05.09.2010
Tausende Antifaschisten blockierten Nazis in
Dortmund
Stopp trotz Karlsruher
Erlaubnis und polizeilicher Milde
In die Liste der Städte, in denen Naziaufmärsche
von Antifaschisten blockiert wurden, könnte bald auch Dortmund
Aufnahme finden. Lange vor dem 4. September hat das bundesweite
Bündnis „Dortmund stellt sich quer“ einen Blockadeaufruf
herausgegeben. Dessen Strategie ist weitgehend aufgegangen, wenn
auch nur mit unfreiwilliger Hilfe der Polizei. Vor allem wirkte sich
erfolgreich aus, dass über 40 Veranstaltungen von Initiativen und
Vereinigungen in Dortmund am 4. September den Nazis für ihren 6.
bundesweiten „Nationalen Antikriegstag“ die Räume streitig
machten. So konnte die Polizei den Nazis wenig Platz zum Marschieren
und Hetzen bieten.
Und dann blieb das Marschieren ganz aus, und die 500 angereisten
Braunen wurden per Polizeibus und Gefangenentransporter in die
Hafennähe gebracht, wo drei Stunden lang Reden gehalten wurden, die
von einer Qualität waren, dass die Nazis bis auf 20 vorzeitig den
Platz verließen. Die Herrschaften waren frustriert, weil die
Blockaden bereits auf dem Hauptbahnhof wirkten, so dass nur mit
Hilfe brutaler Polizeieinsätze gegen die Antifaschisten und
mildtätigen behördlichen Geleites die „Nationalisten“ aus dem
Zug und in die Busse gerieten. Die Straße blieb ihnen verwert. Eine
weitere große Gruppe von 500 Nazis hatte es vorgezogen, nicht in
den blockierten Bahnhof zu fahren, sondern in einem Dortmunder
Vorort auszusteigen. Doch ihr Marsch zum Zentrum wurde von der
Polizei gestoppt und Richtung Hamm umgeleitet. In Dortmund hatten
schon Blockierer gewartet. Diese protestierten ungeachtet massiver
Versammlungsverbote, Massenfestnahmen, Polizeikessel, Platz- und
Ortsverweise.
Doch die Dortmunder Probleme bleiben bestehen. Jahrelang haben
Stadt und Polizei in Dortmund zugesehen, wie die rechte Gewalt in
der Stadt zunahm, linke Jugendliche und Migrantinnen und Migranten
auf offener Straße angegriffen wurden und dann ganze Straßenzüge
unter die Kontrolle von Neo-Nazis und „Autonomen Nationalisten“
gerieten. Unter Beteiligung der Stadt haben jedoch in den letzten
Monaten Koordinierungen von Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und
anderen Gruppen, auch der VVN-BdA und des Bündnisses Dortmund gegen
Rechts, gegriffen, so dass eine ständige Aufklärungsarbeit und
andauerndes Widerstehen den Nazigruppen ihre Grenzen aufzeigen. Denn
in und um Dortmund sind inzwischen gut 150 Nazis von jetzt auf
gleich mobilisierungsfähig. Da ist es notwendig, die auswärtigen
Nazikader wie am 4. September zu vertreiben – und gleichzeitig das
alltägliche Netzwerk gegen rechts immer fester zu knüpfen.
Es wächst die Unzufriedenheit mit der Rolle der Polizei in
diesem Prozess. Wenn eine Familie genervt vor den Drohungen der
Nazis zurückweicht und den Schwerpunktstadtteil Dorstfeld
verlässt, zuckt man die uniformierten Schultern. Bei Überfällen
der Rechten auf linke Szenelokale erscheint die Polizei oft
zögerlich. So auch wenige Tage vor dem „Nationalen Antikriegstag“
– es muss hier nicht ausführlich betont werden, dass es besser
„Kriegstag“ heißt –, als nur ein kleiner Teil einer brutalen
Schlägertruppe gefasst werden konnte. Dabei auch jener Falko Wolf
aus Aachen, der in Dortmund das Nazitreffen mit vorbereitete und
zugleich gefährliche Splitterbomben für den Einsatz gegen Linke
bastelte. In Berlin war er damit aufgefallen. Und nun endlich, fünf
vor zwölf entschloss sich Polizeipräsident Hans Schulze, den
Naziaufmarsch zu verbieten, konnte damit aber wieder mal das
Bundesverfassungsgericht nicht überzeugen, das den Nazis insofern
recht gab, dass Wolfs Aktivitäten keine ausreichende
Gefahrenprognose zulasse. (Schulze hatte nur mit Gewaltbereitschaft
der Nazis und nicht mit Volksverhetzung argumentiert.) Nur wenige
Dortmunder Demokraten haben Verständnis für das
Verfassungsgericht, und immer mehr verurteilen auch die mangelnde
Verbotsbereitschaft der Polizei gegen Rechts. „Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zeigt einmal mehr: Wir müssen die Dinge
selbst in die Hand nehmen. Das offene und aktive Blockieren als Akt
des zivilen Ungehorsams bleibt notwendiges und richtiges Mittel,
Nazidemos tatsächlich zu verhindern.“ (Aus der Erklärung des
Quer-Bündnisses)
An den Protesten gegen rechts haben sich mindestens 15.000
Menschenbeteiligt. Und die Vielfalt ihrer Aktivitäten gegen rechts
ist ermutigend. Es zeigt sich aber auch ein Problem: Wenn jeder
seins macht, dann mangelt es leicht an der Einheitlichkeit und der
Abgestimmtheit der antifaschistischen Kräfte. Diese – auch die
Bundesweiten - müssen sich noch stärker zusammentun und
Eigenbröteleien und Besserwisserei in Frage stellen.
Die VVN-BdA wirkt in diesem Sinne. Ihre Mitglieder aus ganz NRW
waren an den verschiedensten Aktionen am 4. September beteiligt, vor
allem beim örtlichen Bündnis gegen Rechts mit seiner „Kulturtour“.
Eine besondere Aktion war der VVN-BdA durch plötzliche Ereignisse
quasi aufgezwungen worden. Als bekannt wurde, dass die Polizei den
Nazis genehmigt hatte, sich in der Nähe der Auslandsgesellschaft
nebst Steinwache, das heißt an der Gedenkstätte „Widerstand und
Verfolgung 1933 – 1945“ zu formieren, da riefen VVN-BdA,
Förderverein Steinwache und Internationales Rombergparkkomitee mit
Unterstützung der Föderation des Internationalen Widerstandes FIR
zu einer ganztätigen Mahnwache an der Gedenkstätte auf. Hunderte
besonders junge Menschen haben sich für kurz oder lang daran
beteiligt. Die Mahnwache veranlasste die Polizei, zu vermeiden, dass
auch nur ein Rechter in die Nähe der Gedenkstätte kam.
Ulrich Sander
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