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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

11.12.09

Zur Not verhandeln wir mit dem Teufel

Ein etwas anderer Nachruf auf Otto Graf Lambsdorff

von Stephan Stracke

Otto Friedrich Wilhelm Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff ist tot. Am Samstag verstarb der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff im Alter von 82 Jahren. Die Nachrufe aus der politischen Klasse ehren den Spross des westfälisch-baltischen Landadels als erfolgreichen Kämpfer für die soziale Marktwirtschaft. Getrübt wird sein politisches Leben nur durch die Parteispendenaffäre Mitte der 80er Jahre. Der Flick-Konzern hatte auch Lambsdorff mit großzügigen Parteispenden bedacht. Lambsdorff musste von seinem Ministeramt zurücktreten.1987 wurde der Liberale wegen Steuerhinterziehung zu 180.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Gleichwohl konnte der nun vorbestrafte Politiker seine politische Karriere weiter ungestört fortsetzen. Steuerhinterziehungen, verdeckte Parteifinanzierungen, Waffengeschäfte und Schwarzgeldkonten waren auch in der Kohl-Ära en Vogue und sind für überzeugte Marktwirtschaftler kein Problem. Lambsdorff war schnell wieder im politischen Geschäft. Die FDP wählte ihn zum Bundesvorsitzenden, als Netzwerker des Kapitals tummelte er sich zudem in internationalen Gremien wie in der legendären Trilateralen Kommission.

Seine eigentliche Sternstunde sollte aber erst noch kommen. Als 1999 Sammelklagen von NS-Opfern in den USA die Exportchancen der deutschen Wirtschaft empfindlich zu stören drohten, beauftragte Kanzler Schröder Lambsdorff mit der Lösung der Zwangsarbeiterfrage. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen war die Presse begeistert: Lambsdorff „hat die Nerven behalten, hat Autorität, zeigt keine Schwäche, verachtet die, die Schwäche zeigen, in seiner Welt hat der Stärkere Recht, Leute von seinem Schlag sind heute selten, er ist der Zwangsarbeiter, der für Deutschland verhandelt.“ Schließlich wurde die Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft hergestellt und große Opfergruppen wie die italienischen Militärinternierten und die sowjetischen Kriegsgefangenen blieben ohne Entschädigung.

Diese „Nebenaspekte“ der Zwangsarbeiterentschädigung sind natürlich längst vergessen. Hingegen hat sich Graf Lambsdorff in der Erinnerung der politischen Klasse unsterblich gemacht wie die zahllosen Nachrufe zeigen. „Unvergessen“ sei sein „Engagement für die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern“ lobten die Spitzengrünen Künast und Trittin in ihren Kondolenzschreiben. Lambsdorff habe einen entscheidenden Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang Deutschlands mit seiner Vergangenheit geleistet, argumentierte der Generalsekretär der CDU Hermann Gröhe. Für den Chefredakteur der „Welt“ Thomas Schmid war er „Teil jener Aufbaugeneration, der – nach den ideologischen Exzessen der Nazizeit – Nüchternheit über alles ging. „Die deutsche Schuld war für ihn etwas, das sein Leben geprägt hatte, mit Leidenschaft setzte er sich für die Entschädigung der von Deutschen Ausgebeuteten, Verschleppten und Gequälten ein.“

Dass Otto Graf Lambsdorff 1952/1953 als junger FDP- Bezirksvorsitzender in Aachen auch ein großes Herz für NS-Kriegsverbrecher hatte, wird in allen Nachrufen verschwiegen. Diese biographische Randnotiz in seinem langen erfolgreichen Politikerleben störte 1999 auch nur kurz die Performance des Chef-Unterhändlers.

Am 22. August 1999 wandten sich mit Esther Bejanaro, Peter Gingold und Kurt Goldstein prominente Überlebende der Shoah und der Zwangsarbeit an die Öffentlichkeit und forderten überraschend die Abberufung von Lambsdorff. Sie beriefen sich auf Archiv-Unterlagen, denen zufolge Lambsdorff sich als Bezirksvorsitzender der FDP Aachen 1952/53 „zum politischen Helfershelfer von Nazi-Kriegsverbrechern gemacht" habe. Lambsdorff sei mit Heydrichs Stellvertreter Werner Best aufgetreten und habe eine Generalamnestie für NS-Kriegsverbrecher gefordert. 1952 soll er nach einem Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) auch den Kriegsverbrecher Antoine Touseul getroffen haben, der aus einem niederländischen Gefängnis geflohen war und die FDP in Aachen um Hilfe bat. „Lambsdorff ist in seiner Funktion als Verhandlungsführer der Bundesregierung für uns als Überlebende untragbar. Wer Nazikriegsverbrecher trifft, unterstützt, ihre Kampagnen mitträgt und persönlich mit ihnen Veranstaltungen abhält, hat sich disqualifiziert für Verhandlungen mit den Überlebenden der Shoah, der Konzentrationslager und der Zwangsarbeit.“

Die Fakten sind eindeutig. Am 26. Dezember 1952 gelang 7 niederländischen Kriegsverbrechern die Flucht aus dem Gefängnis in Breda. Einer der Flüchtigen, Antoine Touseul, von einem niederländischen Gericht zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt, begab sich nach Aachen und wählte als Anlaufpunkt das Büro des Chefredakteurs der Aachener Nachrichten und 2. Kreisvorsitzenden der FDP Hermann Schaefer. Schaefer war als ehemaliger HJ-Führer mit vielfältigen Kontakten zu NS-Funktionseliten den Fluchthelfern wohl bekannt. Touseul wurde aufgenommen, verpflegt und untergebracht. Die Funktionäre der FDP in Aachen waren sehr hilfsbereit, es kam zu mehreren Treffen mit Touseul. Auch Otto Graf Lambsdorff traf mit dem verurteilten, flüchtigen Kriegsverbrecher zusammen, so die Aussage von Lambsdorff in einem Vernehmungsbericht der BKA-Sicherungsgruppe Bonn vom 22. Januar 1953. Am 9. Januar 1953 begleitete Schaefer Touseul persönlich zu einen Gespräch mit dem FDP Bundestagsabgeordneten Erich Mende ins Bundeshaus nach Bonn. Mende erklärte sich einen Tag später öffentlich für den steckbrieflich gesuchten Kriegsverbrecher und lehnte die geforderte Auslieferung an Holland ab. Nach dem Gespräch mit Mende taucht der Gesuchte wieder im Raum Aachen unter, erst Monate später wird das Mitglied der Waffen-SS verhaftet. In einem spektakulären Prozess 1954 wurde er aber freigelassen, weil er als SS-Angehöriger automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hatte und deshalb nicht ausgeliefert werden durfte..

Auch über die konkrete Fluchthilfe hinaus sind die Belege für Lambsdorffs rechtsradikale Lebensphase vielfältig. Denn dieses Zusammentreffen mit dem entflohenen SS-Mann war kein Zufall, sondern damaliges FDP-Programm. Freiheit für alle NS-Kriegsverbrecher war die politische Losung einer FDP, der sich Lambsdorff 1951 angeschlossen hatte und die besonders in NRW von NS-Kadern gezielt unterwandert wurde, die vom so genannten Gauleiter-Kreis um Werner Naumann betrieben wurde. Wer in der damaligen FDP unter NRW-Chef Friedrich Middelhauve Karriere machen wollte, stritt automatisch für die Befreiung aller NS-Kriegsverbrecher aus alliierter Haft und war umgeben von NS-Kadern und ehemaligen Waffen-SS Offizieren wie Ernst Achenbach, Carl Peter Marks, Hugo Kraas,Wolfgang Diewerge, Heinz Wilke und Siegfried Zoglmann. Erst 1953 griff die britische Militärregierung mit Verhaftungen ein und bereitete der NS-Unterwanderung der FDP ein (vorläufiges) Ende.

Neben der Fluchthilfe für den niederländischen SS-Mann Touseul ist wohl am gravierensten der gemeinsame Auftritt von Lambsdorff mit Werner Best auf einer Veranstaltung für eine Generalamnestie für Kriegsverbrecher in Aachen. Best fungierte zu dieser Zeit als Berater für die FDP und organisierte - finanziert von dem Geld des Ruhrindustriellen Hugo Stinnes - die Kampagne für die Generalamnestie von Essen aus. Best war in jeder Hinsicht eine Spitzenkraft der Nationalsozialisten. Er konnte auf eine lange Partei- und Polizeikarriere im NS-Staat zurückblicken und stieg zum Stellvertreter Reinhard Heydrichs in dessen Eigenschaft als Chef der Sicherheitspolizei und des SD auf und lenkte die "Einsatzgruppen", die unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf Polen mit der Ermordung der polnischen Führungsschicht begannen. Später agierte er als Chef der Innenverwaltung im besetzten Frankreich und als Reichsbevollmächtigter in Dänemark.

Darüber hinaus organisierte Lambsdorff im Rahmen des FDP-Wahlkampfes eine Veranstaltung mit dem Panzergeneral und FDP-Abgeordneten Hasso von Manteuffel, der den „deutschen Wehrbeitrag“ an die Befreiung der in Kriegsverbrecherhaft sitzenden deutschen Militärs knüpfen wollte. Auf dieser Veranstaltung ergriff Lambsdorff auch selbst das Wort und griff den damaligen Aachener Oberbürgermeister Maas an, der im August 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet wurde und drei Monate im Konzentrationslager Köln-Messehalle einsaß. „Lambsdorff verurteilte, dass Dr. Mass 1946 in seinem offiziellen Lebenslauf veröffentlicht habe, er sei `1941 von den Nazis auf den russischen Kriegsschauplatz geschleppt´ worden. Eine solche Geisteshaltung entspräche nicht der ethischen Auffassung eines Deutschen.“ (Aachener Nachrichten v. 29.10.1952)

Der von den Shoah-Überlebenden öffentlich zum Rücktritt aufgeforderte Lambsdorff reagierte überraschend unklug, als er vom „SPIEGEL“ mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde. Lambsdorff wies die Vorwürfe als eine "Mischung aus Dichtung und Wahrheit" zurück. Er sei nicht mit Best aufgetreten, an Touseul könne er sich nicht erinnern.

Das war sehr peinlich, weil es gelang, auf einer gutbesuchten Pressekonferenz im „Haus der Geschichte“ in Bonn die entsprechenden Beweise vorzulegen. Das waren keine „Gerüchte aus brauner Vorzeit“ wie Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung titelte, sondern Vernehmungsprotokolle des BKA aus dem Koblenzer Bundesarchiv und Unterlagen aus dem Parteiarchiv der FDP in Gummersbach, die Lambsdorff eindeutig belasteten. Andere Journalisten wie der „Welt“-Autor Torsten Krauel räumten den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe ein, Krauel vermutete aber „Kreise mit Zugang zu speziellen Archiven“ hinter der Forderung und sah Indizien, „dass hier womöglich DDR-Quellen sprudeln.“ Am schlimmsten war aber für Krauel der Gedanke, dass heute noch „über solche Vorwürfe Politiker stürzen können.“

Das Presseecho war gewaltig, vielleicht zu gewaltig, weil die internationalen Verbände der Zwangsarbeiter und NS-Opfer um den Fortgang der Entschädigungsverhandlungen bangten und eine zeitliche Verzögerung befürchteten, wenn Lambsdorff abgesetzt würde. Überraschend für alle Beteiligten rückte dann Kurt Goldstein vom Internationalen Auschwitz-Komitee von seiner Forderung nach Ablösung von Lambsdorff ab und erklärte dazu auf der Pressekonferenz: „Zur Not verhandeln wir mit dem Teufel“. Lambsdorff blieb im Amt.

In der Öffentlichkeit wurde Lambsdorff seit dieser Zeit als Vater der Zwangsarbeiterentschädigung gefeiert. Die Vorwürfe gegen ihn gerieten in Vergessenheit ebenso wie seine raren geschichtspolitischen Stellungnahmen. Nur wenn er sich unbeobachtet glaubte, wie bei einem Treffen des militaristischen rechtsradikalen Kyffhäuser-Bundes im Juni 1992 sprach wieder der junge Graf Lambsdorff: Als Ehrengast dieser Veranstaltung zeigte er sich befriedigt, dass die deutschen Werte und Tugenden wieder gepflegt werden - „trotz der Versuche der Nürnberger Richter, das nationale Gedenken zu vernichten.“ (TAZ 27.6.1992)

Lambsdorff hat sich zu den Vorwürfen übrigens bis zu seinem Tod nicht mehr geäußert. Memoiren sind von ihm nicht (mehr) zu erwarten, hatte er doch süffisant vor Jahren erklärt, warum er keine Memoiren verfasse: "Weil man mit ehrlichen Memoiren die Hälfte seiner Freunde verliert, ohne vorher zu wissen, welche Hälfte es sein wird." Jetzt sind die HistorikerInnen am Zug.