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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

20.07.09

"...aber auch stets den entschiedensten Kampf für Demokratie führen!"

Gegen Diffamierungen durch das Bayerische Innenministerium

Stellungnahme von Ulrich Sander zur Erklärung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 3. Juni 2009 zum Thema „Beobachtung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) durch den Verfassungsschutz“. Der bayerische Verfassungsschutz weist damit eine BürgerInnen-Petition gegen die Diffamierung der VVN-BdA zurück. Da Sander vom Verfassungsschutz zitiert wird, nimmt er hiermit persönlich Stellung.

03.06.09

Stellungnahme zur Erklärung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zum Thema "Beobachtung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) durch den Verfassungsschutz", 

Ich gehöre zu den Kräften, die mittels "diffamierender Beschreibung der Verfassungswirklichkeit" und scharfer Kritik "ein grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" erkennen lassen. So meint es das Bayerische Staatsministerium des Innern ausdrücken zu müssen, weshalb ich in einer Antwort an Bürgerinnen und Bürger zitiert werde, die wissen wollen, warum die VVN-BdA im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt und warum diese Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die VVN-BdA wird von Bayerns Verfassungsschutz als linksextremistisch bewertet. Sie sei die bundesweit größte Organisation im linksextremen Spektrum des Antifaschismus. Sie arbeite mit "offen verfassungsfeindlichen Kräften zusammen", so mit der Deutschen Kommunistischen Partei. Dass die Kommunisten einen erheblichen Anteil am Widerstand gegen den Faschismus hatten und somit auch einen großen Anteil an der Mitgliedschaft einer Verfolgtenorganisation wie der VVN-BdA, lässt der Verfassungsschutz unerwähnt. Eine solche Organisation kann niemals die Distanzierung zu Kommunisten und ihren Organisationen bieten, wie sie das Innenministerium wünscht - das ist doch eine Selbstverständlichkeit.

Als einer der Leitfäden des kommunistischen Arbeiterwiderstandes gegen den Faschismus galten die kollektiv von den kommunistischen Parteien erarbeiteten Positionen, das Innenministerium fasst diese als die "kommunistische ‚Dimitroff-Theorie'" zusammen. Diese Theorie laufe darauf hinaus, konsequenten Antifaschismus dadurch zu betreiben, dass der "Kapitalismus, die bestehende freiheitliche demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung und mit ihr letztlich die parlamentarische Demokratie" bekämpft wird. Mit diesen Worten werden die Lehren und Schlussfolgerungen der Kommunistischen Internationale, auch die Reden von Georgi Dimitroff, völlig auf den Kopf gestellt. Es war gerade Gegenstand der Schlussfolgerungen der Kommunistinnen und Kommunisten in den Jahren 1933/34/35, zu kritisieren, dass die Kommunistinnen und Kommunisten bis zur Machtübertragung an Hitler und seine Partei zu wenig die Errungenschaften der demokratischen und parlamentarische Gesellschaftsordnung verteidigt und auf ihrer Grundlage die Menschen in den Kampf geführt haben. Gerade die Fehleinschätzung, dass der bürgerliche Staat schon dominierende faschistische Elemente enthielt, trug zur Niederlage der Arbeiterbewegung 1933 bei. Deshalb war die Errichtung der demokratischen Republik nach 1945 die Hauptlosung als Schlussfolgerung aus dem Faschismus, und unter dieser Losung einigten sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten - und damit auch die Kommunisten - in der VVN.

Die Verteidigung der Grundrechte und des Grundgesetzes gehörten und gehören zu den Wesensmerkmalen der Politik und Praxis der VVN. Deshalb ist es Unsinn, wenn in der Innenministeriumsstellungnahme behauptet wird, die "linksextremistischen" Antifaschisten "agitieren" heute wieder "gegen den demokratischen Staat und dessen Institutionen" - das Gegenteil ist der Fall. Verteidigung der Demokratie und ihrer Instrumente, darum geht es.

Allerdings verurteilt die VVN-BdA die Praxis vieler Politiker, besonders auch aus der CDU und CSU, "rechtsextremistische Bestrebungen zu schützen und zu fördern". Ich möchte auf eine Stellungnahme eines 17jährigen Schülers verweisen, der im Rahmen unserer großen Umfrage "NoNPD" zum Thema, warum ich das Verbot der NPD fordere, schrieb: "Was haben jene Politiker mit uns vor, welche die NPD gewähren lassen und sie nicht verbieten wollen?"

Und ich frage, was haben die Politiker wie Schäuble und Jung mit uns vor, die eine "innerstaatliche Militarisierung" betreiben und den "Weg zum Überwachungsstaat" beschreiten - Formulierungen, die der VVN vom Innenministerium ebenso als verwerflich vorgehalten werden, wie Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht, der neuen Reservistenregelungen, der Absage an Bundeswehreinsätze im Innern und Äußern, an die AntiTerror-Hysterie und an den Abbau von Versammlungs- und Streikrecht. Mit der Diffamierung des Antifaschismus als verfassungsfeindlich, das wird an diesen Beispielen deutlich, will das Innenministerium sich demokratische und legitime Kritik vom Leibe halten. Dies ist nun wirklich keine richtige Methode des Schutzes der Demokratie und der Abwehr von Rechtsextremismus zu sagen: Wer mich kritisiert, der ist ein Feind der Demokratie.

Es ist doch vielmehr so, dass sich die Regierenden immer wieder vorhalten lassen müssen, dass ihre Politik die Demokratie gefährdet. Das ausgesprochen zu haben, veranlasst mich zu dieser Stellungnahme, denn ich muss ja für das bayerische Innenministerium als "abschreckendes Beispiel" herhalten. Dazu greift man zur verkürzten Wiedergabe von Zitaten und zu Verweisen auf allgemeine unbekannte - weil von den Medien zumeist nicht wiedergegebene - Fakten. (Ich erlaube mir daher, vollständig zu zitieren: siehe Anhang)

Weiter wird in dem Schreiben des bayerischen Innenministeriums auf das Verhältnis Kapitalismus - Faschismus verwiesen und die Behauptung wiederholt, antikapitalistische Antifaschisten verfechten die These, der kapitalistische Staat münde zwangsläufige in den Faschismus ein. Ja, das hätten sie gern, dass Antifaschisten sich einem Fatalismus hingeben: So ist der Kapitalismus nun mal, da kann man nichts machen. Es stimmt, der Faschismus an der Macht (und nur über dieses "An der Macht" äußerte sich Dimitroff in seiner "Theorie") ist immer eine Hervorbringung aus dem Kapitalismus, aber der Kapitalismus muss nicht zwangsläufig zum Faschismus führen. Sonst wäre ja wohl der gesamte Westen inzwischen faschistisch.

Im übrigen sind die Meinungen im Antifaschismus geteilt, ob der Kapitalismus die Ursache des Faschismus ist, darüber wird auch in der Organisation VVN-BdA gestritten. Die VVN lässt sich dazu keine einheitliche Meinung aufzwingen, auch nicht vom Verfassungsschutz. Sie lässt sich aber auch keine diesbezüglichen Auffassungen verbieten. Nicht geteilt ist in unserer Organisation die Meinung darüber, dass führende Kräfte der Industrie, der Banken und des Militärs Hitler den Weg bereitet haben, darauf gedrängt haben, dass Hitler die Macht übertragen wurde, dass sie Nutznießer seines Regimes und des Angriffs- und Vernichtungskrieges wurden. Das ist im übrigen bereits beim alliierten Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 Allgemeingut des Erkenntnisses gewesen.

Es muss immer wieder betont werden: Es geht um die Verteidigung der Demokratie, um die Bürgerrechte. Antifaschismus muss sich gegen alte und neue Nazis richten, aber auch stets den entschiedensten Kampf für Demokratie führen.

Und natürlich muss auch das Ziel der Antifaschisten der Frieden sein. Antifaschismus muss als Friedensbewegung geführt werden. Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus, das bleibt die einheitliche Losung. Und da finden wir es dann schon ziemlich dreist, wenn in der Erklärung des bayerischen Innenministeriums behauptet wird, dass in Heiligendamm im Jahre 2007 das "große demokratische und friedliche Protestpotential vor Ort seinem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nachgehen konnte". Erstmals wurde die Bundeswehr mit Hubschraubern, Tornado-Flugzeugen und Panzern gegen die Demonstranten in Stellung gebracht. Es gingen Tausende Polizisten - mit Rückhalt von Soldaten - gegen die Demonstranten vor. Dies führte zwei Jahre später beim nächsten Gipfel in Kehl/Straßburg dazu, dass eine ähnliche Streitmacht von vornherein unzählige potentielle Friedensdemonstranten davon abhielt, ihr Demonstrationsrecht in Anspruch zu nehmen, weil eine Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht mehr gegeben war.

Schließlich bleibt es dabei, es gilt die "Zusammenarbeit und Bündnisse mit bürgerlichen Kräften" im Ringen um Demokratie und Frieden anzustreben, wie der Staatssekretär Dr. Bernd Weiss in dem Schreiben des bayerischen Innenministeriums erschreckt anmerkt.

Genau das: Alle demokratischen Kräfte vereint gegen Rechts und zum Schutz der Demokratie. Das sind die Lehren der Geschichte.

Ulrich Sander

Anhang. Aus meinem Referat von Minden

Die Militarisierung des Landes erreicht mit dem neuen Reservistenkonzept und der neuen "Zivilmilitärische Zusammenarbeit Inneres" und ihre Anwendung beim G8-Gipfel einen neuen Stand. Eine neue extrem rechte Organisation entsteht, - zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der Bundeswehr. Und das ist die Reservistenbewegung.

Zur Instrumentalisierung der Bundeswehr zum Einsatz im Innern kommt die ideologische extrem rechte Beeinflussung der Bevölkerung: In rund fünf Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die Bundeswehr laufend Kontakt hält. Die militaristischen Traditionsverbände und die Reservistenverbänden erhalten immer mehr Macht - und Geld der Steuerzahler.

Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der westlichen Industriestaaten - und darum handelt es sich im Kern - haben das öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, entscheidend verändert. Neue Runden im Wettrüsten stehen bevor. Die Dämonisierung des Iran, die Stigmatisierung Russlands und Chinas als undemokratische, auf Weltherrschaft sinnende Regimes sollen die Bevölkerung einschwören auf mehr Rüstung, mehr Militär und offensive Zielsetzungen der Militärdoktrinen. Dies betrifft einmal die Atomrüstung und das Setzen auf die Erringung der Erstschlagskapazität durch die USA (neue Raketensysteme in Mitteleuropa, d.h. in Tschechien und Polen!). Auch wenn dies heute noch vor allem Drohkulissen sein mögen, so rückt die Welt damit doch näher an ein atomares Fiasko heran. Wir stehen vor einer Welle internationaler Einsätze. Der Krieg soll unter dem Stichwort ‚militärischer Humanismus' zum Alltag werden. Dementsprechend werden widersprechende Regeln des Völkerrechts außer Kraft gesetzt.

Und das geschieht in unserem Lande vor allem durch faktische Beseitigung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung und durch faktische Streichung der Bestimmung, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung dient (Artikel 26 und 87a). Anstelle des Grundgesetzes tritt die Militärdoktrin der EU, ob mit oder ohne EU-Verfassung, die den grundgesetzlichen Rahmen überwölben - sprich ihn aushebeln soll.

Zur Militarisierung des Landes gehört der Abbau der demokratischen Rechte. Dies ist ein schneller werdender Prozess. Die Gefahr einer Rechtsentwicklung ist offensichtlich. Sie fällt in zwei Teile:

  • Anwachsen des Neofaschismus und Duldung und Förderung des Neonazismus durch den Staat einerseits und
  • Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates andererseits. Das Konzept von Schäuble vom 9. 7. 07 (Spiegel) besagt:
  • Beseitigung des verfassungsmäßig nicht veränderbaren Artikels 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde) - darum geht es beim Jung-Vorstoß für das Abschießen von Flugzeugen
  • Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in Lager,
  • gezielte Tötungen von Regimegegnern,
  • Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze Ausländergruppen,
  • Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen (geheime Onlinedurchsuchung),
  • Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstranten und
  • umfassende Bespitzelung der Bürger durch Polizei und Geheimdienste (Rasterfahndung).

Das ist Schäubles extrem rechter Katalog, - er macht jedem faschistischen Umsturzplan alle Ehre. Und Merkel ermutigt Schäuble: Keine Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Merkel sagt: Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von gestern". Um zum Vorgestern zurückzukehren. Nun also wieder Krieg nach außen und innen! Ihre Partei nennt es in ihren Dokumenten "Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang".

Zu den weiteren Schäuble-Plänen gehören: Fingerabdrücke aller Bundesbürger werden bei der Passbehörde gespeichert, Mautdaten werden für Fahndungszwecke verwendet. Sodann sollen erfolterte Geständnisse verwendet werden.

Doch das sind Absichten, wenig beachtet sind die Taten: Mittels Hartz IV werden Millionen Menschen Grundrechte genommen. Arbeitszwang für unverschuldet arbeitslose Personen. Junge Menschen werden in die Armee gepresst, sonst droht Mittellosigkeit. Darauf laufen die Bundeswehraktionen in den Agenturen für Arbeit hinaus - die z.T. mit Militärpolizei abgesichert werden. Zugleich: Millionen Reservisten werden in Dateien erfasst und können mir nichts dir nichts einberufen werden.

Wir sehen: Das Gewaltkonzept des "Krieges gegen den Terror" und die damit zusammenhängenden Militärkonzepte richten sich keineswegs nur gegen auswärtige Feinde. In Deutschland wird jetzt das Konzept aus den USA angewendet. Nach dem Homeland Security Council der USA fallen unter die Kategorien des "inneren Verschwörers": "Ausländische islamische Terroristen", "einheimische radikale Gruppen", von "Schurkenstaaten und instabilen Ländern unterstützte Gegner", "unzufriedene Arbeitnehmer". Der autoritäre militärorientierte Staat ist die Kehrseite der neoliberalen globalen Unterdrückung.

(aus: Referat von Ulrich Sander am 21. September 2007 in Minden)