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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

16.02.10

Die Gebirgsjäger "jagen" wieder

Rezension zu "Eine Mordstruppe" von Ulrich Sander

Von Dr. Siegfried Ransch, Berlin

Vorabdruck einer Rezension für "Rundbrief" (herausgegeben von der AG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei "Die Linke"), März 201, die Schrift "Eine Mordstruppe" von Ulrich Sander betreffend (herausgegeben vom Bundesausschuss der VVN-BdA, Herbst 2009, zu beziehen bei vvn-bdanrw@freenet.de)

Der Bundesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hat im Herbst 2009 eine beachtenswerte Dokumentation herausgebracht. Ihr Titel: "Eine Mordstruppe. Die Wahrheit über den völkisch-militaristischen Gebirgstruppen-Kameradenkreis. Zu einem juristisch-politischen Streit". Für die Dokumentation zeichnet verantwortlich Ulrich Sander.

In der Dokumentation geht es namentlich um den "Kameradenkreis der Gebirgstruppen e.V." (weiterhin KKG abgekürzt, d.Verf.), eingetragen im Vereinsregister München. Er wurde 1951/1952 von "Gebirgsjägern" gegründet, die in der faschistischen Wehrmacht gedient hatten. Gründer des Kameradenkreises war der Wehrmachtsgeneral Rudolf Konrad (1891-1964). Nach ihm ist eine Bundeswehr-Kaserne in Bad Reichenhall benannt.

Gegenwärtig wirbt auf seiner Homepage der KKG für sich euphemistisch mit dem Spruch: "Kameradschaft, Tradition, Völkerverständigung unter dem Edelweiß". Er soll etwa 5 000 Mitglieder haben. Der KKG weist viele regionale Kameradschaften aus, allein in Oberbayern 11, in Schwaben 8, weitere in Niederbayern, Mittel- und Oberfranken, in Baden Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Rheinland-Westfalen, Westerzgebirge/Vogtland und Thüringen. Außerdem gibt es "Traditionskameradschaften", so die der 1. Gebirgsjägerdivision der Wehrmacht.

Am Hohen Brendten bei Mittenwald unterhält der KKG auf privatem Gelände, eingebettet in eine Bundeswehrliegenschaft, das zentrale Denkmal für die Gebirgstruppe. Mittenwald war nach 1933 ein Garnisonstandort und Ausbildungszentrum für die Gebirgstruppe der Wehrmacht. Ab 1956 übernahm die Bundeswehr den Standort. Heute befindet sich in Mittenwald die "Gebirgs- und Winterkampfschule" der Bundeswehr.

Alljährlich zu Pfingsten kommen zum Hohen Brendten "alte" und junge "Kameraden", führende Vertreter der Bundeswehr und der bayerischen Regierung. Der Aufzug gilt als größtes deutsches Traditions-Soldatentreffen. Dass natürlicherweise weniger und weniger "alte Kameraden" kommen, kann nicht das Verhängnisvolle an dieser Art von Gedenken und Traditionspflege mildern.

Seit 2002 gehen die militaristischen Weiheveranstaltungen in Mittenwald nicht mehr unwidersprochen durch. Insbesondere die Gruppe "Angreifbare Traditionspflege" - der Name enthält eine ironische Anspielung auf eine Formulierung des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der die "1. Gebirgsdivision" der Bundeswehr mit ihrem Namen aus faschistischen Zeiten eine Truppe mit "unanfechtbarer Traditionspflege" nannte - hatte sich mit Hinterbliebenen griechischer Opfer von Verbrechen der Gebirgsjäger solidarisiert und sich für deren Entschädigung eingesetzt.

Die Soldaten der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 aus Mittenwald ermordeten am 16. August 1943 im nordgriechischen Kommeno in einer "Vergeltungsaktion" 317 wehrlose Menschen, Greise, Frauen und Kinder. 172 Frauen und 145 Männer. 97 sind jünger als 15 Jahre, 14 älter als 65. 13 sind ein Jahr alt. 38 Menschen verbrennen in den Häusern, von denen 181 zerstört werden. Die Gebirgsjäger tun sich hervor mit Morden, Plündern und Leichenfleddern.

Die Gruppe "Angreifbare Traditionspflege" (Ralph Klein, Martin Klingner, Regina Mentner, Dr. Markus Mohr, Lars Reissmann, Stephan Stracke u.a.) und die VVN-BdA machten in Mittenwald den Widerspruch deutlich. Sie dokumentierten faschistische Verbrechen und nannten Namen von nachweisbaren und vermutlichen Tätern, darunter auch von noch Lebenden. Nachzulesen im Buch "Mörder unterm Edelweiß", eine Dokumentation des Hearings 2003 zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger" (Beiträge von Ludwig Baumann, Ludwig Elm, Peter Gingold, Manolis Glezos, Ulrich Sander u.a.) und nun auch in der Dokumentation "Eine Mordstruppe".

Von Angehörigen faschistischer Gebirgstruppen wurden äußerst grausame Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, in Polen, in der Sowjetunion, in Balkanländern, in Griechenland und Italien. Hier sei nur ein ungeheures Kriegsverbrechen genannt.

Im September 1943 verübte die 1. Gebirgsjäger-Division, mit Unterstützung der Luftwaffe, ein Massaker unter etwa 4 000 italienischen Kriegsgefangenen, die sich auf der griechischen Insel Kephallonia befanden. Etwa 2 500 von ihnen starben auf der Insel durch Hinrichtungen und massive Bombardements der Luftwaffe, etwa 1 500 Gefangene starben beim Abtransport, weil die Schiffe untergingen. Das Kriegsverbrechen wurde von Hermann Frank Meyer umfassend recherchiert. Das Ergebnis der Recherchen ist in seinem Buch "Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg" nachzulesen.

Einzig der Befehlshaber General Hubert Lanz wurde in Nürnberg, in einem der Alliierten-Prozesse (Fall VII, Geiselmord-Prozess gegen die Süd-Ost-Generäle) 1948 verurteilt, zu zwölf Jahren, kam aber nach drei Jahren wieder frei. Er wurde Berater der FDP für Sicherheitspolitik, baute den Kameradenkreis mit auf und war dessen Ehrenpräsident.

Gebirgsjäger-General Lanz in einem Tagesbefehl vom 1. Oktober 1943: "Ich erwarte, dass die 1. Gebirgsdivision diesen ruchlosen Banditenmord an einem unserer besten Kommandeure in einer schonungslosen Vergeltungsaktion in 20 Kilometer Umkreis der Mordstelle rächen wird." Originalton Lanz, aus den Weihnachtsmitteilungen der ehemaligen deutschen Gebirgstruppen 1952: "Mögen feindliche Tribunale über uns Soldaten urteilen, wie sie wollen, für uns sind allein unser gutes Gewissen und die Überzeugung treu erfüllter Pflicht maßgebend… Fragen wir uns, was denn dieser furchtbare Krieg als Bestes gab, dann meine ich, es ist die Kameradschaft, jene Zusammengehörigkeit, die uns alle irgendwie verbindet bis ans Ende unserer Tage." Diese unbarmherzige, völkisch-nationalistische und militaristische Position wurde in der Zeitschrift "Gebirgstruppe", im Dezember 2002 als "historischer Beitrag" abgedruckt; er soll - so die Redaktion - "vor allem für unsere jüngeren Leser die Haltung und die Sittlichkeit dokumentieren, wie sie die alte Gebirgstruppe auszeichnete."

Diese "Haltung" und "Sittlichkeit", wir finden sie bereits im letzten Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 9.5.1945: "…Der deutsche Soldat hat, getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergessliches geleistet… Den Leistungen und Opfern der deutschen Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird auch der Gegner die Achtung nicht versagen. Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen und in den schwersten Stunden unserer Geschichte tapfer und zuversichtlich an die Arbeit gehen für das ewige Leben unseres Volkes…

Die Toten verpflichten zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus zahllosen Wunden blutenden Vaterland."

Weil in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland die alten herrschenden Klassen aus Finanz- und Industriekapital sowie Großgrundbesitz und Adel unter neuen nationalen und internationalen Bedingungen weiterhin die Machthaber waren, hatten hohe Offiziere der faschistischen Wehrmacht, die für dieses "Volk für immer Unvergessliches geleistet" hatten, keinerlei Probleme, die Bundeswehr aufzubauen.

Unter ihnen war auch der Gebirgsjäger Karl-Wilhelm Thilo (1911-1997), der zu den Gründungsmitgliedern des KKG gehörte. Nach seinem Tod erschien in der KKG-Zeitschrift "Die Gebirgstruppe" (3/1997) ein Nachruf. Zu seiner Vita heißt es: "… Dienst als Generalstabsoffizier im OKH. Von Dezember 1942 bis Oktober 1944 war er während der harten Einsätze im Kaukasus, Kubanbrückenkopf und auf dem Balkan Ia der 1. Geb.Div. Die letzten Kriegsmonate war er Abt.leiter im OKW. Bei Kriegsende ging er als Oberst i.G. in amerikanische Gefangenschaft, aus der er 1947 heimkehrte. Nach 8jähriger Tätigkeit in der Holzindustrie trat er 1956 in die Bundeswehr ein… Seine glänzende militärische Karriere schloß er als Kommandierender General des II. Korps ab… Hervorzuheben ist auch sein mutiges Eintreten als General a.D. gegen die Diskriminierung der Wehrmachtangehörigen."

Diskriminierung der Wehrmachtsangehörigen? Gemessen an den Maßstäben des Oberkommandos der Wehrmach vom Mai 1945, ist jede wahrheitsgemäße Darstellung der faschistischen Militärmaschinerie (Wehrmacht, SS sowie Sicherheitsdienst- und Sicherheitspolizeitruppen) und des faschistischen Krieges eine Diskriminierung. Man erinnere sich nur an die Auseinandersetzungen um die erste Wehrmachtsausstellung. In der Bundestagsdebatte zur Ausstellung am 13. März 1997 erklärte Alfred Dregger (1920-2002; Bataillonskommandeur der Wehrmacht, 1982-1991 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nach ihm ist die Landesgeschäftsstelle der CDU in Hessen benannt): "Die meisten der deutschen Soldaten, die Leib und Leben für ihr Land riskierten und unendliches Leid ertragen mussten, können zu Recht darauf hinweisen, dass sie selbst an Hitlers Kriegsverbrechen nicht beteiligt gewesen seien… Anlässlich der Verabschiedung der letzten russischen Soldaten aus Deutschland am 31. August 1994 erklärte der russische Präsident Jelzin in Berlin, das deutsche Volk sei an diesem Krieg nicht schuld gewesen, man habe in Moskau immer zwischen dem großen deutschen Volk und der verbrecherischen Clique, die sich seiner bemächtigt habe, zu unterscheiden gewusst. Diese noble Feststellung ist richtig. (Man vergleiche mit OKW Mai 1945. d. Verf.) Auch wir Deutsche unterscheiden selbstverständlich zwischen dem großen russischen Volk, dem wir in vielfältiger Weise verbunden sind, und seiner verbrecherischen Führung unter Stalin." Diese Art von Geschichtsrevisionismus ist weit verbreitet, nicht nur in den oberen Regionen der Gesellschaft, sondern auch "unten".

Für die Sendung "Kontraste" des RBB waren in Mittenwald folgende Äußerungen zu hören:

Kontraste: Was sagen Sie denn, dass auch Verbrechen von den Gebirgsjägereinheiten begangen wurden?

Veteran: Das waren in den meisten Fällen Partisanen. Darüber sollte man berichten.

Kontraste: Da waren aber auch viele Frauen, Kinder, wehrlose Zivilisten?

Veteran: Auch die Frauen waren Partisanen und die Kinder, die Kinder dazu.

Veteran: "Wir haben ja auch nicht geschossen. Die Anderen haben zuerst geschossen, also verteidigt man sich. Ganz logisch, oder?

Und der Präsident des KKG, Manfred Benkel, erklärt heuchlerisch: "Dort wo das Individuum versagt hat, bitte ich im Namen aller Mitglieder des Kameradenkreises die Opfer um Vergebung. Und wo dem Einzelnen Schuld nachgewiesen wird, muss er sich verantworten, in letzter Instanz vor Gott."

Benkel weiß sehr wohl, welche alten "Kameraden" im KKG waren bzw. noch sind, auch ehemalige Angehörige der SS, so des Polizeijägerregiments 18. Diese SS-Formation war an der Deportation griechischer Juden nach Auschwitz beteiligt. Einem dieser "Kameraden" brachte die Bundeswehr zum Geburtstag ein Ständchen. "Kontraste" fragte: "Wie erklären Sie so eine Ehrenformation für einen ehemaligen SS-Polizeigebirgsjäger?" Manfred Engelhardt, Generalmajor der Bundeswehr, antwortet: "Das kann ich zur Zeit nicht bewerten, weil mir dazu keine Informationen vorliegen." Ob der Bundeswehr auch Informationen fehlen, wenn sie zum Pfingsttreffen in Mittenwald "Ein kleines Edelweiß" spielt, ein Marschlied der Wehrmacht?

Bewohner von Mittenwald äußerten am Rande des 2005 veranstalteten Pfingstreffens des KKG spontan gegenüber dem Rundfunk Berlin Brandenburg (Kontraste, 26.5.2005):

"Die sollen mal für die jungen Leute den Arbeitsdienst einführen, dass sie das Arbeiten lernen und nicht da mit der Streikerei hochgepeppelt werden."

"Wenn ich das schon höre, Kriegsverbrechen. Die haben ja gehen müssen,… die sind ja nicht freiwillig gegangen. Das waren ja Soldaten, oder?"

"Wir sind schon das Melkvolk, oder was meinen Sie, was wir schon den Israelis gezahlt haben, ha den Juden. Pah."

Diskriminierung der Wehrmachtsangehörigen? Lanz wurde wenigstens noch verurteilt, aber Reinhold Klebe, der das Todesurteil gegen den italienischen General Gandin verlesen und das Massaker von Kommeno befehligt hatte, wurde im Juli 1956 Standortältester der Bundeswehr in Mittenwald.

Diskriminierung der Wehrmachtsangehörigen? Im Zusammenhang mit dem Massaker von Kephallonia gab es insgesamt vier juristische Hauptverfahren, darunter das eine der Alliierten. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft führte seit 1964 ein Ermittlungsverfahren durch, das vier Jahre später mit haarsträubenden Erklärungen eingestellt wurde. 1999 wurde es von Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß wieder aufgenommen. Es wurden etwa 3500 Wehrmachtsangehörige überprüft, darunter auch der ehemalige Leutnant Otmar M., der ein Erschießungskommando auf Kephallonia befehligte. Das Verfahren wurde zuständigkeitshalber nach München abgegeben. Dort wurde es 2007 eingestellt.

Maßgeblich den Aktionen deutscher Antifaschisten, internationalen Protesten sowie Prozessen in Italien, die zu Verurteilungen führten - die deutschen Behörden lehnten die Auslieferung der Täter ab und ließen sie unbehelligt - ist es zu danken, dass in München der Prozess gegen den ehemaligen Gebirgsjäger Josef Scheungraber zustande kam. Scheungraber ist angeklagt, im Sommer 1941 die Ermordung von 14 Zivilisten im italienischen Falzano di Cortona angeordnet zu haben. Scheungraber nahm bis vor kurzem, immer noch rüstig, am Kameradentreffen in Mittenwald teil. Der KKG unterstützt selbstverständlich seine Verteidigung. Zu den drei Verteidigern Scheungrabers gehört auch Rechtsanwalt Klaus Goebel. Er verteidigte bereits den NS-Täter Anton Malloth und den britischen Auschwitz-Leugner David Irving. Nach elf Monaten endete im August 2009 das Verfahren mit einer Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes und Mordversuchs an italienischen Zivilisten. Das Münchner Schwurgericht betonte im Urteil die Völkerrechtswidrigkeit der "Vergeltungsmaßnahmen" in der Toskana. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.

In den jahrelangen Auseinandersetzungen antifaschistischer Demokraten mit dem KKG sowie der "Traditionspflege" der Gebirgstruppe geht es wesentlich auch um das heutige, kriegführende Deutschland. Im neuen Heer ist die Gebirgsjägerbrigade 23, mit 6 500 Mann einziger Gebirgsinfanterie-Großverband der Bundeswehr, eine von vier Brigaden der "Stabilisierungskräfte". Die Bundeswehr preist ihre Fähigkeiten: Kampf unter extremer Witterung, Kampf im schwierigen und im urbanen Gelände, Einsatz im Gebirge und im Hochgebirge, in der Wüste und im arktischen Gelände sowie Einsatz im erweiterten Aufgabenspektrum. Letztere "Fähigkeit" dürfte wohl eine Umschreibung für grundgesetzwidrige Einsätze im Ausland sein.

Mitte Januar 2010 trat der "Verteidigungsminister" Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg vor den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall auf. Er verkündete, dass er mit Stolz auf seine frühere Zugehörigkeit zur Gebirgsjägerbrigade 23 zurückblicke. Er wurde 1991/92 in Bad Reichenhall zum Gebirgsjäger ausgebildet. Fast ununterbrochen sei die Gebirgsjägerbrigade im Einsatz: in Somalia, auf dem Balkan, im Sudan, in Georgien und in Afghanistan, "im Interesse Deutschlands", und sie seien "Ausdruck der internationalen Verpflichtungen".

Da kommen mir, dem Autor dieser Rezension, sofort die entsetzlichen Fotos wieder vor Augen, auf denen lachende Bundeswehrsoldaten zu sehen waren, die ihre "Späße" mit Totenschädeln von Afghanen trieben. Das waren Gebirgsjäger. Da darf ein Bundeswehrsoldat auch schon mal ungestraft eine Frau und Kinder erschießen, es hätten ja "Terroristen" sein können.

Erinnert sei auch an den ehemaligen Kommandeur des "Kommandos Spezialkräfte" (KSK), Günzel, der entlassen werden musste, weil er öffentlich für einen hessischen CDU-Funktionär eingetreten war, der eine rechtsextreme, geschichtsrevisionistische Rede gehalten hatte. Er musste aus der CDU ausgeschlossen werden. Bis heute blieb geheim, welche "Einsätze" das KSK in Afghanistan ausführte. Auch die Fortführung des KSK unter anderem Namen blieb bis vor kurzem geheim. Erst nach dem Massaker von Kundus, bei dem etwa 140 Menschen starben, lüftet sich nach und nach der Schleier über der Kriegsführung in Afghanistan.

Seit der Bombardierung Jugoslawiens ist die SPD wieder eine ganz besondere deutsche Kriegspartei. Zu ihr passte es, als der "Verteidigungsminister" Struck (SPD) die Losung ausgab: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Wie schrecklich aktuell ist doch Kurt Tuchplsky, der 1926 einem Kieler SPD-Abgeordneten, der geschrieben hatte, "dem Wesen der Sozialdemokratie entspricht der Gedanke der Wehrhaftmachung des Volkes", antwortete: "Das ist nicht wahr… die Partei hat vor dem Kriege in Theorie und Praxis hundertmal bewährt, dass sie wohl gewusst hat, was das Heer ist: ein Instrument in den Händen der herrschenden Klasse zur Führung von kapitalistischen Wirtschaftskriegen und zur Unterdrückung des "inneren Feindes". Es heißt das Andenken an die Sozialdemokratin Rosa Luxemburg schänden, wollte man das umlügen." (Kurt Tucholsky, Deutsches Tempo, Rowohlt1985, S. 503/04)

Während der großen Koalition von CDU/CSU und SPD, von 2006 bis 2009, hat die Fraktion der Partei "Die Linke" ein halbes Dutzend Anfragen an die Bundesregierung zu "Gedenkfeier des Kameradenkreises Gebirgstruppe in Mittenwald, antifaschistische Proteste und die Haltung der Bundeswehr" eingebracht. In den Antworten der Bundesregierung wird auf die geschichtsrevisionistische Tätigkeit des KKG grundsätzlich nicht eingegangen. Aussagen von Privatpersonen bewerte man nicht. Der KKG habe erklärt, dass er auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Punktum.

Diese geschichtsrevisionistische Verschleierung ruft eine erneute Anfrage hervor. Und nun erfolgt eine Antwort, die im Gedächtnis behalten werden sollte, als Ausdruck eines reaktionären Dünkels, gepaart mit Unverschämtheit und Demagogie. Es heißt: "Die Achtung vor der Würde des Menschen, wie sie in Artikel 1 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt, bedeutet, aller Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft zu gedenken. Dies entspricht dem gemeinsamen Verständnis bei Totenehrungen in der Bundesrepublik Deutschland und ist Zeichen menschlicher Kultur und Würde. Artikel 1 unseres Grundgesetzes kennt keine "Unpersonen". Die historische und gegebenenfalls juristische Bewertung von Verhalten und Taten Einzelner steht damit nicht im Widerspruch. Zudem ist keine praktische Handlungsmöglichkeit vorstellbar, wie der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in einer solchen Weise gedacht werden könnte, dass zugleich auch alle schuldig gewordenen Einzelpersonen dabei namentlich ausgeschlossen würden."

Man bedenke, jenen, die die faschistischen Mörder gerade aus dem Dunkel der "Unpersonen" ins Licht der öffentlichen und juristischen Gerechtigkeit stellen wollen, denjenigen, die es nicht zulassen wollen, dass mit der Formel "Kriegsverbrecher sind auch nur Menschen und Opfer" alle menschenwürdigen Unterschiede zwischen Mörder und Mordopfer verschwiegen werden sollen, denen wird regierungsamtlich mitgeteilt, es gebe in Deutschland nur ein gemeinsames Verständnis bei Totenehrungen, nur dieses sei Zeichen menschlicher Kultur und Würde, und praktisch könne beim Gedenken nicht zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden.

Zur "Absegnung" dieser verlogenen Opfer-Ehrung verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der Partei "Die Linke" darauf, dass im "Mittelpunkt der Veranstaltung" in Mittenwald ein Feldgottesdienst "zum Gedenken der Gefallenen der Weltkriege" stehe.

Tatsächlich wird alljährlich beim Mittenwalder Gebirgsjäger-Treffen ein ökumenischer Gottesdienst zelebriert. Und es ist zu fragen, in welcher Tradition sich die beiden Kirchen da befinden? Sie haben in zwei Weltkriegen auf Seiten des deutschen Imperialismus gestanden.

In Bayern sollte sich die Katholische Kirche, außer an den Papst, auch an das "Katholische Feldgesangbuch" erinnern, genehmigt vom Katholischen Feldbischof der deutschen Wehrmacht am 24. August 1939, eine Woche vor dem Überfall auf Polen. Am Beginn des "Katholischen Feldgesangbuches", unter der Überschrift "Deutsches Soldatentum", heißt es: "1. Die Wehrmacht … schützt das Deutsche Reich und Vaterland, das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum. Die Wurzeln ihrer Kraft liegen in einer ruhmreichen Vergangenheit, im deutschen Volkstum, deutscher Erde und deutscher Arbeit. Der Dienst in der Wehrmacht ist Ehrendienst am deutschen Volke.

2. Die Ehre des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens."

Im katholischen Feldgesangbuch folgt der "Fahneneid des deutschen Soldaten" auf Adolf Hitler. Die Kirche schließt eigene "Gebete" an. In einem heißt es: "An der Front ist mein Platz, und wenn es mir noch so schwer fällt. Falle ich dort, was macht das! Morgen läuten die Glocken das Auferstehungsfest ein - welch eine Hoffnung! Sterben müssen wir alle einmal, und einen Tod, der ehrenvoller wäre als der auf dem Schlachtfeld in treuer Pflichterfüllung, gibt es nicht." In einem anderen Gebet heißt es: "Laßt uns alle unter seiner (Hitlers) Führung in der Hingabe an Volk und Vaterland eine heilige Aufgabe sehen, damit wir durch Glauben, Gehorsam und Treue die ewige Heimat erlangen im Reiche Deines Lichtes und Deines Friedens. Amen."

Deutschland ist wieder Akteur in Kriegen. Für die Kirchen steht wieder, auf Leben und Tod, die Frage: Quo vadis? Als kürzlich die leitende Vorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischöfin Margot Käßmann, mit den Worten "Nichts ist gut in Afghanistan" offen den Krieg in Afghanistan ablehnte und äußerte: "Es kann nur darum gehen zu fragen, wie wir einen geordneten Rückzug antreten und wie eine zivile Lösungsstrategie gefunden werden kann", da löste sie bei allen Bellizisten einen Sturm der Empörung aus. Der EKD-Militärbischof Martin Dutzmann erklärte sofort, trotz ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr halte die Evangelische Kirche Deutschlands militärische Gewalt im Notfall für unverzichtbar. Trotz des Gebotes, nicht zu töten, gebe es aus christlicher Perspektive Situationen, in denen Gewalt ausgeführt werden müsse.

Der Minister und Gebirgsjäger zu Guttenberg, der umgehend das "Gespräch" mit Bischöfin Käßmann suchte, erklärte: "Grundsätzlich bin ich sehr dankbar dafür, dass beide Kirchen auch in Afghanistan selbst mit der Militärseelsorge zur Unterstützung unserer Soldaten beitragen. Ich bin mir sicher, dass Frau Käßmann das sicherlich nicht herabgewürdigt sehen will."

Der Minister ist über die Stimmung im Volk beunruhigt. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass zurzeit auch die Mehrheit der Christen in Deutschland den Krieg in Afghanistan ablehnt. Und es muss hier erwähnt werden, dass gegen die verhängnisvolle Art der Traditionspflege in Mittenwald Jahr für Jahr auch Christen protestieren.

Aufschlussreich In der VVN-BdA-Dokumentation sind die Mitteilungen über die unerhörten Nachstellungen, mit denen der Journalist Ulrich Sander seitens des Gebirgsjäger-Kameradenkreises und von Justizorganen überzogen wurde. Im Mai 2009 fand ein Prozess Kameradenkreis Gebirgstruppe vs. Sander/VVN-BdA im Nürnberger Landgericht statt. Bei diesem Prozess handelte es sich bereits um den dritten Versuch des "Kameraden-Kreises", den Journalisten Ulrich Sander mundtot zu machen. Wer ist dieser Journalist?

Zu diesem Prozess hatte Ulrich Sander eine Rede mitgebracht, die zu halten ihm keine Gelegenheit gegeben wurde. In dieser "unerwünschten" Rede erinnert er daran, dass in diesem Gebäude des Nürnberger Landgerichts der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher stattfand. Es ging um die Wahrheit über Krieg und Faschismus, über das verbrecherischste Regime der Menschheitsgeschichte. In dem Verfahren gegen ihn und die VVN-BdA - Sander ist einer ihrer Bundessprecher - gehe es wieder um die Wahrheit über Krieg und Faschismus. (Einige Formulierungen Sanders waren aus ihrem Sinnzusammenhang gelöst worden, um den wahrheitsgemäßen Sinn seiner Aussagen überhaupt anzugreifen.) Ulrich Sander nennt dann Motivationen für seine Grundhaltung gegen Faschismus und imperialistische Kriege. Er sieht sich "als kleines Kind in brennenden bombardierten Straßen Hamburgs. Dann die Erinnerung an die Schule Am Bullenhuser Damm, in die ich 1947 eingeschult wurde. Wir bekamen die Schulspeisung in einem Keller", von dem sein Vater ihm sagte, dass hier im April 1945 zwanzig jüdische Kinder ermordet wurden, an denen zuvor in Auschwitz und Neuengamme verbrecherische "medizinische" Versuche vorgenommen worden waren. "Meine Eltern sagten mir schon früh, man müsse die Wahrheit wissen über jene Zeit und sie aussprechen, und diese Wahrheit darf nie wieder unterdrückt werden - sonst wiederholt sich alles." Dieser Grundhaltung ist Ulrich Sander seit vielen Jahrzehnten in einem umfangreichen journalistischen und publizistischen Werk und durch unzählige andere demokratische Aktivitäten treu geblieben.

Wohl deshalb beginnen 2003, ausgelöst vom "Kameradenkreis Gebirgstruppe", unerhörte Verfolgungen Sanders. Der KKG präsentierte plötzlich ein Schreiben, angeblich vom Leiter der Zentralstelle in Dortmund für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen, in denen Mitgliedern des KKG als Kriegsverbrechern gedroht wurde. Eine vollkommen durchsichtige Fälschung. Diese Fälschung wird als "Amtsanmaßung" willkürlich Sander und der VVN-BdA, Landesverband Nordrhein-Westfalen, unterstellt. Es beginnt eine geheime Observierung, im Dezember 2003 werden die Wohnung der Familie Sander und die Büroräume des Landesverbandes der VVN-BdA durchsucht. Sanders Archiv wird beschlagnahmt, sämtliche Daten auf seinem Computer werden geraubt. Erst nach Jahren wird diese willkürliche Verfolgung eingestellt. Es folgen auf Veranlassung des KKG gerichtliche Auseinandersetzungen 2008 und 2009, über die in der Dokumentation nachzulesen ist, die aber hier nicht näher dargestellt werden können.

Nur so viel: Der KKG hatte aus einem Satz von Ulrich Sander herausgelesen, bei dem "Kameradentreffen" in Mittenwald träfen sich größtenteils Kriegsverbrecher, obwohl der Satz bei Sander einen anderen Sinn hatte. Sander präzisierte daraufhin die Aussage. Der Vorsitzende des KKG, Oberst a. D. Benkel hatte übrigens seinen Einspruch in einem Brief an Ulrich Sander auch wie folgt begründet: die Gebirgsjäger der Wehrmacht waren "nicht Angehörige einer "NS-Gebirgstruppe", sondern Angehörige von Gebirgstruppenteilen der Wehrmacht, die ja gerade keine NS-Organisation war. Den Soldaten der Wehrmacht war die Mitgliedschaft in der NSDAP nicht erlaubt." Da kann man mit Karl Kraus nur sagen: Saudumm und Gomorrah.

Der KKG kann vor Gericht durchaus nicht rundum siegen, aber dennoch sollen Sander bzw. VVN-BdA hohe Kosten tragen. Von Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der Ulrich Sander in verschiedenen Verfahren vertreten hat, gibt es eine Art Resümee in der Dokumentation. Daraus sei hervorgehoben: "Im Presserecht macht sich seit einigen Jahren eine neue Art von Prozessführung breit. Es wird oft nicht mehr um den Kern von Artikeln und Aussagen gestritten, sondern es wird um einzelne Formulierungen gestritten. Obwohl die Partei, die die entsprechenden Prozesse anstrengt, damit in der Sache kaum etwas gewinnen kann, kann sie für die Journalisten eine erhebliche Kostenlast produzieren, oft verbunden mit einem Einschüchterungseffekt."

Wirklich, wie am Beginn der Rezension gesagt, die Dokumentation "Eine Mordstruppe" ist bemerkenswert: wegen der tiefen Einblicke in eine verhängnisvolle Traditionspflege, in das Handeln von Justiz, Bundeswehr und Regierung, aber vor allem bemerkenswert durch die berührenden Zeugnisse vieler demokratischer Antifaschisten, die sich den Nazitraditionen und imperialistischem Krieg entgegenstellen.