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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.03.2010

Neonazis und Krieg 

Über das Bündnis von Militarismus und Faschismus damals und heute 

Von Ulrich Sander

50 Jahre Ostermarsch„Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern – wie Bergen-Belsen – kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der Versuchsexplosionen und der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung.“ So beginnt der Aufruf zum ersten deutschen Ostermarsch der Atomwaffengegner, der vor 50 Jahren von Hamburg und anderen norddeutschen Städten zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne führte.

Leider müssen wir heute feststellen: Der Aufruf von 1960 ist noch immer aktuell. Atomwaffen wurden immer weiter ausgebreitet. In unserem Land werden immer noch mindestens 20 Exemplare davon gelagert. Sie haben jeweils die vielfache Wirkung der Bombe von Hiroshima. Und er ist noch in anderer Hinsicht aktuell: Es droht das Beschweigen des faschistischen Krieges. Mit dieser Osteraktion entstand auch in der Bundesrepublik nach dem Vorbild der englischen Atomkriegsgegner die Ostermarsch-Bewegung als neue wirksame Kampfform gegen die Atomaufrüstung. Ihre Aussagen waren nicht nur gegen „die Bombe“, sondern auch – siehe oben – gegen die Wiederholung von Deutschland verursachter Katastrophen gerichtet. Zudem kamen bald neue Aussagen hinzu, so dass sich die Ostermarschbewegung bald Kampagne für Demokratie und Abrüstung nannte. Es ging gegen das atomare und konventionelle Wettrüsten, gegen den Krieg der USA in Vietnam und um die Demokratie, denn es drohten die Notstandsgesetze. Und stets hieß es: „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!“

Heute haben wir weitgehend getrennte Bewegungen gegen den Krieg und gegen die Nazis. Selbst wenn Friedensbewegte – wie in Dresden – gegen die Nazis antreten, dann spielen antimilitaristische Argumente kaum noch eine Rolle. Sind die Nazis friedlich geworden? Und sind die Friedensbewegten Josef Fischer und Rudolf Scharping auf den Leim gekrochen, die 1999 verkündeten: „Nie wieder Auschwitz“ bedeute heute Krieg gegen die neuen Hitler?

„Hitler bedeutet Krieg“, wurde 1933 gewarnt. Daraus wurden 1945 die Lehren gezogen. Doch die sollen wir möglichst vergessen. Robert Gates, der US-Verteidigungsminister, brachte es laut DIE ZEIT vom 24. Februar auf den Punkt. Er warnte vor einer „Entmilitarisierung“ Europas, die sich „von einem Segen im 20. Jahrhundert zu einem Hindernis für echte Sicherheit und dauerhaften Frieden im 21. Jahrhundert“ gewandelt habe.

Das Militärkonzept der Neonazis

Die Neonazis und die anderen Rechtsextremen können mit einer solchen Warnung sehr zufrieden sein. Sie sind – und da unterscheiden sie sich nicht von den Vertretern der offiziellen deutschen Militärpolitik – für eine starke Bundeswehr, gegen Abrüstung, für den „Kampf um deutsche Interessen“. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um das „Waffenhandwerk“ zu erlernen. Sie sind zahlreich in den Reservistenverbänden vertreten. Sie stehen in der Tradition der Hitler-Wehrmacht. Sie wollen die Grenzen in Europa ändern und Land im Osten zurückholen.

Neues Groß-Deutschland

„Gegen eine von der extremen Rechten imaginierte Funktion der Einkreisung als Mittel der Schwächung und Niederhaltung Deutschlands fordert sie Deutschlands ‚Lebensrecht’ und Mission,“ schreibt Fabian Virchow in seiner Studie über „Internationale Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der extremen Rechten“, die der Mitarbeiter des Marburger Universitätszentrums für Konfliktforschung unter dem Titel „Gegen den Zivilismus“ herausbrachte (Wiesbaden 2006). Die mit der „kleinstdeutschen Einheit vom Rhein zur Oder“ verbundenen Gebietsverluste werden beklagt: „Was ist schon ein Deutschland ohne Schlesien, Ostpreußen, Österreich oder Südtirol?“ (S. 112 bei Virchow) Die extreme Rechte, so Virchow, strebt mit ihrer Friedensrhetorik die Durchsetzung eines völkisch-arrondierten und mit umfassenden Gewaltmitteln ausgestatteten Groß-Deutschland an. „Dieses soll nach weitreichender Militarisierung von Militär und Gesellschaft als imperiale europäische Ordnungsmacht und weltpolitisch als Gegenpol gegenüber den USA auftreten.“

Seit Jahren begeht die rechte Szene in Dresden ihr „Gedenken an die deutschen Opfer“, für die sie Revanche wollen. Und seit Jahren zelebriert diese Szene in Dortmund am ersten Septemberwochenende – konträr zum Antikriegstag der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung – zudem ihren bundesweiten „nationalen Antikriegstag“. Das ist eine der dreistesten „Diskurspiraterien“ (nach der Übernahme linker Diskurse und Themen wie Antikapitalismus, Sozialpolitik und Interessenvertretung). Denn die Rechten sind wie eh und je für den Krieg, nur nicht für die gegenwärtig von Deutschland mit geführten Kriege, denn diese seien US-amerikanische und Israel-freundliche. Sie verlangen den weltweiten Sieg des „nationalen Sozialismus“, erst dann könne Frieden sein. Im gelobten Land Israel brauche es keinen Sieg des nationalen Sozialismus; „denn dann sind ja alle im Himmel“ (Siegfried Borchardt, alter Neonazikader aus Dortmund).

Antifaschistische Antwort

Erstmals haben sich ältere Antifaschisten in den Jahren 2008 und 2009 diesem Treiben mit sowohl antifaschistischen als auch antimilitaristischen Äußerungen entgegengestellt. Eine „Aktion 65 plus“ führte am 6. September 2008 in Dortmund einen 700köpfigen spontanen Demonstrationszug an. Am 5. September 2009 war erneut eine derartige Aktion erforderlich. Und so wird es wohl auch am 4. September 2010 sein, wenn die Nazis wieder zum Nationalen Antikriegstag nach Dortmund aufrufen. In der 65plus- Erklärung hieß es u.a.:

„Aktion 65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder. Bombennächte. Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ. Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden abgeholt. Nachts träumen wir davon. Die Nachfolger der Nazibande, die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt. Jahr für Jahr kommen sie nach Dortmund. Sie rufen „Nie wieder Krieg“ und fügen hinzu: „ ... nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen Sozialismus’“. Das Maß ist voll. Sie reden von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege. Zur schlimmsten Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.“

Revanche für den „verlorenen Krieg“

Es gibt Parallelen zwischen Dresden und Dortmund. In Dresden wollten die Nazis den Deutschen zum „Gedenken“ an die Bombardierung der Stadt im Jahre 1945 eine Opferrolle verpassen. Ein wehrloses Volk, bereits am Boden liegend, wurde bombardiert. Das Wort „Holocaust“ wird bemüht. Doch die Tatsache, dass die Naziaktionen von einer „ostpreußischen“ Jugendorganisation angeführt wurden, verweist uns nicht nur auf anmeldetaktische Erwägungen. Es geht um Revanche für den damals „verlorenen Krieg“. Es geht um Ostpreußen und die anderen verlorenen Provinzen. Die NPD ist die einzige Partei, die den Nachkriegsgrenzen nach Osten hin die Anerkennung verweigert, weil sie sie verändern will.

Im letzten Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 9.5.1945 finden sich die Worte: „Der deutsche Soldat hat, getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergessliches geleistet… Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen und in den schwersten Stunden unserer Geschichte tapfer und zuversichtlich an die Arbeit gehen für das ewige Leben unseres Volkes … Die Toten verpflichten zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus zahllosen Wunden blutenden Vaterland.“

Erst im Mai 1945 und nicht schon im Februar anläßlich der Katstrophe von Dresden hatte der Nazi-Soldat die Waffen aus der Hand gelegt, stets bereit zu neuen blutigen Taten „für das ewige Leben unseres Volkes“. Von Februar bis Mai lag das Reich nicht wehrlos am Boden. Die Nazi-Wehrmacht kämpfte an der Heimatfront, ermordete 700.000 Gefangene auf den Todesmärschen und in den Stalags. Dann wurde ein "Volkssturm" aufgerufen, um weiter zu kämpfen.

Das Bombardement auf Dresden war nicht die letzte überflüssige Kriegshandlung, wie die Nazis derzeit weismachen wollen. Ungezählt sind die Opfer der Kriegsendphasenverbrechen am eigenen Volk und an ausländischen Gefangenen. Den Versuch einer Bilanz dieser Morde habe ich in meinem Buch „Mörderisches Finale“ (Köln 2008) unternommen.

Die Neonazis fühlen sich „bedingungsloser Treue“ zum letzten Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht verpflichtet. Das ist ihre heutige Militärdoktrin. Deshalb genügt es nicht, den Nazis entgegenzutreten, weil sie Antidemokraten, Rassisten, Gewalttäter sind, weil sie eine blutige Diktatur planen. Sie planen auch blutige Kriege.

Bundeswehr ist verfassungswidrig

Doch die Frage Krieg und Frieden wird bei den meisten Antifa-Aktionen ausgespart. Bei den Äußerungen gegen Rechts seitens der etablierten Parteien sowieso, denn sie führen ihre Kriege. Sie führen Angriffskriege, obwohl dies zum Beispiel im Potsdamer Abkommen und im Urteil von Nürnberg über die Hauptkriegsverbrecher als das schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ja gegen die Menschheit bewertet wurde: Die Vorbereitung, die Auslösung und Führung von Angriffskriegen. Davon zeugt noch immer Artikel 26 des Grundgesetzes, aber kein hohes Gericht und kein führender Politiker ist bereit, diesen Artikel zu respektieren.

Überhaupt ist eine völlige Gesetzlosigkeit und Verfassungswidrigkeit des heutigen deutschen Militärwesens festzustellen. Ein Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung vom 25. Januar 2010 lautet auszugsweise: „Zu den Grundfragen, die der Afghanistan-Krieg aufwirft, gehört die Frage nach der verfassungsrechtlichen Grundlage solcher Einsätze. Das Grundgesetz ist der blinde Spiegel der Bundeswehr. Die deutsche Armee schaut hinein, sie sieht sich aber nicht mehr. Die Bundeswehr im Sinn des Grundgesetzes ist Vergangenheit, es gibt sie nicht mehr. Von der neuen Bundeswehr aber findet sich in der Verfassung kein Wort. Die Bundeswehr steht nicht mehr auf dem Boden des geschriebenen Grundgesetzes - die Panzer im Auslandseinsatz rollen an der Verfassung vorbei, die Flugzeuge donnern darüber hinweg. Der Verteidigungsminister müsste heute, streng genommen, Kriseninterventionsminister heißen. Das Grundgesetz sollte aber doch, ja es muss ein Vademecum sein für alle Staatsbürger in Uniform. Die Antworten auf fundamentale Fragen der Nation, die Antwort auf die Fragen, in denen es um die Staatsgewalt im Wortsinn, um Leben und Tod geht, die müssen in der Verfassung stehen." (Heribert Prantl SZ, 25. 01.10)

Von ganz besonderer Verfassungswidrigkeit ist die „Zivilmilitärische Zusammenarbeit“ von Bundeswehr, Polizei, Geheimdiensten, Katastrophenschutzorganisationen und anderen Institutionen im Innern geprägt. Die Lehren von 1945, diese Institutionen zu trennen, werden missachtet. Die Institutionen sind nunmehr in Krisenstäben und Kreiskommandos in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten vereint. Zudem werden in großer Zahl Reservisten in diese Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern und Äußeren einbezogen. Darunter sind sehr rechte Kräfte.

Reservistenbewegung wird rechts ausgerichtet

Mit der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) und dem neuen Reservistengesetz werden zusätzlich Hunderttausende Soldaten – auch über ihre Dienstzeit hinaus – zum Einsatz im Innern und Äußeren verpflichtet. Reservistenverband und Bundeswehrverband bekommen somit größeren Einfluss. In ihnen haben vielfach rechtsextreme Elemente das Sagen, wie kürzlich in einer Sendung von Frontal 21 im ZDF bekannt wurde. In beiden Verbänden bestehen kaum Vorbehalte gegenüber Neonazis und Rechtsextremisten. Sie können nach den Satzungen beider Verbände nicht einmal ausgeschlossen werden. So gehörten Udo Voigt und Hannes Knoch dazu. Voigt ist Hauptmann der Reserve und NPD-Bundesvorsitzender. Knoch ist Stabsunteroffizier der Reserve und Aktivist der verbotenen Neonazi-Organisation „Blood & Honour“. Zudem betreibt Knoch in Munster/Lüneburger Heide einen Laden für Militärausrüstung und veranstaltet Militärübungen, an denen auch Rechtsextremisten teilnehmen. Er bietet immer wieder Scharfschützenlehrgänge und Einzelkämpferausbildungen an. Der Chef der NPD, Udo Voigt, äußert sich öffentlich antisemitisch und rassistisch – gleichzeitig war er jahrelang Hauptmann der Reserve und Mitglied im Bundeswehrverband. Verbandsmitgliedschaft und Reservistenstatus sind Leuten wie Voigt und Knoch nur abzuerkennen, wenn sie zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt sind, wusste die Süddeutsche Zeitung zu berichten. Inzwischen wurde Voigt ausgeschlossen. Aber was ist mit den vielen anderen Rechten?

Tausende Reservisten sind Neonazis

Da seit über zehn Jahren ein Aufruf in Neonazikreisen kursiert, nach dem alle „nationalen Kameraden“ unbedingt den Waffendienst bei Polizei und Bundeswehr erlernen sollen, ist damit zu rechnen, dass inzwischen unter den Reservisten Tausende unerkannte Neonazis sind.

Wer heute einsatzfähiger und ausgebildeter Reservist ist – und das sind mindestens eine Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren – der muss nicht nur wie bisher mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit Einsätzen wie in Heiligendamm (hier wurden Panzerfahrzeuge und Tornadoflugzeuge gegen Demonstranten eingesetzt) und am Hindukusch. Aus Blättern der Reservistenverbände aus Kulmbach und Jena erfuhren wir am 12. 11. 09 z.B.: Ein Bürgerkriegsmanöver in bayerischen Schwarzenbach am Wald fand mit großer Reservistenbeteiligung statt. Dabei wurde der Umgang mit demonstrierenden Friedensaktivisten sowie die Verteidigung einer inländischen Radarstation gegen schwer bewaffnete Terroristen trainiert. An der Übung beteiligten sich neben Soldaten und Reservisten des Landeskommandos Bayern auch zivile Rettungs- und Sanitätsdienste. Das Manöver, das bereits im Oktober stattfand, widerlegt die von Berlin vorgebrachte Behauptung, die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Inland diene nur der Hilfeleistung bei besonders schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen.

Die Rechtsentwicklung in der Bundeswehr – auch ausgewiesen durch sich immer mehr häufende Fälle von Folterübungen, von offen rechtsextremen Auffälligkeiten und Brutalitäten – nimmt zu. Wenn am 4. September die Nazis und Neonazis ihren „nationalen Anti-Kriegs“-Aufmarsch in Dortmund tatsächlich durchführen wollen, sollte sich eine breite demokratische Blockadebewegung dem entgegenstellen. Es geht um den Frieden und die Demokratie. Um Antifaschismus und Antimilitarismus. (PK)

Ulrich Sander ist Sprecher der VVN/BdA Nordrhein-Westfalen

Mit freundlicher Genehmigung der www.nrhz.de/