11.03.2010
Ein Drama
Bundesverfassungsgericht macht Rechte zu Siegern
Von Malte Hinz
Ich sehe sie schon vor meinem geistigen Auge in ihren
Stammkneipen sitzen, den Erfolg begießen und ausländerfeindliche
Sprüche johlen - die Rechtsextremen. Und längst nicht nur die in
Augsburg. Sie feiern. Das allein ist schon schlimm genug. Dass sie
allerdings nun in die Lage versetzt wurden, eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zu bejubeln, ist für Demokraten auch
außerhalb Bayerns ein Drama.
Die 1. Kammer des Ersten Senats am Bundesverfassungsgericht hat
der auf den Schutz von Ausländern und demokratischen Spielregeln
angelegten Debatte gegen Rechts unerwartet heftig in den Hacken
getreten. Das Gericht stellt sich auf den Standpunkt, dass
plakatierte Forderungen nach "Ausländerrückführung"
oder auch die Parole "Ausländer raus" allein keine
Volksverhetzung darstellten und deshalb vom Grundrecht auf
Meinungsfreiheit geschützt seien. Mit dieser allein
rechtstheoretischen und die gesellschaftspolitischen Realitäten
negierenden Entscheidung macht Karlsruhe die Akteure der Nationalen
Opposition in Augsburg zu Siegern. Und es erklärt die Richter von
Amts- und Landgericht Augsburg und selbst des Bayerischen Obersten
Landgerichts zu juristischen Deppen. Die hatten die Rechtsextremen
zuvor nämlich zu Geldstrafen verurteilt. Sie sahen in den Plakaten
völlig nachvollziehbar und (politisch) korrekt einen "Angriff
auf die Menschenwürde durch böswilliges Verächtlichmachen eines
Teils der Bevölkerung". Die Bundesverfassungsrichter wähnen
sich nun klüger und sind sicher, dass zu vollendeter
Volksverhetzung mehr gehört als die schon viel zu lange ertragenen
Parolen. Dem mit rechten Sprüchen angegriffenen Ausländer, sagt
die Kammer des Ersten Senats, müsse zumindest auch das
"Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit"
abgesprochen oder er müsse "als unterwertiges Wesen"
behandelt werden. Aber das genau, sehr verehrte Verfassungsrichter,
tun diejenigen, die ausländische Menschen aus Deutschland
rauswerfen oder sie - mit welchem Ziel auch immer - rückführen
wollen. Und zwar nicht nur (rechts-)theoretisch.
Westfälische Rundschau vom 06.03.2010, Seite 2
Mit freundlicher Genehmigung der WR.
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