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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.09.2010

Hinterbliebene der Steinwachenopfer melden sich zu Wort

„Die Duldung dieser Demo beleidigt unsere Verstorbenen und auch deren Nachkommen“

Folgende Statements zur morgigen Mahnwache an der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache liegen der VVN-BdA vor.

Statement von Frau Ulrike Z. aus Bayern. Sie ist Enkelin einer der Ermordeten der Bittermark. (Der Name ist uns bekannt.)

Ich hatte immer die Hoffnung, dass der Tod meiner Oma und das dadurch bedingte Leid meiner Familie nicht umsonst gewesen ist, aber wenn ich das alles beobachte, dann frage ich mich wirklich, wofür meine Großmutter ihr Leben geopfert hat, wenn jetzt diese Neonazis mehr Rechte und Gehör bei der Polizei und der Stadt Dortmund finden als wir Angehörigen. Die Duldung dieser Demo beleidigt unsere Verstorbenen und auch deren Nachkommen.

Statement von Doris Borowski, Dortmund

Ich möchte einige sehr persönliche Worte sagen:

Mein Vater, Walter Tüsfeld, wurde während des Nationalsozialismus verfolgt und dreimal verhaftet; am 15.April 1943 wurde er in die Steinwache gebracht und bis zum 22. Mai dort inhaftiert – welche Leiden und Schrecken damit verbunden waren, ist bekannt.

Aus Achtung und Verpflichtung vor dem Widerstand meines Vaters und aller hier in der Steinwache geschlagenen und gefolterten, sehe ich es als Pflicht vor diesem Gedächtnisort am Samstag mit einer Mahnwache zu stehen, wenn der Naziaufmarsch nur wenige hundert Meter entfernt stattfinden darf.

Es ist mir unverständlich, dass in dieser Stadt von dessen großem antifaschistischen Widerstand diese Gedenkstätte zeugt, Jahr um Jahr Naziaufmärsche ermöglicht werden – gleichzeitig Bürgern der Stadt ihre Rechte eingeschränkt werden und Widerstand kriminalisiert wird.

Unsere Mahnwache ist nur ein kleiner Teil des Widerstandes, der sich am Samstag den Nazis entgegenstellen wird – aber ein notwendiger.

In diesem Sinne danken wir Herrn Dr. Mühlhofer, dem Leiter der Gedenkstätte und Herrn Dr. Högel, Leiter des Stadtarchivs, die die Mahnwache ermöglichen.

Doris Borowski, Dortmund, Vorsitzende der DKP

Statement von Ulla Jelpke, MdB

Trotz Verbot von Naziaufmarsch keine Entwarnung

"Das polizeiliche Verbot des Nazi-Aufmarsches am Samstag in Dortmund ist ein längst überfälliger Schritt. Die Gewalttätigkeit der so genannten Autonomen Nationalisten ist seit langem bekannt. Im Zusammenhang mit dem Nationalen Antikriegstag kam es in den letzten Jahren regelmäßig zu Drohungen und Überfällen auf Antifaschisten, linke Treffpunkte und selbst Polizeibeamte", erklärt die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE und Abgeordnete für Dortmund Ulla Jelpke. Am Mittwoch hatte die Dortmunder Polizei die Nazi-Demonstration verboten, nachdem bei einem Neonazi Sprengsätze gefunden wurden. Jelpke weiter:

"Dass für das Verbot des Nazi-Aufmarsches erst nach Polizeiaussagen lebensgefährliche Sprengsätze gefunden werden müssen, während friedliche antifaschistische Mahnwachen bereits vorher willkürlich verboten wurden, ist allerdings ein Skandal.

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre ist zudem nicht auszuschließen, dass das Verbot des Naziaufmarsches gerichtlich wieder gekippt wird. Zudem bereits am Freitag bleiben mehrere Neonazi-Veranstaltungen wie ein Rechtsrockkonzert erlaubt. Antifaschistische Wachsamkeit tut weiterhin not. Wir dürfen den Nazis nicht die Straße überlassen! "

Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische Sprecherin Fraktion DIE LINKE.

Statement von Gisa Marschefski, Generalsekretärin des Internationalen Rombergparkkomitees

(sie wird wegen Krankheit nicht an der Mahnwache am Samstag teilnehmen können, bittet aber um Beachtung der nachstehenden Ausführungen)

Wir erinnern an dieser denkwürdigen Stelle an die vielen Tausend ermordeten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, an die vielen NS-Opfer und Widerstandskämpfer, die hier in der Steinwache gequält wurden, um dann deportiert zu werden, oftmals in den Tod. Wir erinnern an die Tausenden ermordeten Jüdinnen und Juden, der Roma und Sinti, und auch an die Ermordung von beinahe 300 Frauen und Männern aus sieben Nationen Europas im Frühjahr 1945, Sie alle waren Gegner des Hitlerregimes. Gegner der massenhaften Vernichtung jüdischer Menschen. Gegner des fürchterlichen Raubkrieges, die die Hitlerwehrmacht in beinahe allen Ländern Europas geführt hatte.

Millionen und aber Millionen Menschen waren diesem von Deutschland begonnenen und bis zum bitteren Ende geführten Krieg zum Opfer gefallen.

Die beeindruckende Gedenkstätte, vor der wir stehen, wird nun erneut durch die beabsichtigte Anwesenheit von Neonazis schwer beeinträchtigt. Obwohl in Berlin ein Gesetz erlassen wurde, das Naziaufmärsche vor Gedenkstätten verbietet, hat die Polizei die Formierung des Naziaufmarsches in der Nähe dieser Steinwache genehmigt. Erst die Verhaftung eines Anführers der Dortmunder Naziprovokation in Berlin brachte die Polizei Dortmunds dazu, den Aufmarsch zu verbieten. Wir begrüßen dieses Verbot – und wir hoffen, dass nach zehn Jahren Naziaufmärschen in Dortmund und fünf Jahren „Kriegstagsprovokationen“ ein für alle Mal Schluss ist mit diesem unseligen Tun.

Die Mahn- und Gedenkstätte und ihr Name „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 – 1945“ mahnen uns, so etwas, wie damals geschehen, nicht noch einmal zuzulassen.

65 Jahre ist es her, dass mein Vater Erich Mörchel mit seinem Bruder und den 300 Frauen und Männern in den Dortmunder Wäldern ermordet und verscharrt wurden. Viele von ihnen hatten vorher Bekanntschaft mit der Steinwache gemacht, der Hölle von Westfalen, wie sie hieß.

Wenn ich versuche, mir vorzustellen, was mein Vater, was seine Kameradinnen und Kameraden angesichts der heutigen politischen Situation – besonders hier in Dortmund - sagen würden, so kämen sicher ernste Mahnungen an uns alle aus ihren Mündern. Es ist für mich unvorstellbar, dass Vater „Ja“ sagen würde zu der Beteiligung deutscher Soldaten an den Kriegen in der Welt. Er würde sagen: „Macht Schluss mit dem Neonazismus, aber auch mit den Kriegseinsätzen in Afghanistan und anderen Ländern der Welt. Krieg darf kein Mittel der Politik sein.“

Arbeit, Brot und Völkerfrieden, das war meines Vaters und seiner Freunde Welt. Dafür haben sie sich eingesetzt und diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlt.

Handeln wir in ihrem Sinne.

Und was würden uns die ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder sagen, die getötet wurden, weil sie Jüdinnen und Juden waren? Ganz sicher würden sie mit uns fordern: „Schluss mit Antisemitismus und ausländerfeindlicher rassistischer Propaganda! Schluss mit Aktivitäten und Schmierereien an den jüdischen Friedhöfen und anderen Stellen!“ Und ich füge hinzu: Schluss mit dem Gerede, dass „Deutschland sich selbst abschafft“, weil es hier Migrantinnen und Migranten gleichberechtigt leben lässt.

Was würden mein Vater und seine ermordeten Kolleginnen und Kollegen aus den Gewerkschaften sagen, wenn sie erleben müssten, dass Gewerkschaftsdemonstrationen, wie am 1. Mai 2009 in Dortmund geschehen, von Nazi-Kolonnen gewalttätig angegriffen werden? Aus bitterer Erfahrung würden sie uns zurufen: „Wehrt Euch, leistet Widerstand gegen den Nazismus hier in diesem Land.“ Und sie würden sagen: „Sorgt dafür, dass die neonazistische NPD endlich verboten wird und damit ein bedeutender Schritt getan wird zur Beseitigung von Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass.“

Ich rufe Sie alle auf, das Gedenken an die Opfer der Hitler-Diktatur zu unterstützen. Zeigen wir uns den Ermordeten würdig, folgen wir gemeinsam ihrer Mahnung:

Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg.

Gisa Marschefski, Dortmund