11.02.10
Wußtest Du schon: "Nie wieder Krieg" hieß
einmal "Nie wieder deutsches Militär"
In Erinnerung an den 65.
Jahrestag der Befreiung
Von Dietrich Schulze ein Beitrag für Antifa-Nachrichten Baden-Württemberg
vom 11. Februar 2009
Selbst gestandene FriedensfreundInnen beteiligen sich an der
Geschichtsentsorgung, wenn sie "Wehrpflicht" und
"Landesverteidigung" als Selbstverständlichkeiten
ansehen. Gegen den neuen deutschen Militarismus, aber auch gegen
diese weit verbreitete Kurzsichtigkeit hat Ulrich Sander eine
lehrreiche Broschüre mit dem Titel "Dichtung und Wahrheit in
www und linken Medien - Über den antifaschistischen und
antimilitaristischen Konsens - Vergessene Biografie Max Reimanns
wieder vorgelegt" zusammengestellt. Ein Blick zurück in die
spannendste Periode deutscher Geschichte, die zugleich am stärksten
im öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurde: die Jahre unmittelbar
nach der Befreiung von Faschismus und Krieg. Es wäre auch an der
Zeit, Emil Carlebachs Artikelserie über diese Jahre mit dem Titel
"Das bestgehütete Geheimnis der Bundesrepublik" in der früheren
VVN-Wochenzeitung "Die Tat" neu herauszugeben.
"Schwerter zu Pflugscharen" und nicht
"Remilitarisierung" war die Lehre aus dem faschistischen
Menschheitsverbrechen, das die Industriellen an Rhein und Ruhr und
die Finanzwelt gefördert hatten und von dem sie profitierten.
Wußtest Du schon - so fragten früher die Schulbücher.
- Wußtest Du schon, dass es 1945 unter allen politischen Kräften
im Land Einigkeit darüber gab, dass sich Deutschland nie wieder
an einem Krieg beteiligen dürfe?
- Wußtest Du schon, dass ein sehr bekannter deutscher Politiker
damals sagte: "Demjenigen Deutschen, der noch einmal eine
Waffe in die Hand nimmt, soll der Arm abfallen." Es war der
spätere Atom- und Kriegsminister Franz Josef Strauß.
- Wußtest Du schon, dass der Grundgesetzartikel zur
Kriegsdienstverweigerung der Kommunistischen Partei Deutschlands
(KPD) zu verdanken ist? Das Grundgesetz in der Fassung von 1949
regelt zwar die Kriegsdienstverweigerung, aber nicht den
Kriegsdienst. Der wurde erst 1956 ins Grundgesetz geschrieben -
nach heftigen Protesten.
- Wußtest Du schon, dass die ehemaligen Bundeswehrsoldaten als
Reservisten bis zum 60. Lebensjahr zum Bund geholt werden können,
auch zu Auslandseinsätzen? Es gehörte zu den Traditionen der
Arbeiterbewegung, gegen militärische Zwangsdienste zu wirken.
Denn es wurde sehr oft davon Gebrauch gemacht, Soldaten als
Streikbrecher und brutale Zusatzpolizei gegen die Interessen der
Arbeiter einzusetzen.
Diese geschichtliche Lehre wurde 1999 von Joseph Fischer und
Rudolf Scharping grob verfälscht, als sie den Tabu-Bruch der
deutschen Kriegsbeteiligung mit der dreisten Losung rechtfertigten:
"Nie wieder Auschwitz bedeutet heute, Kriege gegen Diktatoren
zu führen". Von der Losung "Nie wieder Faschismus. Nie
wieder Krieg" wurde der zweite Teil abgetrennt. Immer wieder
begegnet uns die Behauptung: "Der Diktator Hitler musste
mittels Krieg beseitigt werden!" - also seien auch die heutigen
Diktaturen nur mit Krieg zu beseitigen. Stimmt das? Es wird übersehen,
dass Hitlerdeutschland den ersten Schuß abgegeben hat, sogar den
USA wurde der Krieg erklärt. Aus einem Verteidigungskrieg heraus
hat die Anti-Hitler-Koalition den deutschen Faschismus besiegt.
Welche Verteidigungskriege werden denn heute gegen Diktatoren geführt?
Haben Irak und Afghanistan die USA angegriffen? Und können die
gewiss nicht harmlosen Taliban (s. Kasten) mit den deutschen
Faschisten gleichgesetzt werden? Über wieviele Panzerbataillone,
Flugzeugträger, Bomberflotten und Atomraketen verfügen denn die
Taliban? Und glaubt jemand ernsthaft, dass Minister Schäuble die Pläne
zu einer weiteren Verfassungsänderung aufgegeben hätte, die
Bundeswehr im Inneren einzusetzen? Das wird inzwischen schon mal
geprobt, beim G8-Gipfel in Heiligendamm, beim NATO-Gipfel in
Strasbourg / Kehl usw.
Die Militarisierung aller Bereiche der Innen- und Außenpolitik
zulasten der sozialen Demokratie steht seit geraumer Zeit ganz oben
auf der Agenda von Bundesregierungen. Nur zwei aktuelle Beispiele,
die mit der Perspektive der Jugend zu tun haben.
Militarisierung von Schulen und
Hochschulen
Gegen vielfältigen Protest wurde nun auch in Baden-Württemberg
ein Kooperationsabkommen Bundeswehr/Schulen abgeschlossen, dass es
Bundeswehr-Referenten ermöglicht, die SchülerInnen künftig über
die spezielle Sicht des Militärs zum Thema Sicherheit und
Friedenssicherung durch weltweite Kriegseinsätze zu belehren.
Kurzer Abriss der Geschichte
der Taliban
Bekanntlich wurden die Taliban ab 1979 von den USA
finanziert und militärisch ausgerüstet, darunter ein
gewisser Osama Bin Laden. Angeblich als Unterstützung der Kämpfer
gegen das sowjetische Besatzungsregime. Im vorigen Jahr lief
die 30-Jahres-Sperrfrist für ein nicht öffentliches
US-Regierungsdokument ab. Seitdem haben wir es amtlich, dass
Ursache und Wirkung genau umgekehrt waren. Die Regierung
Carter unterzeichnete ein halbes Jahr vor dem sowjetischen
Truppeneinmarsch ein Dekret zur Finanzierung der Taliban.
Carter's Stratege Brezsinski schrieb darüber später in
seinem Buch "Die einzige Weltmacht" nicht ohne
Stolz, dass der russische Bär in die aufgestellte Falle
getappt sei. Tatsächlich stellte sich der Einmarsch als der
bedeutendste politische Sargnagel heraus, der zum Untergang
der UdSSR beitrug.
Die Taliban waren 22 Jahre lang enge Verbündete der USA
bis sie 2001 in Ungnade fielen. Die Taliban-Regierung wollte
keiner Stationierung von US-Truppen zustimmen. Das war mit
der Sicherung der damals geplanten Ölpipeline vom
Kaspischen Meer zum Indischen Ozean quer durch Afghanistan
begründet worden. Und wieder ein halbes Jahr später
geschah der Terrorangriff auf das Wold Trade Center und in
dessen Folge der Krieg namens "Enduring Freedom",
an dem sich Deutschland beteiligte.
"Das erste Opfer des
Krieges ist die Wahrheit."
Wird das den SchülerInnen von den Bundeswehr- Referenten
beigebracht werden?
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Diejenigen, die darin keine neue Qualität zu entdecken vermögen,
weil ja auch bisher schon für die Wehrpflicht geworben werden
konnte, übersehen gleich zwei wesentliche Punkte. Erstens wurde die
Wehrpflicht, wie Sander in der Broschüre anhand des Kampfes gegen
die Remilitarisierung nacherleben lässt, gegen eine
antimilitaristische Grundstimmung der Bevölkerung durchgesetzt. Und
nun, nachdem das alles (fast) vergessen ist, wird der nächste
Eskalationsschritt eingeübt, die SchülerInnen über die
Landesverteidigung hinaus für weltweite Kriegseinsätze zu
gewinnen, die natürlich als unumgängliche "friedenssichernde
Maßnahmen" dargestellt werden. Bekanntlich ist eine stabile
Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung für den Rückzug der
Bundeswehr aus Afghanistan. Werden künftig Jugendliche ihre Eltern
über die Notwendigkeit von Kriegen gegen internationale Feinde der
Menschheit belehren? Hatten wir das nicht schon einmal?
Ein Teil dieser Jugendlichen wird Hochschulen besuchen, die
ihrerseits systematisch militarisiert werden, besonders die
Forschung betreffend. Ganz still und heimlich ist in den letzten
zwanzig Jahren die Militärforschung an Hochschulen systematisch
ausgebaut worden. Dagegen gab es Anfang der 90er Jahre - als nach
dem Ende des Ersten Kalten Krieges die Friedensdividende
eingefordert wurde - Proteste an vielen Hochschulen, darunter in
Baden-Württemberg mit Freiburg, Heidelberg, Hohenheim, Konstanz,
Stuttgart, Tübingen und Ulm. Die Kohl-Ära hat auch hier ganze
Arbeit gegen Bildung und Demokratie geleistet. An vielen Stellen ist
das Bewußtsein um die Gefahren dieser Entwicklung verloren
gegangen. Das hat sich im Ländle aber nun geändert. Nach den
Auseinandersetzungen seit Mitte 2008 um eine Zivilklausel (Verzicht
auf Militärforschung) für KIT, den Zusammenschluss von Universität
und Forschungszentrum Karlsruhe, hat der Senat der Uni Tübingen im
Dezember 2009 eine ebensolche Zivilklausel beschlossen. Studierende
von Hochschulen in Baden-Württemberg werden der Landesregierung im
Bologna-Kongress am 8. März in der Uni Stuttgart einen in den
Bildungsstreiks erarbeiteten Forderungskatalog übergeben, der die
Forderung nach Zivilklauseln für alle Hochschulen des Landes enthält.
Santayanas Mahnung "Die sich der Geschichte nicht erinnern,
sind dazu verurteilt, sie noch einmal zu erleben." findet sich
auf einer Tafel in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers
Dachau. Der Ursprung der Forderung "Nie wieder Krieg" muss
wieder in das kollektive Bewusstsein zurückgeholt werden. Dazu hat
Ulrich Sander mit seiner neuen Broschüre einen Beitrag geleistet.
Er konnte nur Streiflichter bieten. Aber das Gebotene ist beachtlich
und lesenswert.
Die Dokumentation von Ulrich Sander "Dichtung und Wahrheit
in www und linken Medien - Über den antifaschistischen und
antimilitaristischen Konsens - Vergessene Biografie Max Reimanns
wieder vorgelegt", Februar 2010, kann im Internet herunter
geladen werden unter:
http://nrw.vvn-bda.de/bilder/dichtung_und_wahrheit_in_www_und_linken_medien.pdf
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Landesvereinigung
NRW, Gathe 55, 42107 Wuppertal, Internet www.nrw.vvn-bda.de, Email vvn-bdanrw@freenet.de
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