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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

10.11.09

Aachen erinnert und wehrt sich

Presseschau zum 09. November 2009 in Aachen

Der Tag, an dem auch hier das Morden begann

Von Christoph Classen | 09.11.2009

Aachen. Die Bilanz nach knapp 20 Jahren fällt erschreckend aus. «Seit 1990», sagt Kurt Heiler von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifachisten (VVN-BdA), «wurden allein in Deutschland über 130 Menschen von Neonazis ermordet.» Allein weil ihre Hautfarbe, ihr Glauben, ihre Gesinnung oder ihr Pass nicht ins arg beschränkte Weltbild der Täter passen wollten. Ja, es ist die schaurige Bilanz eines vereinigten Deutschlands. Genau 20 Jahre nach dem Mauerfall ist er allgegenwärtig: Dabei ist der 9. November nicht nur mit grenzenloser Freude verbunden.

Das wollen die Menschen auf dem Synagogenplatz nicht in Vergessenheit geraten lassen. Es sind erfreulich viele, annähernd 120. Einer von ihnen ist OB Marcel Philipp. Sie stehen dort, weil am 9. November nicht nur die Mauer, sondern auch jegliche Hemmungen fielen. Das war 1938. Als Reichspogromnacht werden die Ereignisse später in die Geschichtsbücher eingehen. Es war das erste Kapitel der dunkelsten Episode der deutschen Historie. «Beginn eines Völkermordes nie da gewesenen Ausmaßes» nennt Birgit Valder, Moderatorin der Mahnwache, die Reichspogromnacht.

Auch in Aachen bildete sie nur den hasserfüllten Auftakt für folgende Gräueltaten. Nachdem die jüdischen Geschäfte in der Großkölnstraße verwüstet sind, wird die Synagoge in Brand gesteckt. Als die Feuerwehr die Kirche erreicht, facht sie die Flammen mit Brandbeschleuniger weiter an. 268 Aachener Juden werden verschleppt, viele von ihnen sterben im KZ Buchenwald einen grausamen Tod. Bei manchen ist die Verzweiflung so groß, dass sie den Zeitpunkt selber wählen. «Sie liefen in den elektrischen Zaun oder stürzten sich in die Latrinen, wo sie qualvoll erstickten», zitiert Birgit Kreitz aus einem Erfahrungsbericht «Buchenwald 1938».

Faschismus ist heute weniger Gespenst der Vergangenheit als aktuelles Problem. Kurt Heiler sagt das und belegt es mit Zahlen. 80 Prozent der politisch motivierten Straftaten in unserer Region gingen von Rechten aus, 383 Fälle seien allein vergangenes Jahr gezählt worden. Mehr Sorgen als der extreme Rand macht Heiler aber, dass rechtes Gedankengut zunehmend in der gesellschaftlichen Mitte salonfähig werde. Bestes Beispiel seien die jüngsten Äußerungen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin. «Hätte jemand in England oder Frankreich so über Migranten gesprochen, wäre er aus dem Amt entlassen worden. Sarrazin widerfährt nichts außer einer Schubkarre zustimmender Briefe», sagt Heiler.

Bevor Rabbiner Mordechai Bohrer das Totengebet spricht, thematisiert der Arbeitskreis «Kein Vergessen» den aktuellen Kriegsverbrecherprozess gegen Ex-SS-Mann Heinrich B. Heute werde das Gericht über die Einstellung des Verfahrens entscheiden.

Quelle: http://www.az-web.de/lokales/aachen-detail-az/1111344/Der-Tag-an-dem-auch-hier-das-Morden-begann

Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft?

Von Michael Klarmann 09.11.2009

Aachen. Mit einer Mahnwache wurde am Montagabend vor der Synagoge der Opfer der Pogromnacht vor 71 Jahren gedacht. Eindringliche Mahnungen dabei: Man müsse dafür Sorge tragen, dass sich das Geschehene nie wiederholt.

Ähnlich wie in anderen deutschen Orten war auch in Aachen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge von SA-Männern und Bürgern in Brand gesteckt worden. Juden waren misshandelt, ihre Wohnungen und Geschäfte zerstört worden.

Aufruf des OB

Rund 120 Menschen hatten sich bei Nieselregen vor der Synagoge versammelten. Organisiert hatte die Mahnwache ein Bündnis religiöser, antifaschistischer und linker Initiativen, Vereine und Parteien. Ebenso unter den Teilnehmern waren Vertreter der im Rat vertretenen Parteien und Oberbürgermeister Marcel Philipp. Zuletzt hatte der OB wegen eines Neonazi-Aufmarsches dazu aufgerufen, sich an der Gedenkfeier für die Opfer der Pogromnacht zu beteiligen. Man könne so der Opfer gedenken, aber ebenso ein Zeichen für die Demokratie und eine menschlichere Zukunft setzen.

Von Neonazis ermordet

In einem Redebeitrag wies Kurt Heiler von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) darauf hin, dass das Gedenken im Schatten der Feiern zum zwanzigsten Jahrestages des Mauerfalls stehe. Dabei müsse jedoch auch daran erinnert werden, dass seit dem Fall der Mauer in Deutschland über 130 Menschen durch neonazistische Täter ermordet worden seien. Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus reichten heute bis hinein in die Mitte der Gesellschaft. Heiler verwies auf den Bundes-Banker Thilo Sarrazin, der gegen Migranten gewettert habe. Die Stichwortgeber der Neonazis säßen nicht nur in deren Reihen, so die scharfe Kritik.

Nach 60 Jahren vor Gericht

Erinnert wurde durch eine Sprecherin des Arbeitskreises «Kein Vergessen» auch an den Prozess gegen einen ehemaligen SS-Mann in Aachen. Trotz Ermittlungen und Urteilen gegen diesen in den Niederlanden habe der deutsche Staat ihn erst nach rund 60 Jahren vor Gericht gestellt. Nun aber, so die Sprecherin, versuche dessen Verteidigung, den 88-Jährigen, der all die Jahre unbehelligt in Deutschland leben konnte, als Opfer der Justiz darzustellen. Das sei eine unglaubliche Umkehrung von Täter und Opfer. Überdies besuchten Neonazis das Verfahren provokativ, und auch sie verdrehten die Tatsachen, stilisierten den ehemaligen SS-Mann zum Opfer.

Jüdisches Totengebet

Verlesen wurden im Rahmen der Mahnwache auch bewegende Berichte über die Verschleppung von Juden in das KZ Buchenwald. Die Schauspielerin Elisabeth Ebeling vom Theater Aachen rezitierte ein Gedicht von Heinrich Heine. Der Geiger Illya Kiuila, Mitglied der jüdischen Gemeinde, begleitete das Gedenken mit jiddischer Musik.

Am Ende sprach Rabbiner Mordechai Bohrer das eindringliche jüdische Totengebet für die Opfer des Holocaust, in deutscher und in hebräischer Sprache.

Quelle: http://www.an-online.de/lokales/aachen-detail-an/1111349?_link=&skip=&_g=Antisemitismus-in-der-Mitte-der-Gesellschaft.html