21.04.09
"..während unsere Alliierten längst die Vorschriften und Erfahrungen
der Deutschen auswerten..."
Von Kriegsverbrechern gelernt
Die Massaker deutscher Gebirgstruppen an tausenden Zivilisten in
Griechenland und Italien waren nach Ansicht des Präsidenten des
Bayerischen Soldatenbundes, Bundeswehrgeneralmajor a.D. Jürgen
Reichardt, „Überreaktionen“. In der Zeitschrift Gebirgstruppe,
herausgegeben vom Kameradenkreis der Gebirgstruppe von Wehrmacht
und Bundeswehr, befaßt sich Reichardt mit der Frage, ob nicht die
heutigen Soldaten der Bundeswehr „in Situationen“ geraten
könnten, in denen sie wie einst die der Wehrmacht „überreagieren“
und dann ebenfalls befürchten müßten, noch nach Jahrzehnten vor
Gericht gestellt zu werden. Und er beklagt, daß sich im deutschen
Sprachgebrauch der Begriff „unschuldige Zivilisten“ fest
eingebürgert habe, „was ja wohl bedeuten soll, daß Soldaten
immer irgendwie schuldig sind“. Mit solchen haarsträubenden
Überlegungen springt Reichardt dem in München vor Gericht
stehenden Leutnant a.D. Joseph Scheungraber bei, der wegen
vielfachen Mordes an Zivilisten angeklagt ist.
Reichardt schlägt vor, den Sachverhalt in einem Verfahren zu
klären, in dem nicht Scheungraber, sondern die Bundesrepublik
Deutschland vor Gericht erscheint: als Rechtsnachfolgerin des
kriegführenden Staates, der für alle Handlungen die Verantwortung
trägt – als wüßte er nicht, daß die Bundesrepublik solchen
Verfahren ausdrücklich entgegentritt. Sie hat entsprechende Urteile
höchster griechischer und italienischer Gerichte nie anerkannt;
derzeit geht sie sogar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den
Haag dagegen vor. In die Villa Vigoni am Comer See, eine deutsche
Immobilie, die zugunsten italienischer Opfer von NS-Kriegsverbrechen
beschlagnahmt werden sollte, wurde eine Historikerkonferenz
einberufen. Sie soll eine „gemeinsame Erinnerungskultur“
schaffen.
Wie die aussehen soll, kann man schon in der Gebirgstruppe
lesen. Reichardt: „In der öffentlichen Meinung gilt heute bei uns
jeder bereits als schuldig, dem eine Beteiligung an der
Partisanenbekämpfung im letzten Weltkrieg vorgeworfen wird,
während unsere Alliierten längst die Vorschriften und Erfahrungen
der Deutschen auswerten und zu Rate ziehen für ihren aktuellen ‚Kampf
gegen den Terror’.“ Großartig: die deutsche Wehrmacht als
Lehrmeister! Darauf dürfen wir dann auch noch stolz sein!
Unzufrieden äußert sich Reichardt mit dem Bayerischen Rundfunk,
der „arglos von Demonstrationen erregter Bürger“ berichte. „In
Wahrheit“ handele es sich bei den Protesten jedoch „um gezielte
Terrorakte kommunistischer Organisationen, wie ANTIFA und VVN, zum
Teil mit Steuergeldern für den ‚Kampf gegen rechts’ gefördert,
die mit großem Propaganda-Aufwand und bundesweiten Aufrufen im
Internet versuchen, den Beschuldigten ausfindig zu machen, vor
seinem Haus lautstark zu ‚demonstrieren’, womöglich
einzudringen und die dortige Öffentlichkeit gegen ihn aufzubringen“.
Klar: Der Feind steht allemal links, und Antifaschisten sind
Terroristen – klar jedenfalls für einen General, der sich so
entschieden auf die Seite von Kriegsverbrechern stellt, die
allenfalls „überreagiert“ haben.
Der Kameradenkreis Gebirgstruppe bemühte sich kürzlich
vergeblich um einen Widerruf der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Die VVN-BdA hatte den
Kameradenkreis Gebirgstruppe als Organisation mit NS-Tradition bezeichnet. Der Präsident
des Kameradenkreises, Oberst a.D. Manfred Benkel, dankt nun
Reichardt für seine Stellungnahme. Unterstützung erfährt der
Kameradenkreis auch durch das Bundesverteidigungsministerium, das
dem Bundesvorsitzenden der VVN-BdA, Heinrich Fink, in einem Brief
mitteilte, der Kameradenkreis würdige doch auch die Opfer der
anderen Seite: In der Opfergemeinde Kommeno in Nordgriechenland –
dem Ort eines Massakers der 1. Gebirgsjägerdivision im Herbst 1943
– habe er einen Kranz niedergelegt. Immerhin wiederholt das
Ministerium in dem Brief nicht die skandalöse Behauptung des
Staatssekretärs und Gebirgsjägers Christian Schmidt (CSU), der in
Antworten an die Linkspartei im Bundestag wiederholt geleugnet hat,
daß die Gebirgstruppe eine verbrecherische Vergangenheit habe.
„Die Zusammenarbeit mit der aktiven Truppe“, so der
wiedergewählte Präsident Benkel, stehe „auf soliden Beinen.“
Die alten Kameraden können sich also auf die Bundeswehr verlassen.
Landessprecher Ulrich Sander in Ossietzky Nr. 8 – 2009 vom
18.4.09
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