18.08.2010
Demokraten und ihre Organisationen werden der
Gemeinnützigkeit beraubt
Einer Enthüllung von „Ossietzky“ ist zu entnehmen, dass
derzeit Friedens- und Demokratieinitiativen durch
Finanzämter in ihrer Arbeit behindert werden. Steuerbegünstigte
Spenden dürfen sie nicht mehr annehmen, weil die Organisationen „politisch“
seien – gemeint ist kritisch und antikapitalistisch, aber auch
antifaschistisch. Sogar die SPD-nahe Jugendorganisation „Sozialistische
Jugend – Die Falken“ wurde von nordrhein-westfälischen
Finanzbehörden – und zwar zu einer Zeit, als ein Sozialdemokrat
das Finanzministerium in Düsseldorf leitete – gedrängt, ihre
Satzung zu ändern, eben weil dort der Sozialismus als Ziel
angegeben war.
Eckart Spoo Kann nur der
Kapitalismus gemeinnützig sein?
Der Verein „kolko – Menschenrechte für Kolumbien“,
ansässig im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte,
fördert laut Satzung „die Völkerverständigung und eine
menschenrechtsorientierte Entwicklungszusammenarbeit“. Er sieht
seine Aufgaben unter anderem im Informationsaustausch und auch in
der Unterstützung von politisch Verfolgten und Flüchtlingen. In
diesem Sinne leistet er seit seiner Gründung im Jahre 2003
gemeinnützige Arbeit, wie ihm das zuständigen Berliner Finanzamt
für Körperschaften I bestätigte. Er ist also von Steuerpflichten
befreit; Spenden sind steuerbegünstigt.
Doch neuerdings sieht das Finanzamt für Körperschaften I die
Voraussetzungen für die Steuerbefreiung „nicht mehr in vollem
Umfang erfüllt“: Die Förderung des Austauschs von Informationen
sei „keine klar bestimmte unmittelbare
Zweckverwirklichungsmaßnahme“ im Sinne der Abgabenordnung. Und
„dies gilt auch für die Unterstützung von politisch Verfolgten
und Flüchtlingen“. Vor allem aber beanstandet die Behörde, daß
die Satzung nicht eindeutig wiedergebe, ,„wie der Verein die
Entwicklungszusammenarbeit fördert“. Wie er sie nach Ansicht des
Finanzamts zu fördern hat, steht gleich im nächsten Satz des
Bescheids: „Unter Entwicklungszusammenarbeit versteht man alle
Maßnahmen, die dazu dienen, die Entwicklungsländer wirtschaftlich
zu fördern und sie hierdurch dem Stande der Industriestaaten näher
zu bringen beziehungsweise“ – und jetzt kommt es – „sie in
deren wirtschaftliche Ordnung einzugliedern.“
Sie in „unsere wirtschaftliche Ordnung“ einzugliedern?
Müssen wir uns also, wenn wir uns für Menschenrechte in einem
lateinamerikanischen Land engagieren, zu einer wirtschaftlichen
Förderung mit dem Ziel verpflichten, daß dieses Land den
Kapitalismus akzeptiert? Müssen Menschenrechtler dort als
Missionare des Kapitalismus auftreten? Soll das Herrschaftsinteresse
des Kapitals als oberstes aller Menschenrechte gelten? Oder was?
Oder wie? Die Auseinandersetzung zwischen „kolko“ und dem
Finanzamt für Körperschaften I, die nun begonnen hat, wird es
vielleicht klar machen.
Vereine, die möglicherweise ein wenig links von der
Bundesregierung aktiv werden, geraten leicht in Schwierigkeiten, die
sich, wenn überhaupt, oft nur mit großem Zeit- und Nervenaufwand
beheben lassen. Ich habe ein paar Beispiele gesammelt.
So bekam der „Verein für Friedenspädagogik“ in Tübingen,
der 1982 für „vorbildliches demokratisches Verhalten“ mit der
Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden war, nicht lange danach
von der Oberfinanzdirektion Stuttgart einen Ablehnungsbescheid, weil
er politische Ziele verfolge. Nach der Abgabenordnung müsse er „weitestgehende
Neutralität und Objektivität“ wahren. Dies sei nicht im
gebotenen Maße der Fall, wie „die enge Verbindung des Vereins zur
Friedensbewegung“ und „die ablehnende Haltung zur Bundeswehr“
bewiesen.
Ähnlich wollte nach einem Bericht des Spiegel das Finanzamt
Reutlingen die Gemeinnützigkeit des „Vereins für
friedenspolitische Bildungsarbeit“ nicht anerkennen, weil „der
überwiegende Teil der Bevölkerung“ den Vereinszweck –
Friedenserziehung und Völkerverständigung – nicht mittrage.
In Uelzen, wo sich angesichts der im benachbarten Wendland
geplanten Atomanlagen eine „Ärzteinitiative“ gegründet hatte,
beanstandete das Finanzamt, daß dieser Verein „die sogenannte
Friedensbewegung“ unterstütze und eine in der Satzung nicht
vorgesehene Aktion gegen Kriegsspielzeug veranstaltet habe und daß
er die Inbetriebnahme kerntechnischer Anlagen verhindern wolle. Der
Umweltschutz sei zwar als gemeinnütziger Zweck anerkannt, soweit
die Verringerung der Strahlenbelastung durch kerntechnische Anlagen
und die Verbesserung der Sicherheit solcher Anlagen gefördert
würden. „Die völlige Verhinderung der Inbetriebnahme
kerntechnischer Anlagen scheidet somit als gemeinnütziger Zweck
aus.“ Kurz: Die „Ärzteinitiative“ hätte statt „Atomkraft
– nein danke“ sagen müssen: „Atomkraft – ja bitte, nur ein
bißchen weniger“.
Im Februar 2006 tat sich mal wieder das Finanzamt Tübingen
hervor, indem es der „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI)
die Anerkennung der Gemeinnützigkeit verweigerte und rückwirkend
ab 2001 entgangene Steuern (40 Prozent aller Spendeneinnahmen)
forderte. Der zuständige Beamte erläuterte, beim Betrachten der
IMI-Website sei ihm aufgefallen, daß sie „stark von allgemeinen
politischen Themen dominiert“ werde. Außerdem wies das Finanzamt
auf eine andere Behörde – die es nicht nannte – hin: Diese habe
„Zweifel an der Verfassungstreue“ der Informationsstelle
geäußert. Nach Protesten des IMI-Geschäftsführers Jürgen Wagner
gegen die anonyme Verdächtigung fragte das Finanzamt bei der
Verfassungsschutzbehörde nach, erhielt aber, wie Wagner erfuhr,
keine Antwort. „Diese Auseinandersetzung hat uns viel Zeit
gekostet“, resümiert er. Gemeinnütziges Engagement wurde auf
diese Weise vom Staat behindert.
Auf Grund direkter Intervention der Verfassungsschutzbehörde
erhielt der Duisburger „Verein für Demokratie und Kultur von
unten – Initiative e.V.“ vom Finanzamt Duisburg-Hamborn
ebenfalls einen Ablehnungsbescheid. Das Finanzgericht Düsseldorf,
bei dem der Verein Klage einreichte, stellte inzwischen fest: „Die
Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten erschöpfen sich in
bloßen Mutmaßungen... Weder aus den dem Senat vorliegenden Akten
noch aus den Feststellungen in den Verfassungsschutzberichten
ergeben sich verwertbare Hinweise für ein rechts- oder
gesetzeswidriges Verhalten des Klägers oder einzelner Mitglieder...
Die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins entspricht dem
Satzungszweck der Förderung der Völkerverständigung.“ Da das
Finanzgericht aber die Arbeit von „Initiative e.V.“ zu politisch
fand, ist der Verein auch jetzt noch nicht als gemeinnützig
anerkannt; er klagt nun beim Bundesfinanzhof.
Der Verein „Höchster Leuchtfeuer“ in Franfurt am Main war in
den vergangenen Jahren von Aberkennung der Gemeinnützigkeit
bedroht, weil es nach Ansicht des Frankfurter Finanzamts zu weit
ging, „Hartz-IV“-Empfänger zu aus Spenden finanzierten
Nikolaus- oder Weihnachtsfeiern oder im Sommer zu Bootsfahrten
einzuladen, die mit Spendengeldern finanziert wurden. Dieser Verein
setzte sich durch – anders als beispielsweise die „Coordination
gegen Bayer-Gefahren“, die sich unter anderem mit
Umweltgefährdung durch den Chemie-Konzern Bayer befaßt. Der
Wuppertaler Polizeipräsidenten hatte schriftlich beanstandet, daß
der Verein einen „Teilnehmer der freien Marktwirtschaft“
behindere. „Freie Marktwirtschaft“ ist ein üblicher Tarnname
für den Kapitalismus.
Bei vielen Finanzämtern scheint der Grundsatz zu gelten:
Gemeinnützig ist der Kapitalismus, nicht etwa der Sozialismus.
Sogar die SPD-nahe Jugendorganisation „Sozialistische Jugend –
Die Falken“ wurde von nordrhein-westfälischen Finanzbehörden –
und zwar zu einer Zeit, als ein Sozialdemokrat das Finanzministerium
in Düsseldorf leitete – gedrängt, ihre Satzung zu ändern, eben
weil dort der Sozialismus als Ziel angegeben war.
Da die Finanzämter – und in Konfliktfällen die Finanzgerichte
– entscheiden, zu welchen Zwecken Vereine steuerbegünstigt
Spenden sammeln dürfen, sind die Vereinssatzungen einander immer
ähnlicher geworden. Häufig wiederkehrende Begriffe, zu denen auch
„Entwicklungszusammenarbeit“ gehört, sind durch die
Abgabenordnung (AO) vorgegeben, ein umfangreiches Gesetz, das zum
Beispiel in Paragraph 52, Ziffer 23 Zwecke festlegt, die allemal als
steuerbegünstigt anerkannt werden sollen: „Förderung
traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der
Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung,
des Amateurfunkens, des Modellflugs und des Hundesports“. Wer also
sichergehen will, daß er steuerbegünstigt Spenden sammeln darf,
sollte sich für diese Vereinszwecke entscheiden. Vorweg ist – was
kaum jemand weiß – in Paragraph 51 AO festgelegt, daß die
Finanzbehörde „Tatsachen, die den Verdacht von Bestrebungen im
Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes begründen“,
der Verfassungsschutzbehörde mitzuteilen hat.
Selbstverständlich wird kein braver Finanzbeamter gegen diese
Pflicht verstoßen wollen.
Um so gründlicher prüft er.
OSSIETZKY
Nr. 16/2010
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