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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

15.09.2010

Appell der VVN-BdA an den Rat der Stadt Dortmund

Gegen Nazis endlich offensiv werden - Demokratisch Gewählte und nicht der Polizeipräsident sind verantwortlich

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten hat mit Blick auf die Ratssitzung am Donnerstag an den Rat der Stadt Dortmund appelliert, gegen alle Aufmärsche von Neonazis in der Stadt künftig das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen. "Die Aufmärsche werden nunmehr seit zehn Jahren hier geduldet, obwohl eine überwältigende Mehrheit der Bürgerschaft Dortmunds sie ablehnt und obwohl deren Veranstalter sich eindeutig als Nachfolger des NS-Regimes erweisen - eine ihrer Losungen: ‚Nie wieder Krieg nach unserem Sieg, dem Sieg des nationalen Sozialismus'." Es sei ein schwerer Makel für Dortmund, dass es Neonazis gelungen ist, sich hier mit Hilfe bundesweit organisierter Kräfte und deren Aufmärsche zu verankern. Der Rat der Stadt soll alle ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume ausnutzen, um die Serie der Nazi-Aufmärsche zu beenden. Dazu gehört, dass er sich um die Durchsetzung von Grundgesetz, Verbot von Volksverhetzung und Aufmärschen vor Gedenkstätten selbst kümmert und dies nicht der Polizei überlässt. "Unverzichtbar ist, die Achtung von Recht und Gesetz auch zu einer unmittelbaren Aufgabe des Rates der Stadt zu machen. Unverzichtbar ist, dass die demokratisch gewählten Gremien handeln, und dies nicht der Polizei überlassen," sagten dazu Pfarrer Hanno May und Journalist Ulrich Sander, die Sprecher der Dortmunder VVN-BdA.

Antrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten an den Rat der Stadt Dortmund.

Der Rat möge beschließen:

In einer gemeinsamen Stellungnahme wenden sich die Mitglieder des Rates der Stadt gegen alle Aufmärsche von Neonazis in der Stadt. Die Aufmärsche werden nunmehr seit zehn Jahren hier geduldet, obwohl eine überwältigende Mehrheit der Bürgerschaft Dortmunds sie ablehnt und obwohl deren Veranstalter sich eindeutig als Nachfolger des NS-Regimes erweisen - eine ihrer Losungen: "Nie wieder Krieg nach unserem Sieg, dem Sieg des nationalen Sozialismus."

Rassismus, Kriegshetze und Fremdenfeindlichkeit sowie alle Bemühungen, die Verbrechen des Naziregimes zu verharmlosen, haben in unserer Stadt keinen Platz. Dortmund ist eine weltoffene, tolerante und demokratische Stadt. Seit Jahrzehnten leben Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Nationalitäten bei uns friedlich miteinander. Wir werden alles dafür tun, dass das auch so bleibt. Diese Stadt gehört den Dortmunderinnen und Dortmundern und nicht den Nazis.

Es ist ein schwerer Makel für Dortmund, dass es Neonazis gelungen ist, sich hier mit Hilfe bundesweit organisierter Kräfte und deren Aufmärsche zu verankern. Sie verbreiten in einigen Straßenzügen Ängste unter der Bevölkerung. Sie greifen zur Gewalt und predigen unverhohlen die Politik und Praxis des Nationalsozialismus, - und das in einer Stadt, die mit Gedenkstätten und Gedenkarbeit, mit Aufklärung der Jugend gegen eine Wiederkehr vergangenen Unheils angeht und sich eine hochstehende antifaschistische Kultur schuf, wie kaum eine andere Stadt.

Die Mitglieder des Rates der Stadt sprechen sich gemeinsam dafür aus, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume ausnutzen, um die Serie der Nazi-Aufmärsche zu beenden. Sie sprechen sich entschieden für Mitmenschlichkeit und Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt aus. Dazu gehört: Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten. Entsprechend der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verpflichtet sich der Rat der Stadt, sich entschieden gegen rassistische und sonstige diskriminierende, die Menschenwürde missachtende Bestrebungen zu stellen. Die Mitglieder des Rates der Stadt stehen uneingeschränkt zu dieser Verpflichtung und machen anlässlich der entstandenen Lage erneut deutlich, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und nationalsozialistisches Gedankengut in Dortmund unerwünscht sind.

Außerdem rufen die Mitglieder des Rates der Stadt Bürgerinnen und Bürger dazu auf, auch weiterhin gegen Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Gewaltpolitik einzutreten, wo immer dies erforderlich ist - in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen oder Vereinen. Neben dem Engagement von Politik und Verwaltung ist vor allem die Zivilcourage der Bevölkerung unverzichtbar.

Unverzichtbar ist, die Achtung von Recht und Gesetz auch zu einer unmittelbaren Aufgabe des Rates der Stadt zu machen. Unverzichtbar ist, dass die demokratisch gewählten Gremien handeln, und dies nicht der Polizei überlassen.

Der Rat der Stadt wird deshalb

  1. Das Prinzip des Oberverwaltungsgerichts Münster, das zugleich Landesverfassungsgericht ist, anwenden, das lautet: "Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren." (Beschluss OVG NRW, Az 5 B B 585/01)
  2. Es wird somit das Grundgesetz angewendet, dessen Artikel 139 die zur "Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" erlassenen Rechtsvorschriften zu geltendem Recht macht; - dieser Artikel wurde beim Beitritt der Bundesrepublik Deutschlands in die UNO und bei Grundgesetzentscheidung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands bekräftigt.
  3. Es wird die Entscheidung des Bundestages angewendet, der den Paragraphen 130, Absatz 4, geschaffen hat, der besagt: Es "wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt."
  4. Es wird die Entscheidung des Bundestages angewendet, der in das Versammlungsgesetz hineingeschrieben hat: "Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten (…)werden, wenn 1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert und 2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird." (Versammlungsgesetz § 15,2)
  5. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht im November 2009 beschlossen und der Rat der Stadt wird entsprechend handeln: "Wegen der besonderen Geschichte Deutschlands gilt in der Frage der Meinungsfreiheit für Nazis eine Ausnahme. ‚Angesichts des Unrechts und des Schreckens, den die Naziherrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht habe', enthalte das Grundgesetz in diesem Punkt eine Ausnahme vom Verbot, ein Sonderrecht gegen bestimmte Propaganda zu schaffen. Denn ‚das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des national-sozialistischen Regimes gedeutet werden'." (Az. 1 BvR 2150/08) (Zitiert nach dpa vom 17.11.09) 6. Dort wo Polizei und Justiz bis hin zum Bundesverfassungsgericht diesen Gesetzen und Gesetzesinterpretationen zuwiderhandeln, wird der Rat alles in seinem Möglichkeiten Stehende tun, den Nazi-Aufmarsch dennoch zu verhindern. Insbesondere mobilisiert der Rat dazu die Öffentlichkeit, ermutigt die Bürgerinnen und Bürger zur Zivilcourage und beteiligt sich demonstrativ an der Protestaktion. Mit Entschiedenheit gilt es, der Demokratie der Mehrheit gegen den Terror einer Minderheit Geltung zu verschaffen.

Ein Nachwort der Antragssteller

Die Vereinigung der Verfolgten den Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten ersucht den Rat, obigen Antrag zu beschließen. Diese Organisation ist eine Organisation der Opfer und Hinterbliebenen. Diesen Opfern wurde in den genannten Gerichtsentscheidungen, Paragraphen und Grundgesetzartikeln das Recht auf besonderen Schutz - ihrer Würde und ihrer Unversehrtheit - zugesprochen. Es hat die Opfer und Hinterbliebenen sehr beunruhigt, dass die Polizei den Neonazis zum 4. 9. den Nordausgang des Hauptbahnhofs als Anlaufstelle genehmigte, dort wo unsere Gedenkstätte "Widerstand und Verfolgung 1933 - 1945" in der ehemaligen Steinwache der Gestapo mit dem Gefängnis für tausende Antifaschisten steht und die Auslandsgesellschaft ihre Bildungsstätte unterhält. Als wir auf die Unzulässigkeit dieser Entscheidung nach dem Versammlungsgesetz hinwiesen (Schutz der Gedenkstätten, Punkt 4, siehe oben), drohte die Polizei allen, die den Naziaufmarsch "stören" mit Haft bis zu drei Jahren. Aus Internetseiten der Neonazis ging hervor, dass diese mit der Polizei eine Vereinbarung hatten, nach der das Vorgehen gegen "Störer" und "Blockierer" geregelt wurde. Erst als erkennbar wurde, dass die Neonazis auch Sprengstoff gegen Blockierer anwenden könnten - wurde es der Polizei unheimlich. Das Blockieren - und damit der demokratische Sitzstreik - wurden von der Polizei grundsätzlich als Gewalttat dargestellt, obwohl es höchstrichterliche Urteile dazu gibt, die das verneinen (Mutlangen-Urteil, siehe auch das Experten-Gutachten in der Westfälischen Rundschau vom 21. 8. 10 "Sitzblockaden grundsätzlich zulässig"). Dieses Verhalten der Polizei, auch ihre an einigen Plätzen am 4. 9. 10 ausgeübte brutale Praxis gegen Demonstranten, ist ein unerhörter Vorgang, der sich nicht wiederholen darf. Wir streben die Befassung der demokratisch Gewählten mit der Anwendung er Gesetze an, sie sollte nicht der Polizei überlassen werden. Wer sagt: Die Rechten haben auch ein Versammlungsrecht - was wir bezweifeln, und zwar entsprechend Artikel 139 des Grundgesetzes (siehe Punkt 2 oben) -, den fragen wir, wo dann das Versammlungsrecht der Demokraten bleibt? Deren Versammlungsrecht wurde zugunsten der Naziaufmärsche immer wieder angetastet. Die Städte Wunsiedel und Karlsruhe haben die Anwendung des Paragraphen 130/4 des Strafgesetzbuches gegen Neonaziaufmärsche vorgenommen und sind damit gut gefahren. Das sollte auch in unserer Stadt möglich sein.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde für Dortmund 1947 von 2000 Überlebenden des Holocaust, von NS-Opfern und Teilnehmern am Antinazi-Widerstandskampf gegründet. Ihre Mitglieder erklären: Wir, die Krieg und Faschismus noch durchlitten haben, aber auch die zweite und dritte Generation und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, fühlen uns dem Auftrag der Gründer der VVN-BdA verpflichtet. Die Volksverhetzung der Neonazis und ihre ständige Gewaltbereitschaft - ausgedrückt auch in den in Dortmund regelmäßig durchgeführten Aufmärschen - dürfen nicht mehr hingenommen werden.

 

Gegenüberstellung zum Nachdenken …
Synopse zum Umgang mit Naziaufmärschen in Karlsruhe und Dortmund

17.09.2010

Dortmunds Stadtrat soll Nazi-Aufmärsche stoppen
http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/Dortmunds-Stadtrat-soll-Nazi-Aufmaersche-stoppen-id3719905.html