18.06.2010
Verschleierte Wehrpflicht
Die drei großen Kriege Preußens und Deutschlands
in den letzten 140 Jahren wurden mit Wehrpflichtigen geführt.
Millionen von ihnen verbluteten auf den Schlachtfeldern. Bei
Gründung der Bundeswehr richtete sich daher der Hauptwiderstand der
Arbeiter- und Friedensbewegung gegen die Wehrpflicht. Minister
Guttenberg kündigt nun eine Truppenreduzierung, eine Kürzung des
Wehretats und ein Aussetzen der Wehrpflicht für die nächsten Jahre
an. Stehen wir vor einem späten Sieg? Nein, wir werden nur Zeugen
eines verlogenen Manövers.
Wer die Truppe von 250.000 auf 150.000 Soldatinnen und Soldaten
verringert sieht, der übersieht, daß 80.000 militärische
Arbeitsplätze bestehen, die nicht mitgezählt werden. Sie stehen
für einsatzbereite und einsatzbefähigte Reservisten bereit, die
binnen einer Stunde abmarschbereit sind. Das sind die
Wehrpflichtigen der letzten Jahrzehnte, die als Zeitsoldaten
geworben und dann als einsatzbereite Reservisten verpflichtet
wurden. Sie unterliegen bis zum 60. Lebensjahr der Wehrpflicht - und
die Wehrpflicht dieser Reservisten wird nicht angetastet.
Die Verringerung des Wehretats betrifft für unbestimmte Zeit
allenfalls Waffenarten, die derzeit nicht benötigt werden, und die
Kosten der Rekrutenausbildung. Diese bindet derzeit 8000 Ausbilder.
Wertvoller als widerwillig herangezogene Rekruten sind für die
Bundeswehr fähige Berufseinsteiger, geworben in den
Arbeitsagenturen. Deren oberster Chef, der Präsident der
Bundesanstalt für Arbeit, Oberst der Reserve Frank-Jürgen Weise,
ist inzwischen zu einer Art Generalquartiermeister ernannt worden.
Er soll die Reformen planen, die mittels sozialem Druck - lieber
Uniformträger als "Hartz IV"-Empfänger - mehr Einsätze
von Reservisten und mehr Anwerbungen junger "Freiwilliger"
bewirken.
Bei den Reservisten ist noch ein Problem zu lösen. Rund 5200
Reserveoffiziere stehen bisher der Zivil-Militäri-schen
Zusammenarbeit für Einsätze im Inneren und Äußeren in rund 450
Kommandos ständig zur Verfügung; es sind Mitarbeiter des
Öffentlichen Dienstes. Die CDU plant mittelfristig die Ausweitung
dieser Personengruppe auf mindestens 25.000. Wer weit mehr
Reservisten schnell heranholen will, braucht die Zustimmung der
Arbeitgeber, denen auch ein Versprechen abgerungen werden soll, den
Einsatzkräften die Arbeitsplätze zu erhalten. Darüber will man
auf einem "Kieler Trialog" vom 1. bis 3. September
verhandeln, wo eine Initiative der Regierung, der Bundeswehr und der
Wirtschaft zur "Förderung der Reservisten in Industrie und
Forschung, zur Vertiefung der persönlichen Kontakte und zur
Intensivierung der zivil-militärischen Zusammenarbeit"
gegründet werden soll.
Guttenberg beruhigt alle Kriegstreiber: "Die jetzigen
Einsätze der Bundeswehr werden nicht die letzten sein" (laut
FAZ). Deshalb muß die Friedensbewegung den Kampf gegen die
Wehrpflicht wieder aufnehmen - nicht um sie nur
"auszusetzen" und damit zu verschleiern, schon gar nicht
um eine schwarze Söldnerarmee zu schaffen, sondern um Schritte zur
vollständigen Abrüstung zu gehen.
Ulrich Sander
Mit freundlicher Genehmigung des Ossietzky.
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