24.09.2010
Entsteht eine Armee fürs Innere?
Ulrich Sander über seine Abneigung gegen Gulasch
vom Reservistenverband. Interview mit Bundessprecher der VVN-BdA
Ulrich Sander.
ND: Das »Rückgrat der Bundeswehr«, der »Verband der
Reservisten«, ruft seine rund 125 000 Mitglieder auf, am 25.
September öffentliche Aktionen auf Marktplätzen durchzuführen.
Von der Tombola über Musikprogramme bis zur Gulaschkanone soll den
Besuchern viel geboten werden. Was ist daran auszusetzen?
Sander: Der »Tag der Reservisten« ist die Fortsetzung der
Werbung für die Bundeswehr im öffentlichen Raum. Es sollen neuen
Rekruten für die aktive Armee geworben und das Image verbessert
werden. Die Art der Werbung ist dabei sehr zweifelhaft. So schrieb
der Verband in seinem Organisationshandbuch für den »Tag der
Reservisten 2008«, dass Musik »unter Umgehung des Verstandes
direkt ins Gemüt« gehe und so »ein positives Klima« für die
Gespräche mit den Bürgern schaffe. 2008 konnten am Reservistentag
bei rund 100 Veranstaltungen nach eigenen Angaben knapp eine Million
Menschen umworben werden. Die antimilitaristische Initiative »kehrt-marsch«
hat daher Proteste initiiert.
Dieses Jahr steht der Tag unter dem Motto »50 Jahre
Reservistenverband – 50 Jahre für Frieden und Freiheit«. Wie hat
sich der Verband in dieser Zeit entwickelt?
Der Verband wurde 1960 auf Beschluss des Bundestags gegründet
und wird von der Bundeswehr bezahlt. Er erfüllt die Funktion, die
Gesellschaft weiter zu militarisieren und auf Kriege vorzubereiten.
Dabei stand der Verband seit jeher politisch sehr rechts – auch
der NPD-Vorsitzende Udo Voigt ist noch Mitglied.
Heute wird der Verband zunehmend aktiver: Viele Reservisten gehen
in Auslandseinsätze, in Afghanistan sind schon drei Reservisten
gefallen, und auch die zivil-militärische Zusammenarbeit im Inland
fußt auf Reservisten. In jedem Landkreis und in jeder kreisfreien
Stadt wurden vor einigen Jahren so genannte Verbindungskommandos
bestehend aus zwölf Reservisten aufgestellt. Diese sollen Polizei
und anderen Einrichtungen bei der Bewältigung von Katastrophen
helfen. Wir wissen heute, dass die Reservisten auch gegen Streiks
und Demonstrationen zum Einsatz kommen können.
Wie viel Reservisten gibt es in der Bundesrepublik?
Das Reservoir der Reservesoldaten, ist unglaublich groß. 2005
wurde das Alter für Reservisten unbemerkt von der Öffentlichkeit
von 45 auf 60 Jahre angehoben. Und bei der derzeitigen
Wehrdiskussion wird übersehen, dass die Wehrpflicht künftig
ausgesetzt wird, aber die Wehrpflichtigen der Jahrgänge ab 1950 der
Truppe als Reservisten erhalten bleiben. Es entsteht eine Armee im
Innern.
Auf der nordrhein-westfälischen Landesgartenschau in Hemer
soll es im Rahmen eines »Tages der Bundeswehr« am 28. September zu
einem der größten Reservistentreffen der Bundesrepublik kommen.
Auch dagegen regt sich Protest …
In Hemer trifft sich die aktive Bundeswehr mit Mitgliedern des
»Deutschen Bundeswehrverbands« und des Reservistenverbands. Es
soll Panzerschauen, ein Musikprogramm und Spiele geben. Die
Militärs berufen sich darauf, dass das Gelände lange Zeit eine
Bundeswehr-Kaserne war. Das stimmt, ist aber dennoch zynisch.
Ursprünglich war das Kasernengelände ein Kriegsgefangenenlager.
Etwa 25 000 vor allem sowjetische Gefangene haben hier im Zweiten
Weltkrieg den Tod gefunden. Dabei wurde das Lager von der Wehrmacht,
also der Vorgänger-Armee der Bundeswehr, geleitet.
Wir werden uns am 28. September mit einigen Friedensgruppen um 11
Uhr vor dem Eingang der Gartenschau treffen, um gegen das
Militaristentreffen am Ort des Todes zigtausender Kriegsgefangener
zu protestieren. Fragen:
Michael Schulze von Glaßer
Zuerst veröffentlicht bei http://www.neues-deutschland.de/artikel/180427.entsteht-eine-armee-fuers-innere.html
|