15.07.2010
Was ist mit denen, die inhaftiert und verurteilt
wurden, weil sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands
eingetreten waren?
Grußwort von Ulrich Sander,
Landes- und Bundessprecher der VVN-BdA, auf dem Landesparteitag der
Partei DIE LINKE am 10.07.2010 in Leverkusen
Für eine der ältesten nordrhein-westfälischen
demokratischen Organisationen, die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschisten, möchte ich diesem
Parteitag der Linken die besten solidarischen Grüße überbringen.
Herzliche Glückwünsche spreche ich zur Wahl in den Landtag aus.
Der Arbeitsbeginn einer linken Fraktion im Landtag ist ein
historischer Augenblick, denn es hat seit 1954 keine Kraft links von
der SPD im Landtag mehr gegeben. Der Fraktionsvorsitzende der KPD
war damals Karl Schabrod. Als Widerstandskämpfer gegen den
Faschismus hat er viele Jahre im Zuchthaus gesessen. Als er 1958
versuchte, erneut für den Landtag zu kandidieren, wurde ihm dies
als Verstoß gegen das KPD-Verbot ausgelegt und er musste erneut ins
Gefängnis. Er musste tausende D-Mark, die er als Entschädigung
für seine Haft unter Hitler erhielt, an den Staat Adenauers
zurückzahlen. So erging es linken Parlamentariern. Kämpfen wir
dafür, solche Zustände für immer zu überwinden. Dem Landtag hat
bis 1954 auch Jupp Angenfort angehört. Noch während seiner
Abgeordnetenzeit wurde er für fünf Jahre ins Zuchthaus gesperrt,
weil er die Freie Deutsche Jugend im Kampf gegen die
Wiederaufrüstung angeführt hatte. Die Fraktionsvorsitzende Bärbel
Beuermann sagte uns zu, sie werde sich für die Rehabilitierung des
VVN-BdA-Vorsitzenden und damaligen Landtagsabgeordneten der KPD Jupp
Angenfort einsetzen, der kürzlich 86-jährig verstarb.
Wenn Jupp Angenfort noch unter uns wäre, dann würde er hier
sicherlich seine Worte von einer Konferenz der VVN-BdA wiederholen,
in der er sagte: „Noch ein Wort zu den Opfern des Kalten Krieges
in Deutschland. Was ist mit den Frauen und Männern, die in den
Jahren nach 1950 bis weit in die 60er Jahre hinein inhaftiert und
verurteilt wurden, weil sie beispielsweise als Mitglieder der KPD,
der FDJ, der Vereinigung Frohe Ferien für alle Kinder oder als
Mitglieder anderer Organisationen gegen die Remilitarisierung, für
die Widervereinigung Deutschlands eingetreten waren? Wir fordern
erneut ihre Rehabilitierung und Entschädigung. - In Deutschland
haben wir Massenarbeitslosigkeit. Die Jugendarbeitslosigkeit ist
erschreckend hoch. Die soziale Not wächst. Und damit wächst auch
der Nährboden für Neonazis und andere extrem rechte Kräfte.
Unsere älteren Kameradinnen und Kameraden wissen aus ihrer
Lebenserfahrung, welche Gefahren sich daraus entwickeln können. Das
heutzutage oftmals verbreitete Argument - die neonazistischen
Parteien haben bei Wahlen nur begrenzte Ergebnisse, also sei Sorge
nicht angebracht - stimmt nicht. In einigen Jahren kann das ganz
anders sein. Weimar mahnt! Zunächst war die Nazi-Partei auch nur
eine Splitterpartei, und dann wurde sie rasch zu einer Partei mit
Masseneinfluss. Die Folgen kennen wir. Heute sind auch die Erfolge
rechtsextremer Parteien in einer Reihe von europäischen Ländern
eine zusätzliche Warnung. Im Grunde genommen wurden nach 1945
zunächst einige Schlussfolgerungen gezogen. Eben weil in der
Weimarer Zeit, der großen wirtschaftlichen Krise, das große
Kapital seine wirtschaftliche Macht missbrauchte, auf Hitler setzte
und ihn an die Macht schob, wurde unter anderem der Artikel 14 in
das Grundgesetz eingefügt. In ihm heißt es: ‚Eigentum
verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit
dienen.’ Und weil es, auch aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit,
notwendig ist, für die sozialen Menschenrechte zu wirken, heißt es
in der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen im Artikel 24: ‚...
Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen.
Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz
materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit.’ In
einem Kommentar zur Verfassung heißt es, dass die Bedeutung dieses
Artikels darin bestehe, dass er die Grundkonzeption einer
Wirtschafts- und Sozialordnung enthalte, dass er programmatische
Weisungen an den Gesetzgeber gebe. Es wird besonders hervor gehoben,
dass der Schutz der Arbeitskraft den Vorrang vor dem Schutz
materiellen Besitzes haben muss. Gäbe es einen Interessenkonflikt,
so sei die Arbeitskraft als das höhere Gut anzusehen. Wir
verlangen, dass Regierung und Parlamentarier nach dieser
Verfassungsbestimmung handeln.“ Und Jupp Angenfort fügte hinzu:
„Auch für den Verfassungsschutz habe ich an dieser Stelle eine
lohnende Aufgabe: Wäre es nicht gut, einmal aufzulisten, welche
großen Wirtschaftsvereinigungen gegen diesen Artikel 24 der
Landesverfassung verstoßen und somit verfassungsfeindlich handeln?
Warum taucht so etwas im Verfassungsschutzbericht nicht auf? Unsere
Organisation tritt für die sozialen Menschenrechte ein. Ohne die
Durchsetzung der sozialen Menschenrechte ist die wirkliche Nutzung
der demokratischen und politischen Rechte nicht möglich.“ Doch
weil der Verfassungsschutz genau nicht das tut, was der Verfassung
dient, sollten wir ihn grundsätzlich in Frage stellen.
Und wenn jetzt die Linke Landtagsfraktion aufgefordert wird, dem
Personalabbau im Öffentlichen Dienst zuzustimmen, so sollte sie
sich dem verweigern, mit einer Ausnahme: Der Apparat des
Verfassungsschutzes sollte aufgelöst werden und das
Innenministerium muss umgekrempelt werden. Denn sie sind
verantwortlich dafür, dass sich NRW dem NPD-Verbot verweigerte,
dass ein V-Leuteapparat zum Nutzen der Nazis entstand und Nazis
beinahe freie Hand gelassen wird. Zum 4. September, wenn die
Neonazis wieder ihr Nationales Treffen zum Kriegsbeginn 1939 in
Dortmund begehen wollen, sollten alle demokratischen Kräfte dagegen
mit Blockaden und Demonstrationen angehen. Zudem ist zu diesem
Antikriegstag 1. September endlich die Zivilmilitärische
Zusammenarbeit zu thematisieren, die seit langem mit Billigung der
Landesregierung zu Eingriffen der Bundeswehr in Schulen, Argen und
Verwaltungen geführt hat, ohne dass die Öffentlichkeit informiert
wurde.
Die VVN-BdA begrüßt es, dass die Partei Die Linke als eine
ihrer ersten Initiativen im Landtag den Ausweisungsstopp für Sinti
und Roma aus NRW verlangt hat. Dem Kampf gegen den Antisemitismus
ist gleichberechtigt das Vorgehen gegen den immer stärker um sich
greifenden Antiziganismus hinzuzufügen. Dies ist eine der Lehren
der Geschichte des Holocaust.
Ich wünsche Eurem Parteitag einen erfolgreichen Verlauf und für
uns alle gute Ergebnisse. Und ich wünsche uns allen neue
VVN-BdA-Mitglieder, denn damit kann die gute Zusammenarbeit gefestigt
werden.
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