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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.10.2010

Abschied von Maria Wachter

Am 20. September gaben ihre Freunde und Genossen Maria Wachter das letzte Geleit. Klaus Stein hielt eine sehr bemerkenswerte Rede.

Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,

Maria Wachter ist am 18. August im Alter von 100 Jahren gestorben. Sie wird auf ihren Wunsch anonym beigesetzt. Wir trauern um sie.

Bis zuletzt hat sie politische Entwicklungen mit wachem Verstand wahrgenommen. Sie litt indes unter der zunehmenden Seh- und Hörschwäche und den damit verbundenen Einschränkungen. Zu danken ist Gundel Kahl, Michael Backhaus, Hannelore Kroymann, Inge Trambowsky, Klaus Winkes und weiteren KameradInnen und GenossInnen, die sich insbesondere in den letzten schweren Wochen um Maria kümmerten. Zu danken ist auch den Kolleginnen und Kollegen vom Paulus-Haus.

Schon mit 20 Jahren wurde Maria Kommunistin und blieb es ihr Lebtag. 80 Jahre lang. Und sie war stolz darauf, wie wir stolz darauf sind, dass sie in unseren Reihen stand.

Als großartige Frau charakterisiert sie die Fraktion der Partei die Linke im Rat der Stadt Düsseldorf in einer Anzeige, die sie in die UZ, der Zeitung der DKP, vom vergangenen Freitag hat setzen lassen. Die Genossinnen und Genossen der Linkspartei haben als treffendes Motto einen Text aus der "Kantate zu Lenins Todestag" ausgewählt. Er ist 1937 im dänischen Exil entstanden:

Die Schwachen kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre.
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang.
Diese sind unentbehrlich.

Die Lage schien 1937 aussichtslos. Die reichsdeutsche Bevölkerung völlig verblendet. Hitler unbestritten auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Kommunisten in den Zuchthäusern und KZs, die kommende Katastrophe des Weltkriegs mit Händen zu fühlen, die Opfer womöglich vergeblich. Es ist ein Gedicht gegen die Angst dieser Zeit. In der Tat, das zeichnete Maria bis zuletzt aus: Sie kämpfte, hatte keine Angst und verbreitete Mut.

Viele von Euch werden sich erinnern an die Demonstration am 8. Mai vor fünf Jahren, als der Befreiung im Jahre 1945 gedacht werden sollte. Von Maria stammte der Aufruf. Die Demonstrationsroute berührte einige Plätze, die für das Gedenken an diesen Sieg von Belang waren. Jupp Angenfort sprach an diesem Tag vor dem Industrieclub. Er erinnerte an den 26. Januar 1932, an den Tag, an dem Hitler auf Einladung von Henkel, Thyssen und Poensgen 300 Industrielle von Rhein und Ruhr für seine Politik begeisterte. Im Industrieclub verschworen sich die Schwerindustriellen und das Finanzkapital mit den Nazis, draußen portestierten Kommunisten und andere Antifaschisten.

Ich zitiere aus Jupp Angenforts Rede vor dem Industrieclub: Hitler legte in einer Rede seine Konzeption vor. Er versprach, den Marxismus auszurotten, die Gewerkschaften zu zerschlagen, die Parteien zu verbieten und demokratische Wahlen abzuschaffen. Er versprach, die Reichswehr auszubauen, aufzurüsten und ‚Lebensraum im Osten' zu erobern. Industrielle und Bankiers dankten, wie Presse und Augenzeugen berichteten, mit lang anhaltendem Dauerbeifall.

Von nun an flossen riesige Spenden an die Nazipartei. Es müsste im Industrie-Club eine Tafel angebracht werden mit dem Text: ‚Hier bekam Hitler von Großindustriellen und Bankiers Beifall und Geld, hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt!'

Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern, die vor dem Industrie-Club protestierten, war auch die Kommunistin Maria Wachter, die die heutige Demonstration angemeldet hat.

Soweit Jupp Angenfort.

Die Demonstration ging auch am Hilarius-Gilges-Platz vor der Kunstakademie vorbei. Dieser Platz heißt seit dem 23. Dezember 2003 so. Bekanntlich wurde Hilarius Gilges am Morgen des 20. Juni 1933 unter der Oberkasseler Brücke aufgefunden, bestialisch ermordet. Hilarius Gilges war wie Maria Mitglied der Agit-Prop-Gruppe Nordwest-Ran, die der Schauspieler Wolfgang Langhoff geleitet hatte. Langhoff war zu dieser Zeit schon als Moorsoldat mit vielen anderen Düsseldorfer Genossen im KZ Börgermoor.

Maria berichtet über diese Zeit, ich zitiere aus einem Interview aus dem Jahr 1996: "Nach dem 30. Januar waren ja Tausende schon längst verhaftet, und nach dem Reichstagsbrand wurde es besonders schlimm. Wir mussten uns überlegen, wie man am besten Widerstand leistet, ohne die Gruppe zu gefährden.

Dazu haben wir in Düsseldorf als Erstes eine Fünfer-Gruppe gebildet. In dieser Gruppe waren zwei Frauen, eine davon ich, dann kam dazu ein Student, der sagte, ‚Jetzt kann man nicht mehr studieren, jetzt muss man gegen Hitler kämpfen.' Dann hatten wir einen, der war damals kein Kommunist, und es gab den ältesten in unserer Gruppe von der KPO, Kommunistische Partei Opposition. Nebenbei bemerkt hat in der Widerstandsgruppe seine politische Auffassung und meine überhaupt keine Rolle gespielt. Wir hatten einen gemeinsamen Feind, das waren die Faschisten. Dann gab es einen sehr katholischen, frommen Arbeiter, vom Fernsprechamt, der ein fantastischer Widerstandskämpfer geworden ist. Die anderen Gruppen waren auch so breit gefächert. Wir hatten auch viele Frauen in unseren Gruppen. Du musst dir das vorstellen wie olympische Ringe, einer in den anderen. Einer aus der Gruppe hatte Kontakt zu einer anderen Gruppe, und der hatte wieder Kontakt zur nächsten. Es gab eine ganze Menge, von der aber immer nur einer Kenntnis von der nächsten Gruppe hatte. Denn niemand wusste vorher, wenn er verhaftet und bei der Gestapo gefoltert wurde, damit er seine Mitkämpfer angab, ob er dem widerstehen konnte. Es gab ein unausgesprochenes Gebot: Keiner darf mehr wissen als notwendig, denn was er nicht weiß, kann er auch nicht aussagen. Erst einmal waren wir natürlich sehr auf uns selbst angewiesen, später wurde das organisiert.

[...]Wir mussten zusammenkommen, um zu besprechen, zu welchem Anlass wir zum Beispiel ein Flugblatt herstellen.

Zum Beispiel für den Dimitroff-Prozess. In Düsseldorf wurde in den ersten Wochen der Prozess öffentlich übertragen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich in Bilk an der Bachstraße gestanden habe, um mich herum hunderte von Menschen. Und dann hörten wir aus dem Lautsprecher das, was Dimitroff sagte. Ein SA-Mann, das hat mich außerordentlich beeindruckt, sagte: ‚Verdammt, das ist 'nen Kerl, der hat vielleicht Mut, so was brauchten wir bei uns.' Der Dimitroff-Prozess hat für Düsseldorf eine große Bedeutung gehabt. Das haben sie dann später alles abgestellt, weil es zuviel beeinflusst hat. Darüber Aufklärung zu schaffen, dass die Kommunisten den Reichstag nicht angezündet haben, sondern dass die Nazis den Reichstagsbrand als Fanal brauchten, um den Widerstand in seiner ganzen Breite niederzuhalten, war äußerst wichtig. Dazu haben wir ein Flugblatt gemacht."

Auf solche Weise hat Maria Wachter bis 1935 in Düsseldorf im Widerstand gearbeitet. Danach sollte sie zu einen zweijährigen Schulaufenthalt nach Moskau.

Maria: "Das habe ich natürlich zuerst mit großer Freude angenommen. Ich musste von Holland aus in die Sowjetunion reisen. In Holland bekam ich schrecklichen Bammel. Ich wollte nicht mehr zur Schule. Ich habe mir vorgestellt, da sind Schüler, die alles schon wissen und ich überhaupt nichts. Ich wusste, wie man Widerstand leistet, schweigt, Flugblätter verteilt und sie schreibt. Aber von Theorie hatte ich überhaupt keine Ahnung. Ich bin in die Partei gekommen und dann gleich in den Widerstand. Theoretische Kenntnisse konnte ich doch gar nicht haben. Deshalb habe ich zu dem Genossen, der mich in Amsterdam betreute, gesagt: ‚Ich fahr da nicht hin.' Daraufhin hat er mir ‚Staat und Revolution' besorgt und Engels ‚Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats'. Ich habe mich in mein Quartier gesetzt und angefangen zu ochsen. Ich habe natürlich alleine fast nichts verstanden. Ich bekam zum Beispiel Schwierigkeiten mit dem Verhältnis zwischen Minderheit und Mehrheit in der Demokratie. Bei mir hatte die Minderheit genauso viel Rechte wie die Mehrheit. Es war wirklich schlimm. Aber der Genosse hat dann mit mir sehr geduldig diskutiert und ich bin doch gefahren. [...]

Das war die schönste Zeit in meinem Leben. Es bedeutete zu lernen: Geschichte der Arbeiterbewegung, deutsche Geschichte, Politische Ökonomie, also Marx und alle diese ganzen Fragen. Mir fielen nach und nach die Schuppen von den Augen. Und die Maschine da oben begann richtig zu laufen und zu rennen. Ich war auf der Schule unterernährt, weil ich soviel Kräfte brauchte zum Studieren. Das zeigte, mit welch einem Bedürfnis ich das aufgenommen habe, wie ein Schwamm habe ich das alles aufgesogen. Wir hatten einen Zwölf-Stunden-Tag. Also es war wunderbar."

Man kann sagen, dass Maria seit dieser Zeit nicht aufgehört hat zu lesen.

Nach ihrem Moskau-Aufenthalt kam sie zur Abschnittsleitung West nach Amsterdam. Sie hatte den Bezirk Bielefeld, die Dürrkopp-Werke, die Oetker-Werke und einen Jugendbetrieb zu betreuen. Ihr Kontaktmann hieß Bruno, den sie alle drei Wochen traf. Dabei mußte sie berücksichtigen, dass seine Frau davon nichts erfahren durfte. Folglich mußte sie nicht nur vor der Gestapo, sondern auch vor der Ehefrau, die ein politisches Risiko darstellte, auf der Hut sein. In den Dürrkopp-Werken gab es auch eine Gruppe von 60 Sozialdemokraten. Auch zu ihnen hielt sie über Bruno die Verbindung. Ihre Arbeit in Bielefeld hat sie bis 1938 unentdeckt machen können, bevor sie nach Paris ging. Dort aber wurde sie im September 1939 von der französischen Polizei verhaftet. Sie kam dann in ein Internierungslager der Vichy-Regierung. Ende 1941 wurde sie der Gestapo übergeben und gelangte nach einer Odyssee durch 13 Gefängnisse schließlich im Februar 1942 nach Düsseldorf, wurde von der Gestapo in der Prinz-Georg-Straße mißhandelt und dann ohne Beweise nach einem sogenannten "Annahmegesetz" zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Zunächst im Zuchthaus Anrath in Einzelhaft, mußte sie später in verschiedenen Arbeitskommandos Zwangsarbeit verrichten. Knapp entging sie dem Transport nach Ravensbrück. Bei der Befreiung war sie immer noch eine junge Frau, 35 Jahre alt.

Über sich selbst, über ihre persönlichen Dinge hat sie nicht häufig gesprochen. Sie war - nur kurz - verheiratet. Aber immer war ein Kreis von Freunden, von Genossinnen und Genossen um sie. Sie war eine sehr herzliche Frau. Sie hat regelmäßig vor Schulklassen über ihre Erfahrungen im Widerstand gesprochen. Dabei ist sie als Person wahrgenommen worden, genauso, wie sie unbefangen und persönlich den Schülerinnen und Schülern entgegentrat und deren Ton traf. Vor allem hat sie die menschliche Würde des antifaschistischen Widerstands lebendig werden lassen: Habt keine Angst, es lohnt sich zu kämpfen.

Auch nach der Befreiung blieb der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit der Antifaschismus. Seit Gründung der VVN war sie als Mitglied und viele Jahre in deren Bundesgremien tätig. Im Jahr 1958 bot das KPD-Verbot Gelegenheit, die Leiterin der Frauenabteilung im Düsseldorfer Polizeipräsidium, die sich noch aus der Zeit vor 1945 kannte, wiederzusehen. Zuletzt war Maria Ehrenvorsitzende der VVN-BdA NRW.

Gerade mal zwei Jahre ist es her, dass die Linkspartei einen Antrag an den Düsseldorfer Stadtrat stellte. Der Widerstandskämpferin, unserer Genossin Maria Wachter sei die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Das war vergeblich. Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und von der SPD bis auf eine Stimme abgelehnt. Die Grünen enthielten sich.

Genauso wie diese Ablehnung die Politik der Stadtrats kennzeichnet, sind die Verhältnisse auf der Liste der Ehrenbürger. Hier ragen Generäle und drei Generationen der Familie Henkel heraus. Bis zum Jahre 2004 war Adolf Hitler Ehrenbürger der Stadt, erst als die PDS das aufdeckte, wurde ihm diese Eigenschaft entzogen. Der Dichter Herbert Eulenberg und der Architekt Aloys Odenthal bilden eine Ausnahme auf der Liste der Geehrten. Sie hätten es verdient, dass Maria Wachter sich zu ihnen gesellt.

Aber ohnehin kommt es nicht auf die Haltung der städtischen Obrigkeit an. Wir sind es letztlich, die entscheiden.

Das fortschrittliche Düsseldorf, die Antifaschisten, die organisierte Arbeiterklasse werden Maria Wachter immer im Gedächtnis behalten.

Zum Schluß hat sie sich das Lied "Brüder zur Sonne, zur Freiheit" gewünscht.

Klaus Stein, 20. September 2010

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit,
Brüder, zum Lichte Empor.
Hell aus dem dunklen Vergangnen
Leuchtet die Zukunft hervor.

Seht, wie der Zug von Millionen
endlos aus Nächtigem quillt,
bis eurer Sehnsucht Verlangen
Himmel und Nacht überschwillt!

Brüder, in eins nun die Hände,
Brüder, das Sterben verlacht!
Ewig, der Sklav'rei ein Ende,
heilig die letzte Schlacht!