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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.12.09

Bundeswehr war und ist Staat im Staate

Gespräch der Redaktion Unsere Zeit mit Ulrich Sander

UZ: Schon wieder ist ein - wenn auch ehemaliger - Verteidigungsminister gescheitert. Ist die Bundeswehr politisch grundsätzlich nicht beherrschbar?

Ulrich Sander: Die Bundeswehr war und ist ein Staat im Staat. Die Bundeswehr ist politisch nicht beherrschbar, es fiel nur nicht auf, weil niemand in der Regierung sie politisch beherrschen wollte. Rudolf Augstein hat vor 50 Jahren festgestellt: „Die neue Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.“ Heute wird die Bundeswehr per NATO und EU zur Armee des Westens zur Durchsetzung globaler Interessen. Es gibt nur noch zwei Währungen in der Welt, sagte der Begründer der neuen Bundeswehr, der ehemalige Generalinspekteur Klaus Naumann, nämlich „wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, um sie durchzusetzen.“

UZ: Der Generalinspekteur und ein Staatssekretär mussten gehen. Werden die Nachfolger für den Verteidigungsminister verlässlicher sein?

Ulrich Sander: Die Generalität und der Militärapparat waren und sind verlässlich, es fragt sich nur, wem verpflichtet. Dem Grundgesetz sicherlich nicht. Der Verfassungsbestimmung, das Land zu verteidigen und keinen Angriffskrieg zu führen, sicher auch nicht. Der deutsche Militarismus ist ein Instrument zur Durchsetzung der Interessen der ökonomisch Mächtigen. Loyalitäten gegenüber einzelnen Politikern zählen nicht viel. Deshalb wurden sowohl Struck als auch Jung und zu Guttenberg nach Strich und Faden belogen, wenn es nötig erschien, und es gab Loyalitäten, wenn die Minister handelten wie die Generäle, vereint in der Clausewitzgesellschaft, es wollten. Guttenberg hatte das Massaker am Kunduzfluss vom 4. September als militärisch angemessen ausgegeben, wie Generalinspekteur Schneiderhan es ihm vorgesprochen hatte. Auch Jung hatte dasselbe gesagt und wider besseres Wissen zivile Opfer ausgeschlossen, obwohl ihm andere Berichte vorlagen und auch ein Anwalt der zivilen Opfer bei der Bundeswehr vorstellig wurde, um Entschädigung für mindesten 150 zivile Tote zu verlangen. Und als dann sichtbar wurde, dass das Lügengebäude zusammenbrechen würde, da entschloss sich der neue Minister, den Generalinspekteur und einen Staatssekretär zu entlassen. Die „erfolgreiche Arbeit der Regierung“ sollte nicht gefährdet werden, sagte Jung als er zurücktreten musste. Was ist an diesem Krieg erfolgreich?

UZ: Seit Jahren verfolgst Du die innere Entwicklung der Bundeswehr. Dabei bist Du auf eine zunehmende Traditionspflege, die sich an der Wehrmacht orientiert, gestoßen. Wieweit ist die Generalität in diese Gedankenwelt verstrickt?

Ulrich Sander: Die Generalität der Bundeswehr nahm ihre Arbeit auf, indem sie die Politiker erpresste. Sie sagte vor cirka 60 Jahren in ihrer Himmeroder Denkschrift: Wir stellen uns nur zur Verfügung, wenn die neue Wehrmacht, so nannten sie diese, uns annimmt wie wir sind, wenn niemand für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zur Verantwortung gezogen wird und die Täter sozial abgesichert werden. Der große Adenauer erklärte zynisch, woher soll ich all die unbelasteten 18-jährigen Generäle nehmen, die ich brauche? Und er nahm die Organisatoren des Bandenkrieges, wie die Vernichtung von Millionen Juden und Slawen genannt wurde. Schneiderhan predigte der Bundeswehr den Präventivkrieg, den Angriff, um die eigenen Ziele durchzusetzen. In der Bundeswehr kursieren Papiere ehemaliger Generale, die die Abkehr von der Distanzierung zur Wehrmacht verlangen. Damals geschahen „Überreaktionen“, wie die Kriegsverbrechen in diesen Papieren genannt werden, und heute können diese wieder geschehen - und die Truppe muss von dem Risiko befreit werden, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Es hat in Afghanistan 61 Fälle von Tötungen durch die Bundeswehr gegeben, zahlreiche Frauen und Kinder wurden getötet - und nicht ein einziges Verfahren führten die zuständigen Staatsanwaltschaften gegen Bundeswehrsoldaten durch. Das Massaker von Kunduz sollte ebenfalls ohne Konsequenzen bleiben. Aber es war zu monströs, um einfach unter den Teppich gekehrt zu werden. Das Argument, in Afghanistan will der Westen den Rechtsstaat schaffen, wird mit Kunduz erneut ad absurdum geführt. Wer zwei Tanklastwagen stiehlt, wird in Rechtsstaaten nicht getötet.

UZ: Bei der Gründung der Bundeswehr war von innerer Führung die Rede. Das neue Militär sollte dem demokratischen Staat verpflichtet sein. Wie beurteilst Du den inneren Zustand der Bundeswehr heute, über 50 Jahre danach?

Ulrich Sander: Militarismus und Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Mit den Notstandsgesetzen von 1968 wurde festgelegt, die Bundeswehr auch gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, wenn der Spannungsfall es verlangt und die eigene Bevölkerung sich nicht mehr fügt. Junge Menschen haben sich diesem Militarismus durch Kriegsdienstverweigerung entzogen. Das Festhalten am Zwangssystem Wehrpflicht - auch wenn nicht alle Wehrpflichtigen benötigt werden - verweist uns darauf, dass man sich das Menschenmaterial für den Krieg nach innen und außen bewahren will. Die Wehrpflicht der Reservisten wurde 2005 auf das Alter von 60 Jahre verlängert. Mittels Zivilmilitärischer Zusammenarbeit im Inneren wie Äußeren sollen die Reservisten verfügbar gehalten werden. Das alles hat mit Demokratie nichts zu tun.

UZ: Inzwischen wird von über 150 zivilen Toten bei dem Luftschlag von Kundus gesprochen. Ist da vor Ort ein Oberst aus dem Ruder gelaufen? Oder kann man vermuten, dass die militärische Bundeswehrführung mit dieser Eskalation der Gewalt bestimmte Absichten verbindet?

Ulrich Sander: Ich nehme an, solche Leute wie Oberst Georg Klein wollen den militärischen Sieg erzwingen, und sie scheuen nicht vor Kriegsverbrechen nach dem Vorbild der Wehrmacht zurück. Es soll ein Exempel statuiert werden, dass sich die militärische Gewalt unbedingt durchsetzen soll. Guttenberg stellte in einer seiner ersten Ministererklärungen fest, der Krieg der Deutschen in aller Welt soll zum Dauerzustand werden. Bestimmte Offiziere fassen so etwas so auf, dass jeder, mit dem einmal ein Frieden ausgehandelt werden könnte, vernichtet wird.

UZ: Der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg spricht von Fehlern vor dem Luftschlag und danach. Von dem Luftschlag selbst rückt er nicht ab. Was soll diese widersinnige Haltung?

Ulrich Sander: Er will sich die zu allem bereite und fähige Truppe erhalten und das Vertrauen der Generale in ihn möglichst bewahren. Er deckt die Verbrechen ab. Ein solcher Minister sieht allenfalls Fehler, keine Verbrechen. Er hat wohl noch viel vor - wenn wir ihn lassen.

UZ: Die Bundesanwaltschaft prüft eine Anklageerhebung gegen den Befehlshaber der Luftschläge. Ist das Problem aus der Welt geschafft, wenn ein Einzelner verurteilt wird?

Ulrich Sander: Der Bundeswehr gehörten rund eintausend ehemalige Wehrmachtssoldaten an, gegen die staatsanwaltschaftlich wegen Verbrechen vor 1945 ermittelt wurde. Nicht ein einziger wurde verurteilt. Schwerbelastete wie Heusinger, Klebe, Pemsel, Pössinger und Thilo gelangten in höchste Kommandostellen. Es wäre schon bedeutend gewesen, wenn ein einziger verurteilt worden wäre. Es hätte dazu geführt, dass nicht alle alles hingenommen, es geschehen lassen und sich den Mördern gefügt hätten. Antifaschisten führen seit Jahren Aktionen durch, um die Bestrafung von NS-Kriegsverbrechern aus der Wehrmacht zu verlangen. Es wurde die Verurteilung des Ex-Wehrmachtsoffiziers und Kriegsverbrechers Joseph Scheungraber aus Ottobrunn durchgesetzt. Auch vor seinem Haus wurde demonstriert, bevor die Staatsanwaltschaft endlich tätig wurde. Übrigens: Oberst Georg Klein hat diese Adresse: 13. Panzergrenadierdivision, 041559 Leipzig, Wiederitzscher Weg. Als Antimilitaristen den Kriegsverbrecher und Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der Generalbundesanwaltschaft anzeigten, da wurde geantwortet: Den würden US-Behörden verurteilen, wenn es etwas zu verurteilen gäbe. In Sachen Klein gibt es Handlungsbedarf, und zuständig ist Karlsruhe.

Die Fragen stellte Adi Reiher

*Ulrich Sander ist Journalist und Aktivist der VVN-BdA. Von ihm erscheint demnächst „Eine Mordstruppe“ über die Auseinandersetzung mit dem Kameradenkreis der Gebirgstruppe.

Mit freundlicher Genehmigung: http://www.unsere-zeit.de/