17.05.09
Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher
Josef Scheungraber
"Das Ziel war die
Vernichtung" - Historikerin stellt vor Gericht klar, dass
Offiziere nach Massakern keine Konsequenzen zu befürchten hatten
Von Alexander Krug
Im Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef
Scheungraber, 90, zeichnet sich nach achtmonatiger Dauer ein Ende
ab. Am 29. Mai will der Angeklagte erstmals selbst Angaben machen -
allerdings nur zu seinem Lebenslauf. Für den 18. Juni ist das
Plädoyer der Staatsanwaltschaft geplant. Am Donnerstag wurde im
Schwurgericht zum letzten Mal ein militärhistorisches Gutachten
erörtert.
Der ehemalige Wehrmachtsoffizier und Kompanieführer Scheungraber
soll im Juni 1944 in dem Weiler Falzano di Cortona in der Toskana
nach einem Partisanenangriff ein Massaker befohlen haben, bei dem
insgesamt 14 Zivilisten umkamen. Die Anklage lautet dementsprechend
auf 14-fachen Mord. Am 15. September vergangenen Jahres hatte der
Prozess begonnen mit einer Erklärung der Verteidiger, demzufolge
ihr Mandant nicht einmal "Kenntnis" von dem Massaker habe.
Die Anwälte hatten seinerzeit auch betont, dass solche Taten
"mit Sicherheit durch die Gerichtsbarkeit der deutschen
Wehrmacht verfolgt und geahndet worden" wären. Höhnisches
Gelächter von Zuhörern war damals die Reaktion.
Die am Donnerstag als Gutachterin geladene Historikerin Kerstin
von Lingen von der Uni Tübingen stellte klar, dass sich kein
einziger deutscher Soldat in Italien wegen der Ermordung von
Zivilisten jemals vor der deutschen Militärgerichtsbarkeit habe
verantworten müssen. Es habe zwar durchaus Fälle gegeben, wo etwa
gegen Plünderer oder Vergewaltiger vorgegangen wurde. Doch Massaker
an der Zivilbevölkerung in Folge von Partisanentätigkeit seien
immer straflos ausgegangen. Der Rückzug der deutschen Truppen sei
ab Frühjahr 1944 von einer gesteigerten Partisanenaktivität
begleitet gewesen. Dieser "zweite Krieg" hinter der Front
sei von den deutschen Soldaten als äußerst bedrohlich wahrgenommen
worden. Deshalb sei es auch zu einer "Verschärfung" der
Richtlinien gekommen, die zu einer "Radikalisierung" der
Partisanenbekämpfung geführt hätten.
Verantwortlich dafür seien in erster Linie sogenannte
Führerbefehle gewesen. Hitler selbst habe schon bald nach Beginn
des Russlandfeldzuges angeordnet, keine Rücksichten zu nehmen, auch
nicht gegen Frauen und Kinder. "Das Ziel war die
Vernichtung", so von Lingen. Mit dazu beigetragen habe die
Einteilung in "Herrenmensch" und "Untermensch".
Die "Führerbefehle" hätten auch in Italien gegolten, sie
seien sozusagen "bindendes Gesetz" gewesen. Der
Oberbefehlshaber für Italien, Generalfeldmarschall Albert
Kesselring, habe schließlich im Frühjahr 1944 mit einer Reihe von
"Bandenbefehlen" die Eskalation der Gewalt vorangetrieben.
Diese Befehle seien eine Art Freibrief für jeden einzelnen Offizier
gewesen. Die Offiziere genossen eine "weitgehende
Handlungsfreiheit" und brauchten keinerlei Konsequenzen
befürchten. Im Gegenteil: Aufgrund der "Führerbefehle"
vermieden es die Kommandeure, gegen einzelne Untergebene vorzugehen.
Kesselring habe zwar später im September 1944 seine Befehle
wieder abgemildert und angeordnet, das "Schießen auf Frauen
und Kinder" müsse aufhören. Doch beweise dies im
Umkehrschluss nur, dass es vorher etliche Massaker gegeben haben
muss. Scheungraber verfolgte die Ausführungen der Gutachterin mit
zumeist geschlossenen Augen.
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/55j38F/2890782/Das-Ziel-war-die-Vernichtung.html
(SZ vom 15.05.2009)
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