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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.08.09

Zurück zu den Wurzeln des Grundgesetzes

Betrachtungen zur Militärpolitik in den Wahlaussagen der „Linken“ und der DKP

In einer Betrachtung zu 60 Jahre Grundgesetz fand ich kürzlich den Satz: „Dieses setzte von Anfang an auf die militärische Verteidigung, wohlgemerkt des eigenen Territoriums.“ (Jürgen Grässlin in Neues Deutschland) Wozu dann die breite Volksbewegung gegen die Remilitarisierung in den 1950er Jahren, wenn schon 1949 der Zug wieder in Richtung Militär und Militarismus abgefahren war? Er war es nicht!

Von 1949 bis 1956 enthielt die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland keine Militärdoktrin. Wir waren so pazifistisch wie etwa Costa Rica und der Vatikan. Kein Militär und kein Militärartikel im Grundgesetz. Der kam erst 1956 ins GG. Dass der Artikel 87 a neu eingefügt wurde, gibt der Buchstabe a zu erkennen. In diesem Artikel stand eine defensive Militärdoktrin zur Landesverteidigung. Und diese gilt eigentlich noch heute – eigentlich, denn es geschah etwas, was verfassungswidrig, aber üblich ist: Das Grundgesetz wurde uminterpretiert. Es darf aber nicht geändert werden, ohne dass der Wortlaut geändert wird.

Artikel 79 GG lautet: „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.“ Dagegen wird laufend verstoßen, zum Beispiel handeln die Bundeswehr und das Parlament den Artikeln 26 und 87a zuwider. Deutschland führt verbotene und strafbare Angriffskriege, obwohl in GG Artikel 87a von Streitkräften für die Verteidigung die Rede ist. Aus der Verteidigung wurde die Interessenverteidigung gemacht und dann die Verteidigung am Hindukusch, das aber sind Angriffskriege. Bei derart weitreichender Interpretation könnte man auch die Verteidigung in der Bundesliga mit Soldaten besetzen. Oder die Verteidigung im Gerichtssaal.

Auch Artikel 139 wird einfach weginterpretiert: Die zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften bleiben zwar gültig, aber die NPD zum Beispiel wird nicht verboten.“

Heribert Prantl gab mir am 12.5.09 in der Süddeutschen Zeitung recht: „Nichts von dem, was die Bundeswehr heute macht, ist dort (im Grundgesetz.) zu finden. Dort ist sie immer noch Verteidigungsarmee. Schleichend und ohne Verfassungsänderung ist die Bundeswehr in eine Kriseninterventionsarmee verwandelt worden. Das Grundgesetz ist der blinde Spiegel der Bundeswehr: Sie schaut hinein und sieht sich nicht. Die Tätigkeit der Truppe und ihre Aufgabenbeschreibung im Grundgesetz haben nichts mehr miteinander zu tun. Das Grundgesetz aber muss Leitfaden sein für jeden Staatsbürger – auch für den in Uniform.“ Ist aber offenbar nicht.

Antifaschisten und Antimilitaristen sollten auf Wiederherstellung des Grundgesetzes von 1949 bedacht sein – ohne 87a. Artikel 26 hingegen (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges) war immer schon drin. Wer aber 87a reinnimmt, hätte 26 rausnehmen müssen. Oder besser 26 drin lassen und 87a ablehnen, wie es die Gewerkschaftsbewegung und die Friedensbewegung, die KPD und DKP forderten. Leider ist das vergessen.

Konsens in der Friedensbewegung, der Gewerkschaftsbewegung, bei Kommunisten und Sozialdemokraten war bis 1960 die Ablehnung der Wiederbewaffnung. 1960 hielt Herbert Wehner dann seine große Rede im Bundestag, um den erst ein Jahr zuvor bekanntgegebenen Deutschlandplan der SPD zurückzunehmen, der ein Mitteleuropa des Friedens und der Entspannung, ohne Militärblöcke vorsah. Dann kam das Bekenntnis der SPD zur NATO. Wir wissen heute, dass ein solches Bekenntnis die Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung ist. Erst war es so bei der SPD, später bei den Grünen.

Daran ist zu erinnern, wenn unter der Losung „Raus aus der NATO“ viele Demonstranten gegen den NATO-Gipfel protestieren, die Partei DieLinke dann aber demonstrativ verlangt, drin zu bleiben und die NATO zu reformieren. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit SPD und Grünen ist dieses Verhalten sehr bedenklich. Mit dem Verzicht auf die Forderung nach Austritt aus der NATO fing die Misere einer Kriegskoalition an. Wenn jetzt auch die Partei DieLinke auf sie verzichtet, gerate ich in tiefes Grübeln.

Wie es weiterging, sei in Erinnerung gebracht: Schröder und Fischer wurden nach der Wahl 1998 ins Weiße Haus bestellt, und Clinton sagte ihnen: Wir wollen den Restposten des Reichs des Bösen auf dem Balkan vernichten, und dabei habt Ihr Deutschen mitzumachen, das gebietet die NATO-Mitgliedschaft. Noch vor der Kanzlerwahl beschloss dann der alte Bundestag den Kriegseinsatz gegen ein Gründungsmitglied der UNO, Jugoslawien. Deutschland warf ab 24. März 1999 wieder Bomben auf Belgrad. Fischer und Scharping trennten die Losung „Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus“ auf und logen dreist: „Nie wieder Auschwitz“ bedeute, nun endlich wieder Krieg zu führen. Das war die neue Auschwitzlüge.

Es fing also alles mit der Mitgliedschaft in der NATO an. Doch wir sollten uns nicht einem verfälschten NATO-Vertrag verpflichtet fühlen, sondern der UNO und ihrer Charta, gegen die der „Kosovo-Krieg“ genannte Überfall verstieß. Und wie bei manchen anderen Fragen hilft auch hier der Blick ins Grundgesetz: Artikel 139 verpflichtet uns auf die Rechtsbestimmungen zur Befreiung des deutschen Volkes von Militarismus und Nationalsozialismus, und Artikel 26 verbietet uns die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Die NATO-Mitgliedschaft bedeutet permanenten Verstoß gegen unsere Verfassung, denn die NATO ist permanent damit beschäftigt, Angriffskriege vorzubereiten und zu führen. Deshalb muss der Austritt aus der NATO vorrangiges Ziel bleiben.

Wenn jetzt gesagt wird, es sei „radikaler“, die NATO Russland-kompatibel umzugestalten, wie es zum Beispiel der Abgeordnete Paul Schäfer (DieLinke) sagt, kann ich nur antworten: Eine internationale Friedensbewegung muss die Auflösung der NATO zum Ziel haben, eine deutsche ist zudem besonders an die Bestimmung der UNO-Charta gebunden, die den Deutschen jede Kriegsvorbereitung und -beteiligung verbietet. Der Bundeskongress 2008 der VVN-BdA beschloss: „Das Völkerrecht verbietet, entsprechend der UNO-Charta Artikel 53 und 107, Deutschland das Kriegführen. Das Grundgesetz mit seinem Verbot der Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen (Artikel 26) und das Völkerrecht sind zu verteidigen und anzuwenden.“ Gemessen an den völkerrechtlichen Auflagen der Anti-Hitler-Koalition, denen wir verpflichtet sein sollten, sind auch die Aussagen Oskar Lafontaines befremdlich, der sagte: „Wir sind für eine militärische Zusammenarbeit in Europa, aber nicht für weitere Aufrüstung.“ (Süddeutsche Zeitung, 26. Februar 2009) Das Parlament müsse an den Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligt sein, sagt Lafontaine. Ich meine: Die Rüstung muss runtergefahren werden, und Deutschland muss raus aus der NATO.

Diese Gedanken ausführlich vorangeschickt, möchte ich weitere Überlegungen beisteuern, die ich mir angesichts der Lektüre der militärpolitischen Aussagen von DKP und DieLinke zur Bundestagswahl machte.

Die Aussagen der „DieLinke“ in ihrem Bundestagswahlprogramm zur Bundeswehr und Polizei sind nicht ausreichend. „DieLinke“ mit ihrer starken kommunalpolitischen Verankerung muss sich mit der „Zivilmilitärischen Zusammenarbeit“ befassen und diese von Stadt zu Stadt und Landkreis zu Landkreis aufkündigen. Denn diese ZMZ hat bereits dazu geführt, dass der 5000-köpfige Kader aus bis zu 60-jährigen Reserveoffizieren als Grundstock für den zig-tausendköpfigen Heimatschutz aufgestellt wurde („Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang“!) Hier geht es nicht mehr nur um Bundeswehr als Polizei, sondern um Bundeswehr im Einsatz gegen „Terroristen“, wozu bei den Militaristen die außerparlamentarische Bewegungen der Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker, der politische Streiks fordernden und praktizierenden Gewerkschafter und der Atomkraftgegner, Umweltbewegungen sowie Antifas gezählt werden. Das Thema ZMZ nicht zu behandeln, ist höchst fahrlässig.

Die DKP hat zur Bundestagswahl „Eckpunkte“ herausgegeben. Die richtigen Aussagen der „DieLinke“ gegen die Aufhebung der Trennung von Polizei und Bundeswehr finden sich nicht bei der DKP, jedoch wird von ihr die ZMZ als bedrohlich für die Demokratie dargestellt. Wie „DieLinke“ verzichtet die DKP auf konkrete Aussagen zur ZMZ-Heimatschutz-Reservearmee. Hier geht es jedoch um Aussagen zur Bewahrung der Kampfbedingungen der Arbeiterbewegung.

Zu begrüßen ist, dass die DKP grundsätzlich verlangt: „Das Grundgesetz ist wieder herzustellen“. Das Grundgesetz wiederherzustellen, erfordert die Wiederherstellung des antimilitaristischen und antifaschistischen Konsenses aus der Zeit der Schaffung der Verfassung, erfordert das Anknüpfen an die Bewegungen gegen die Remilitarisierung, die Notstandsgesetze und für die Erhaltung des Grundrechts auf politisches Asyl. Kategorisch verlangt die DKP, „die Antiterrorgesetze aufzuheben“. Dazu hat „DieLinke“ mehrere konkrete Einzelschritte vorgesehen. Während bei den LINKEN verlangt wird, einseitige militaristische Propaganda in den Schulen zu verhindern (es sollten immer auch Militärgegner dabei sein), fehlt eine solche Aussage bei der DKP, die auch nichts zur Aufhebung der Wehrpflicht sagt; „DieLinke“ positioniert sich gegen die Wehrpflicht. Beide Parteien äußern sich nicht zur Militarisierung der Berufsberatung und der Ausbildungsplatzvermittlung. Das ist in der Jugendbewegung ein großes Thema.

Fazit: Obgleich der Verzicht auf die Forderung nach NATO-Austritt ein erheblicher Mangel in der LINKEN-Programmatik ist, kann nicht bestritten werden, dass die Positionen von DKP und LINKEN zu Frieden, Demokratie und Abrüstung grundsätzlich kompatibel sind. Erforderlich erscheint aber die Eröffnung eines Dialogs zwischen beiden Parteien, um zu erkunden, ob die LINKEN den Austritt aus der NATO zur Vorbedingungen für alle Kooperationsverhandlungen nach der Wahl machen werden oder nicht. Außerdem sollte ein Meinungsaustausch zwischen beiden Parteien angestrebt werden zu allen Fragen von Militarismus und Antimilitarismus.

Erforderlich ist ein linker (nicht in Versalien) Dialog für Frieden, Demokratie und Abrüstung – noch vor der Wahl. Zudem: Ein erhebliches Defizit – jetzt aber auf Seiten der DKP – ist, dass die DKP nicht die Forderung nach Beseitigung der Wehrpflicht erhebt. Diese Forderung wird angesichts der Reservistenbewegung des deutschen Militarismus immer dringlicher. Denn es muss verhindert werden, dass sich der ehemalige Wehrpflichtige als Streikbrecher im Rahmen einer Wehrübung wiederfindet oder zum Wehrdienst im Rahmen der Arbeitsbeschaffung verpflichtet werden soll; schon jetzt wird letzteres an jungen Arbeitslosen erprobt.

Ziel sollte die Wiederherstellung des antimilitaristischen und antifaschistischen Grundkonsenses aus der Zeit vor 60 Jahren auf völkerrechtlicher Grundlage sein. "Das Völkerrecht verbietet, entsprechend der UNO-Charta Artikel 53 und 107, Deutschland das Kriegführen. Das Grundgesetz mit seinem Verbot der Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen (Artikel 26) und das Völkerrecht sind zu verteidigen und anzuwenden." (So heißt es in einem Beschluss der VVN-BdA von ihrem Bundeskongress 2008). Ulrich Sander