27.03.2010
Die Entschuldigung blieb aus
Jupp Angenfort – ein Fall von
Unrechtsjustiz in der frühen Bundesrepublik Deutschland
Von Hans Canjé
Am kommenden Dienstag werden in Düsseldorf Familienangehörige,
Freunde und Kampfgefährte Abschied von Josef (Jupp) Angenfort
nehmen, der am 13. März im Alter von 84 Jahren verstorbenen ist (s.
ND 16.3.) Mit keinen anderen Kommunisten »befassten sich die
Instanzen so nachhaltig wie mit ihm«, war im März 1969 im
»Spiegel« zu lesen. »Und so geriet Josef Angenfort zum fatalen
Symbol politischer Strafverfolgung, die im Kalten Krieg allzu hitzig
verfuhr.« Im Internetdienst Wikipedia ist über ihn zu lesen:
»Gegen ihn wurde wohl das erste Zuchthausurteil eines
bundesdeutschen Gerichts wegen einer politisch motivierten Straftat
nach 1945 gefällt, das höchste Strafmaß, das überhaupt in dieser
Zeit gegen einen Kommunisten verhängt wurde.«
Der langjährige Vorsitzende der westdeutschen Freien Deutschen
Jugend (FDJ) Jupp Angenfort war am 3. März 1953 unter Bruch seiner
Immunität als (jüngster) Landtagsabgeordneter der KPD verhaftet
und am 4. Juni 1955 vom 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH)
wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« und
des »Vergehens der Zersetzung« zu fünf Jahren Zuchthaus
verurteilt worden. Der »Fall Angenfort« ragt aus der Zahl von
insgesamt rund 10 000, vornehmlich gegen Mitglieder der 1956
verboten KPD verhängten politischen Urteilen durch die Härte der
Strafe und ihren Platz in der innenpolitischen Auseinandersetzung
dieser Zeit heraus.
Das Entsetzen über das Strafmaß lässt sich aus den Worten von
Walter Mentzel ablesen, der als Parlamentarischer Geschäftsführer
der SPD-Bundestagsfraktion das Urteil in der Debatte über den
Bundeshaushalt 1955/66 zur Sprache brachte. »Ist dieses Strafmaß
überhaupt haltbar?« fragte der 1933 von den faschistischen
Machthabern aus dem Amt gejagte Jurist, der mit Angenfort im
nordrhein-westfälischen Landtag und zeitweilig Innenminister von
Nordrhein-Westfalen gewesen war. »Vergleicht man dieses Urteil mit
den milden Urteilen gegen Kopfjäger aus den hitlerschen KZs, gegen
viehische Mörder, die nachträglich noch begnadigt werden, dann ist
man empört darüber, dass Menschen vor dem Richterstuhl so
behandelt werden. Wir sind in Westdeutschland wieder soweit, dass
alle Gegner des Bundeskanzlers als Bolschewisten oder des
Hochverrats angeklagt werden.«
Nicht minder massiv die Kritik des sozialdemokratischen
Staatsrechtlers Professor Wolfgang Abendroth. Der BGH sei mit dem
Urteil gegen Angenfort »weit über das hinausgegangen, was er sich
bisher geleistet hat«. Fünf Jahre Zuchthaus seien eine Strafe,
»die für das gleiche Delikt noch in den ersten Jahren des Dritten
Reiches gar nicht hätten verhängt werden können, weil drei Jahre
Zuchthaus die Höchststrafe für die Vorbereitung eines
Hochverräterischen Unternehmens war«.
Die von Walter Mentzel angesprochene Rolle des BGH als Instrument
zur Verfolgung der Gegner der Regierungspolitik hatte Ernst
Müller-Meiningen, einer der kritischsten Beobachter der Bonner
Politik, bereits im Vorfeld des Karlsruher Urteilsspruches auf
folgenden Nenner gebracht: »Die meisten jener Hochverratsprozesse
gegen verhaftete Kommunisten stehen auf ausgesprochen schwachen
Füßen. Die Anklagepunkte sind rasch aufgezählt; es sind im
wesentlichen zwei: erstens Agitation gegen die ›Remilitarisierung‹
... zweitens Werbung für die Wiedervereinigung Deutschlands.«
Bis heute haben sich die Regierenden nicht dazu aufraffen
können, die (nicht nur) vom »Spiegel« konstatierte »allzu
hitzig« gefällten Urteile der politische Strafjustiz der 50er
Jahre als Unrecht anzuerkennen und die Opfer zu rehabilitieren. Das
Thema soll sich offenbar »biologisch« erledigen. Die seit fast 20
Jahren von der PDS- bzw. Linksfraktion im Bundestag eingebrachten
Anträge sind stets abgelehnt worden. Ein Antrag aus der vergangenen
Legislaturperiode harrt in irgendeinem Ausschuss der Wiedervorlage.
Im Dokumentarfilm »Als der Staat rot sah – Justizopfer des
Kalten Krieges« (2006) über die Kommunistenverfolgung in der BRD
von 1951 bis 1968 kam auch Jupp Angenfort zu Wort. Mit einer
Rehabilitierung würde er zu Lebzeiten nicht mehr rechnen, sagt er
dort. »Aber wenn wenigsten einer käme und sagte: ›Jung, wir
haben dir Unrecht getan. Entschuldige ...‹« Jedoch selbst dieser
bescheidene Wunsch blieb ihm verwehrt.
Mit Freundlicher Genehmigung des Neuen
Deutschland vom 27.03.2010.
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