Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

22.12.09

"Gegen die braune Barbarei muss sich die Jugend zur Wehr setzen"

Siegen: Entschieden dem Neofaschismus in allen Formen entgegentreten

Am 16.12.1944 wurde die Stadt Siegen, damals ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und Standort vieler Rüstungsbetriebe, erstmalig durch einen großen Luftangriff der Alliierten Streitkräfte getroffen und fast vollständig zerstört. In der Folgezeit erinnerte die Stadt Siegen daran alljährlich mit einem unspektakulären „Stillen Gedenken“ in Form einer Kranzniederlegung an einer zentralen Gedenkstätte.

Nachdem die Freien Nationalisten Siegerland (FNSI) im vergangenen Jahr erstmalig eine Kundgebung unter dem geschichtsrevisionistischen Motto “Und die Freiheit kam von oben - wir vergessen nicht“ angemeldet hatten, bildete sich in Siegen ein breites Bündnis aller Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und gesellschaftlichen Organisationen. Diesem Bündnis gelang es in 2008, in kurzer Zeit zu einer Gegendemonstration zu mobilisieren.

Bei der Abschlusskundgebung vor ca. 2500 Teilnehmern sprach neben dem Bürgermeister und dem DGB-Regionsvorsitzendem auch der Sprecher der VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein, Joe Mertens.

Leider waren damit die Aktivitäten des Bündnisses weitgehend erschöpft, nur der Initiative des DGB und der VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein ist es zu verdanken, dass weitere Veranstaltungen gegen die immer dreister agierenden Faschisten zu Stande kamen. So konnte Jürgen Peters vom Antirassistischen Bildungsforum Rheinland zu sehr gut besuchten Vorträgen nach Siegen und in die Nachbarstadt Olpe eingeladen werden.

Auch in diesem Jahr meldete die FNSI durch den mittlerweile zum Stadtverordneten der NPD avancierten Freien Nationalisten Sascha Maurer eine Kundgebung zum 16.12. an.

Auch das Siegener Bündnis formierte sich wieder breiter und bereitete eine Gegenveranstaltung vor. Im Verlauf dieser Vorbereitungen verlagerte sich der Schwerpunkt der Gegenveranstaltung allerdings immer mehr zu einer reinen Gedenkveranstaltung, was besonders bedauerlich ist, da die Nazis auch in Siegen nahtlos nach bekanntem Muster an der vorherrschenden Gedenkkultur anknüpfen. Der antifaschistische Anspruch ging abhanden und die Veranstaltung sollte um 18 Uhr beendet sein, um dem traditionellen Gottesdienst zu diesem Tag nicht in die Quere zu kommen. Und dies, obwohl die Faschisten für 18.30 mobilisierten.

Für die VVN-BdA wurde somit klar, dass ergänzend eine eigene Veranstaltung mit antifaschistischem Inhalt organisiert werden musste, die besonders junge Menschen ansprechen und auf der Straße stattfinden würde. Darüber hinaus unterstützten wir aber auch weiter die Planungen des Siegener Bündnisses.

Mit der Microphone Mafia aus Köln hatten wir schnell Verbindung zu einer außergewöhnlichen Band, die mit ihren Texten und ihrer Musik voll unseren Erwartungen entsprach.

Alice Czyborra (VVN-BdA) und Anna Conrads (Die Linke) hielten sehr gute Reden mit genau den Inhalten, die bei der Gedenkveranstaltung des Bündnisses fehlten, nämlich entschieden dem Neofaschismus in allen Formen entgegen zu treten und dem Kriegskurs der deutschen Außenpolitik eine klare Absage zu erteilen. 200 ZuhörerInnen harrten trotz eisiger Kälte aus.

Besonders die Anwesenheit von Peter Gingolds Tochter Alice, die als jüdisches Kind in einem französischen Versteck überlebte, machte den Charakter der VVN-BdA als Verband in der Tradition antifaschistischer Widerstandskämpfer und bekennender jüngerer Antifaschisten deutlich.

Leider muss aber auch angemerkt werden, dass bei allen Aktionen des Tages weniger Menschen als erwartet teilnahmen. Die Nazis hingegen konnten mit 120 TeilnehmerInnen einen Zuwachs verzeichnen. In Siegen gibt es also noch viel zu tun.

Torsten Thomas, VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein.

Die Rede von Alice Czyborra, Mitglied des Geschäftsführenden Landesausschusses der VVN-BdA NRW, aus Essen

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

ich bedanke mich, hier in Ihrer Stadt im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten sprechen zu dürfen.

Alice Czyborra, Mitglied des Geschäftsführenden Landesausschusses der VVN-BdA NRWTrotz des Protestes vieler Organisationen und Parteien ist es den Neonazis nicht verboten worden, aufzumarschieren. Die NPD und ihr Umfeld maßen sich an, anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Siegen durch die Alliierten der Opfer zu gedenken. Ausgerechnet diese Partei NPD, die sich in der Tradition der faschistischen Hitlerpartei, der NSDAP sieht, in der Tradition dieses faschistischen Regimes, das die Welt in die schlimmste Menschheitskatastrophe stürzte. Wenn die NPD, die Freien Nationalisten zum Gedenken an die Opfer der Bombardierungen aufrufen, heute in Siegen, im Februar in Dresden, dann bedeutet dies die Umkehrung der Geschichte, die Leugnung der Barbarei des deutschen Hitlerfaschismus. Es war die Hitlerwehrmacht, die fast ganz Europa in ein Flammenmeer verwandelt hat. Es war der deutsche Faschismus, der den Tod von Millionen und Abermillionen Menschen zu verantworten hat, auch hier in Siegen.

Doch nicht nur die Neonazis und ihre Parteien versuchen, die Geschichte umzudeuten. Bereits im Jahr 2000 hatte der bekannte Antifaschist und Widerstandkämpfer, Überlebender der Hölle von Auschwitz Kurt Goldstein erklärt: „Gegenwärtig erleben wir in Deutschland wieder eine Gruppe Historiker und Museologen, die glauben, dass man jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Nazi-Zeit die Geschichte neu und dem reaktionären Zeitgeist angepasst schreiben könne.“

Wir erinnern uns an die niedergebrannten Dörfer in Frankreich, in Tschechien, in Italien und Griechenland und vor allem in der Sowjetunion, an die Massaker an der Bevölkerung, an die Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern und in der deutschen Industrie. Wer spricht bei uns heute noch über die Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht, bei der Hunderttausende Menschen an Hunger und Kälte starben. Meine jüdische Familie, die Familie Gingold, die 1933 nach Frankreich emigrierte erzählte mir, wie die Pariser Bevölkerung und auch sie im Juni 1940, vor der deutschen Wehrmacht flüchtete. Meine Großeltern, Onkel, Tanten und mein dreijähriger Cousin erlebten, wie die Stukas den Zug der Flüchtenden bombardierten. Ein von unzähligen Verbrechen der deutschen Wehrmacht. In unserem Land gegenwärtig kaum noch thematisiert. Der Zeitgeist von heute ist vor allem das Erinnern an die Opfer der Deutschen im 2. Weltkrieg, an die Flucht und Vertreibung der Deutschen, ohne zu benennen, dass die Vertreibung bereits 1933 begonnen hatte, als jüdische Bürger, Antifaschisten, Schriftsteller nur durch die Flucht, die Emigration ihr Leben retteten. Nein, im offiziellen Erinnern geht es um Flucht und Vertreibung im Ergebnis des 2. Weltkrieges, ich denke an den Film „Die Flucht“, an „Anonyma“. Wer an das Entsetzliche der letzten Kriegsjahre erinnert, das die deutsche Bevölkerung erlitten hat, und über die Verursacher schweigt, sie bestenfalls in einem Halbsatz erwähnt, der relativiert die Verbrechen des Faschismus, verfälscht die Geschichte.

Eine solche Atmosphäre, die gegenwärtig in unserem Land herrscht, ermuntert geradezu die NPD, die Freien Nationalisten sich diesen Zeitgeist zu nutze zu machen, um heute auf der Straße das Gedenken an die Opfer des Bombardements für ihr nationalistisches, revanchistisches Gedankengut zu missbrauchen. Immer wieder wird die garantierte Meinungsfreiheit angeführt, um solche Aufmärsche zu genehmigen.

Die Geschichte lehrt uns: Mit dem unheilvollen Demokratieverständnis ist die Weimarer Republik untergegangen. Es wurde denen die Freiheit gewährt, die sich als die schlimmsten Feinde der Freiheit erwiesen. Sie haben dann das größte Verbrechertum gegen Frieden und Menschlichkeit staatlich organisiert.

Meinungsfreiheit für die NPD, eine Partei, die im Sinne der NSDAP ein neues Großdeutschland anstrebt, offen Rassismus, Antisemitismus, betreibt, Ausländer zu Sündenböcken abstempelt, sie verantwortlich macht für alles Übel, wie damals die Faschisten gegenüber den Juden. Eine solche Partei gehört zu den geistigen und physischen Mittätern ausländerfeindlicher Gewalttaten. Immer brutaler sind ihre Angriffe gegen Andersaussehende, Andersdenkende, gegen Gewerkschafter. Ich erinnere an den brutalen Übergriff auf hessische Gewerkschafter an der Raststätte Teufelstal, an den Überfall von Demonstranten auf der 1.-Mai-DGB-Demonstration in Dortmund. An den antifaschistischen Essener Gewerkschaftssekretär Rainer Sauer, der in seiner Heimatstadt Bocholt Morddrohungen durch Neonazis ausgesetzt ist, an die Familien Richter und Engelhardt, die in Dortmund von Nazis terrorisiert werden. Über 140 Morde gehen seit 1990 auf das Konto der Neonazis.

Nicht auszudenken, welches Blutbad sich ereignet hätte, wenn dem in der Region Lörrach bekannten Jungnazi und NPD-Mitglied Thomas Baumann der geplante Anschlag auf ein alternatives Kulturzentrum in Freiburg und auf den südbadischen DGB-Vorsitzenden gelungen wäre. Nicht V-Leute haben der Polizei den Hinweis auf den Bombenbauer gegeben, sondern die Antifa. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei Chemikalien, elektronische Zeitzünder und weiteres Material zum Bau einer schweren Splitterbombe sowie Pistole, Messer, Sturmgewehr. Soviel auch zum Thema V-Leute und zur Forderung an die Innenminister, die V-Leute endlich auszuschalten, um den Weg frei zu machen für ein NPD-Verbotsverfahren.

Mit der Kampagne nonpd kämpft die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten für ein Verbot der NPD. Dabei wird sie von vielen Persönlichkeiten und Organisationen, Bürgerinnen und Bürger unterstützt.

Wer jetzt immer noch von der Harmlosigkeit der NPD spricht, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Als ob es niemals Auschwitz, Treblinka, Majdanek oder Belzec gegeben hätte, die industriemäßig organisierten Todesfabriken, zu der die IG Farben das Gas lieferte, die Firma Töpfer & Söhne für die Vernichtungslager hocheffektive Verbrennungsöfen konstruierte, die Reichsbahn den Transport von Juden in Ganz Europa durchführte.

Unter den Deportierten war auch meine Tante Dora. Erst vor kurzem haben wir noch die Transportliste vom Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz entdeckt, darunter auch der Name von Dora. 29 Jahre war sie alt, Mutter von zwei Kindern. Meine Cousine Helène, mein Cousin Gilbert haben mit mir zusammen bei einer mutigen französischen Bauernfamilie versteckt überlebt. Auch unser Onkel Leo ist unter dramatischen Umständen verhaftet worden. Von ihm haben wir keine Spur mehr gefunden. Auch nicht von unseren Angehörigen, die von Frankfurt aus verschleppt wurden. Allein 11.000 Kinder wurden aus Frankreich in die Vernichtungslager transportiert. Daran erinnerten Beate und Serge Klarsfeld in einer eindrucksvollen Ausstellung, die sie hier auf Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn nicht zeigen durften. Daraufhin ist jedoch der Zug der Erinnerung hervorgegangen, der auch – so viel ich weiß – in Siegen Station machte.

Unterschätzt niemals die Nazis – die Mahnung der Zeitzeugen - wir haben erlebt wie es angefangen und wohin das geführt hat. Es gibt eine einzige Entschuldigung für die damalige Generation. Sie haben es nicht gewusst, nicht erahnt, was Faschismus heißt. Heute wissen wir es, zu welchen für uns heute noch unvorstellbaren Verbrechen die Faschisten fähig sind, erklärten immer wieder die Zeitzeugen.

Meine Eltern hatten sich während der Besatzung in Frankreich der Resistance angeschlossen. Gemeinsam mit anderen Deutschen in der Resistance waren sie ein kleines Rädchen in dem Kampf um die Befreiung Frankreichs und schließlich auch Deutschlands vom Faschismus.

1945 kehrte mein Vater zurück nach Deutschland, meine Mutter, die nicht aus Deutschland kam, auch sie ging mit nach Frankfurt. Wie die Überlebenden aus der Emigration, aus den Konzentrationslagern, aus dem Bataillon 999, hofften sie, dass ein neues Deutschland entstehen würde, ein demokratisches, ein antifaschistisches Deutschland.

Sehr schnell mussten sie aber erkennen, dass wichtige Funktionsträger des Faschismus verantwortliche Positionen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik erlangten. Dagegen wurden Antifaschisten erneut diskriminiert, Repressionen ausgesetzt oder gar von Richtern verurteilt, die auch unter dem Hitlerregime Widerstandskämpfer verurteilt hatten.

Meine Familie musste jahrelang um ihre Einbürgerung kämpfen, die ihr wegen Gefährdung der freiheitlich, demokratischen Grundordnung verweigert wurde. Meine Schwester erhielt in den 70er Jahren Berufsverbot.

Als mein Vater, ein unermüdlicher Zeitzeuge, von Journalisten gefragt wurde, ob er nicht resigniere angesichts des Rassismus, der Ausländerfeindlichkeit, der neuen Nazis in unserem Land, antwortete er, dass es eine junge Generation gibt, die dies nicht stillschweigend hinnimmt. Gut, dass es Euch gibt, hat er den vielen jungen Menschen auf antifaschistischen Demonstrationen und Kundgebungen zugerufen. Durch sie schöpfte er seinen Optimismus, die Kraft, sich weiter einzumischen, zum Beispiel auch mit jungen Antifaschisten gegen die IG Farben in Auflösung in Frankfurt aufzutreten.

Peter Gingold und die bekannte Antifaschistin, Überlebende des Auschwitz-Mädchenorchesters, Esther Bejarano, haben gemeinsam einen Appell an die Jugend gerichtet: Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpasst, die ihm zu trotzen versteht…. Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte, … eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag.