23.11.09
Fatale Gleichsetzung
Die Bundesregierung hält
Rechtsextremismus, Linksradikalismus und Islamismus für ein und
dasselbe Problem. Sie lenkt von der größten Bedrohung der
parlamentarischen Demokratie ab: dem neoliberalen Kurs der
Koalition
Junge Welt vom 19.11.2009
Von Christoph Butterwegge
Die »schwarz-gelbe« Bundesregierung setzt sowohl auf
wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischem Gebiet neue Akzente, die
bei genauerem Hinsehen altbekannt erscheinen, als auch im Umgang mit
dem Rechtsextremismus, den sie offenbar als Rand(gruppen)phänomen
begreift und kurzerhand mit dem Linksradikalismus und dem Islamismus
gleichsetzt. Wenn der Koalitionsvertrag die »Aufarbeitung des
NS-Terrors und der SED-Diktatur« im selben Atemzug nennt, fühlt
man sich an die Gleichsetzung von Stalinismus und Hitlerfaschismus
durch Totalitarismustheoretiker im Kalten Krieg erinnert. Daß die
Bundesprogramme gegen den Rechtsextremismus (»Vielfalt tut gut.
Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« sowie »Kompetent
für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus«)
mit einem Jahresbudget von 19 Millionen bzw. fünf Millionen Euro
laut Koalitionsvertrag »unter Berücksichtigung der Bekämpfung
linksextremistischer und islamistischer Bestrebungen« in Projekte
gegen Extremismus ganz allgemein umgewandelt werden sollen, bedeutet
einerseits, daß die Gefahr des Rechtsextremismus für die
Demokratie im Sinne der Extremismustheorie relativiert wird, und
andererseits, daß bei stabilem Mittelaufkommen weniger Aktivitäten
dagegen finanziert werden.
Grundirrtümer
Als der Kalte Krieg während der 50er und frühen 60er Jahre
seinen Gipfelpunkt erreichte, wurden in der Bundesrepublik alle
geistig-politischen Kräfte im Kampf gegen den Kommunismus bzw. den
Marxismus-Leninismus mobilisiert. Was lag näher, als diesen unter
dem Oberbegriff »Totalitarismus« mit dem Nationalsozialismus bzw.
Hitlerfaschismus mehr oder weniger explizit gleichzusetzen? Es gab
keine für das deutsche Bürgertum geeignetere Konzeption, um seine
kampflose Preisgabe der Weimarer Republik als das Resultat einer
doppelten Frontstellung (gegenüber Rechts- und Linksextremisten) zu
entschuldigen, die geistigen Berührungspunkte mit dem deutschen
Faschismus zu verschleiern und die selbstkritische Aufarbeitung der
NS-Zeit durch Neukonturierung des alten Feindbildes
(Kommunisten/Sozialisten) überflüssig zu machen.
Vor allem die Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse
versuchen bereits seit mehreren Jahrzehnten, die Extremismustheorie
durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen populär zu machen und
ihr eine über den staatlichen Sicherheitsapparat, etablierte
Bildungseinrichtungen und die bürgerlichen Parteien wie den
sozialdemokratischen Regierungsflügel hinausreichende Akzeptanz zu
verschaffen. Sie legten ihren Arbeiten die folgende Definition
zugrunde: »Der Begriff des politischen Extremismus soll als
Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und
Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen
Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln
einig wissen, sei es, daß das Prinzip menschlicher
Fundamentalgleichheit negiert (Rechtsextremismus), sei es, daß der
Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und die
Idee der individuellen Freiheit überlagert (Kommunismus), sei es,
daß jede Form von Staatlichkeit als ›repressiv‹ gilt
(Anarchismus).« Wer den Verfassungsstaat – und gerade nicht die
Verfassung selbst – als zentralen Bezugspunkt seiner
Extremismusdefinition wählt, zeigt damit im Grunde nur, wie
staatsfixiert er ist, was übrigens zu den Hauptkennzeichen des
Rechtsextremismus in Deutschland, nicht aber des Linksradikalismus
zählt.
Todfeinde wie Faschisten und Kommunisten befinden sich damit per
definitionem »im selben Boot«, wohingegen ihrer Herkunft, ihren
geistigen Wurzeln und ihrer Ideologie nach engverwandte Strömungen,
etwa Deutschnationalismus, Nationalkonservatismus und
Nationalsozialismus, unterschiedlichen Strukturkategorien zugeordnet
werden. Grau- bzw. »Braunzonen«, ideologische Grenzgänger und
inhaltliche Überschneidungen zwischen (National-)Konservatismus und
Rechtsextremismus, wie sie beispielsweise bei den Themen
»Zuwanderung«, »demographischer Wandel« und »Nationalbewußtsein«
zutage treten, werden nicht mehr thematisiert, die tiefen Gräben
zwischen Rechts- und Linksradikalismus zwar keineswegs ignoriert,
ihrer Bedeutung nach jedoch stark relativiert.
Wer die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates zum
entscheidenden oder gar zum einzigen Bestimmungsmerkmal des
»Extremismus« erklärt, ignoriert oder vernachlässigt die
gesellschaftlichen Ursachen seines Untersuchungsgegenstandes.
Extremismustheoretiker behandeln den Rechtsextremismus (ebenso wie
den Linksradikalismus) primär als einen Gegner der bestehenden
politischen bzw. Staatsordnung, nicht als ein soziales Phänomen,
das mitten in der Gesellschaft wurzelt. Eckhard Jesse lehnt es sogar
strikt ab, die Frage nach den geistigen Hinter- und Beweggründen
für Unterdrückungsmaßnahmen eines totalitären Regimes überhaupt
zu stellen: »Das Opfer totalitärer Mechanismen muß eine solche
Differenzierung – Kommunismus als Deformation einer an sich guten
Idee – als sophistisch, wenn nicht zynisch empfinden, ganz
abgesehen davon, daß Ziele und Mittel vielfach ineinander
übergehen.« Freilich ist die von Jesse verabsolutierte
Opferperspektive wenig geeignet, ein sachliches und fachlich
qualifiziertes Urteil zu fällen. Aus guten Gründen sitzen keine
Gewaltopfer (bzw. deren Hinterbliebene), sondern unabhängige
Richter und eben nicht unmittelbar betroffene Geschworene bzw.
Schöffen über mutmaßliche Straftäter zu Gericht. Was aber im
Strafprozeß selbstverständlich ist, nämlich die Herkunft und
Motive eines Angeklagten zu würdigen, also nicht bloß das Resultat
der inkriminierten Handlung, sollte auch eine Grundvoraussetzung
für die wissenschaftliche Bewertung von Parteien, Bewegungen und
Herrschaftssystemen sein.
Versuche von Autoren wie Backes und Jesse, den Extremismus
gemäß der Verfassungsschutzargumentation als Kampfansage
gegenüber einem demokratischen Verfassungsstaat zu definieren,
konnten sich sogar unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges
nicht vollständig durchsetzen. Umso befremdlicher wirken sie nach
dem Ende der Ost-West-Konfrontation. So glaubt Jesse, eine
Konvergenz zwischen der Linkspartei, die er als »weiche Spielart
des Extremismus«, und der NPD, die er als »harte Variante des
Extremismus« charakterisiert, in der Tatsache zu erkennen, daß
beide Parteien die Systemfrage stellen. Ausgerechnet Lothar Bisky,
früher Vorsitzender der PDS und heute – gemeinsam mit Oskar
Lafontaine – von Die Linke, muß mit dem Ausspruch »Wir stellen
die Systemfrage!« als Bürgerschreck herhalten, damit Jesse seine
gewagte, wenn nicht eher peinlich wirkende Parallele zwischen Die
Linke und NPD zu »belegen« vermag. Jesse übersieht oder
unterschlägt allerdings, daß Linke und Rechte darunter etwas
völlig Verschiedenes verstehen: Während die Linken mit dem
»System« den Kapitalismus und mit dem Stellen der »Systemfrage«
die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien meinen, ging es
Konzernherren wie Thyssen und Krupp nie besser als unter dem
National»sozialismus«, der mit dem »System«, das er 1933 aus den
Angeln gehoben hatte, die Weimarer Republik der
»Novemberverbrecher« meinte. Dies verdeutlicht die ganze
Absurdität der Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus:
Während jemand durch Sozialisierungsmaßnahmen linker
Revolutionäre aufhört, ein Mitglied der herrschenden Klasse zu
sein, die sie bekämpfen, muß jemand, der für Rechtsextreme einer
»falschen« Rasse angehört, vertrieben oder vergast, ausgebürgert
oder »ausgemerzt« werden.
»Extremismus an der Macht«
Die Totalitarismustheorie ist, wenn man so will, das auf den
»Extremismus an der Macht« bezogene Pendant zur
Extremismustheorie. Sie war zwar kein Kind des Kalten Krieges –
wie häufig behauptet –, sondern wurde schon in den 20er und 30er
Jahren vor dem Hintergrund der Machtübernahme des italienischen
Faschismus (Benito Mussolinis »Marsch auf Rom«) einerseits und der
Stalinisierung Sowjetrußlands andererseits entwickelt, ihren
Hauptwirkungszeitraum bildeten aber die 50er und frühen 60er
Jahre, als die Beziehungen zwischen den westlichen Demokratien und
dem »Ostblock« unter Führung der UdSSR einen Tiefpunkt
erreichten.
Das genannte Theorem bot eine Möglichkeit, die Mitschuld
einflußreicher Gesellschaftskreise an der »Machtergreifung« des
Hitlerfaschismus, genauer: der Machtübergabe an die Nazis, zu
relativieren. Die Weimarer Republik sei, so hieß es, am
Zusammenspiel der Verfassungsfeinde links- und rechtsaußen zugrunde
gegangen. Außerdem diente das Interpretationsmodell während der
Ost-West-Konfrontation und der Restauration in der Bundesrepublik
Deutschland als innenpolitische Waffe gegen die demokratische Linke,
der unterstellt wurde, eine dem »Nationalsozialismus« und dem
Stalinismus ähnliche Herrschaft errichten zu wollen (»Alle Wege
des Marxismus führen nach Moskau« – so ein gegen die SPD
gerichtetes Wahlplakat der CDU aus dem Jahr 1953).
Die Extremismus-/Totalitarismustheorie klassifiziert zwar alles,
erklärt aber nichts. Sie als »Theorie« zu bezeichnen, ist daher
im Grunde ein pseudowissenschaftlicher Euphemismus. Wenn sie den
Extremismus bzw. den Totalitarismus auf den Begriff zu bringen
sucht, kommt statt einer Definition meist nur eine Addition von
Merkmalen heraus. Politikwissenschaft reduziert sich damit auf
bloße Deskription. Das eigentliche Dilemma der Totalitarismus- wie
der Extremismustheorie besteht darin, um der Akzentuierung
partieller Gemeinsamkeiten zwischen zwei Vergleichsgegenständen –
Kommunismus einerseits und Faschismus/Nationalsozialismus
andererseits – willen deren Wesensunterschiede eskamotieren zu
müssen. Zwangsläufig kommen die zentralen Inhalte der beiden
Ideologien gegenüber ihrer Wirkung, ihrem Absolutheitsanspruch und
ihrer Allgegenwart viel zu kurz.
Gemeinsamkeiten zwischen beiden Regimen kann – im wahrsten
Sinne des Wortes – jedes Kind erkennen: Man muß ihm nur Bilder
von Massenaufmärschen und Militärparaden, die Insignien des
Führerkults, Machtrituale oder Uniformen paramilitärischer
Verbände zeigen. Um die wesentlichen Unterschiede zu erkennen,
bedarf es hingegen wissenschaftlicher Methoden und analytischer
Fähigkeiten. Den entscheidenden Unterschied zwischen Links- und
Rechtsextremismus ignorieren Totalitarismus- bzw.
Extremismustheorien: »Der Rechtsextremismus strebt die Beseitigung
der Demokratie, der Sozialismus jedoch die Abschaffung des
Kapitalismus an«, wie der Berliner Soziologe Richard Stöss
bemerkt. Er schlußfolgert, daß der Rechtsextremismus prinzipiell,
also von seiner Idee her und den Zielen nach antidemokratisch, der
Sozialismus aber nur dann gegen die Demokratie gerichtet sei, wenn
er (im Sinne einer »Diktatur des Proletariats« oder des
Politbüros einer Kommunistischen Partei) mißbraucht oder
pervertiert werde.
1989 – Beweis oder Widerlegung?
Zwar sahen die Vertreter der Totalitarismustheorie im Niedergang
des osteuropäischen Staatssozialismus einen Triumph ihres Konzepts,
das wegen seiner Übernahme durch sich aufgrund der veränderten
Kräfteverhältnisse nach rechts wendender Linksintellektueller eine
gewisse Aufwertung erfuhr. Gleichwohl erwiesen sich der Berliner
Mauerfall und seine Folgen geradezu als Waterloo für die
Extremismus- und Totalitarismustheorie, wurden diese durch den
friedlichen Verlauf des Systemwechsels doch überzeugend widerlegt.
Entgegen ihrer Kernbotschaft sind Kommunismus und Faschismus nicht
nur ganz unterschiedlich – durch eine soziale Revolution in
Rußland, aber die freiwillige Übergabe der Regierungsgeschäfte an
Mussolini und Hitler in Deutschland bzw. Italien – an die Macht
gelangt, sondern haben diese auch ganz unterschiedlich wieder
verloren: Während die »rechte Spielart des Totalitarismus« 1945
ein durch ihren barbarischen Angriffs-, Eroberungs- und
Vernichtungskrieg zerstörtes Europa hinterließ, trat die »linke
Variante des Totalitarismus« 1989/90 trotz der Verfügung über ein
riesiges (Atom-)Waffenpotential ab, ohne den geringsten
militärischen Widerstand zu leisten, wenn man von Rumänien
absieht.
Wer die DDR als »zweite deutsche Diktatur« bezeichnet, sie mehr
oder weniger offen mit dem sogenannten Dritten Reich gleichsetzt und
Erich Honecker in die Nähe Adolf Hitlers rückt, verharmlost damit
nicht bloß den Wilhelminismus, sondern auch den deutschen
Faschismus. Wiederum ist entlarvend, was da auf welche Art
miteinander verglichen wird. Man kann unter dem Oberbegriff
»Krankheiten« auch Hautkrebs und Hühneraugen miteinander
vergleichen; dies wird aber kein seriöser Mediziner tun.
Vergleiche, die formale Ähnlichkeiten von Herrschaftsregimen
überbewerten und inhaltliche Gegensätze herunterspielen, sind
interessengeleitet und tragen kaum etwas zur Klärung von wichtigen
Sachverhalten und Zusammenhängen bei.
Nach der Zäsur 1989/90, welche die Totalitarismustheorie
historisch falsifiziert und in der Praxis widerlegt hatte, erfuhr
diese in neuem Gewand eine fragwürdige Wiederbelebung. Extremismus-
und Totalitarismustheoretiker, deren wissenschaftliche Reputation
damals aufgrund des schwindenden politischen Gebrauchswerts ihres
Ansatzes gegen Null tendierte, entwickelten – begünstigt durch
Erfolge rechtspopulistischer Gruppierungen und Terroranschläge
islamistischer Fundamentalisten – die Populismus-,
Fundamentalismus- und Terrorismustheorie quasi als politisches
Substrat für die Extremismus- und Totalitarismustheorie, ohne ihr
mehr inhaltliche Substanz zu verleihen. In der Terrorismushysterie
nach den Anschlägen am 11. September 2001 lag es nahe und fiel es
ihnen leicht, das Extremismus- bzw. Totalitarismuskonzept auf den
islamischen Fundamentalismus anzuwenden. Während Eckhard Jesse
seinerzeit eine »Übertragung auf ferne Kulturkreise« empfahl, um
der Extremismus- und Totalitarismustheorie neues Leben einzuhauchen,
erklärte Armin Pfahl-Traughber, damals wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, den Extremismus zur
»politische(n) Variante des Fundamentalismus«, wodurch der
terminologische Bezug zum Islamismus hergestellt und man wieder auf
der Höhe der Zeit war.
Ruf nach starkem Staat
So wenig originell die Ideen von Backes, Jesse und Co. anmuten,
so mächtig sind die hinter ihnen stehenden Interessen. Während
sich das bürgerliche Lager mit ihrer Hilfe als »demokratische
Mitte« über alle seine Widersacher fast nach Art einer
Lichtgestalt erhebt und die staatlichen Sicherheitsorgane ihre
fortdauernde Existenzberechtigung nachweisen und Personal- wie
Sachmittelforderungen begründen können, werden linke Kritiker des
kapitalistischen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystems und
undemokratischer Praktiken seines Staates in geradezu perfider Weise
dadurch delegitimiert, daß man sie auf eine Stufe mit ihren
Hauptgegnern, religiösen Fanatikern, Rechtsterroristen und
Faschisten stellt.
Die beliebteste, aber leicht durchschaubare Schutzbehauptung der
Extremismus- und Totalitarismustheoretiker lautet, man setze so
unterschiedliche Systeme wie den Nationalsozialismus und den
Kommunismus gar nicht gleich, sondern vergleiche sie nur, was
schließlich erlaubt sein müsse. Natürlich darf man Äpfel mit
Birnen vergleichen, denn es handelt sich hierbei um ganz ähnliches
Obst. Aber wer den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt mit dem
Linkspartei-Vorsitzenden Lothar Bisky vergleicht, suggeriert
zumindest unterschwellig, daß beide Politiker und Parteien
gleichzusetzen seien, denn sonst müßte er auch mal Bisky mit dem
SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und den CSU-Vorsitzenden Horst
Seehofer mit Voigt vergleichen, was mit Sicherheit nie passiert
Was sich mit dem Titel »Totalitarismustheorie« schmückt, ist
pure Ideologie, wenn sie das Ziel verfolgt, Sozialismus und
Kommunismus durch Gleichsetzung mit dem (Hitler-)Faschismus zu
diskreditieren. Dagegen entlastet sie den letzteren, indem ihm das
negative Alleinstellungsmerkmal des politischen Verbrechertums
genommen und seine Terrorherrschaft relativiert bzw. verharmlost
wird. Völlig unbeachtet bleibt jener Wirtschaftstotalitarismus, den
Neoliberalismus und Marktradikalismus implizieren, was man –
wenngleich meines Erachtens nur sehr vage und mißverständlich –
als »Extremismus der Mitte« charakterisieren kann.
Extremismus- und Totalitarismustheorien kaschieren, daß die
parlamentarische Demokratie so gut wie nie von den politischen
Rändern, sondern erheblich häufiger von Eliten bedroht wird, die
ihre Privilegien durch Massenproteste gefährdet sehen und ihre
Gegner als »Populisten«, »Fundamentalisten« und »Terroristen«
beschimpfen, um sie bei unentschiedenen Dritten in Mißkredit zu
bringen. Extremismus- und Totalitarismustheorien erklären absolut
nichts, vernebeln vielmehr alles, was zu kennen wichtig ist, um die
genannten Phänomene mit Erfolg bekämpfen zu können: die
sozialökonomischen Entstehungsursachen, das Wesen und die Wurzeln
von Rechtsextremismus, Faschismus und (gewalttätigem) Neonazismus.
Selbst politische Ziele und Motive der Personen, die als
»Extremisten« oder »Totalitaristen« etikettiert werden, bleiben
vage, wenn vorrangig die Mittel, deren sie sich bedienen, für einen
Vergleich herangezogen werden, der die Gleichsetzung ansonsten
völlig unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Akteursgruppen
bezweckt. Entscheidend ist letztlich immer, warum eine politische
Strömung entsteht, welche Interessen sie vertritt und wogegen sie
angeht bzw. aufbegehrt. Wie sie ihre Ziele zu erreichen sucht, ist
keineswegs irrelevant, wird aber maßgeblich davon beeinflußt.
So wenig die Extremismustheorie eine Analyse des
Rechtsextremismus ermöglicht, so wenig verfügen ihre Vertreter
über eine geeignete Strategie, ihn zu bekämpfen. Sie setzen im
wesentlichen auf den Staat, genauer: einen starken Staat in Form
einer »wehrhaften Demokratie«, die rechte und linke Extremisten
nicht gleich ausschalten, aber aus dem politischen Machtzentrum der
Gesellschaft heraushalten soll. Wer – wie es die
Extremismustheorie verlangt – nach zwei Seiten zugleich schaut,
haut nie gezielt und trifft keinen Gegner. Wer angeblich in gleicher
Weise nach links- und rechtsaußen starrt, verliert die Entwicklung
in der politischen Mitte als mögliche Hauptbedrohung für die
Demokratie zwangsläufig aus dem Blick. Dies gilt besonders für
Anhänger der Extremismustheorie, die zwar von einer »Gemeinsamkeit
der Demokraten« sprechen, sie aber in der Praxis dadurch
hintertreiben, daß sie Linke als potentielle Verbündete
ausgrenzen.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an
der Universität zu Köln. Zuletzt sind von ihm die Bücher
»Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut« sowie »Armut in einem
reichen Land« erschienen
Mit freundlicher Genehmigung von Junge
Welt
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