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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

15.02.10

Militarisierung des öffentlichen Raumes

Zivilmilitärische Zusammenarbeit übernimmt das Kommando in Rathäusern, Argen und Landratsämtern

Der Einsatz der Bundeswehr bei Großveranstaltungen

Referat von Ulrich Sander am  13. Februar 2010 auf der 7. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden in Heidelberg

In einer Bewertung des heutigen Kapitalismus, der "auf einen autoritären Ausweg" zusteuert, schreibt Conrad Schuhler (1): "Die Teilung in Menschen im Überfluss und solche in Not und Unsicherheit findet sich zunehmend in den ‚Wohlstandsgesellschaften' selbst: Gute Arbeit, Mitgestaltung und Konsum für Wenige, sinnentleerte Arbeit, Kommandostrukturen und Existenzminimum für Viele. Die soziale Spaltung reißt weiter auf, die Zahl der ‚Verlierer' wird national und global weiter zunehmen. Zäune um die Wohlstandsinseln zu errichten, wird nicht genügen. Die wachsenden Massen der Armen und Hoffnungslosen müssen unter Kontrolle gehalten werden, und die Kontrollmaßnahmen werden um so mehr Zwang enthalten, je mehr das Einverständnis oder das bloße Stillhalten der Verlierer abnimmt. National müssen aus der Logik dieser Art von Kapitalherrschaft Elemente des Polizei- und Überwachungsstaates, international der immer totaleren militärischen Kontrolle erwachsen. Dass in Deutschland der Einsatz der Bundeswehr im Innern mit immer größerem Nachdruck gefordert wird, beleuchtet diese Entwicklung ebenso wie die Behauptung, dass man in Afghanistan keinen altmodischen Krieg, sondern militärische Entwicklungshilfe beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft führen müsse. Solche und ähnliche Aufgaben nach innen und außen werden der Bundeswehr und der NATO nicht ausgehen. EU-Strategen sehen die Hauptlinien, die zu militärischen Konflikten führen, nicht mehr zwischen den Staaten, sondern zwischen den Klassen in den einzelnen Gesellschaften. Hier müsste ‚der Westen' überall jederzeit militärisch eingreifen können, um in den betreffenden Ländern Ordnungen in seinem Sinne durchsetzen zu können."

Wie sieht dies "Ordnung schaffen" bei uns aus?

Die "Zivilmilitärische Zusammenarbeit" (2) von Bundeswehr, Polizei, Geheimdiensten, Katastrophenschutzorganisationen und anderen Institutionen ist nunmehr mit Krisenstäben und Kreiskommandos in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten etabliert worden. Zudem werden in großer Zahl Reservisten in diese Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern und Äußeren einbezogen.

Wer heute einsatzfähiger und ausgebildeter Reservist ist, und das sind mindestens eine Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren, der muss nicht nur - wie bisher - mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit Einsätzen wie in Heiligendamm (hier wurden Panzerfahrzeuge und Tornadoflugzeuge gegen Demonstranten eingesetzt) und am Hindukusch.

Ich schlage heute ein Projekt vor: "Nie wieder Soldaten gegen Demokraten - Nein, zum Bundeswehreinsatz im Inland". 

  1. Es muss insbesondere gegen die militaristische Durchdringung der Kommunalpolitik vorgegangen werden.
  2. Die Kampfbedingungen der Gewerkschaften müssen verteidigt werden. Denn zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung. So die Antwort der Bundesregierung an die "Linke" im Bundestag vom 28.8.09 (3).
  3. Wir müssen die Jugendrechte schützen. In Schulen findet nun eine neue Art Wehrkunde und Militärwerbung statt. Und in Argen wird den jungen Langzeitarbeitslosen massiv - oft mit Feldjägerunterstützung - nahegelegt, in die Armee zu kommen.

Bundeswehr raus aus den Rathäusern, aber auch aus Schulen und Argen, muss es heißen.

Nicht vergessen werden sollten die Forderungen: 

  • Endgültige Beseitigung der Pläne für den Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter ‚Terrorverdacht' stehen" und
  • Auflösung der integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden wie das "Gemeinsame Terrorabwehrzentrum" in Berlin. Erstmals seit 1945 sind ort wieder Militär, Geheimdienste und Polizei zusammengefasst.
  • Abschaffung der Wehrpflicht. Ja, es geht um die Wiederherstellung des Grundgesetzes in seiner Fassung von 1949.

Die freundlichen Worte der Kanzlerin

Als wollte die heutige Kanzlerin vor ihrer Wahl vor sich selber warnen - wer mich wählt, wählt den Krieg - sagte sie in ihrer Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2004:

"Um die Politik anderer Nationen zu beeinflussen, um den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen werden, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern."

Als Kanzlerin hat sie dann immer wieder betont: Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit seien von gestern. Auch in der Innenpolitik hören wir nicht nur freundliche Worte - müssen allerdings noch nicht Marschflugkörpern, aber doch mit Tornados wie in Heiligendamm rechnen. Wir sollen Marschbefehle der Militärs gegen Demonstranten hinnehmen, wie 2007 erstmals beim G8-Gipfel geschehen, und dann 2009 in Kehl wiederholt, beim NATO-Gipfel.

Auf allen Ebenen der Republik fallen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei. An Schäubles Überwachungsstaat und seinem Schnüffelsystem ist die Bundeswehr beteiligt. De Maiziere macht von Schäuble keine Abstriche, geht aber behutsamer zu Werk, besonders mit Worten: Innere Sicherheit heißt nun Innerer Friede. An den friedenserhaltenden und friedenschaffenden Maßnahmen, die die Außenpolitik bestimmen und oft Krieg bedeuten, sollen wir uns also auch im Innern gewöhnen.

Neben dem Gemeinsamem Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow, wurde im Bundesinnenministerium für die "Zuständigkeit für Terrorismus und Extremismus die neue Abteilung ‚Öffentliche Sicherheit' geschaffen" (FAZ 20.7.08). Die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos der Bundeswehr kommandieren als Landeskommandeure die Beauftragten der Bundeswehr für zivilmilitärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ) in allen Landkreisen und kreisfreien Städten.

Ohne viel Aufhebens zu machen, erobert somit die Bundeswehr Positionen in Rathäusern und Landratsämtern. Die letzten Verteidigungsbezirkskommandos der Bundeswehr aus der Zeit der Blockkonfrontation sind in den westlichen Bundesländern in den letzten zwei Jahren aufgelöst worden. Im Ernstfall sollten sie helfen, die Reserven zu mobilisieren und den Objektschutz und den Luftschutz zu gewährleisten. An ihre Stelle sind die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos in den Städten und Landkreisen getreten - der Begriff Verteidigung taucht nicht mehr auf. (4)

Ein Oberst gibt den Ton an

Ein Oberst vermittelt nun den Regierungspräsidenten, Landräten und Oberbürgermeistern den sogenannten militärischen Service. "Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen stützen können", wird in BW-Publikationen bestätigt. Dazu gehören auch "Großschadensereignisse" - aber was ist damit gemeint? Es ist kein Begriff aus dem Grundgesetz.

Die Urkunden für die ZMZ Inneres wurden in der Regel Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie Büros in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen Fragen beratend unterstützen, wie es heißt.

Doch die "Beratung" ist höchst verbindlich. In den Krisenstäben der Städte und Kreise haben die Verbindungskommandeure auf ihre militärischen Vorgesetzen zu hören, nicht aber auf die Bürgermeister und Landräte. "Übergeordnete Stellen sind der Kommandeur des Landeskommandos, der Befehlsheber des Wehrbereichskommandos, der Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos Köln und der Bundesverteidigungsminister in Berlin", teilte der Göttinger Landrat Reinhard Schermann den fragenden Abgeordneten der Linken im Kreistag mit (Brief vom 26.11.2007).

Gegenüber den zivilen Behörden werden die Bundeswehrstellen per "Amtshilfe" tätig. Das ist ein Begriff aus dem Artikel 35 GG zur gegenseitigen Unterstützung von Behörden. So ist ein sehr niedrigstufiges System der Entscheidungen möglich: Der Einsatzchef der Polizei durfte im Fall Heiligendamm die Tornados anfordern - wie auch in Kundus der Oberst den befehl zum Bombardement gegen über hundert Zivilisten geben konnte.

Das unbekannte Gesetz

Nach dem neuen Reservistengesetz vom Februar 2005 haben die Verbindungskommandeure durchaus auf weit mehr Reservisten Zugriff als auf die zwölf, die zum Stab des Kommandos gehören. Im Unklaren wird die Öffentlichkeit noch gelassen, auf welche Ausrüstung die Kommandos zurückgreifen dürfen. Immerhin ist bemerkenswert, dass die Mehrzahl der Reservistenübungen bei den Feldjägern, aber auch bei den Pionieren abgehalten wird. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm konnte ja besichtigt werden, welche Mittel zur Verfügung standen: Tornados, Panzer, Hubschrauber, Schnellboote gehörten dazu. Es wurde dort auch ein Eindruck davon vermittelt, was unter schweren Unglücksfällen und Katastrophen auch zu verstehen ist: Die Ausübung des Demonstrationsrechts der Bürgerinnen und Bürger, das ist der Ernstfall.

Dagegen entwickeln Bundeswehr und Reservistenkader große Aktivitäten. Aus Blättern der Reservistenverbände aus Kulmbach und Jena erfuhren wir am 12. 11. 09 (5) z.B.: Ein Bürgerkriegsmanöver in bayerischen Schwarzenbach am Wald fand mit großer Reservistenbeteiligung statt. Dabei wurde der Umgang mit demonstrierenden Friedensaktivisten sowie die Verteidigung einer inländischen Radarstation gegen schwer bewaffnete Terroristen trainiert. An der Übung beteiligten sich neben Soldaten und Reservisten des Landeskommandos Bayern auch zivile Rettungs- und Sanitätsdienste. Das Manöver, das bereits im Oktober stattfand, widerlegt die von Berlin vorgebrachte Behauptung, die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Inland diene nur der Hilfeleistung bei besonders schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen.

Die Kommunale Ebene am Beispiel Krisenzentrum in Dortmund

In Dortmund ist man nun daran gegangen, ganz offen die Infrastruktur für die militarisierte Kommunalpolitik zu schaffen. Während in anderen Städten und Landkreisen (so ein Brief des Landrates von Göttingen) fragenden Abgeordneten im Stadtrat gesagt wird: Das alles kostet die Stadt und den Landkreis keinen Cent, rückte die Stadt Dortmund nun mit der Wahrheit heraus und ließ sich 695 000 Euro für die Herrichtung eines Krisenzentrums von den Stadtratsmitgliedern bewilligen.

In einem städtischen Gebäude werden zwei Etagen für das Krisenzentrum ausgerüstet. Dies bedeutet zum Beispiel auch die unabhängige Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung und Kommunikation. Als Kommandozentrale wird ein Besprechungsraum hergerichtet, in dem neben der Stadtspitze auch Gesundheits- und Ordnungsamt, Feuerwehr, Polizei- und Bundeswehrkommandeure Platz nehmen werden.

Kritik an der Schaffung eines Krisenzentrums wie in Dortmund wird in der Regel nicht geübt. Wer wollte gegen Vorbeugung gegen Terroristen sein? Doch es geht dabei um die Struktur zur Unterdrückung der Demokratie mit militärischen Mitteln.

Die linken Abgeordneten finden diese Vorgehensweise jedoch skandalös. Sie sagten z.B. in Dortmund: "Hier soll eine Notstandszentrale entstehen, ohne dass den Bürgern erklärt wird, für welche Krisen und welche Aufgaben welche Krisenstäbe ein solches Zentrum brauchen."

Man kritisierte, dass das "Krisenzentrum" in Dortmund als geheime Kommandosache behandelt wurde und vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Wir als VVN-BdA sagten: "In dem Zentrum sind erstmals seit 1945 Bundeswehr und die Polizei integriert. Im Rahmen der ZMZ Inneres werden der Stadt, den Ämtern und der Feuerwehr in Krisen, zu denen auch innere Unruhen - sprich: Großschadensereignisse und Anti-Terrormaßnahmen - gehören, militärische Kommandos gegeben."

Nimmt man noch vorhergehende Meldungen aus der Lokalpresse und aus den Bundeswehrmedien bundesweit hinzu, so ergibt sich dieses Bild: Auf kommunaler Ebene werden überall Bundeswehrreservisten und Feuerwehr sowie Technisches Hilfswerk koordiniert. Reservisten - darunter vor allem bewaffnete Feldpolizisten - können in kürzester Zeit in großer Zahl mobilisiert werden. In Dortmund leitet ein Oberstleutnant, im Zivilberuf Pfarrer und Klinikseelsorger, diese sog. "ehrenamtliche" Reserve-Territorialarmee. Das Landeskommando ist ständig hauptamtlich besetzt. In Kreisen, Städten und Regierungsbezirken können die Landeskommandos und ZMZ-Beauftragten (6) blitzartig auf den Reservistenkader zurückgreifen.

Die VVN-BdA hat schon gleich nach dem ersten Durchsickern der Pläne zur inneren Militarisierung durch ZMZ und Terrorismusabwehrzentren dagegen Stellung bezogen. Wir haben auf die geschichtlichen Erfahrungen mit integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Heereseinrichtungen (Gestapo, Reichswehr, Schwarze Reichswehr, Freikorps etc.) hingewiesen: "Die Tatsache, dass die Pläne für Notstands- und Krisenmaßnahmen und -einrichtungen derart geheim vorangetrieben werden und schon heimlich Fakten geschaffen wurden - siehe der Bundeswehreinsatz in Heiligendamm vor einem Jahr -, müssen alle Demokraten auf höchste alarmieren."

Das in der Ratssitzung in Dortmund vorgelegte nicht öffentliche Papier zum Krisenzentrum gab auf die Frage: Was ist eigentlich die Krise? keine Antwort. Es heißt nur: Das Krisenzentrum soll in "definierten Krisenfällen" die Arbeit der im Krisenstab beteiligten Ämter gewährleisten.

Wer diese Definition bestimmt, ist nicht genannt. Der Landrat von Göttingen gibt sich naiv-gläubig: "Ich habe kein Zweifel, dass sich die Bundeswehr bei einem möglichen Einsatz im Katastrophenschutz im Landkreis verfassungskonform verhält." (7):

Die Reservisten von ganz rechts

Mit ZMZ und dem neuen Reservistengesetz werden zusätzlich Hunderttausende Soldaten - auch über ihre Dienstzeit hinaus - zum Einsatz im Innern und Äußeren verpflichtet. Der Reservistenverband und der Bundeswehrverband bekommen somit größeren Einfluss. In ihnen haben vielfach rechtsextreme Elemente das Sagen (8), wie kürzlich in einer Sendung von Frontal 21 im ZDF bekannt wurde. In beiden Verbänden bestehen kaum Vorbehalte gegenüber Neonazis und Rechtsextremisten. Sie können nach den Satzungen beider Verbände nicht einmal ausgeschlossen werden. So gehörten Udo Voigt und Hannes Knoch dazu. Voigt ist Hauptmann der Reserve und NPD-Bundesvorsitzender. Knoch ist Stabsunteroffizier der Reserve und Aktivist der verbotenen Neonazi-Organisation "Blood & Honour". Zudem betreibt Knoch in Munster/Lüneburger Heide einen Laden für Militärausrüstung und er veranstaltet Militärübungen, an denen auch Rechtsextremisten teilnehmen. Er bietet immer wieder Scharfschützenlehrgänge und Einzelkämpferausbildungen an. Der Chef der NPD, Udo Voigt, äußert sich öffentlich antisemitisch und rassistisch - gleichzeitig war er jahrelang Hauptmann der Reserve und Mitglied im Bundeswehrverband. Verbandsmitgliedschaft und Reservistenstatus sind Leuten wie Voigt und Knoch nur abzuerkennen, wenn sie zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt sind, wusste die Süddeutsche Zeitung zu berichten.

Da seit über zehn Jahren ein Aufruf in Neonazikreisen kursiert, nachdem alle "nationalen Kameraden" unbedingt den Waffendienst bei Polizei und Bundeswehr erlernen sollen, ist damit zu rechnen, dass unter den Reservisten Tausende Neonazis sind.

Die Transformation

Die Umwandlung der Truppe zur Einsatzarmee im Inneren wie im Äußern ist Teil der Transformation der Bundeswehr. Gesteuert wird diese Transformation von einem Zentrum der Bundeswehr für Transformation. Vorher nannte sich dieses Zentrum ZAS, Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr. Das schreibt die Verteidigungspolitischen Richtlinien von morgen und übermorgen. Sein Chef, der Oberst Ralph Thiele, hat uns in den "Informationen für die Truppe" schon mal angekündigt, welche weiteren Pläne die Generalität mit uns hat. "Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung." Man macht Feinde in aller Welt aus - und reiht neben die Terroristen und die internationale Kriminalität auch gleich "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner" in die Liste der Feinde ein. (9) Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend: "Der eigentlichen Konfliktaustragung folgen lange Phasen der Konfliktnachsorge bzw. Konsolidierung." "Unterhöhlt" werden die "klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden", schreibt der Oberst weiter, der die Bundeswehr unbedingt auch im Innern einsetzen will - zum Schutz "kritischer Infrastruktur". Den Streitkräften müsse es gelingen, "sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen." Polizei, Geheimdienste, Militär - alle hören auf ein Kommando.

Heimatarmee wird weiter ausgebaut

Den Wehrpflichtigen möchte der Oberst unbedingt entsprechend seiner Qualifikation - "unabhängig von seinem Alter" - einsetzen; neue "Miliz- und Reservistenkonzeptionen" sollen gefunden werden. Da frage ich mich: Der 50jährige Professor leistet seinen Wehrdienst, bis die neue Chemiewaffe fertig ist? Jedenfalls: "Der Kampf um gebildete Menschen wird deshalb schärfer geführt werden," heißt es abschließend bei Thiele.

Die CSU beschloss dann auch, einen Wehr- und Zivildienst für alle zu verlangen.

Doch vorerst wird der Griff nach der Jugend verstärkt.

Ein Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung vom 25. Januar 2010 lautet auszugsweise: 

"Zu den Grundfragen, die der Afghanistan-Krieg aufwirft gehört die Frage nach der verfassungsrechtlichen Grundlage solcher Einsätze. Das Grundgesetz ist der blinde Spiegel der Bundeswehr. Die deutsche Armee schaut hinein, sie sieht sich aber nicht mehr. Die Bundeswehr im Sinn des Grundgesetzes ist Vergangenheit, es gibt sie nicht mehr. Von der neuen Bundeswehr aber findet sich in der Verfassung kein Wort. Die Bundeswehr steht nicht mehr auf dem Boden des geschriebenen Grundgesetzes - die Panzer im Auslandseinsatz rollen an der Verfassung vorbei, die Flugzeuge donnern darüber hinweg. Der Verteidigungsminister müsste heute, streng genommen, Kriseninterventionsminister heißen. Das Grundgesetz sollte aber doch, ja es muss ein Vademecum sein für alle Staatsbürger in Uniform. Die Antworten auf fundamentale Fragen der Nation, die Antwort auf die Fragen, in denen es um die Staatsgewalt im Wortsinn, um Leben und Tod geht, die müssen in der Verfassung stehen." (Heribert Prantl SZ, 25. 01.10)

Gegen vielfältigen Protest wurde nun auch in Baden-Württemberg - wie vorher in Schleswig-Holstein und NRW - ein Kooperationsabkommen Bundeswehr/Schulen abgeschlossen, dass es Bundeswehr-Referenten ermöglicht, die Schülerinnen und Schüler künftig über die spezielle Sicht des Militärs zum Thema Sicherheit und Friedenssicherung durch weltweite Kriegseinsätze zu belehren.

Diejenigen, die darin keine neue Qualität zu entdecken vermögen, weil ja auch bisher schon für die Wehrpflicht geworben werden konnte, übersehen gleich zwei wesentliche Punkte. Erstens wurde die Wehrpflicht im Kampf gegen jene, die sich gegen die Remilitarisierung wandten, durchgesetzt, gegen eine antimilitaristische Grundstimmung der Bevölkerung. Und nun, nachdem das alles (fast) vergessen ist, wird der nächste Eskalationsschritt eingeübt, die Schülerinnen und Schüler über die Landesverteidigung hinaus für weltweite Kriegseinsätze zu gewinnen, die natürlich als unumgängliche "friedenssichernde Maßnahmen" dargestellt werden. Bekanntlich ist eine stabile Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung für den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Werden künftig Jugendliche ihre Eltern über die Notwendigkeit von Kriegen gegen internationale Feinde der Menschheit belehren? Hatten wir das nicht schon einmal?

Zur Vorgeschichte

Die Angehörigen des eigenen Staates wie anderer Länder zu opfern, gehörte bis 1945 zur Jahrhunderte währenden Regierungspraxis. Bewohner des eigenen Landes, die im Wege sind, werden beseitigt, wie auch der äußere Feind. Als "Dank" für die Hilfe der Arbeiter bei der Niederschlagung der Kapp-Putschisten mit und ohne Uniform hat die SPD-geführte Reichsregierung 1920 die Reichswehr - die gegen den Putsch nicht hatte handeln wollen, denn "Truppe schießt nicht auf Truppe", so ihr Kommandeur General von Seeckt - gegen die streikenden Arbeiter eingesetzt und Tausende von Opfern unter den Verteidigern der Republik in Kauf genommen. Ähnliche Größenordnungen sah Bayerns langjähriger Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber für den Einsatz der Truppe im Innern vor: Die ganze Gesellschaft müsse darauf eingestellt werden, dass die freiheitliche Lebensordnung "durch Tausende von irregeleiteten fanatischen Terroristen mit möglicherweise Millionen Unterstützern" massiv bedroht sei, sagte er,(10) öffentlich über Bundeswehreinsätze im Innern nachdenkend.

Die Gefahren, die drohen

Den Gefahren wird auch nicht durch die Einbettung der Bundeswehr in der Nato und in außen- und militärpolitischen Strukturen der EU abgeholfen. Die enge Verzahnung mit der Bundespolizei führt zur Teilnahme an dem militärähnlichen Gemeinschaftsprojekt FRONTEX der EU. Jährlich sterben Tausende Flüchtlinge beim Versuch, die EU-Staaten zu erreichen - die Flüchtlinge werden durch die FRONTEX-Formationen abgewiesen.

Besonders alarmierend ist das, was sich NATO und EU im Georgien-Konflikt leisteten. Da greift ein abenteuerlicher Politiker und Handlanger der CIA mit Waffengewalt Südossetien an, tötet Tausende Bürger, weil diese zu Russland und nicht zu Georgien gehören wollen. Und die NATO wie EU - auch die Kanzlerin - versprechen ihm, dass er mit der Mitgliedschaft in der NATO belohnt werden wird. Auf dass wir dann in innere Kriege von Abenteurern einbezogen werden? Das wäre ähnlich einer Situation, da Großbritannien wegen Nordirland den Nato-Fall ausgerufen hätte. Auf so etwas Absurdes ist aber niemand gekommen. Was wird aus Griechenland, wenn die Proteste gegen das EU-Diktat anhalten?

Der Widerspruch zwischen der Mehrheitsmeinung im Parlament und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung ist ein weiteres Problem. In keiner wesentlichen Frage haben die Regierenden eine Mehrheit in der Öffentlichkeit. Es kann die Situation eintreten, da es heißt: "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten". Gegen Streikende, gegen die Jugend könnte dann versucht werden, die Meinung der Herrschenden gegen die der Beherrschten militärisch durchzusetzen. Die Handhabe bieten die Notstandsgesetze - sie werden jetzt 42 Jahre alt.

Steuern wir auf eine Wiederholung der 20er Jahre zu? Die "europäische" Innenpolitik wie die Zivilmilitärische Zusammenarbeit deuten darauf hin, dass dies möglich ist. Es gab Zeiten, da setzte die Reichswehr linke Koalitionsregierungen in Sachsen, Thüringen und Preußen ab. Den Nutzen hatten die Nazis. Das darf sich nicht wiederholen. Seien wir wachsam.

Anmerkungen

(1) Conrad Schuhler in "Wirtschaftsdemokratie und Vergesellschaftung - Zu einer solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus", isw Report Nr. 79, München 2010, Seite 16

(2) Zum Instrumentarium der ZMZ und ihrer Einsätze zählen die großen Traditions- und Reservistenvereinigungen, die halbstaatliche Reservistenarbeit und das System der bundeswehreigenen Medien. Unter den Bundesbürgern unter 60 Jahren sind mindestens rund 8,5 Millionen, die Wehrpflicht geleistet haben; das sind all jene, die theoretisch im Verteidigungs- oder Spannungsfall wieder zur Truppe gerufen werden könnten. Diese Zahl teilte das Bundesverteidigungsministerium mit.

(3)Antwort auf eine kleine Anfrage zu Aufbau und Funktion der ZMZ-Kommandos der Bundeswehr in BT-Drucksache 16/13847 vom 28. 8. 09

(4) Weitergehende Pläne haben die Unionsparteien. Sie halten - angeregt durch ihr zuarbeitende Offiziere - an den Planungen für ein neues integriertes Militärkonzept "Gesamtkonzept Sicherheit" fest, das eine Superbehörde "Nationaler Sicherheitsrat" im Bundeskanzleramt vorsieht. Ein Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom März 2004 sieht "eine starke Heimatschutzkomponente" aus 25 000 Soldaten vor, als Teil der "Vorsorge gegen asymmetrische und terroristische Bedrohungen". Die CDU/CSU will dafür bis zu 50 "Regionalbasen" mit jeweils bis zu 500 Soldaten schaffen, die jeweils mit Reservisten auf bis zu 5000 Soldaten "aufwachsen" können. Wohin die Reise geht, wird wie folgt beschrieben: "Es gibt einen großen Schnittmengenbereich zwischen militärischer Verteidigung, zivilem Katastrophenschutz, polizeilicher Gefahrenabwehr und - in einer linearen Eskalation - dem inneren Staatsnotstand."

(5) newsletter@german-foreign-polici.com und Bundestagsdrucksache 17/196 vom 11.12.2009

(6) lt. Bundeswehr-WebSite und Bundeswehrzeitschrift "Y"

(7) Aus dem Brief des Landrats vom 26.11.07 lt. Militarisierung <imi@imi-online.de> vom 6. August 2008

(8) Es waren die Feuerwehrleute - nicht etwa die Gewerkschaften -, die warnten: "Bei der Einbindung der Bundeswehr in die Gefahrenabwehrstruktur des Hauptverantwortlichen Beamten (HVB) ist zu beachten, dass die Bundeswehr zwar wertvolle Katastrophenhilfe leisten kann, jedoch keinesfalls Führungsfunktionen im Katastrophenschutz übernehmen darf." Noch deutlicher geht es gegen die Reservistenverbände: "Bei der Einbindung der Bundeswehr in die Gefahrenabwehrstrukturen des jeweiligen HVB ist präzise zwischen der Funktion des ‚Beauftragten der Bundeswehr für die zivil-militärische Zusammenarbeit' (BeaBwZMZ), welche durch einen Reservisten der Bundeswehr wahrgenommen wird, einerseits und den Reservistenverbänden andererseits zu unterscheiden. Eine Einbindung der Reservistenverbände (als ‚e.V.') in die Gefahrenabwehr kann nicht in betracht kommen," so heißt es in einem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in NRW vom 20. 2. 08, zitiert nach der Netzzeitung "Bochum alternativ" und www.dielinke-ratsfraktion-bochum.de/bochum2/anfragenalle/detail.php

(9) Information für die Truppe/IfdT 3/2002

(10) Am 1.10.2001 laut "Tagesspiegel"