17.09.2010
Zu „Nazi-Verbrechen, die offiziell keine sind“,
in der WAZ und der WR am 17.9.10
In diesen Tagen jähren sich zum zehnten Mal die
ersten Naziaufmärsche von Dortmund. Sie waren Reaktionen auf
Enthüllungen der Westfälischen Rundschau. Die WR hat ihre
Berichterstattung zum Thema fortlaufend betrieben. Jetzt legte sie
wieder einen Bericht vor, und zwar über die ungesühnten Morde
durch Neonazitäter.
In der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU wurde z.B. im Juli 2000 unter der
Überschrift ‚Morde gebilligt - Neo-Nazi gefasst' berichtet, dass
die Kameradschaft Dortmund des Neonazis Borchardt den dreifachen
Polizistenmörder von Dortmund und Recklinghausen, Michael Berger,
verherrlicht habe. Ein Besitzer von Aufklebern ‚Berger war ein
Freund von uns! 3:1 für Deutschland. KS Dortmund' sei verhaftet
worden. ... Die Geschichte über die ‚Kameradschaft' der
Verbrecher, die Polizisten umbringen, wenn sie sich nicht allein
gegen Antifaschisten und Ausländer instrumentalisieren
lassen," wurde leider von den Behörden als unpolitische
Einzeltäterschaft eines Verrückten abgetan. Das heißt, der
dreifache Polizistenmord wurde nie juristisch aufgearbeitet, weil ja
der Täter sich umgebracht hatte, - und dass er vielleicht
Hintermänner hatte, die als Mittäter in Frage kamen und vor
Gericht gehörten, wurde nie untersucht.
Der
CDU-Bundestagsabgeordnete Erich Fritz (Dortmund) hat später an die
Bundesregierung die Frage gerichtet, ob Berger V-Mann des
NRW-Verfassungsschutzes war. Die Regierung lehnte eine Antwort ab.
Siehe http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0295_polizistenmo_rder.htm
Über weitere V-Leute-Fälle in NRW mit Neonazihintergrund siehe
hier:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0353_indy.htm
http://erwerbslosenkomitee-dueren.de/alt/24a6bc98a908e7305/24a6bc99c411bbe01.html
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/brief_an_polizei.htm
Der Artikel der WAZ:
Rechte Morde
Warum die Nazi-Statistik Lücken hat
Dirk Hautkapp und David Schraven .
Essen. Rechtsextreme Mörder sollen dreimal mehr Tote auf dem
Gewissen haben, als die offizielle Statistik ausweist. Behaupten Die
Zeit und der Tagesspiegel. Doch ist die Statistik wirklich faul?
Es sind die Statistiken, die verblüffen, die hohen Zahlen der
Opfer, wenn es um rechte Gewalt geht. 47 Menschen sind nach Auskunft
der Bundesregierung in Deutschland seit 1990 durch politisch rechts
motivierte Gewalttäter umgebracht worden. Es ging um Mord,
Brandanschläge und Totschlag. Doch das sei nicht alles, berichten
Zeit und Tagesspiegel. In einer umfassenden Recherche kommen die
beiden Blätter zu dem Ergebnis, dass in den vergangenen zwanzig
Jahren über 130 Menschen von rechten Schlägern in Deutschland
umgebracht wurden. Nur knapp ein Drittel davon werde in den
offiziellen Statistiken geführt. Warum?
Die
"Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschisten" hat mit Blick auf die nächste
Ratssitzung an den Rat der Stadt Dortmund appelliert,
endlich gegen alle Aufmärsche von Neonazis in der Stadt zu
handeln. "Die Aufmärsche werden nunmehr seit zehn
Jahren hier geduldet, obwohl eine überwältigende Mehrheit
der Bürgerschaft Dortmunds sie ablehnt und obwohl deren
Veranstalter sich eindeutig als Nachfolger des NS-Regimes
erweisen." Es sei ein schierer Makel für
Dortmund, dass es Neonazis gelungen sei, sich dort zu
verankern, so die Opfervereinigung. |
Die Suche nach der Antwort ist schwierig. Denn es geht um die
Definition der Motive, sagt eine Sprecherin des
NRW-Verfassungsschutzes. „Wenn sich zwei Rechtsradikale prügeln,
muss das nicht unbedingt politische Gewalt sein, die in eine
Statistik aufgenommen wird.“
Wenn ein Nazi auf der Straße einen Obdachlosen erschlägt, muss
geklärt werden, ob er das tat, weil er betrunken war, wütend auf
alles und jeden, oder weil er ein politisches Zeichen setzen wollte.
Das eine gilt als Mord unter vielen, das andere als politische Tat.
Die Abgrenzung bestimmt darüber, ob die Statistiken zeigen, dass
die rechten Schläger mehr oder weniger Menschen getötet haben. Im
Prinzip können sie beides tun. Der Verfassungsschutz in NRW sagt,
er könne die Zahlen der Zeit und des Tagesspiegel nicht
bestätigen. Und das Innenministerium des Bundes lehnte eine
detaillierte Stellungnahme zur Diskrepanz zwischen 137 und 47 Opfern
ab. Nur soviel wurde gesagt: Die bundesweite Statistik basiere auf
den Angaben der Polizei- und Justizbehörden der Länder.
Schily hielt Aufklärung für geboten
Dass sich Sicherheitsbehörden bei manchen Tötungsverbrechen
schwer tun, einen rechtsextremen Hintergrund zu erkennen, ist aus
der Sicht von Opferverbänden seit vielen Jahren ein Ärgernis.
Schon vor über zehn Jahren, zu Zeiten des SPD-Bundesinnenministers
Otto Schily, gab es nach entsprechenden Zeitungsberichten weit
voneinander abweichende Zahlen. Schily hielt damals sofortige
Aufklärung für geboten. Das Bundeskriminalamt (BKA) schrieb alle
Landeskriminalämter an, in deren Zuständigkeit mindestens ein
Tötungsverbrechen fiel, das in Berichten genannt wurde und bis
dahin in den polizeilichen Statistiken fehlte. Ergebnis: Die
offizielle Opferzahl wurde leicht nach oben korrigiert.
Ein Blick in die verwinkelten Details zeigt, wie die Zahlen
lügen können. Da ist zum Beispiel der Fall „Schmuddel“ aus
Dortmund. Der 32-Jährige Punker Thomas Schulz, Spitzname Schmuddel,
wurde dort am 28. März 2005 in einer U-Bahn-Station mitten in der
City von einem 17-Jährigen Skinhead erstochen. Das bestreitet
keiner. Der Verteidiger des Skinheads sagte, sein Mandant sei ein
Sympathisant der Neonazis. In der rechten Szene mobilisieren andere
Skinheads Unterstützung für den Täter.
Täter hatte „keine gefestigten politischen Ansichten“
Alles scheint eindeutig. Ein Nazi-Skinhead hat einen linken
Punker umgebracht. Trotzdem weist die Statistik den Messerangriff
nicht als politischen Mord aus. Der Richter sagte, ein so junger
Täter könne noch keine gefestigten politischen Ansichten haben.
Und der Täter selbst gab als Motiv keine politische Hetze an,
sondern sagte, er sei vom Punker Schmuddel provoziert worden.
Ähnlich sieht es im Fall eines rechten Mörders Mitte der
neunziger Jahre in Gladbeck aus. Thomas L. war Mitglied der
rechtsradikalen Wiking-Jugend und der rechtsradikalen Freiheitlichen
Deutschen Arbeiterpartei FAP. Er soll auch im Balkankrieg in
nationalistischen Milizen gekämpft haben. In seiner Wohnung fand
die Polizei so genannte Anti-Antifa-Listen, mit den Adressen
politischer Gegner in seiner Umgebung.
Thomas L. lockte im Sommer 1995 seine Bekannte Dagmar Kohlmann in
einen Wald bei Altena und ermordete sie dort. Die Tat wurde nicht
als politisch eingestuft, weil er mit dem Mord kein Fanal setzen
wollte, sondern nur beabsichtigte, seine damalige Partnerin zu
erpressen. Als er ein paar Monate später in Bergisch-Gladbach die
23-Jährige Patricia Wright in deren Wohnung fesselte, vergewaltigte
und erdrosselte, fand diese Tat ihren Weg in die Statistiken, weil
Thomas L. sein Opfer diesmal für eine Linke hielt, die es zu „bekehren“
gelte.
Motive werden notiert
Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Die Statistiken im
Falle der rechten Gewalt haben keinen absoluten Wert. Lange Zeit
galt, dass eine Gewalttat eindeutig als Angriff auf die
freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erkennen sein musste, um
sie als rechtsextremistisches Delikt einzustufen. Verprügelte ein
betrunkener Skinhead einen Obdachlosen, plädierte die Polizei nicht
auf ein politisches Delikt, weil eine Attacke auf das System nicht
zu erkennen war. Unumstrittene Zahlen gibt es nicht. Die Statistiken
zeigen nicht, was die rechten Schläger tun. Sie zeigen nur einen
Ausschnitt der vermuteten Motive für schreckliche Taten. Mehr
nicht. http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Warum-die-Nazi-Statistik-Luecken-hat-id3722785.html
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