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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

19.10.09

Für die Verwirklichung von Grundgesetz und Landesverfassung 

Militär raus aus den Rathäusern

Stellungnahme von Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen, auf der Tagung des Landesausschusses am 17. Oktober 2009 in Wuppertal

In Nordrhein-Westfalen haben linke politische Kräfte an zwei Tabus gerührt. Sie machen

  1. grundlegende Vorschläge zur Verwirklichung der Landesverfassung und wenden sich
  2. gegen die klammheimliche Verankerung der Bundeswehr in den Städten und Gemeinden zum Zwecke des Militär-Einsatzes gegen die Bevölkerung.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten unterstützt dese politischen Konzepte und verurteilt entschieden die Kampagne der Landesregierung und großer Teile der Medien, die das Ziel verfolgen, die Einhaltung des Grundgesetzes und der Landesverfassung sowie ihre Verwirklichung zu einer verfassungswidrigen Handlung umzufälschen, ja sie zu kriminalisieren. (Wer Enteignungen z.B. der Energiekonzerne fordere, "steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, polterte der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers." Süd-deutsche Zeitung 15. Oktober 2009) Da bei der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene die NRW-FDP eine führende Rolle spielt, ist es abwegig zu glauben, die FDP würde eine bürgerrechtlich-demokratische Komponente darstellen. Geprägt wird die Politik von einer NRW-FDP mit nie aufgearbeiteten rechtsextremen Skandalen (NSDAP-FDP-Naumann-Kreis, Fall Achenbach mit seiner Adolf-Hitler-Spenden-Vergangenheit, Lambsdorff-Flick-Skandal, Möllemanns Instrumentalisierung des Antisemitismus für die FDP usw.) Die Landesverfassung wird von der derzeitigen schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf so behandelt, als hätte sich die NRW-FDP mit ihrem Verfassungsentwurf von 1995 durchgesetzt. Damals forderte die NRW-FDP-Landtagsfraktion, der Landesverfassung "neues Leben einzuhauchen", weil in der bisherigen und noch immer gültigen Verfassung noch immer "Laubenpieperromantik und die Sozialisierung der Großindustrie herumgeistern", so hieß es im Entwurf.

Die Lehren aus Krieg und Faschismus erfordern die Einhaltung der Landesverfassung. So die des Artikels 27 der gültigen NRW-Landesverfassung: "Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden. Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten." Weiter gibt es den gültigen Mitbestimmungsartikel 26: Es "wird das Recht der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung anerkannt und gewährleistet." Und "jedermann hat ein Recht auf Arbeit", heißt es in Artikel 24. In diesem Verfassungsartikel heißt es auch, dass "im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens ... das Wohl des Menschen" steht; der "Schutz der Arbeitskraft hat Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes". Die Landesverfassung wurde am 28. 6. 1950 in einer Volksabstimmung beschlossenen. Die Regierungsparteien in NRW, CDU und FDP, haben sich fast 60 Jahre später hingegen das Credo "Privat vor Staat" gewählt. Dies verstößt gegen die Verfassung, gegen die Forderung nach Einhaltung der Verfassung, wie auch des Grundgesetzes.

Bereits am 20. 07. 1954 hat das Bundesverfassungsgericht zu Grundgesetz und Länderverfassungen entschieden: "Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche." Der Verfassungsgeber habe sich "nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden." Das heißt: "Sozialisierung" ist also möglich, so ist auch der Artikel 15 des Grundgesetzes überschrieben, in dem es heißt: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz (…) in Gemeineigentum (…) überführt werden." In Artikel 14 GG heißt es: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen."

Grundgesetz und Landesverfassung widerspricht es auch, dass unter der Federführung des Landesinnenministers Ingo Wolf (FDP) grundlegende Bürgerrechte geschmälert werden. Er sorgte dafür, dass NRW Vorreiter bei der Schaffung der Onlinedurchsuchungssysteme zur Bespitzelung der Bürger in bisher nicht gekanntem Maße wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Bespitzelungssystem vorerst gestoppt. Der Landesinnenminister - Vertreter einer Partei, die sich demagogisch und contrafaktisch Bürgerrechtspartei nennt - war es auch, der das Versammlungsgesetz immer wieder zum Schutze von Naziaktivitäten einsetzte und mit V-Leuten die Naziumtriebe schützte. Er hat außerdem die oberste Kommandogewalt in NRW bei der Zusammenlegung von Polizei und Bundeswehr im Rahmen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) inne.

Der Tendenz, Konflikte weltweit militärisch zu lösen, folgte die Militarisierung der Innenpolitik. Beides mit verheerenden Folgen auch für das eigene Land, für die Gesellschaft, für die Kommunen. Auch die Landkreise und kreisfreien Städte in NRW sind indirekt und direkt betroffen. In ihnen wurden Bundswehrkommandostäbe der Zivil-militärischen Zusammenarbeit" (ZMZ) eingerichtet.

Die Rüstungsausgaben explodieren, während die Sozialetats drastisch sinken und immer größere Teile der Bevölkerung verarmen. Seit der Fußball-WM 2006 wird unter dem Vorwand des " Kriegs gegen den Terror" ein schleichende Demokratieabbau und eine Aushöhlung der Verfassung betrieben. Vorratsdatenspeicherung, das Ausspionieren privater PCs, das Ausspähen von Wohnungen und der verfassungswidrige Einsatz der Bundeswehr im Innern mittels ZMZ sind Ausdruck des Abbaus der Bürgerrechte.

Mit der ab 2006 neu geordneten "Zivil-militärischen Zusammenarbeit" und dem neuen Reservistengesetz können hunderttausende ehemalige Soldaten zum Einsatz im Äußeren und Inneren herangezogen werden. Den Oberbürgermeistern in den Städten und den Landräten in den Kreisen wird von Beauftragten der Bundeswehr "militärische Kompetenz" bei der Bewältigung von "Katastrophen und Großschadensfällen" angedient. Praktischerweise richten sich diese Krisenspezialisten gleich in den Rathäusern ein, in Dortmund z.B. in zwei Etagen ganz oben im Stadthaus. Es wurden bis zu 700.000 Euro pro Kommune aus den knapp bemessenen kommunalen Haushalten für das Einrichten dieser zivil-militärischen Zentren ausgegeben. Davon ahnen die Bürger/innen so gut wie nichts. Sie sollen auch gar nicht wissen, welche "Krisen" in der Stadt da mit militärischer Hilfe zivil gelöst werden sollen. Doch Einsätze gegen Demonstrationen wie 2007 in Heiligendamm, wo die Bundeswehr der Polizei "Amtshilfe" mit Tornados und Panzern gab, erfolgten im Rahmen von ZMZ.

Die Frage, was mit ZMZ in den Kommunen und Regionen bezweckt wird, wurde nun unmissverständlich im Gefolge von Recherchen der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (DieLinke) und der Vertreter aus der VVN-BdA beantwortet. Bundeswehr, Innenminister und die meisten Medien haben bisher verschwiegen, was am 28. 8. 09 in einer Antwort der Regierung auf Fragen der Abgeordneten herauskam: Der Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende und Demonstrierende im Rahmen der Zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) ist nicht mehr auszuschließen. Ob "Großereignisse (Staatsbesuche, Gipfel) sowie damit in Zusammenhang stehende Demonstrationen Anlässe für die Zusammenkunft der Katastrophenschutzstäbe sein" können, obliege den für die örtliche polizeiliche und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr zu-ständigen Landesbehörden, heißt es in der Antwort. Es bleibe "dem jeweiligen konkreten Einzelfall vor-behalten", ob "Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der ZMZ-Strukturen herangezogen werden können".

Die Entdemokratisierung der Gesellschaft mittels ZMZ findet auch ihren Ausdruck in der Aufwertung der Reservistenverbände und der Rolle der Militärs bei der "Berufsberatung". Jugendliche ohne Arbeits- und Ausbildungsplatz werden zunehmend in den Arbeitsagenturen unter Druck gesetzt, um in der Bundeswehr zu dienen. Die Reservistenverbände - sie arbeiten ohne Abgrenzung zu den Rechtsextremisten - erhielten Auftrieb durch die Heraufsetzung des Reservistenalters auf 60 Jahre. Die Bundeswehrreservisten werden an bezeichnenderweise an Feldjägerschulen und in Pioniereinheiten ausgebildet. Zivile Verwaltungsstrukturen werden militärisch unterwandert und durchsetzt. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz und andere bisher zivile Organisationen und Strukturen werden militarisiert. Den Schulen werden Offiziere als Lehrer im Staatsbürgerkundeunterricht aufgezwungen.

  • Die VVN-BdA ruft die Kommunen des Landes und die Friedens- und Antifabewegung auf, sich dem Diktat des Militärischen zu widersetzen. 
  • Keine Militarisierung der Zivilgesellschaft! 
  • Umschichtung der Rüstungshaushalte zugunsten von Kommunen, Sozialem, Bildung und Umwelt. 
  • Bundeswehr raus aus den ARGEN und Schulen! Keine öffentlichen Militär-Events! 
  • Keine zivil-militärische Zusammenarbeit! Keine Bundeswehr ins Rathaus! Aufkündigung der ZMZ durch die Städte und Landkreise.

Die tiefgreifende Krise der Wirtschaft und Gesellschaft verlangt nach demokratischen, sozialen und ökologischen Wandlungen im Sinne der Mehrheit und nicht nur im Interesse kleiner Eliten. Gewaltlösungen und Militarismus vernichten die Kampfmöglichkeiten, die die Mehrheit der Men-schen im Lande benötigen, um ihre Interessen durchzusetzen. Daher sind Bürgerrechte, Streik-recht und Koalitionsfreiheit unabdingbare Voraussetzungen zur Lösung der Krise.