06.10.2010
Debatte im Dreiländereck
Zweite Regionalkonferenz »Aktiv gegen rechts« in
Alsdorf bei Aachen: Aktivisten berieten über bessere Vernetzung im
Kampf gegen Neonazis. Ein Beitrag in der Jungen Welt vom 06.10.2010.
Von Mats Fogeman
Die Tagung vom vergangenen Wochenende fand unter dem Eindruck des
jüngsten Neonazi-Aufmarschs Ende September in Aachen statt. Das
Dreiländereck gilt als einer der Schwerpunkte rechter Aktivitäten
in Nordrhein-Westfalen. Zum Gedankenaustausch waren etwa 100
Vertreter von Basisinitiativen nach Alsdorf bei Aachen gekommen.
Kurt Heiler von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) betonte, daß man »auch die
Verbindung zur etablierten Politik suchen« müsse. Deshalb waren
auch einige Kommunalpolitiker aus dem Grenzland unter den
Teilnehmern. Alfred Sonders (SPD), Bürgermeister von Alsdorf und
Schirmherr der Konferenz, erinnerte an das lange vorherrschende
Gefühl der Solidarität in der ehemals von Bergbau geprägten
Stadt: »Unter Tage waren wir alle schwarz«, sagte er. Die
Konferenz in Alsdorf, in der die ausländerfeindlichen
»Republikaner« in Fraktionsstärke im Stadtrat vertreten sind,
leiste einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Rechten. Aachens
Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne) formulierte das Ziel, ein
breites Bündnis gegen rechts in der Euregio – dem
deutsch-niederländischen Kommunalverband von rund 130 Städten,
Gemeinden und Kreisen aus dem Münsterland, dem südwestlichen
Niedersachsen und den östlichen Niederlanden – aufzustellen.
»Wir müssen deutlich machen, daß wir gegen die Rechtsextremen mit
einer Zunge sprechen«, erklärte die Politikerin.
Wolfgang Dreßen, langjähriger Leiter der Arbeitsstelle
Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf, ging in einem Vortrag
der Frage nach den gesellschaftlichen Wurzeln des Rassismus nach. Er
griff die Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins auf. Den ehemaligen
Bundesbanker sieht er als ein Beispiel für bürgerliche
Intellektuelle, die Traditionen der Ideologie der Rassenhygiene
aufgreifen. Er verwies auf den »Wahnsinn der Normalität«: Eine
Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut müsse mit einer
selbstkritischen Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Rassismus
beginnen. Wer Neonazismus zum Erziehungsproblem verkläre, verfehle
die Debatte. Der weit in der Gesellschaft verbreitete Rassismus in
Verbindung mit Frust über die etablierte Politik bei gleichzeitigem
Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung sei ein gefährlicher
Nährböden für ein mögliches Erstarken des Neonazismus, so
Dreßen.
In mehreren Workshops vertieften die Teilnehmer einzelne Aspekte
antifaschistischer Arbeit. Den weitaus größten Zuspruch fand eine
Arbeitsgruppe, die sich mit der Verhinderung der für April 2011
ankündigten Neonazi-Aufmärsche in Stolberg (Städteregion Aachen)
befaßte. Seit 2008 instrumentalisieren die Rechten den gewaltsamen
Tod eines Berufsschülers für rassistische Propaganda und
stilisieren diesen zu einem Märtyrer. Vertreter der
»Antifaschistischen Koordination Köln und Umland« (AKKU)
referierten über die erfolgreichen Massenblockaden gegen den »Anti-Islam-Kongreß«
der rechtspopulistischen Partei »pro Köln« vor zwei Jahren. Die
Neonazi-Gegner in der Region Aachen wollen die Erfahrungen aus der
Domstadt nutzen, um im kommenden Jahr durch Blockaden die Märsche
der Neonazis unmöglich zu machen.
Initiativen wie die VVN-BdA, die »Arbeitsgruppe gegen rechts«
bei ver.di oder die Bündnisse gegen rechts aus Aldenhoven und dem
Kreis Düren informierten mit Ausstellungen und Büchertischen über
ihre Arbeit. Eine erste Regionalkonferenz hatte im vergangenen Jahr
in Eschweiler stattgefunden. Eine weitere soll im kommenden Jahr
folgen. In einer von der Tagung verabschiedeten Erklärung heißt
es, daß die Notwendigkeit der weiteren Vernetzung
antifaschistischer Arbeit offensichtlich sei. »Wir können und
wollen nicht nur den Neonazis hinterherlaufen, sondern einen eigenen
Beitrag für eine solidarische und nicht rassistische Gesellschaft
entwickeln«, hieß es unter anderem. Eine Frage auf der Konferenz
des nächsten Jahres soll deshalb lauten: Wie kann eine Gesellschaft
aussehen, die den Schwur von Buchenwald zur Grundlage hat – die
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und der Aufbau einer
Welt der Freiheit und des Friedens?!
Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/10-06/008.php
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