01.08.2010
Nazis wollen am Antikriegstag erneut den Überfall
auf Polen feiern
Antifaschisten fordern ein
Verbot der geplanten Provokation von Dortmund
Der „nationale Antikriegstag“ der Nazis soll
wieder in Dortmund stattfinden. Doch es handelt sich nicht um
Anti-Krieg, sondern um Jubel für den nazideutschen Überfall auf
Polen vom 1. 9. 39, für den Beginn des Vernichtungskrieges WK II.
Es handelt sich um verfassungsfeindliche Volksverhetzung. Deshalb
werden der Dortmunder Polizeipräsident und der Landesinnenminister
in dem Artikel von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA,
aufgerufen: Verweigern Sie die Zustimmung zu dem Plan der Nazis und
Neonazis, am 4. September in Dortmund Volksverhetzung und
Kriegshetze zu betreiben. Handeln Sie entsprechend dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von Mitte November 2009 (Az. 1 BvR
2150/08).
Von Ulrich Sander
Am 4. September wollen Nazis in Dortmund erneut ein Treffen zur
Würdigung des Kriegsbeginns vom 1. September 1939 veranstalten. Der
Polizeipräsident von Dortmund, Hans Schulze, kann sich nicht
entschließen, diese Provokation zu verbieten. In einem Brief an die
VVN-BdA verweist er auf „hohe Hürden“, die das
Bundesverfassungsgericht für ein solches Verbot aufgestellt habe.
Das BVerG habe nach dem Verbot der Naziprovokation zum 6. 9. 2009
konkrete Belegen dafür verlangt, dass gerade die anstehende
Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nehmen werde. Nur Prognosen
reichten nicht aus.
Die VVN-BdA betonte hingegen bereits am 10. Juni, es komme nicht
nur drauf an, ob ein krimineller Charakter der Veranstalter des
Nazi-Marsches prognostiziert wird, sondern auch darauf, ob „zudem
der kriminelle Inhalt der Naziveranstaltung berücksichtigt“ wird,
der zu erwarten ist. Vor dem Hintergrund der „Antikriegstage“
der Nazis in den letzten fünf Jahren in Dortmund sei ein
krimineller Inhalt mit Sicherheit zu prognostizieren. „Denn das
Bundesverfassungsgericht entschied inzwischen: Wegen der besonderen
Geschichte Deutschlands gilt in der Frage der Meinungsfreiheit für
Nazis eine Ausnahme. ‚Angesichts des Unrechts und des Schreckens,
den die Naziherrschaft über Europa und weite Teile der Welt
gebracht habe’, enthalte das Grundgesetz in diesem Punkt eine
Ausnahme vom Verbot, ein Sonderrecht gegen bestimmte Propaganda zu
schaffen. Denn ‚das Grundgesetz kann weithin geradezu als
Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des national-sozialistischen
Regimes gedeutet werden’." (Zitiert nach dpa vom 17.11.09) (Az:
1 BvR 2150/08)
Der neue Paragraph 130 Absatz 4 des Strafgesetzbuches erlaubt mit
Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts ein Versammlungsverbot,
wenn Aggression und Angriff auf die Opfer, Lobpreisung der Gewalt-
und Willkürherrschaft gegeben sind. Die Süddeutsche Zeitung
schrieb dazu am 18.11.09: „Die Freiheits-Grundrechte des
Grundgesetzes verkörpern die Erinnerung an das
Menschheitsverbrechen. Diese Erinnerung darf nicht verwüstet werden
durch die militante Beleidigung der Opfer. Die Grundrechte sollen
nicht missbraucht werden, um das Gedenken derer zu verhöhnen, die
sie verkörpern.“
Die VVN-BdA führte in einer Antwort an Schulze aus: „Unsere
Organisation ist eine Organisation der Opfer. Sie wurde in Dortmund
1947 von 2000 Überlebenden des Holocaust, von NS-Opfern und
Teilnehmern am Antinazi-Widerstandskampf gegründet. Die
Volksverhetzung der Nazis in Dortmund regelmäßig zum 1. September
ist unerträglich und wird von uns niemals hingenommen. Der erste
September wird von den demokratischen Kräften und den
Opferverbänden regelmäßig als Gedenktag begangen, denn an diesen
Tag begann mit dem NS-Überfall auf Polen der II. Weltkrieg. Die
Neonazis begehen diesen Tag nicht als Tag gegen den Krieg, sondern
als Tag der Würdigung des Beginns des größten
Menschheitsverbrechens. Das ist Jahr für Jahr feststellbar.“
„Hitler bedeutet Krieg“, wurde 1933 von den Gründerinnen und
Gründern der VVN-BdA gewarnt. Daraus wurden 1945 die Lehren
gezogen. Doch dagegen gehen die Nazis an. Die Neonazis und die
anderen Rechtsextremen treten für eine starke aggressive Bundeswehr
ein, sie sind gegen Abrüstung, für den „Kampf um deutsche
Interessen“. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um das
„Waffenhandwerk“ zu erlernen. Sie sind zahlreich in den
Reservistenverbänden vertreten. Sie stehen in der Tradition der
Hitler-Wehrmacht. Sie wollen die Grenzen in Europa ändern und Land
im Osten zurückholen. Der 1. September 1939 ist ihnen wichtig als
Tag der Kriegshetze gegen Polen.
„Gegen eine von der extremen Rechten imaginierte Funktion der
Einkreisung als Mittel der Schwächung und Niederhaltung
Deutschlands fordert sie Deutschlands ‚Lebensrecht’ und Mission,“
schreibt Fabian Virchow in seiner Studie über „Internationale
Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der
extremen Rechten“, die der Mitarbeiter des Marburger
Universitätszentrum für Konfliktforschung unter dem Titel „Gegen
den Zivilismus“ herausbrachte (Wiesbaden 2006). Die mit der „kleinstdeutschen
Einheit vom Rhein zur Oder“ verbundenen Gebietsverluste werden
beklagt: „Was ist schon ein Deutschland ohne Schlesien,
Ostpreußen, Österreich oder Südtirol?“ (S. 112 bei Virchow) Die
extreme Rechte, so Virchow, strebt mit ihrer Friedensrhetorik die
Durchsetzung eines völkisch-arrondierten und mit umfassenden
Gewaltmitteln ausgestatteten Groß-Deutschlands an. „Dieses soll
nach weitreichender Militarisierung von Militär und Gesellschaft
als imperiale europäische Ordnungsmacht und weltpolitisch als
Gegenpol gegenüber den USA auftreten.“
Seit Jahren begeht die rechte Szene in Dresden und anderswo ihr
„Gedenken an die deutschen Opfer“, wofür sie Revanche wollen.
Und seit Jahren zelebriert diese Szene in Dortmund am ersten
Septemberwochenende – konträr zum Antikriegstag der Friedens- und
Gewerkschaftsbewegung – ihren bundesweiten „nationalen
Antikriegstag“, der sich als Pro-Krieg-Tag erweist. Die extrem
Rechten verlangen den weltweiten Sieg des „nationalen Sozialismus“,
erst dann könne Frieden sein. Im gelobten Land Israel brauche es
keinen Sieg des nationalen Sozialismus; „denn dann sind ja alle im
Himmel“ (Siegfried Borchardt, alter Neonazikader aus Dortmund,
sagte dies auf den Nazi-„Antikriegstagen“). Ein anderer Redner
sagte dreist: Wir leugnen den Holocaust nicht, wir gratulieren Euch
Deutsche zu Eurer ganzen Geschichte, wozu auch Auschwitz gehöre.
(Ein Vertreter der niederländischen Naziszene auf einem Meeting der
Nazis in Dortmund-Dorstfeld)
Die Nazis befürworten Angriffskriege, obwohl diese zum Beispiel
im Potsdamer Abkommen und im Urteil von Nürnberg über die
Hauptkriegsverbrecher als das schwerste Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, ja gegen die Menschheit bewertet wurde. Die
Vorbereitung, die Auslösung und Führung von Angriffskriegen ist
verfassungswidrig und steht unter Strafe. Davon zeugt Artikel 26 des
Grundgesetzes.
Erstmals haben sich ältere Überlebende des Krieges in den
Jahren 2008 und 2009 diesem Treiben mit sowohl antifaschistischen
als auch antimilitaristischen Äußerungen entgegengestellt. Eine
„Aktion 65 plus“ führte am 6. September 2008 in Dortmund einen
700köpfigen spontanen Demonstrationszug an. Am 5. September 2009
war eine erneute derartige Aktion erforderlich. Und so wird es wohl
auch am 4. September 2010 sein, wenn die Nazis erneut zum Nationalen
Antikriegstag nach Dortmund aufrufen. Die 65plus- Erklärung lautete
u.a.:
„Aktion 65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder.
Bombennächte. Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im
KZ. Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden
abgeholt. Nachts träumen wir davon. Die Nachfolger der Nazibande,
die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt. Jahr für Jahr
kommen sie nach Dortmund. Sie rufen ‚Nie wieder Krieg’ und
fügen hinzu: ‚... nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen
Sozialismus’. Das Maß ist voll. Sie reden von Frieden,
Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und Goebbels
auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege. Zur schlimmsten Form
des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern
Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.“
Der Dortmunder Polizeipräsident wird aufgerufen: „Verweigern
Sie die Zustimmung zu dem Plan der Nazis und Neonazis, am 4. 9. in
Dortmund Volksverhetzung und Kriegshetze zu betreiben.“
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