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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

20.09.09

Ein Chronist des deutschen Widerstandes und sein Wirken gegen das Vergessen

Historiker Karl-Heinz Jahnke gestorben

Der Historiker Karl Heinz Jahnke ist tot. Er starb am 14. September im Alter von 75 Jahren in Rostock. Ab 1968 war er Professor für Deutsche Geschichte in Rostock und forschte über den deutschen Faschismus und den antifaschistischen Widerstand, dessen Vertreter er porträtierte. Karl-Heinz Jahnke war einer der führenden Faschismusforscher in der DDR und wurde, wie so viele seiner Kollegen, nach dem Beitritt der DDR zur BRD aus dem Wissenschaftsbetrieb gedrängt. Seine Arbeiten über den Jugendwiderstand gegen die Nazis in den 60er Jahren waren Pionierarbeiten. Sie fanden auch im Westen großes Interesse, wo Jahnke ein gern gesehener Gast war. Jahnke leitete Projekte wie die "Illustrierte Geschichte der Arbeiterjugendbewegung" oder die "Chronik der FDJ". Prof. Jahnke stand in engem Kontakt zur VVN-BdA in Mecklenburg-Vorpommern. Wir verlieren mit Karl-Heinz Jahnke einen konsequenten Antifaschisten und engagierten Spezialisten in der Faschismusforschung.

Dr. Axel Holz
Vorsitzender der VVN-BdA Mecklenburg-Vorpommern

Siehe auch:

http://www.nrw.vvn-bda.de/ai/antifa_2006-5.pdf,
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0290_taler.htm,
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0281_npd_vs.htm,
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0157_kolloquium.htm,
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0215_verha_ltnisse.htm.

Prof. Karl-Heinz Jahnke war auch der VVN-BdA NRW sehr verbunden. Ulrich Sander schrieb über Jahnkes Erinnerungsbuch, das vor einem Jahr erschien, diese Besprechung.

Karl Heinz Jahnke schrieb seine Erinnerungen als Historiker auf

Ein Chronist des deutschen Widerstandes und sein Wirken gegen das Vergessen

Nach 1945 ist die Geschichte der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer in Deutschland niemals umfassend erforscht worden. Jene große Masse des Volkes, die sich anders verhalten hatte, zeigte dafür kein Interesse. Und die führenden Politiker und Publizisten spürten keinen Anstoß, an diesem Desinteresse etwas zu ändern. Warum sollte jemand, der sich auf die "Gnade der späten Geburt" etwas zugute hielt, an diejenigen erinnern, die in seinem Alter waren, aber dennoch gegen die Nazis handelten? So sind denn in zahlreichen Orten heute die Biographien der Opfer des Widerstandes weitgehend unbekannt.

Der beträchtliche jüdische Widerstand - außer bei sehr wenigen Autoren ist er kaum irgendwo ein Thema. Der Jugend- und Arbeiterwiderstand - er ist weitgehend ausgeblendet im Schulunterricht und auch in der Erinnerungskultur.

Einer, der seit über 50 Jahre lang gegen dieses Unwissen angeht, das ist der Rostocker Historiker und Publizist Karl Heinz Jahnke. Er hat jetzt seine biographischen Notizen unter dem Titel "Gegen das Vergessen" vorgelegt, er berichtet über seine Forschungen zum Widerstand gegen die NS-Diktatur in Deutschland. Er ist der große Chronist des deutschen Widerstandes. Er legt eine beeindruckende Lebensbilanz vor und zeigt zugleich auf, was noch zu tun ist.

Viele Methoden der Erinnerungsarbeit, die uns heute selbstverständlich sind, hat Jahnke begründet oder doch mitbegründet: Die wissenschaftlichen internationalen Seminare, die Gedenkstättenfahrten der Jugend, die Befragung von Zeitzeugen, die Dokumentation der Oral-Historie und die regionale und örtliche Forschung des Widerstandes. Seine Forschungsresultate hat Jahnke festgehalten in weit über hundert Publikationen. Angesichts der Fülle heutiger Veröffentlichungen über die Opfer, ja auch die Täter - wenn sie nicht zu den militärischen und ökonomischen Eliten zählten - fällt oft nicht auf, dass es zu den Opfern, die zuvor widerständig Handelnde waren, kaum Forschungsprojekte gibt. Die Darstellung des Widerstandes beschränkt sich auf den 20. Juli, den militärischen Widerstand in letzter Stunde, und auf die "Weiße Rose"; neuerdings gibt es auch einige Auskünfte über die "Edelweißpiraten". Der übrige Jugendwiderstand und der Arbeiterwiderstand bleiben weitgehend ausgeblendet - jedoch nicht bei Karl Heinz Jahnke. 469 biographische Skizzen legte er vor, allein aus dem Bereich des Jugendwiderstandes und aus dem Bereich des Widerstandes der europäischen Studenten und der Sportler. Unvergessen seine kritischen Schulbuchuntersuchungen über den Widerstand, wie er sich in den Unterrichtsmaterialien in der DDR und der BRD spiegelt. Bereits 1970 erschien erstmals Jahnkes Buch "Entscheidungen. Jugend im Widerstand 1933-1945"; bis heute erreicht das Verzeichnis der ermordeten jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten die Zahl 567. "Jugend unter der NS-Diktatur 1933 - 1945" erschien dann 2003, die wohl wichtigste Veröffentlichung von Jahnke, ein Standardwerk. Es verdeutlicht den Missbrauch der Jugend durch die Nazis und erinnert zugleich an die Mutigen, die sich widersetzten. Ein Buch, das Motivation vermittelt und Material bietet, um die Jugend zum Engagement gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus zu gewinnen

Wegen "mangelnden Bedarfs" wurde Karl Heinz Jahnke zum 1. Oktober 1991 von der Uni-Leitung in Rostock entlassen. Die neuen Herren hatten keinen Bedarf an seiner Forschung. Der Widerstand sollte weiterhin möglichst ausgeblendet bleiben. Die Leitung der PDS - seit frühester Jugend gehörte Jahnke der SED an - hatte auch kaum "Bedarf", sie machte zahlreiche Zugeständnisse an die nun erwünschte Geschichtsbetrachtung. Enttäuscht trat Jahnke 1994 aus der Partei aus. Für kurze Zeit arbeitet er dann an der Universität Düsseldorf, bis gegen ihn gerichtete Intrigen bis dorthin gelangen und ihn zum Aufgeben als Professor zwingen, nicht jedoch zum Aufgeben als Publizist und Kämpfer. Dutzende Bücher erscheinen aus der Forschersituation heraus. Darunter sind auch Werke, mit denen von Stalinisten verfemte und verfolgte Genossen rehabilitiert werden, so 1993 über Fritz und Lydia Sperling (beide aus der KP Westdeutschlands).

Was uns fehlen wird, wenn Karl Heinz Jahnke nun aus Gesundheits- und Altersgründen keine Veröffentlichungen mehr vornehmen möchte, das sind die Arbeiten zur Wahrung des Gedächtnisses an und der Kenntnisse über den Widerstand, vor allem dem der kleinen Leute, der jungen Menschen. Hoffen wir, dass sich Forscher finden, die weitermachen.

Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln - Stolpersteine - aus Messing ins Trottoir verlegt. Karl Heinz Jahnke hat papierne Stolpersteine gelegt. Seine Spurensuche machte ihn zum Gunter Demnig der Geschichtswissenschaft. Mindestens eintausend kleine Erinnerungsorte hat er in Form von Publikationen und Verzeichnissen über die Lebensgeschichte von Handelnden, Widerständlern geschaffen. Auf dass sie nicht vergessen werden. Auch sie wurden Opfer. Und wie alle Opfer mahnen sie uns Lebende. Jahnkes nicht nur leidenden, sondern handelnden Protagonisten geben konkrete Lebenshilfe, Hilfe der Gemordeten für die Heutigen: Wie soll ich leben?

Dank an Karl-Heinz Jahnke für sein Werk und besonders für sein Buch "Gegen das Vergessen".

Ulrich Sander

Karl Heinz Jahnke "Gegen das Vergessen! - Biographische Notizen", Ingo Koch Verlag Rostock, September 2008, 212 Seiten, 16 Euro.