13.03.2010
Die Gebirgsjäger, das Nachleben der Vergangenheit
in der Gegenwart und der Militarismus heute
Antifaschistischer und
antimilitaristischer Ratschlag in Mittenwald
In
Mittenwald in Oberbayern finden seit 1952 alljährlich Gedenkfeiern
für die in den zwei Weltkriegen gefallenen Gebirgsjäger statt.
Seit 2002 organisierte der Arbeitskreis "Angreifbare
Traditionspflege" dagegen Proteste.
Auf das Konto der SoldatInnen-Truppe, die heute so
Ex-Kriegsminister Struck "unsere Freiheit am Hindukusch
verteidigt", gehen zahlreiche Kriegsverbrechen und etliche
Massaker während der Naziherrschaft in Europa. Am Beginn unserer
Intervention waren wir mit der Tatsache konfrontiert, dass keiner
der Mörder in Uniform für diese Massaker verurteilt worden war,
sondern sie stattdessen als Helden gefeiert wurden. Von der Gemeinde
Mittenwald wurde diese Traditionspflege offensiv verteidigt. Mit
Zeitzeugenveranstaltungen, Demonstrationen, (versuchten) Blockaden
und einer ganzen Reihe von anderen Aktionen konnte diese
Heldenverehrung, die vor Ort als normal etabliert war, skandalisiert
werden. Zusätzlich skandalös war dabei die Tatsache, dass vom AK
"Angreifbare Traditionspflege" nach Mittenwald eingeladene
Überlebende des Nationalsozialismus von der Gemeinde nicht einmal
empfangen wurden. Dem AK "Angreifbare Traditionspflege"
ist es gelungen, die Gemeinde Mittenwald dazu zu zwingen, sich mit
der bis dahin offensiv verdrängten und geleugneten Schuld der
Gebirgstruppe auseinander zu setzen.
Eine stetig wachsende Öffentlichkeit in Mittenwald musste zur
Kenntnis nehmen, welche Kriegsverbrechen Gebirgsjäger zu
verantworten hatten und aktuell begehen. Der politische Druck der
Kampagne trug entscheidend dazu bei, dass sich das Mitglied des
Kameradenkreises der Gebirgstruppe, Josef Scheungraber, 2009 in
München vor Gericht verantworten musste und wegen Mordes zu
lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Seine Einheit hatte im August 1944 als "Vergeltung"
gegen Partisanenangriffe Zivilisten in Falzano di Cortona ermordet.
In Italien war er deshalb bereits 2006 verurteilt, aber nicht
ausgeliefert worden. Mit dem Münchener Gerichtsurteil wurde
erstmals offiziell anerkannt, dass es sich in Falzano um ein
Kriegsverbrechen gehandelt hat. Dieses Urteil hatte auch in der
Marktgemeinde Mittenwald Konsequenzen. Pfingsten 2009 hatte der AK
"Angreifbare Traditionspflege" vor dem Mittenwalder
Bahnhof ein antifaschistisches Denkmal aufgestellt, das im
Schwerpunkt aus Steinen besteht, die von der Gemeinde Cortona zur
Verfügung gestellt wurden.
Antifaschistischer und
antimilitaristischer Ratschlag
Samstag, den 20. März 2010, Gewerkschaftshaus München,
10.00 bis 17.30 Uhr
PROGRAMM:
10 Uhr
Grußworte: Maurice Clinq (Fédération nationale des
déportés et internés résistants et patriotes), Max
Tzwangue, (ehemaliger Militanter der FTP-MOI der Resistance),
VertreterIn der Verdi-Jugend Bayern
10.30 Uhr
Die Mörderische Tradition der Gebirgstruppe ist
angreifbar. 8 Jahre Kampagne gegen das Soldatentreffen in
Mittenwald - was haben wir erreicht? Markus Mohr, AK
Angreifbare Traditionspflege
Diskussion
12.00 Uhr
Politische Bedeutung der aktuellen Strafverfahren gegen
NS-Kriegsverbrecher und der Entschädigungsklagen gegen die
BRD (30 min) mit Wolfgang Heiermann, Köln, und Martin
Klingner, Hamburg
anschließend Diskussion
13.30 Uhr Mittagspause
14.30 Uhr Die Legitimation der aktuellen Kriege und die
Traditionspflege der Bundeswehr; NN Diskussion
15.45 Pause
16.00 Uhr
Abschlussdiskussion
Militarisierung der Gesellschaft und Ansätze
antimilitaristischer Intervention mit Aktivist/-innen des
Anti-SiKo-Bündnisses, Bundeswehr Wegtreten, Rote Aktion
Kornstraße
Ende 17:30 Uhr
Veranstalter Ratschlag: AK Angreifbare Traditionspflege,
Gewerkschaft verdi Bayern, aktiv Mitwirkende: Bündnis gegen
die Sicherheitskonferenz in München, Gewerkschaftsjugend
Bayern, Bundeswehr Wegtreten, Rote Aktion Kornstraße, VVN
Veranstalter Wiederaufstellung des Denkmals,
Marktgemeinde Mittenwald |
Enthüllt Würde das Denkmal von Max Tzwangue, ehemaliger
Widerstandskämpfer der FTP-MOI, und Maurice Cling,
Auschwitzüberlebender, der nach einem Todesmarsch aus Dachau in
Mittenwald befreit wurde. Hatte die Gemeinde Mittenwald damals
schleunigst das Denkmal entfernt, so dringend suchte sie nach dem
Urteilsspruch gegen Scheungraber und Protesten eine Lösung: Und
siehe da: Direkt vor dem Eingang der Grund- und Hauptschule in
Mittenwald findet sich nun ein würdiger Ort zur Wiederaufstellung
des Denkmales.
Die dazu gehörige, von der Gemeinde Mittenwald initiierte,
Einweihungsfeier wird am Sonntag, den 21. März 2 10 stattfinden.
Eingeladen sind erneut die beiden Zeitzeugen Max Tzwangue und
Maurice Cling. Mit der Denkmalaufstellung 2009 wurde von einem Teil
des AK "Angreifbare Traditionspflege" die Kampagne in
Mittenwald beendet. Auch wenn sich in Mittenwald selbst einiges
bewegt haben mag, für den Umgang mit Entschädigungsforderungen und
der militaristischen Traditionspflege gilt das sicherlich nicht.
Allein seit Pfingsten 2009 sind neue Verfahren gegen deutsche
Kriegsverbrecher in Italien aufgerollt worden. Die Täter bleiben in
der BRD unbehelligt. Ehemalige italienische Militärinternierte
streiten immer noch um Entschädigung für Haft und Zwangsarbeit,
und das Entschädigungsverfahren der Überlebenden und Angehörigen
des Massakers griechischen Distomo hat im Verfahren vor dem
Internationalen Gerichtshof eine neue politische Dimension erreicht.
Die militaristische Traditionspflege und die Frage der
Entschädigung der Opfer von Kriegsverbrechen und deren Angehöriger
ist nicht nur geschichtspolitisch von Belang. Auch wenn sich
Vergleiche mit der NS-Massenvernichtung verbieten, so ist zur
Kenntnis zu nehmen, dass die Bundesregierung
Entschädigungsansprüche der Opfer von NS-Kriegsverbrechen nicht
zuletzt mit Blick auf die aktuellen Kriegseinsätze der Bundeswehr
ablehnt. Denn auch den Opfern des verbrecherischen Angriffs auf den
Tanklastzug von Kundus mit mindestens 120 Toten will die
Bundesregierung keine Klagemöglichkeit gewähren. Der aktuelle
Skandal um die Sauf- und Kotzrituale der Bundeswehrgebirgsjäger in
Mittenwald zeigt, wie tief verankert die militaristische
Traditionspflege in der Truppe bis heute ist. In Afghanistan soll
diese Elitetruppe der Bundeswehr mit dem ideologischen Rüstzeug der
Wehrmacht im Marschgepäck nun angeblich für Freiheit und
Menschenrechte kämpfen.
Deshalb wollen wir das Wochenende der Wiederaufstellung des
Denkmals in Mittenwald nutzen, um die Kampagne "Angreifbare
Traditionspflege" auszuwerten und gemeinsam aktuelle Fragen der
antifaschistischen und antimilitaristischen Bewegung zu diskutieren.
www.keine-ruhe.org/
Text: Mit freundlicher Genehmigung der antifaschistischen
nachrichten, Nr 5 2010
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