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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

07.07.2010

»Israel nicht Fanatikern überlassen«

Zentralrat der Juden geht auf Distanz 

Berlin (epd/ND). Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich klar von der Politik der israelischen Regierung abgegrenzt. Israel drohe sich zu einem Staat zu entwickeln, »in dem ultraorthodoxe und ultranationalistische Kräfte immer mehr an Einfluss gewinnen», erklärte der Generalsekretär des Dachverbandes, Stephan Kramer, in einem in der Berliner »Tageszeitung« abgedruckten Streitgespräch mit der deutsch-israelischen Publizistin Iris Hefets. Der jüdische Staat Israel dürfe nicht »Fanatikern und Fundamentalisten« überlassen werden. 

Roland Etzel

Kramer kritisierte auch ausdrücklich die Erstürmung von Schiffen der Gaza-Hilfsflotte durch die israelische Armee. Bei der Militäraktion waren vor einem Monat neun Aktivisten getötet worden. »Den Soldaten kann ich da nach meinem heutigen Kenntnisstand keinen Vorwurf machen«, so der Generalsekretär des Zentralrates. »Aber diejenigen, die sie trotz Kenntnis der Bedrohungslage dorthin geschickt haben, die müssen zur Verantwortung gezogen werden.« Die Soldaten hätten niemals eingesetzt werden dürfen. 

Kramer rief ferner die jüdischen Gemeinden dazu auf, auf einen »Juden-Holocaust-Bonus« zu verzichten. »Wir kommen als jüdische Gemeinschaft in Deutschland langfristig nur weiter, wenn wir aus dieser Opferecke rauskommen – und zwar selbstbewusst«, erklärte der Generalsekretär des Zentralrates. Zugleich warb er um Verständnis für Hemmungen von Juden, bei aller Solidarität zu Israel auch Kritik an der Politik der dortigen Regierung zu üben: »Für manche ist Israel sicher eine Ersatzidentifikation, weil sie in Deutschland trotz aller Bemühungen das Gefühl haben, fremd zu sein.« 

Hefets hatte Anfang März in der taz scharf die Ritualisierung des Holocaust-Gedenkens in Israel kritisiert. Die Berliner Jüdische Gemeinde lud daraufhin Ende April zu einer Diskussion mit Chefredakteuren über Antisemitismus in deutschen Medien ein. Die Veranstaltung führte zu einem Eklat, da Unterstützer von Hefets für sie ein Rederecht einforderten, dies aber von den Veranstaltern abgelehnt wurde.

Kommentar

Schulterschluss gelöst 

Roland Etzel

Es ist vielen Mitgliedern von Jüdischen Gemeinden in Deutschland nach eigenen Aussagen nicht wohl dabei gewesen, wenn ihr Zentralrat jede, aber auch jede mit Tod und Verderben verbundene Aktion des israelischen Staates gegen Palästinenser guthieß. Ob bei der ökonomischen Strangulierung des Gaza-Streifens oder der wortwörtlichen eines Hamas-Funktionärs auf einem Hotelzimmer in Dubai – was nicht einfach für unwahr erklärt wurde, hat man im Rat stets offensiv verteidigt.

Die Zahl der jüdischen Bürger hierzulande, die sich nicht von der Rhetorik Broders oder Friedmans vertreten fühlen, hat seitdem eher zu- als abgenommen. Auch weil teils weltbekannte Prominente – von Jimmy Carter über Henning Mankell bis Rupert Neudeck – auf ihre Art sehr glaubhaft vermittelten, warum das amokartige Politikverständnis Israels nicht toleriert werden sollte. Gegen sie die Antisemitismuskeule in Anschlag zu bringen, wie das teilweise geschah, wirkte da einfach nur lächerlich. Gleichzeitig zeigt sich die intellektuelle Elite in Israel selbst zunehmend ernüchtert davon, dass Netanjahu und seine Ultrarechten dem Lande offenbar jede Friedensvision mit seinen Nachbarn zu verbauen gedenken.

Wie schon für große Teile der westlichen Öffentlichkeit wurde der Überfall auf die Gaza-Flotille wohl zu einem neuralgischen Punkt. Seit dem Wochenende verweigert nun auch der Zentralrat der Juden in Deutschland den Schulterschluss mit den »ultranationalistischen Kräften« in Israel und kritisiert auch die Erstürmung der Schiffe. Er steht damit gewiss auch nicht hinter der Weigerung Netanjahus vom Freitag, sich für die neun auf dem Schiff Getöteten wenigstens zu entschuldigen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Neues Deutschland. Meldungen vom 05.07.2010, S. 6 und S. 4

Siehe auch: http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/wir-muessen-aus-der-opferecke-raus/