06.04.2010
„Für ein Europa des Friedens, ohne Rassismus und
Nazismus“
Die Reden von Gisa Marschefski, Ernst Söder und Ulrich Sander in
der Dortmunder Bittermark, in der Steinwache Dortmund und in
Lippstadt
Das Internationale Rombergparkkomitee (Sitz Dortmund) hat wieder
zur Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen für die Opfer der
Karfreitagmorde der Gestapo vom Frühjahr 1945 in Dortmund und
Umgebung aufgerufen. Hier die gehaltenen Reden.
Die Veranstaltungen begannen am 1. 4. 2010 mit der Jahrestagung
des Internationalen Rombergparkkomitees in der Gedenkstätte
Steinwache, Nähe Nordausgang der Dortmunder Hauptbahnhofs, Auf
dieser Jahrestagung wurde Bilanz nach 50jähriger Tätigkeit des
IRPK gezogen und ein Ausblick auf eine weitere Tätigkeit unter
veränderten Bedingungen gegeben. Celine van der Hoeck-de Vries,
Präsidentin der Internationalen Rombergparkkomitees aus Amsterdam,
schrieb dazu:
„Auch 65 Jahre nach der Ermordung hunderter Frauen und Männer
aus sieben europäischen Ländern in der Dortmunder Bittermark sind
wir aufgefordert, der Opfer des Hitlerregimes zu gedenken. Mit
diesem Gedenken wollen wir einen Beitrag leisten für die Schaffung
eines Europas frei von jeglichem Rassismus, frei von Völkerhass und
Neonazismus. In diesem Jahr blicken wir auf 50 Jahre Internationales
Rombergparkkomitee zurück. Der Rechtsextremismus ist nicht besiegt,
er ist stärker als jemals zuvor seit 1945, nicht nur in den Köpfen
sondern auch in Taten. Deshalb ist die Aufgabe des Internationalen
Rombergparkkomitees nicht erfüllt, sondern wir sind ihr nach wie
vor verpflichtet.“
Wir veröffentlichen hiermit die Reden der Vertreterinnen und
Vertreter des Internationalen Rombergparkkomitees Gisa Marschefski,
Ernst Söder und Ulrich Sander am 1., 2. und 3. April 2010 in der
Dortmunder Bittermark, in der Steinwache Dortmund und in Lippstadt.
Gedenkkundgebung am Mahnmal in der
Dortmunder Bittermark, Karfreitag 2.4.2010
Redebeitrag von Gisa Marschewski,
Generalsekretärin des Internationalen Rombergparkkomitees
Sehr verehrte Angehörige der Mordopfer des Naziregimes,
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jörder,
Lieber Kamerad Jean Chaize,
verehrte Anwesende!
Erneut erinnern wir an dieser denkwürdigen Stelle an die
Ermordung von beinahe 3ß00 Frauen und Männern aus sieben Nationen
Europas.
Sie alle waren Gegner des Hitlerregimes. Gegner der massenhaften
Vernichtung jüdischer Menschen. Gegner des fürchterlichen
Raubkrieges, die die Hitlerwehrmacht in beinahe allen Ländern
Europas geführt hatte.
Millionen und aber Millionen Menschen waren diesem von
Deutschland begonnenen und bis zum bitteren Ende geführten Krieg
zum Opfer gefallen.
Noch in der Endphase dieses massenmordenden Krieges der Nazis,
also vor 65 Jahren, wurden die, derer wir heute gedenken, von den
Bestien der Hörder Nazigestapo durch Genickschuss ermordet. Bei
Nacht und Nebel wurden sie an die Bombentrichter der Bittermark, des
Rombergparks und nahe des Hörder Bahnhofs getrieben und auf
bestialische Weise umgebracht und verscharrt.
Wenige Tage nach der Befreiung vom Hitlerregime fand man ihre
Leichen in den Bombentrichtern in diesen Wäldern.
Nicht nur hier, auch an zahlreichen anderen Orten unseres Landes
geschahen ähnliche Verbrechen.
Wohl nicht mehr auf einen "Endsieg" hoffend, wollten
die Verbrecher des Nazireiches Zeugen ihrer furchtbaren
Grausamkeiten zum Schweigen bringen, sie als Mitgestalter
Nachkriegsdeutschlands ausschalten und sich selber vor einer
Bestrafung retten.
Das beeindruckende Mahnmal, vor dem wir stehen, wurde vor 50
Jahren errichtet.
Es soll die Menschen für immer an die grausame Geschichte des
Nazireiches in Dortmund und der Welt erinnern.
Es mahnt uns, so etwas nicht noch einmal zuzulassen.
Wenn man die Geschichte unseres Landes kritisch betrachtet, muss
man zu dem Schluss kommen, dass die Absichten der Mörder in
bestimmter Weise gelungen sind. Das zeigt uns der im Jahre 1952 in
Dortmund durchgeführte Prozess wegen der Rombergparkmorde mit
seinen milden Urteilen. Das beweist auch die misslungene Vernichtung
des gesamten Nazisystems, wie sie etwa die Häftlingen von
Buchenwald in ihrem nach der Befreiung geleisteten "Schwur von
Buchenwald" gefordert haben.
65 Jahre ist es her, dass mein Vater Erich Mörchel mit seinem
Bruder und den 300 Frauen und Männern hier in diesen Wäldern
ermordet und verscharrt wurden. Wenn ich versuche, mir vorzustellen,
was mein Vater, was seine Kameradinnen und Kameraden angesichts der
heutigen politischen Situation sagen würden, so kämen sicher
ernste Mahnungen an uns alle aus ihren Mündern. Es ist für mich
unvorstellbar, dass Vater "Ja" sagen würde zu der
Beteiligung deutscher Soldaten an den Kriegen in der Welt. Er würde
sagen: "Macht Schluss mit den Kriegseinsätzen in Afghanistan
und anderen Ländern der Welt. Krieg darf kein Mittel der Politik
sein."
Arbeit, Brot und Völkerfrieden, das war meines Vaters und seiner
Freunde Welt. Dafür haben sie sich eingesetzt und diesen Einsatz
mit ihrem Leben bezahlt.
Handeln wir in ihrem Sinne, fordern wir unüberhörbar:
"Schluss mit dem Einsatz deutscher Waffen und Soldaten."
Und was würden uns die beiden hier ermordeten jüdischen Frauen
sagen, die getötet wurden, weil sie Jüdinnen waren? Ganz sicher
würden sie mit uns fordern: "Schluss mit Antisemitismus und
ausländerfeindlicher Propaganda! Schluss mit Aktivitäten und
Schmierereien an den jüdischen Friedhöfen und anderen
Stellen!"
Was würden mein Vater und seine ermordeten Kolleginnen und
Kollegen aus den Gewerkschaften sagen, wenn sie erleben müssten,
dass Gewerkschaftsdemonstrationen, wie am 1. Mai 2009 in Dortmund
geschehen, von Nazi-Kolonnen gewalttätig angegriffen werden?
Aus bitterer Erfahrung würden sie uns zurufen: "Wehrt Euch,
leistet Widerstand gegen den Nazismus hier in diesem Land." Und
sie würden sagen: "Sorgt dafür, dass die neonazistische NPD
endlich verboten wird und damit ein bedeutender Schritt getan wird
zur Beseitigung von Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass."
Verehrte Anwesende,
die demokratischen Kräfte, die in Dortmund Widerstand gegen
Nazismus in seinen verschiedenen Formen leisten, werden stärker.
Das ist begrüßenswert und sollte von allen demokratische Kräften,
den Parteien und Organisationen unterstützt werden.
Nicht wenige Initiativen entstehen an Dortmunder Schulen.
So können wir heute bei dieser Kundgebung Schülerinnen und
Schüler der Theodor Heuss Realschule erleben, die ich gerne und
herzlich begrüße.
Ähnliches gilt für die Naturfreundegruppe Kreuzviertel. Auch in
diesem Jahr haben sie zum "Heinrich Czerkus
Gedächtnislauf" aufgerufen. Mit diesem Lauf gedenken sie des
Mannes, der aktiv bei Borussia Dortmund tätig war und wegen seiner
antifaschistischen Arbeit von der Gestapo ermordet wurde.
Im Namen des IRPK möchte ich mich bei den genannten Initiativen,
aber auch bei den vielen ungenannten Unterstützerinnen und
Unterstützern dieser Veranstaltung bedanken.
Liebe Kundgebungsteilnehmer,
ich rufe Sie alle, insbesondere aber die Dortmunder Parteien,
Organisationen und Verbände auf, das Gedenken an die Opfer der
Hitler-Diktatur zu unterstützen. Zeigen wir uns den Ermordeten
würdig, folgen wir gemeinsam ihrer Mahnung:
Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg.
Ernst Söder, Gewerkschaftssekretär
i.R. und Vertreter des Internationalen Rombergparkkomitees, zum
Gedenken in Lippstadt am Mahnmal an der St. Josphskirche,
Karsamstag, 3.4.2010
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe DGB-Regionalvorsitzende
Jutta Reiter, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren!
In der Westfälischen Rundschau zum 27. Januar, dem Gedenktag an
die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, war nachzulesen, -
ich zitiere -
"Gedenken ist kein Selbstzweck, und es darf nicht zum Ritual
verkommen. An dieser Selbstverständlichkeit ist zu erinnern, weil
es auch heute, 65 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers
Auschwitz, wieder vielstimmig heißen wird, nun sei es doch genug,
nun müsse doch auch mal Schluss sein".
Nein - Verantwortung endet nicht, und die Lehren, die aus den
furchtbaren Verbrechen der Nazis zu ziehen sind, gelten dem Hier und
Jetzt. Sie mahnen zu einem entschiedenen Eintreten gegen
Antisemitismus und Rassismus, gegen Neofaschismus, Krieg und Gewalt.
Das bedeutet auch, sich nicht damit abzufinden, dass jüdische
Einrichtungen Polizeischutz brauchen, dass die NPD auf
Steuerzahlerkosten ihr Unwesen treibt, dass Roma in Länder
abgeschoben werden, in denen sie verfolgt werden.
Dazu gehört ebenfalls Widerspruch, wenn Krieg als politisches
Mittel hoffähig wird und wenn Menschen ihrer Würde beraubt werden.
Gedenken darf sich nicht in dem Blick auf Vergangenes erschöpfen,
wenn wir nicht gleichzeitig mahnen und wollen, dass es wieder
Kräfte gibt, die die Welt verändern wollen. Auschwitz ist
geschehen und deshalb immer wieder möglich. Auschwitz hat uns
ebenfalls gezeigt, wohin Rassenwahn und Ausgrenzung führen können.
Deshalb treten wir ein für ein Verbot der NPD und anderen
neofaschistischen Erscheinungen, umso etwas von vornherein im Keim
zu ersticken. Abwarten und beobachten bringt uns nicht weiter.
Doch so lange die Regierenden und die obersten Gerichte in
unserem Land sich mehr Sorgen um die Demonstrationsfreiheit für die
Neonazis machen, als den Schutz der Bevölkerung und der Demokratie
vor ihren Feinden zu garantieren, wird es kaum gelingen, eine
Mehrheit für ein NPD-Verbot zu bekommen.
Dagegen gilt es aber auch - entgegen den wachsenden sozialen
Ungleichheiten -für eine wirtschaftliche Ordnung einzutreten, in
der der Mensch und nicht die Maximierung des Profits im Mittelpunkt
steht. Wenn das nicht gelingt, verkommt jedes Bekenntnis gegen den
Rechtsextremismus zur Farce. Denn soziale Ungleichheiten fördern
die Triebkräfte für einen erstarkenden Neofaschismus.
Heute, hier an diesem ansehnlichen Denkmal, gedenken wir der
ermordeten Lippstädter Unionarbeiter und der nach Lippstadt
verschleppten französischen Zwangsarbeiter, die 1945 - wenige Tage
vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen - von der Gestapo ermordet
wurden.
Das Drahtseilwerk Union war Kriegsbetrieb geworden. Die
Gewerkschafter organisierten im Betrieb einen hartnäckigen Kampf
gegen die Nazidiktatur und standen in ständiger Verbindung zu den
französischen Zwangsarbeitern, die in Lippstadt zur Fronarbeit
gezwungen wurden.
Die Lebensbedingungen der Franzosen waren - wie es in Dokumenten
nachzulesen ist - menschenunwürdig und sie waren ständigen
Misshandlungen durch Angehörige und Beauftragte der Werksleitung
ausgesetzt und wurden erniedrigend behandelt.
Die deutschen Kollegen solidarisierten sich mit den
französischen Kameraden, gaben ihnen zu Essen und schützten sie -
soweit sie dazu in der Lage waren - vor Übergriffen durch die
Vorgesetzten des Betriebes. Diese - und andere Ereignisse - waren
der Anlass für die Gestapo, die Männer zu verhaften und ihrem
mörderischen Schicksal zuzuführen.
Von einem Spitzel auf die Spur gebracht erscheint am 17. Dezember
1944 auf der UNION ein Gestapokommando. Drei Tage wurden die
deutschen und französischen Arbeiter verschärft vernommen und dann
ins Polizeigefängnis nach Herne überführt.
In der Karwoche 1945 holte die Gestapo die Männer in Herne ab
und überführte sie nach Dortmund-Hörde in die Kerker der
Gestapodienststelle, wo sie mit anderen zusammengepresst auf ihren
Abtransport in den Tod warteten.
Mit Stacheldraht gefesselt hatte man sie - von der
Öffentlichkeit unbemerkt - mit Lastwagen in die Dortmunder
Bittermark oder und den Rombergpark gebracht. Vor Bombentrichtern
niederkniend wurden sie von Gestaposchergen erschossen und
verscharrt.
Die Mordgehilfen der Nazis waren nicht nur verkrachte Existenzen,
sondern sie fanden - und auch das muss immer wieder gesagt werden -
Unterstützung durch einen willfährigen Beamtenapparat, der sich
hinter einer Mauer von pervertierter Pflichterfüllung
zurückgezogen hatte.
Am gestrigen Karfreitag gedachten mehr als zweitausend Menschen
an der Mahn- und Gedenkstätte in der Dortmunder Bittermark der
Opfer und der Verbrechen im März und April 1945. Fast dreihundert
politische Gefangene, Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter aus
Frankreich, Russland, den Niederlanden, aus Polen, Belgien und
Jugoslawien wurden wenige Tage vor dem Ende der Nazidiktatur
ermordet.
Wir erinnern an sie, wie wir das seit vielen Jahren tun, wir
erinnern an sie, weil wir die Menschen nicht vergessen und sie nicht
anonym bleiben dürfen.
Zu ihnen gehörten die Lippstädter Unionarbeiter
Friedrich Sprink,
Stefan Freitag,
Franz Schultenjohann,
Franz Engelhardt,
Johann Liebner und
Albert Klar
sowie ihre französischen Arbeitskameraden
Edouard Abejean Uguen
Robert Geoffroy
Leon Chadirac
Robert Deyredk
Paul Deleforge-Burette
Leon Deloor und
Robert Vanderyssen.
Erneut ist heute Frau Brigitte Scamps, die Tochter von Leon
Chadirak mit weiteren Familienangehörigen unter uns, sie wird
begleitet von ihrem Sohn, ihrem Enkel und einem Urenkel.
Und die Tochter des ermordeten Johann Liebner ist bei uns. Die
Anwesenheit der beiden Familien gibt unserer Veranstaltung einen
besonders würdigen Rahmen, und ich denke, es ist wichtig, dass sie
erfahren können, dass wir die Lippstädter Arbeiter und ihre
französischen Kameraden nicht vergessen haben.
Die Täter dieses unsagbaren Verbrechens sind nicht unbekannt
geblieben, doch viel zu wenige von ihnen wurden zur Rechenschaft
gezogen, manche erhielten erneut Positionen in der Staats- und
Justizverwaltung, arbeiteten wieder bei der Polizei oder in anderen
staatlichen Einrichtungen.
Letzteres konnte nicht verhindert werden, die Aufarbeitung der
Nazidiktatur nach 1945 - sie ist bis heute nicht abgeschlossen -
verlief nicht in dem Maße, wie es die Opfer und Gegner des
Faschismus erhofft und gefordert haben. Mutigen Staatsanwälten und
Gerichten wurde häufig die Arbeit erschwert und die Politik hat
sich sehr zurückgehalten und nur dort Präsenz gezeigt, wo es
unumgänglich war.
Meine Damen und Herren,
es war meine Absicht, so wie die meiner Vorredner, Sie heute hier
in Lippstadt, in Erinnerung an die Ereignisse im Jahre 1945 und an
die Opfer der damaligen Zeit gedanklich einzubeziehen. Es ist
wichtig und notwendig, die Herzen der Menschen zu erreichen, um den
Ritualen, von denen ich eingangs sprach, zu entgegnen. Die
Erinnerung darf nicht enden, sie muss auch künftigen Generationen
immer wieder zur Wachsamkeit mahnen.
Die Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft wären umsonst,
wenn wir nicht bereit wären, darüber zu sprechen und Konsequenzen
daraus zu ziehen. Vor uns liegt ein weiter Weg, ich hoffe und
wünsche mir, ein Weg des Friedens und der Verständigung.
Für das Rombergparkkomitee, für das ich hier spreche, danke ich
Ihnen, dass sie gekommen sind.
Abendveranstaltung des
Internationalen Rombergparkkomitees am 1. April 2010, am Vorabend
der Friedens- und Gedenkmanifestation der Stadt Dortmund vom
Karfreitag. Ort: Gedenkstätte Steinwache in Dortmund.
50 Jahre Internationales
Rombergparkkomitee - 50 Jahre Mahnmal in der Bittermark - 50 Jahre
Ostermarsch
Aus dem Einführungsreferat zum Film von Werner Gross und Hermut
Herholz "Geheime Reichssache" - zur Vorgeschichte der
Rombergparkmorde - Referent: Ulrich Sander, Bundessprecher der
VVN-BdA
Der bekannte Schwur der KZ-Häftlinge von Buchenwald 1945 lautet:
"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere
Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit
ist unser Ziel." Er schließt mit dem Satz: "Wir stellen
den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern
der Völker steht."
Auch fünfundsechzig Jahre nach der historischen Niederlage des
deutschen Faschismus und Militarismus ist keines der im Schwur von
Buchenwald formulierten gesellschaftspolitischen Ziele verwirklicht:
Dafür weiterhin zu wirken kämpfen, wird mehr und mehr zur
Herausforderung und Aufgabe der jüngeren Generationen, die den
Hitler-Faschismus an der Macht nicht mehr selbst erlebten, sich aber
dem antifaschistischen Widerstand in Nazi-Deutschland und anderen
Ländern sowie in den Konzentrationslagern und Gefängnissen
verbunden und verpflichtet fühlen.
Wenige Tage vor Ostern, da die Ostermärsche ihren 50. Jahrestag
haben, sind wir gehalten, den antifaschistischen und
antimilitaristischen Auftrag von 1945 zu erneuern.
"Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf
gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig
waren. In den Konzentrationslagern - wie Bergen-Belsen - kamen
Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der
Versuchsexplosionen und der atomaren Aufrüstung aber drohen der
gesamten Menschheit Vernichtung." So beginnt der Aufruf zum
ersten deutschen Ostermarsch der Atomwaffengegner, der vor 50
Jahren, am 15. April, von Hamburg und anderen Städten zum
Raketenübungsplatz Bergen-Hohne führte. Leider müssen wir heute
feststellen: Der Aufruf von 1960 ist noch immer aktuell.
Am ersten Oster-Protest gegen das atomare Wettrüsten nahmen rund
1000 Arbeiter, Angestellte, Künstler und Geistliche, Kommunisten,
Sozialdemokraten, Christen und Pazifisten teil, darunter viele
Jugendliche. Mit dieser Aktion entstand auch in der Bundesrepublik
nach dem Vorbild der englischen Atomkriegsgegner die
Ostermarsch-Bewegung als neue wirksame Kampfform gegen die
Atomaufrüstung. Ihre Aussagen waren nicht nur gegen "die
Bombe", sondern auch - wie gesagt - gegen die Wiederholung
deutscher Katastrophen gerichtet. Zudem kamen bald weitere konkrete
Aussagen hinzu, so dass sich die Ostermarschbewegung bald Kampagne
für Demokratie und Abrüstung nannte. Es ging gegen das atomare und
konventionelle Wettrüsten, gegen den Krieg der USA in Vietnam und
um die Demokratie, denn es drohten die Notstandsgesetze und damit
der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Beseitigung demokratischer
Errungenschaften, wie z. B. das Streikrecht. Ab 1982 gab es einen
neuen inhaltlichen Schwerpunkt: Die Ostermarschierer waren wieder
dabei, als es hieß:" Keine neuen Atomraketen in unserem
Land".
Heute steht natürlich die Forderung nach Abzug der Truppen aus
Afghanistan im Vordergrund, aber auch neue Aufgaben ergeben sich.
Kaum dass man es merkte, hat sich eine Heimatarmee in den Kommunen
und Landkreisen etabliert, die sich Zivil-Militärische
Zusammenarbeit nennt. Bundeswehr-Reservisten stehen als Miliz im
Innern bereit. In Schulen, Arges und Hochschulen breitet sich der
Militarismus aus. Bleiben wir wachsam.
Erinnern wir uns:
Kurz vor der Befreiung von Krieg und Faschismus, wurden im
Frühjahr 1945 Tausende Antifaschistinnen und Antifaschisten von den
Nazis mit in den Untergang gerissen. Während seit Herbst 1944
zahlreiche geheime Bemühungen von Nazioberen um eine Wende des
Krieges - eine Wende zu einer Einigung mit dem Westen zur
Fortsetzung des Krieges gegen den Osten, die Sowjetunion -
unternommen wurden, ist gleichzeitig ein Mordfeldzug gegen deutsche
und ausländische Antifaschisten in Gang gesetzt worden. Es bestand
die Furcht der Nazis, diese Kräfte, vor allem Arbeiterinnen und
Arbeiter, könnten sich die Früchte des Sieges über den Faschismus
durch gemeinsames Handeln sichern wollen. So sollte ihr Mitgestalten
an einer Wende zum Frieden und an einer Nachkriegszeit ohne Nazis
und Militaristen verhindert werden.
Wäre die Entwicklung anders verlaufen, wenn diese Morde kurz vor
Kriegsende hätten verhindert werden können? Was war der Wille der
in den Wochen vor Karfreitag in der Bittermark und dem Rombergpark
ermordeten Menschen? Wir bewahren wir das Vermächtnis jener
Ermordeten?
Mit diesen Fragen hat sich das Internationale Rombergparkkomitee
seit seiner Gründung vor 50 Jahren befasst. Die Gründung erfolgte
in einer Phase des schlimmsten Kalten Krieges. Die VVN-BdA war in
mehreren Bundesländern verboten worden, ein Verbot drohte auch in
Nordrhein-Westfalen. Daher war die Gründung des IRPK notwendig, um
die Tätigkeit der Antifaschistinnen und Antifaschisten in Dortmund
fortsetzen zu können. Diese Tätigkeit bestand u.a. in einer
fruchtbaren Zusammenarbeit vor allem der Hinterbliebenen und
Überlebenden des Arbeiterwiderstandes. Es war kein Zufall, dass das
gleichzeitig eingeweihte Mahnmal in der Bittermark, das wohl
eindrucksvollste Denkmal dieser Art im Lande, noch gemeinsam von der
SPD und der KPD auf den Weg gebracht wurde. CDU und FDP haben
bisweilen erbittert gegen den Bau des Mahnmals gekämpft.
Im Januar 1945 hatten Gestapoleitstellen auf Anweisung von
Reichsführer SS Heinrich Himmler und von Gestapochefs Heinrich
Müller vom Berliner Reichssicherheitshauptamt die Gestapokommandos
und SS-Führungen angewiesen, "umstürzlerischer"
Betätigung deutscher Linker und ausländischer Arbeiter
vorzubeugen" - per Massenerschießungen. Ein ähnlicher Befehl
erging von Generalfeldmarschall Model. "Die Betreffenden sind
zu vernichten", hieß es in den Befehlen dazu. Rund 8000
deutsche Soldaten wurden als "Fahnenflüchtige" in den
letzten Kriegsmonaten 1945 standrechtlich erschossen. Ca. 700.000
Menschen kamen bei den Todesmärschen von den KZs nach Westen und
Süden ums Leben.
Diese Massenmorde entsprachen dem Nachkriegs- und
Überlebenskonzept des deutschen Faschismus und Militarismus und
auch der ökonomischen Eliten. Gestapochef Müller hatte versichert:
"Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen
wurde; wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben
lassen."
Es gab nicht nur den "Untergang" (Filmtitel) des
Führers, wie uns in einem Film vor 5 Jahren weisgemacht werden
sollte. Bis zuletzt mordete der deutsche Faschismus, führte die
Wehrmacht ihren Vernichtungskrieg - nun gegen Menschen innerhalb der
Grenzen Deutschlands. Dort herrschte nicht jene Situation der
Niederlage und der Wehrlosigkeit, an die uns um den 13. Februar
alljährlich Nazis und Konservative angesichts der Bombardierung
Dresdens erinnern wollen. Mit Hitler gingen 1945 Hunderttausende
Unschuldige in den Tod. Nicht untergegangen sind jedoch 1945 die
ökonomischen Eliten und die führenden Militärs, die Hitler zur
Macht verhalfen und vom Faschismus profitierten. Die letzten Wochen
des Dritten Reiches, die im Film "Der Untergang" nur im
Bunkerblick behandelt werden, gilt es beispielhaft vor dem
Hintergrund der Kriegsendphase zu thematisieren.
Diese Zeit brachte in einer beispiellosen Terrorwelle zig
Tausenden in- und ausländischen Hitlergegnern und kriegsunwilligen
deutschen Soldaten den Tod, - diese Terrorwelle und das Wüten der
Nazis im Frühjahr 1945 bleiben heute zumeist ausgeblendet. Es wurde
auch auf dem Gebiet des heutigen NRW vor allem von NSDAP-Mitgliedern
und der SS und Gestapo gemordet. Die Opfer wurden beseitigt, weil
sie dem Plan führender Nazis wie Speer, Himmler, Göring und Keitel
im Wege standen, mit den Westalliierten gegen die Sowjetunion den
Krieg fortzusetzen. Sie sollten nicht für den Aufbau Deutschlands
nach dem Krieg zur Verfügung stehen. Die Nazis fürchteten den
gemeinsamen Kampf der deutschen und ausländischen Arbeiter im Reich
gegen die NS-Mörder, sie fürchteten, daß die Opfer von den
Verbrechen Zeugnis ablegen würden.
Am 17. April 1945 war dann das gesamte Territorium des heutigen
NRW von den Nazis befreit. Es schwiegen die Waffen aus der
Waffenschmiede an der Ruhr, die Kanonen und Gewehre. Die Menschen
atmeten auf.
Doch andernorts ging das Morden der angeblich
"geschlagenen" Deutschen weiter. Am 14. April 1945 hatte
"Reichsführer SS" Heinrich Himmler befohlen, dass kein
KZ-Häftling lebend in die Hände der immer näher rückenden
alliierten Truppen fallen dürfe. Er ordnete daher die Evakuierung
der Arbeits- und Todeslager an den Fronten an. Die Gefangenen
sollten vor allem von der Ostfront, die die Rote Armee inzwischen
überall durchbrach, ins Landesinnere verschleppt werden: in andere
Lager oder in abgelegene Gebiete.
Schon vor dem 17. April hatten sich in vielen Teilen des
befreiten Landes an Rhein und Ruhr die Antifaschisten und
Gewerkschafter wieder getroffen, wo sich ihnen die Möglichkeit bot,
weil die US-Truppen und britischen Soldaten hier die Nazis und die
Wehrmacht vertrieben hatten. Schon am 18. März 1945 trafen sich
Aachener Gewerkschafter zur ersten Gewerkschaftstagung, um die
Grundlagen für die Einheitsgewerkschaft zu schaffen, die für die
Rechte der arbeitenden Menschen eintritt. Am 14., 15. und 16. April
führten Widerstandskämpfer aus Solingen-Wald die Aktion
"Weiße Fahnen" durch, um die Stadt kampflos zu
übergeben. Es kam zur Bildung der antifaschistischen Volksfront
Solingen. Gleichzeitig, am 15. April 1945 tagte die erste
Betriebsrätekonferenz nach dem Kriege, und trafen sich die
Gewerkschafter in Gelsenkirchen-Buer. Es wurde die Gründung einer
Einheitsgewerkschaft beschlossen, die ein Freier deutscher
Gewerkschaftsbund sein sollte. Am 17. April 1945 hieß es dann im
Wehrmachtsbericht: "Der geschlossene Widerstand der
Heeresgruppe B ist am 17. April zu Ende gegangen." Das heutige
NRW war von der Naziherrschaft befreit.
Während anderswo noch bis zum 8. Mai der Krieg in Deutschland
tobte, kamen am 18. April die Arbeiter des Werkes Hörde des
Dortmund Hörder Hüttenvereins zusammen, um einen Betriebsausschuss
zu bilden. Am 23. April dann beschlossen Bochumer
Betriebsausschüsse, vorwiegend aus dem Bergbau, einen
"Allgemeinen Industriearbeiterverband" zu gründen. Am 26.
April 1945 wurde dann die erste Geschäftsstelle der
Metallarbeitergewerkschaft eingeweiht, und zwar in Dortmund-Hörde;
sie wurde geleitet von je einem sozialdemokratischen, christlichen
und kommunistischen Kollegen. Einen Tag später tagten die
Vertrauensleute des Hoesch-Hüttenwerks in Dortmund und berieten ein
12-Punkte-Programm zu dem "u.a. Fragen der Arbeitszeit, der
Einstellung zu den bisherigen Vertretern der Nazis sowie Bestrafung
derjenigen PG, die sich Misshandlungen an Kriegsgefangenen usw.
haben zuschulden kommen lassen".
Ja, Misshandlungen bis hin zu Massakern hat es im Ruhrkessel und
im ganzen Reich vielfach gegeben. In Warstein, Meschede, Dortmund,
Lüdenscheid-Hunswinkel, Hagen, Solingen und vor allem in Köln
hausten die Faschisten grausam, um mit Massenmorden in ihrem Sinne
in die Nachkriegszeit einzutreten. Historiker haben bisweilen diese
Kriegsendphasenverbrechen sowohl als letzte Opfer des NS-Faschismus
wie auch als erste Opfer des Kalten Krieges angesehen, auf den sich
die reaktionären Eliten und die Militärs schon damals
vorbereiteten.
Ausgehend von unserem Treffen im Dortmunder Rathaus 2005 haben
wir rund 140 Tatorte von Kriegsendphasenverbrechen in Deutschland
ermittelt. Darüber haben wir das Buch geschrieben:
"Mörderisches Finale". Hinterbliebene der Opfer der
Kriegsendphasenverbrechen und diejenigen, die in ihrem Sinne
handeln, haben diese grauenvolle Bilanz zusammengetragen.
Jetzt, am 50. Jahrestag des Rombergparkkomitees wie auch der
Schaffung des wohl einzigartigen Mahndenkmals in der Bittermark,
stehen wir an einem Wendepunkt in unserer Arbeit. Das Gedenken muß
weitergehen, aber die in- und ausländischen Zeitzeugen sind nun
fast alle nicht mehr unter uns. Wir möchten daher vorschlagen, nun
verstärkt von Dortmund aus mit den regionalen
Hinterbliebenengruppen oder antifaschistischen Geschichtsarbeitern
in Kontakt zu bleiben. Das Internationale Rombergparkkomitee,
unterstützt von der VVN-BdA in NRW und nun auch verstärkt vom
Förderverein Steinwache e.V., setzt die Kontaktaufnahme zu Gruppen
aus möglichst vielen Orten, an denen kurz vor der Befreiung noch
Massenerschießungen stattfanden und Hitlergegner ermordet wurden,
fort. Diese Kontakte und Vernetzung soll dem Erfahrungsaustausch
dienen, wie Erinnerungsarbeit vor allem mit der Jugend erfolgen
kann. Fortgesetzt werden sollen die Gedenkveranstaltungen am
Karfreitag auch den kommenden Jahren. Fortgesetzt werden sollen sie
als Mahnung zum Frieden. Fortgesetzt werden sollen sie als
jährliche Aktion gegen den Nazismus, der in Dortmund wieder sein
Haupt erhebt; - fortgesetzt als eine Aktivität, bei der wir den
Termin bestimmen und nicht die Nazis.
Wir setzen unsere Zusammenarbeit auch international fort. Es geht
um die Verwirklichung des Schwurs von Buchenwald, um die
Wiederherstellung und Anwendung des antifaschistischen Konsenses
"Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus".
Die internationale Zusammenarbeit muß auch deshalb verstärkt
werden, weil wir leider auch von einem Europa des Friedens noch weit
entfernt sind. Die EU ist leider ein Militärblock geworden, der
sich an Kriegen beteiligt. Die antifaschistischen Grundpositionen
und Antikriegspositionen aus deutschen Verfassungstexten sind in
Gefahr: Die Grund- und Freiheitsrechte, Verbot des Angriffskrieges,
keine Armee für Deutschland bzw. ab 1956 eine Armee nur zur
Verteidigung, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Recht auf Arbeit,
Verbot des Nazismus und Neonazismus. Nicht zulassen dürfen wir auch
die offene und schleichende Umwidmung der Gedenkstättenarbeit und
der Gedenkstätten hin zu einem Gedenken, das auch die Täter als
Opfer einschließt. Nicht zulassen dürfen wir die immer mehr um
sich greifende Seuche, den Faschismus und den linken Antifaschismus
auf eine Stufe zu stellen, indem man vom Kampf gegen "den
Extremismus" spricht.
Lasst mich meine Ausführungen beenden mit den Worten unseres
leider kürzlich verstorbenen guten Freundes Jupp Angenfort, die
dieser zum 60. Gründungstag der VVN in Nordrhein-Westfalen fand:
"Nach der Selbstbefreiung im April 1945 erhoben die
befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald auf dem Appellplatz die Hand
zum Schwur: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist
unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der
Freiheit ist unser Ziel. Aber der Nazismus wurde nicht mit seinen
Wurzeln ausgerottet. Hitlers Schatten und die Macht eines neuen
Militarismus verdunkeln unsere Gegenwart und Zukunft, wenn wir nicht
auch diesen Satz des Schwurs von Buchenwald beherzigen: Wir stellen
den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern
der Völker steht. Und wenn die Mörder nicht mehr leben, dann gilt
es, die gesellschaftlichen Zustände anzuklagen, die Reaktion und
Krieg immer wieder gebären. Das sind wir den Opfern des Faschismus
schuldig. Das sind wir aber auch unseren Kindern und Enkelkindern
schuldig, denen wir eine friedliche freundliche Welt bereiten
wollen."
*) Interessenten können sich melden bei: Gisa Marschefski,
Generalsekretärin des Internationalen Rombergparkkomitees,
Caesariusstr. 3, 44309 Dortmund, Tel.: 0231/258545, E-Mail: vvn-bdanrw@freenet.de
oder Norbert.Schilff@t-online.de,
Tel. Norbert Schilff, Geschäftsführer des Internationalen
Rombergparkkomitees 0160 97420236
**) Ulrich Sander, 1941 in Hamburg geboren, ist Journalist und
Buchautor. Als Bundessprecher der VVN-BdA und als Landessprecher NRW
dieser Organisation bemüht er sich besonders um die Stärkung und
Zusammenführung der antimilitaristischen und antifaschistischen
Bewegungen. 1960 war er einer der Mitbegründer der deutschen
Ostermarschbewegung.
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