25.09.09
"...war kein Versehen..."
Massaker mit Vorgeschichte
Ulrich Sander
Das Massaker des Oberst Klein war kein Versehen -
Bundeswehrsoldaten werden zu hemmungslos aggressivem Handeln
ermuntert.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang
Schneiderhan, dachte, wie die FAZ schon Anfang 2003
berichtete, "über bisher Undenkbares" nach. Über die
Frage nämlich, "ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob
man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese
mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative
zu ergreifen". Was seinerzeit "undenkbar" war, wird
in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind
beseitigt.
Und so griff Oberst Georg Klein mit Bomben eine Gruppe von
Afghanen an, die zwei geklaute manövrierunfähige Tanklastzüge
umringten. Unter ihnen konnten ja Terroristen sein, und dann ist
alles erlaubt. Zwischen 70 und 125 Todesopfer wurden gezählt. Der
zuständige Minister verteidigte den Massenmord sofort. Er denkt ja
in ähnlichen Kategorien: Wer zum Beispiel ein Flugzeug entführt,
soll, weil er ja ein Terrorist sein könnte, abgeschossen werden, ob
Unbeteiligte dabei sind oder nicht. Ein mutmaßlicher Terrorist ist
todgeweiht, ungeachtet dessen, daß die Todesstrafe abgeschafft
wurde. Daran hält Jung fest, obwohl das Bundesverfassungsgericht es
ihm untersagte. Da er zudem die Bundeswehr nicht nur in der Luft
über uns, sondern auch auf dem bundesdeutschen Festland einsetzen
will, darf man mit Unruhe und Angst erwarten, was er unternimmt,
wenn mutmaßliche Terroristen einmal auf einer unserer Autobahnen
einen Tanklastzug entführen.
Für den Fall, daß Soldaten doch noch Hemmungen haben, nach
Schneiderhans und Jungs Rezept zu handeln, werden sie mit
permanenter Hetzpropaganda aufgestachelt. "Unter der
Überschrift ›Köpfe des Terrors‹ werden in der
September-Ausgabe des Bundeswehr-Magazins Y am Computer
produzierte Bilder von Führern der EI Quaida, Taliban und Dschihad
präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten
Wirkung ihre Vorläufer im Stürmer haben. Als Beweis lege
ich Ihnen die Faksimiles eines Stürmer-Titelbildes von 1943
bei." Das schreibt Alfred Fleischacker, der aus einer
jüdischen Familie stammt und als Kind in England den Naziterror
überlebte, in einem offenen Brief an Minister Jung. Der Brief steht
in der jüngsten Ausgabe der antifa, der Zeitschrift der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten.
Die VVN-BdA weist auf die besondere Aktualität vor dem Hintergrund
des Blutbades am Kundus-Fluß hin und wirft die Frage auf,
"welches Menschenbild der Truppe vermittelt wird, die derartige
Kriegsverbrechen begeht".
Die Veröffentlichung in Y ist kein Einzelfall. In
Publikationen, die in der Bundeswehr verbreitet werden, wird
beispielsweise ein Ende der Gerichtsverfahren gegen
Wehrmachtskriegsverbrecher gefordert. Bundeswehrgeneral a. D.
Jürgen Reichardt äußerte, auch die heutigen Bundeswehrsoldaten
könnten "in Situationen" geraten, in denen sie wie einst
Hitlers Soldaten "überreagieren". Sie müßten dann
befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden.
Deshalb solle Schluß sein mit der Verurteilung der
Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher. In der
Zeitschrift Gebirgstruppe sprang Reichardt ausdrücklich dem in
München zu lebenslanger Haft verurteilten Leutnant a. D. Joseph
Scheungraber bei, der wegen des Mordes an 14 italienischen
Zivilisten angeklagt war (s. Ossietzky 8/09).
Auch die neue "Taschenkarte", die Minister Franz Josef
Jung an die Soldaten ausgeben ließ, trägt mit ihrer aggressiven
Tendenz dazu bei, daß deutsche Soldaten wieder verwendungsfähig
für Kriegsverbrechen werden. Sie werden ermuntert, als erste zu
schießen.
Nun hat der Bundeswehrverband sich vor den Oberst Georg Klein
gestellt, der straffrei bleiben, nicht als Kriegsverbrecher
angeklagt werden solle. Der Verband sieht offenbar die Verantwortung
mehr beim Minister, fordert aber auch nicht Jungs Abberufung und
Bestrafung. Er umgeht das Problem, indem er die Bundeskanzlerin
bittet, das Kommando zu übernehmen. Da ist etwas dran.
Die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat laut
Grundgesetz-Artikel 65a der Bundesminister für Verteidigung; im
Verteidigungsfall geht sie laut Artikel 115b auf den Bundeskanzler
über. Obwohl die derzeitige "Verteidigung am Hindukusch"
(wie Jungs Vorgänger Struck den Krieg nannte) laut
Bundestagsbeschluß von November 2001 auf einen Bündnisfall - der
Bündnispartner USA war nach NATO Lesart am 11. September 2001
angegriffen worden - zurückgeht, haben der Kanzler, und später die
Kanzlerin die Kommandogewalt nicht übernommen. Was kümmert sie das
Grundgesetz.
Dabei waren und sind wir wirklich im Krieg. Schon vor fünf
Jahren verschaffte sich die Redaktion der Zeitschrift Friedens-
Forum beim Bundesministerium für Verteidigung diese Auskunft:
Ja, der nach dem 11.9.01 ausgerufene NATO-Bündnisfall gelte noch.
Jawohl, die NATO habe den Bündnisfall ausgerufen und dieser sei
noch aktiv, bestätigte ein Fregattenkapitän. Zu Einzelheiten
könne sich nur die NATO selbst äußern. Das war die Auskunft.
Frau Bundeskanzlerin, übernehmen Sie - und machen sie dem Krieg
ein Ende! Holen Sie die Soldaten zurück!
aus: Ossietzky 19/2009, S. 701-702
|