Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

19.03.2010

"Dafür müsste Oberst Georg Klein vor Gericht gestellt werden"

Folterrituale und Morde gehören zur Kriegsführung der Bundeswehr

Von Ulrich Sander

Ich möchte diesen Artikel Pjotr Kania widmen. Der 18jährige Pole ist am 6. November 1994 im hessischen Rotenburg von einem Bundeswehrsoldaten, der mit Reichskriegsflaggen-T-Shirt bekleidet und so als Neonazi erkennbar war, erstochen worden. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Soldaten ein, der nach politischer "Belästigung" durch das unbewaffnete Opfer in Notwehr gehandelt habe.

Ich möchte den Artikel auch der 80jährigen Griechin Christina Dimou aus Kommeno widmen. Sie hat 1943 ein Gebirgsjägermassaker überlebt, bei dem ihre Mutter und ihre zwei Brüder ermordet wurden. Sie berichtete bei einem Antifa-Hearing in Mittenwald: "Die Soldaten haben uns im Schlaf überrascht, sie kamen und umzingelten das Dorf. Wir waren nur 500 Menschen im Dorf. Sie haben 317 Menschen getötet, ohne dass diese irgend eine Schuld hatten."

Und ich möchte den Artikel der afghanischen Großmutter Bulbul widmen, über die Christine Buchholz im Bundestag berichtete: "Bulbul konnte ihre drei kleinen Enkel nicht davon abhalten, mit den anderen zum Fluss zu laufen. Sie saß mir mit Tränen in den Augen gegenüber und meinte, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens die Überreste ihrer Enkel gebracht bekommen hat, um sie beerdigen zu können." 91 Frauen sind durch den Angriff des Bundeswehrobersten Georg Klein vom 4. 9. 2009 am Kundusfluss zu Witwen geworden. Viele weitere Kinder starben. Als die Abgeordnete das berichtete und ihre Fraktionskollegen von der "Linken" dazu Traueranzeigen hochhielten, wurden sie vom Präsidenten aus dem Bundestag geworfen.

Die Mörder blieben immer unbestraft

Pjotr, Christina und Bulbul ist gemeinsam, Opfer oder Hinterbliebene von Kriegsverbrechen zu sein, die samt und sonders nicht bestraft wurden. Soldaten als Mörder, ob Wehrmachts- oder Bundeswehrsoldaten, bleiben hierzulande in der Regel straffrei.

Kriegsverbrechen bestehen u.a. in der Ermordung und Misshandlung von Zivilisten und in mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen. So definierte es 1945/46 das Nürnberger Alliierte Gericht. In diesem Sinne geschah am Kundus-Fluss ein Kriegsverbrechen. Dafür müsste Oberst Georg Klein vor Gericht gestellt werden. Doch gegen ihn wird nicht einmal ermittelt, so wie gegen den Nazisoldaten von Rotenburg nicht ermittelt wurde, und auch der Mörder-Kommandeur von Kommeno blieb straffrei.

Die Vorgesetzten von Oberst Klein hielten seine Untat für militärisch angemessen, die Minister Jung und dann zu Guttenberg stimmten zu, bis zu Guttenberg sich lieber nur noch hinter den Obersten, nicht aber hinter seine Untat stellen mochte. Allen gemeinsam im Bendlerblock ist die "menschliche Solidarität" mit dem Massenmörder Klein.

Die Schule von Mittenwald

Auch Bundeswehr-Oberstleutnant Reinold Klebe blieb straffrei. Seine "stolzen Soldaten" der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 löschten im August 1943 das griechische Dorf Kommeno aus, und er befahl auch wenig spätere den Mord an mindestens 4000 unbewaffneten italienischen Kriegsgefangenen auf der Insel Kefalonia. Später wurde er Bataillonskommandeur der Bundeswehr. Franz Josef Strauß setzte ihn ein. Die Anklage gegen ihn wurde niedergeschlagen, wie gegen rund tausend andere Wehrmachtskiller, welche die Bundeswehr mit aufbauten. Auch gegen Klein soll nun möglichst nicht ermittelt werden, fordert die Bundeswehrführung von der Staatsanwaltschaft - und die führt diesen Befehl bisher auch aus.

Der neue Bundeswehrminister zu Guttenberg ist durch die Schule des Reinhold Klebe gegangen. Er war wie Klebe in Mittenwald bei der Bundeswehr, bei der Gebirgstruppe. In deren gleichnamigen Zeitschrift stellte Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt bereits im Dezember 2008 fest, dass die heutigen Bundeswehrsoldaten "in Situationen" geraten könnten, in denen sie wie einst die Gebirgstruppler "überreagieren". Deshalb soll ein Schlussstrich unter Wehrmachtsverbrechen und unter mögliche Bundeswehruntaten gezogen werden. Auch die neue "Taschenkarte", die noch Minister Franz Josef Jung an die Soldaten ausgeben ließ, trägt mit ihrer aggressiven Tendenz dazu bei, das deutsche Soldaten wieder verwendungsfähig für Kriegsverbrechen werden.

Ich wundere mich über die Verharmlosung der "Vorkommnisse" von Kundus durch die meisten Medien, über die "Vorkommnisse" selber weniger. Dazu werden die Soldaten wieder mal von höchster Stelle ermutigt, was ihnen die Verantwortung nicht abnimmt.

Ermutigung von oben zu den "Vorkommnissen"

Das Verbrecherische der Bundeswehr ist gewollt. Ab und zu regt man sich auf, wenn das, was im Dienst üblich ist, auch die Freizeit der Soldaten bestimmt. Das war so, als in den 90ern die Vergewaltigungsvideos aus Hammelburg auftauchten, wie auch die Bilder des Posierens mit afghanischen Totenschädeln, ferner als in einer Kneipe die Folterübungen von Coesfeld bekannt wurden und nun, da die Rituale des "Rohe-Schweineleber-Fressens" und Unmengen Saufens wie auch Nackt-Präsentierens ans Licht kamen. Wer genau hinsah, wusste, dass die Folterungen und Rituale im Dienst eingeübt werden, um kriegsnah und "archaisch" (Heeresinspekteur Budde) auszubilden. Muslimen Schweinefleisch und Alkohol einzuflößen, kann nur als zusätzliche ethnische Foltervariante angesehen werden.

Diese Mittenwalder Folterübungen gleichen zu sehr den Usancen von Abu Graib, als dass wir sie als Besonderheiten der Freizeitgestaltung von Gebirgsjägern erkennen können. In Mittenwald kommt noch die Tradition der Wehrmacht hinzu. Viele Opfer des Massakers in Kommeno beispielsweise wurden von den Soldaten zusätzlich zum Erschießen auch noch geschändet.

Die Folterübungen sind widerlich, sie passen aber auch zu den noch obszöneren jährlichen Treffen der Gebirgsjäger auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald. Die Saufrituale haben sich seit den 80er Jahren eingebürgert, wie die Bundeswehr mitteilt. Seit den 50er Jahren haben sich weit schlimmere Rituale auf dem Hohen Brendten eingebürgert, und sie sollen ausgerechnet am Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai 2010 fortgesetzt werden. Ich spreche von den Treffen der Veteranen und Aktiven der Gebirgstruppe aus Wehrmacht und Bundeswehr, bei denen regelmäßig die Mörder, die Helden des Vernichtungskrieges geehrt werden. Mit dabei waren auch immer die Kriegsverbrecher Thilo, Pössinger und Klebe aus der Wehrmacht, die in der Mittenwalder Truppe unter Strauß hoch aufstiegen. Mit dabei war immer Joseph Scheungraber, der in Italien ein Massaker verübte, vor einem halben Jahr allerdings in München zu lebenslänglich verurteilt wurde.

Nie richtig aufgearbeitet worden ist der Folter-Skandal von Coesfeld, wo Rekruten in der Grundausbildung bei einer "Gefangennahme" gefesselt, mit Wasser übergossen und ihnen Stromstöße zugefügt wurden. Sie übten "Geiselnahme" und fügten sich gegenseitig furchtbare Schmerzen zu, die sie ertrugen, weil sie ihren Job machen wollten, weil außerhalb der Truppe die Arbeitslosigkeit droht.

Folterübungen und Rituale

Immer wenn von Verbrechen wie am Kundusfluss und von "Vorfällen" wie in Coesfeld, Mittenwald und Hammelburg die Rede ist, werden wir auf Truppen wie das KSK-Kommando-Spezialkräfte und auf ihren früheren Kommandeur Reinhard Günzel aufmerksam, der abgesetzt wurde, weil er durch antisemitische Äußerungen auffiel. KSK sei Oberst Klein zur Hand gegangen sein, wird zusätzlich berichtet, und Vorlage für die Spezialkräfte sei das Buch "Geheime Krieger".

Dies ist eine Anleitung zur Befolgung von Wehrmachtsleitlinien durch GSG9 (Abteilung der Bundespolizei) und KSK. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) gaben bei Bekannt werden bekannt, sie lehnten disziplinarische Maßnahmen gegen die Autoren des Buches, den ehemaligen Chef der GSG 9, Ulrich Wegener, und den früheren Kommandeur des KSK, Kommando Spezialkräfte, Reinhard Günzel, ab. Diese Autoren des Buches "Geheime Krieger" haben bekundet, die von ihnen geführten Einheiten in die Tradition der Wehrmachts-Spezial-Division "Brandenburg" gestellt zu haben. Günzel bemängelte, dass die Bundeswehr alle Wehrmachts-Traditionen kappt. Wegener schrieb, Kameradschaft und Korpsgeist ließen sich "vor allem bei den Brandenburgern studieren". Minister Jung sah "die Veröffentlichung derartiger Positionen noch im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit". In dem Buch "Geheime Krieger" wird jedoch nicht einfach eine Meinung vertreten, es wird klar gestellt, dass die Vorschriften für KSK und GSG9 bei den Brandenburgern abgeschrieben wurden. Die Brandenburger hatten auch jenes Bataillon Nachtigall in ihren Reihen, mit dessen Namen für immer z.B. das Massaker von Lemberg mit 7000 ermordeten Juden geht.

Die mörderischen Rituale vom Hohen Brendten

Der scheidende Wehrbeauftragte der Bundeswehr Reinhold Robbe hat versichert, er habe von den Mittenwalder Ritualen nichts gewusst. Gewußt hat er aber "dass der Kameradenkreis nicht nur die Kriegsverbrechen der NS-Gebirgstruppe verharmlost und die Täter schützt, er ist nun auch dazu übergegangen, die Nichtverfolgung der Untaten als erforderlich für die heutige Kriegsführung der Bundeswehr und der NATO-Alliierten zu bewerten." Die Berechtigung, dies zu behaupten, hat die VVN-BdA in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. vor dem Nürnberger Landgericht erstritten. Die Feststellung stützt sich auf den oben genannten Artikel des Generals a.D. Jürgen Reichardt, den wir dem Wehrbeauftragten zuleiteten. Er ließ antworten, er wolle dazu nicht Stellung nehmen, denn ein ähnlicher Brief sei ja auch an den zuständigen Verteidigungsausschuss des Bundestages gerichtet worden. Die damalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Mertens von der SPD, ließ mitteilen, sie wolle zu dem Reichardt-Artikel nicht Stellung nehmen, weil der VVN-BdA-Brief bereits veröffentlicht worden sei und sie zu "offenen Briefen" nichts sage. Die ebenfalls angeschriebene Kanzlerin ließ durch den Verteidigungsstaatssekretär und Gebirgstruppler Christian Schmidt (CSU) ausrichten, die Regierung äußere sich nicht zu Veröffentlichungen von Privatpersonen (Reichhardt war ja a.D.) und die Gebirgstruppe habe keine verbrecherische Vergangenheit.

Und so schließt sich der Kreis: Verbrechen der Soldaten bleiben möglichst straffrei, denn man dürfe den Soldaten in ihrem schweren Dienst nicht in den Rücken fallen. Untaten in Uniform gehören zum Kriegführen dazu. Der Krieg muß geächtet sein!

Aus einem Beitrag für „Zeitung gegen den Krieg“ Nr. 30, April 2010.