21.05.2010
Die Regierung verteidigt Gebirgstruppe trotz
verbrecherischer Geschichte
SS-Rune wie Edelweiß lösten
Panik und Schrecken aus
Die Bundesregierung behauptet trotz Dutzender
nachgewiesener Kriegsverbrechen, dass es historisch falsch und
angesichts der "Geschichte der Gebirgstruppen der Bundeswehr
als Teil der Parlamentsarmee in der Demokratie höchst unangemessen
ist, von einer verbrecherischen Geschichte der Gebirgstruppen zu
sprechen". In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN
(BT-Drs. 17/1471) hatte die Bundesregierung daher bekräftigt, auch
weiterhin die rechten Gebirgstruppen-Feiern im bayerischen
Mittenwald und andere "Kameradenkreis-Veranstaltungen" zu
unterstützen. Die Kameraden-Feier fand dieses Jahr
geschmackvollerweise am 8./9. Mai statt, dem 65. Jahrestag der
Befreiung.
Von Ulrich Sander
Der Verteidigungsstaatssekretär und Kameradenkreismitglied
Christian Schmidt (CSU) hatte als Regierungssprecher der
Gebirgstruppe bisher generell eine nicht verbrecherische Geschichte
bescheinigt; dieses Jahr bezieht er sich nun auf die Periode der
"Parlamentsarmee". Doch die Gebirgstruppe, vertreten durch
den Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V., versteht ihre gesamte
Geschichte als lupenrein. Und als eine Kontinuität von 1914 bis
heute.
Nachdem mit der Wehrmachtsausstellung "Vernichtungskrieg der
Wehrmacht 1941-1945" ein gemeinsamer gesellschaftlicher Konsens
in der Beurteilung der Wehrmacht erreicht wurde, soll davon nun
wieder abgegangen werden - ausgerechnet im Fall der Gebirgstruppe.
Die verbrecherische Geschichte der Gebirgstruppe ist unzählige Male
nachgewiesen worden. In den Dörfern und Gemeinden Südeuropas etwa
war die Furcht vor denen unterm Edelweiß so groß, wie vor jenen
mit der SS-Rune am Helm.
Doch das wurde schon bei der Wiederbegründung der 1.
Gebirgsdivision der Wehrmacht durch die 1. Gebirgsdivision der
Bundeswehr im Jahre 1956 beiseite geschoben. Franz Josef Strauß
(1915-1988) selbst hat für diese Kontinuität gesorgt. Er schildert
in seinen "Erinnerungen" (Goldmann, 1991), er habe schon
1952 bei den ersten Bundeswehrplanungen für die Aufstellung der
Gebirgstruppe gesorgt, und zwar aus der "Wertschätzung für
deren Leistungen im Krieg". Als obersten General der
Gebirgstruppe setzte Strauß seinen engen Vertrauten Max Pemsel ein,
der somit seine Tätigkeit als Gebirgstruppenkommandeur der
Wehrmacht fortsetzen konnte. Wer war Pemsel?
Er war Oberst der Gebirgstruppe der Wehrmacht und war 1941 an dem
Befehl beteiligt, als Sühne für zehn tote und 24 verwundete
deutsche Soldaten 1.600 Serben, möglichst "Juden und
Zigeuner", zu erschießen. In der Bundeswehr betätigte er sich
strafvereitelnd; gewissermaßen begründete er die Funktion des
Kameradenkreises als "Selbsthilfegruppe für
Kriegsverbrecher", wie er in der "Süddeutschen"
genannt wurde.
Anders als die SS hat die Elitetruppe der Gebirgsjäger einen
doppelten und dreifachen Schutzschild, der sie vor Entlarvung und
Anklage bewahrte: Da war die Legende von der - anders als die SS -
sauber gebliebenen Wehrmacht, zu deren besonders edlen Teil die
Gebirgstruppe gehörte. Da war die Rolle der Gebirgstruppe als
erforderlicher, ja unentbehrlicher Bestandteil der neuen Bundeswehr,
obgleich Ausrüstung, Ausrichtung und Standort ungeeignet für eine
Verteidigungsarmee waren. Und da war die besondere Rolle einer
bayerischen Armee, die von der besonderen bayerischen Unionspartei
CSU und ihrem Chef F. J. Strauß den anderen Teilen der Truppe
vorgezogen wurde. Kein deutscher Landstrich und seine Einwohner -
auch nicht etwa die Küste im Umgang mit der Marine - sind so
verbunden mit ihrer Truppe wie der alpine, und die meisten Menschen
dort sehen über alles, was ein Makel derer unterm Edelweiß sein
könnte, hinweg. Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach von der
"unangreifbaren Tradition" der Gebirgstruppe, obgleich
diese Tradition auch die faschistischen Freikorps wie
"Oberland" der 20er Jahre umfasste, - und kaum ein
bayerischer konservativer Politiker, der sich nicht freudig in diese
Tradition und diese Truppe begab. So auch Herr zu Guttenberg.
Seit gut 20 Jahren unternehmen Antifaschisten große
Anstrengungen, um die Gefährlichkeit der Traditionspflege derer
unterm Edelweiß nachzuweisen. Diese Traditionspflege bedeutet nicht
Bewahrung des Vergangenen innerhalb einer vergehenden Generation.
Diese militaristische Tradition ist immer auch die Vorlage für die
Zukunft. Ein im Mai 2010 bekannt gewordener "Wegweiser"
der Bundeswehr für die deutschen Truppen in Afghanistan stellt
positive Bezüge zum NS-Militär her und lobt die "guten
deutsch-afghanistanischen Beziehungen vor und nach 1945.
Und so haben es die Akteure des deutschen alpinen Militarismus
auch immer gemeint, wenn sie etwa der Politik nahelegten, von der
Verteidigung Deutschlands am Hindukusch zu sprechen. Stolz wurde in
der "Gebirgstruppe", der Zeitschrift des gleichnamigen
Kameradenkreises, wiederholt Mitte der 90er Jahre festgestellt, dass
die Bundeswehr "vierzig Jahre nach ihrer Gründung zu ihrem
größten Einsatz aufbricht" und "dass unser Land etwas
hat, das es sich über Jahrzehnte hinweg energisch selbst
abgesprochen hat: eine militärische und eine militärpolitische
Rolle". Es ist auch kein Zufall, dass die Forderung aus der
Gebirgstruppe kommt, nicht nur Deutschland am Hindukusch, sondern
auch bei Hindelang/Bayern zu verteidigen, und zwar mit einer
Heimatarmee, die bei Unruhen im Innern aktiv wird.
Gebirgstruppen-Reservisten haben als Unionspolitiker Konzepte
erarbeitet, die eine 25.000-Mann-und-Frau-Truppe für den Kampf im
Innern vorsehen. Der Einsatz gegen "Terror" und andere
"Großschadensereignisse" im Innern wird so zur Sache der
Verteidigung des Landes mittels der Massen von Wehrpflichtigen und
Reservisten gemacht.
Um die Handlungsfreiheit für die Gebirgstruppe und andere
Eliteeinheiten wiederzuerlangen, propagierte Bundeswehrgeneral a. D.
Jürgen Reichardt, Präsident des Bayerischen Soldatenbundes, in
Publikationen für die Bundeswehr die Straffreiheit für
Kriegsverbrechen. Er schrieb, dass die heutigen Bundeswehrsoldaten
"in Situationen" geraten könnten, in denen sie wie einst
die Gebirgstruppler "überreagieren". Sie müssten dann
befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden.
Deshalb sollte Schluss sein mit der politischen wie juristischen
Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher.
Reichardt sprang in seinem in der "Gebirgstruppe"
veröffentlichten Beitrag ausdrücklich dem in München zu
lebenslänglicher Haft verurteilten Leutnant a.D. der Gebirgstruppe
Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes von 14 italienischen
Zivilisten angeklagt war und zu lebenslänglich verurteilt wurde.
Neun Monate, nachdem der General einer Wiederbelebung des
deutschen Kriegsverbrechertums das Wort geredet hatte, wurden seine
Forderungen beklemmende Wirklichkeit. Neue Kriegsverbrechen
deutscher Soldaten - diesmal der Bundeswehr - kamen ans Licht, vor
allem das Massaker vom 4. September 2009 in Kundus. 142 Afghanen
brachte ein Oberst Georg Klein mittels Bombardement in der Nähe des
Kundusflusses um. Wer hoffte, dass Oberst Klein ebenfalls vor
Gericht kommt und wie Scheungraber verurteilt wird, sah sich
getäuscht. Davor stehen die Urteile und Entscheidungen höchster
Gerichte und Staatsanwaltschaften. Sie haben deutsche
völkerrechtswidrige Kriegseinsätze zugelassen, sie haben das
Verbot des Angriffskrieges nach Artikel 26 des Grundgesetzes
faktisch aufgehoben und auch den Artikel 139 GG, der den deutschen
Faschismus und Militarismus ächtet.
Erschreckend die Entscheidung der Bundesanwaltschaft vom 19.
April 2010, die besagt: Das Massaker vom 4. September 2009
"wäre aus der Sicht der Bundesanwälte auch dann
straflos" … "wenn (Oberst Klein) die zivilen Opfer
sehenden Auges in Kauf genommen hätte: Strafbar hätte er sich nur
dann gemacht, wenn er sicher erwartet hätte, dass die Zahl ziviler
Opfer in keinem Verhältnis zum konkreten militärischen Erfolg
stehe". (Südd. Ztg. 20.4.10) Eine solche zynische Reinwaschung
des Täters und Verhöhnung unschuldiger Opfer könnte aus den
Nachkriegsakten der nie zu Ende geführten Verfahren stammen, welche
die Aktion "Angreifbare Traditionspflege" im Bundesarchiv
einsahen. Aus den Tagen nach der unsäglichen Entscheidung der
Generalbundesanwaltschaft stammt die Äußerung eines
Bundeswehroffiziers, der (laut Westf. Rundsch., 21.4.10) sagte:
"Das gibt uns mehr Handlungssicherheit." Es wird also
weiter gemordet wie am 4. September, denn selbst das Massaker von
Kundus gehöre - lt. Bundeswehr und Bundesanwaltschaft - nicht zu
den "verbotenen Methoden der Kriegsführung".
Ganz normale Methoden der Kriegsführung seien auch - und hier
zitiere ich Ex-Minister wie Joseph Fischer und sinngemäß auch
Kanzlerin Merkel - die Massaker von Kommeno und Distomo, von
Kefalonia und Kreta gewesen. Dort hatten die Menschen -
Hinterbliebene der Opfer - auf Entschädigung gegen Deutschland
geklagt, und deutsche Politiker wehrten sich vor höchsten Gerichten
gegen die Zahlungen, denn hier lägen keine NS-Verbrechen, sondern
Vorgänge im Rahmen der Kriegsführung vor. Ein solches Verfahren
steht nun wieder an und zwar auf allerhöchster Ebene in Den Haag,
und hier klagt Frau Merkel gegen Italien, dessen höchstes Gericht
die Ansprüche der Kläger für rechtens erklärte. Die Kanzlerin
aber beansprucht "Staatenimmunität" für Deutschland,
damit NS-Opfer nicht den NS-Nachfolgestaat anklagen können.
Die so geschützten Täter der Gebirgstruppe freilich machten
nach dem Krieg Karriere:
- Hubert Lanz, zunächst in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu
zwölf Jahren verurteilt und dann nach drei Jahren begnadigt,
wurde sicherheitspolitischer Berater der FDP und
Ehrenvorsitzender des Kameradenkreises.
- Reinhold Klebe, der das Todesurteil gegen den italienischen
General Gandin verlesen hatte und die Erschießung zahlreicher
Menschen in Kommeno und Kephalonia befehligte, wurde im Juli
1956 Standortältester der Bundeswehr in Mittenwald. Historiker
bescheinigten Klebe, dass er sowohl bei den Vernehmungen als
auch bei den Ermittlungen "dreist gelogen" hat. Er
wurde besonders von F.J.Strauß gefördert. Dieser förderte
auch den Kriegsverbrecher Michael Pössinger, wie die VVN-BdA in
ihrer Schrift "Eine Mordstruppe" belegt.
- Karl Wilhelm Thilo schaffte es bis zum Drei-Sterne-General der
Bundeswehr, war Generalmajor, Kommandeur der 1.
Bundeswehr-GebDiv und stellvertretender Heeresinspekteur. Für
die Gebirgstruppe schrieb er eine gesonderte
Traditionserklärung. Als Chef des Stabes der 1. GD der
Wehrmacht unterzeichnete er Massenmordbefehle gegen Jugoslawen
und Griechen; und er schrieb mit an Büchern, die in der
Bundeswehr kursierten, um den Völkermord zu preisen (so Hubert
Lanz "Gebirgsjäger - Die 1. Gebirgsjäger-Division
1935/1945"). Unter "Beute" führte Thilo in
seinen Berichten an den Divisionsstab auch "tote
Banditen" auf, und dies waren 153 Männer, Frauen und
Kinder im Alter von 1 bis 75 Jahren, die im Dorf Mousiosas/Griechenland
am 25. Juli 1943 ermordet wurden. Bundeswehrgeneral K.W. Thilo
über sein Wirken in Montenegro, wo Tausende Menschen von der
Gebirgstruppe ermordet wurden: "Widerstand nach Jägerart
im schnellen Zupacken gebrochen".
Die Auseinandersetzung mit diesen ungesühnten Verbrechen und der
Tradition der Gebirgsjäger reiht sich ein in die Auseinandersetzung
um Gegenwart und Zukunft deutscher Kriegsführung. Wie im Falle der
Wehrmachtssoldaten mit Kriegsverbrecherbiographie, die von Strauß
gefördert wurden, denkt Strauß-Nachfolger zu Guttenberg laut
darüber nach, den Oberst Georg Klein, Täter vom 4. September in
Kundus, zum Brigadegeneral zu befördern. Seine Opfer sollen keinen
Entschädigungsanspruch erhalten, wurde zudem aus dem
Kriegsministerium bekannt.
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