande bedrohlich anwachsende Antiislamismus gestoppt
werden. Wo bleiben die Menschen, die stets Toleranz gefordert haben,
jetzt aber zur niederträchtigen Hetze eines Sarrazin schweigen oder
ihm zustimmen?
So wie am 4. September, als wir uns gegen die Nazis stellten, so
wenden wir uns jetzt gegen alle Formen von Rassismus. Wir wenden uns
gegen den antimuslimischen Krieg in Afghanistan.
Alle Truppen sollen dort sofort abgezogen werden.
Für Frieden, Toleranz und Völkerfreundschaft.“
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