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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

14.04.09

Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit gegen die Demokratie und Freiheit der Gemeinden

Rede beim Ostermarsch Rhein-Ruhr am Ostermontag in Dortmund-Dorstfeld

Von Wolfgang Richter, Ratsmitglied für "Linkes Bündnis Dortmund - Parteilose Linke, DKP und SDAJ"

Im vorigen Sommer deckten wir auf, dass die Dortmunder Stadtverwaltung dem Rat in nichtöffentlicher Sitzung einen Beschluss zur Einrichtung eines "Krisenzentrums" im Stadthaus vorgelegt hat. Darin war in der Kommandozentrale ein zentraler Platz für die Bundeswehr eingetragen - wie selbstverständlich neben dem Platz für den Oberbürgermeister, neben dem Platz für den Polizeipräsidenten, neben dem Platz für Feuerwehr, Katastrophenschutz usw. Damals fragte ich im Rat:

Was können Gründe für eine nicht-öffentliche Behandlung sein?

  • Ist es die Tatsache an sich, dass es ein Krisenzentrum in der Stadt geben soll?
  • Ist es die Frage, welche Art Krisen den Ernstfall darstellen? Das wird in der Beschlussvorlage nicht einmal angesprochen geschweige denn behandelt.
  • Ist es die Frage, welche Krisenbewältiger Sitz und Stimme im Krisenzentrum erhalten sollen?
  • Sind es die Kosten, die die Einrichtung und das Vorhalten eines Krisenzentrums verursachen?

Wir meinen, die Menschen sollen wissen, was eine Krise in der Stadt ist. Ist ein Kollaps des Verkehrssystems die Krise, ist es ein Streik der Beschäftigten des Konzerns Stadt Dortmund, ist es ein Abstieg der Borussia, ist es ein Angriff aus dem Weltall oder aus dem Osten - früher waren die Parolen "die Russen kommen" oder "ich sage nur China, China, China" - gelten sie noch heute?

Welche Kommandeure sollen die Krise bewältigen? Hat der OB das Kommando? Oder der Polizeipräsident? Oder ein General? Wird Dortmund außer am Hindukusch nun auch im Krisenzentrum vor Ort verteidigt?

Wir hatten Erfolg, das Thema wurde in die öffentliche Sitzung gehoben. Da wurde der Plan - gegen unsere Stimmen - beschlossen, übrigens nachträglich, denn alles war längst eingefädelt und im Detail geplant. Es gab damals Berichte in den Lokalmedien. Vor allem wegen der hohen Kosten - siebenhunderttausend Euros zum Umbau von zwei Etagen ganz oben im Stadthaus - eine Krise braucht eben den Überblick über die City. Es gab ein paar Leserbriefe der üblichen Verdächtigen. Die Bürger/innen fragten nicht weiter. Die Öffentlichkeit war hergestellt, aber sie nahm wenig Notiz.

Die den Militarismus bekämpfen und für den Frieden in der Welt auf die Straße gehen - wir und viele andere - haben den Blick auf Krieg als die Abwesenheit von Frieden, Demokratie und Internationalismus gerichtet. Zu Recht. Sie und wir haben den Blick auf Waffen als die profitträchtige Maschinerie zum Töten gerichtet. Zu Recht. Sie und wir haben den Blick auf Atompolitik als die Anwesenheit des jederzeitigen Weltuntergangs gerichtet. Zu Recht. Sie und wir greifen jeden Strohhalm auf, der Umkehr auf dem Weg atomarer Zerstörung signalisiert - zurzeit heißt der Halm aus Stroh Barrak Obama. Hierzulande haben wir den Blick auf die Verantwortung gerichtet, die deutsche Politik für Krieg oder Frieden in der Welt, für die Waffenmaschinerie oder die Friedensdividende, für die Atomlobby oder die soziale Frage hat. Zu Recht.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Machtphantasie und das Ordnungsschema in den Führungsetagen im Lande begonnen hat, ein Netz zu knüpfen, mit dem "notfalls" alle Katastrophe, jeder "Terror" und alle aufbegehrenden Bewegungen, Proteste und Märsche erstickt werden können. Es ist ein weitgehend unsichtbares aber sehr reales Netz - es wird zivil-militärische Zusammenarbeit genannt.

Innen- und Verteidigungsminister nennen jeden Notfall heute einen "Quasi-Verteidigungsfall" und fügen hinzu: "Ob völkerrechtlicher Angriff oder innerstaatliches Verbrechen, ob Kombattant oder Krimineller, ob Krieg oder Frieden: Die überkommenen Begriffe verlieren ihre Trennschärfe und damit ihre Relevanz." Damit ist klargestellt: Demokratische, rechtliche, ethische oder sonstige Werte sind ihnen nebensächlich - im "Quasi-Verteidigungsfall" muss alles möglich sein!

Inzwischen schwindet der Begriff "Verteidigung" mehr und mehr aus dem Wortschatz der Politikmanager - stattdessen wird "Sicherheit" zum Schlüsselbegriff. "Vernetzte Sicherheit" heißt es im Weißbuch der Bundeswehr und vernetzt gehören "neben den klassischen Feldern der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik unter anderem die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, Finanz-, Bildungs- und Sozialpolitik." Damit ist klargestellt: Militärisches Denken und Handeln ist für sie Bestandteil des ganzen Lebens - es soll die Gesellschaft durchdringen und allgegenwärtig sein!

Auch hierzulande findet das Wort "Heimatschutz" nun wieder Verwendung - übernommen von der Sicherheitspolitik der US-Regierungen und nicht zufällig aus dem Wortschatz der Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich stammend. Die CDU im Bundestag - und inzwischen nicht nur sie - sagt: "es muss endlich Schluss sein mit ideologischen Blockaden!" Sie hat ein flächendeckendes Netz von Heimatschutzverbänden gefordert - die sollen "personelle Ressourcen für Bewachung, Kontrolle und Sicherung von 'kritischer Infrastruktur' bereitstellen". Die große Koalition hat damit kein Problem: Solche Verbände gibt es inzwischen überall - die im Dortmunder Stadthaus ganz oben ist eine davon, eine von ca. 450 in der Bundesrepublik. Dazu jetzt nur zwei Fragen von vielen:

1.: Was heißt hier "kritische Infrastruktur"? Es ist einfach so, dass alle Infrastruktur kritisch ist, bei deren Fehlen oder deren Verschleiß das gesellschaftliche System - der Staat, der Kapitalismus, der Markt - nicht funktionieren kann: Kraftwerke, Schienen- und Autobahnen, Wasser- und Flughäfen, Kommunikationssysteme, Banken und Konzernzentralen usw. usf., die Autoproduktion auch, das lernen wir gerade. Alles dieses muss im Sinn des "Heimatschutzes" bewacht, kontrolliert und gesichert werden.

Und 2.: Was heißt hier "personelle Ressourcen"? Die Ressource ist eine Ansammlung aus Feuerwehr und Katastrophenschutz, aus öffentlichen und privaten Sicherheitsdiensten, aus Schnüfflern für Staat und Verfassung, aus Polizei und kommunalen Ordnungskräften, aus aktivem Militär und in großer Anzahl aus Reservisten. Alle zusammen schützen die Heimat - unsere Stadt und unser Land, mit allen Mitteln. Es ist dies eine brisante Mischung. Das Übergewicht, um nicht zu sagen das Kommando, hat ohne Zweifel das Militär mit seinem schier unerschöpflichen Reservistenreservoir.

Die Friedensbewegung ist in dieses Netzwerk nicht eingebunden. Die politische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung ist in dieses Netzwerk nicht eingebunden. Die Frauenbewegung ist in dieses Netzwerk nicht eingebunden. Die so genannte neue soziale Bewegung ist in dieses Netzwerk nicht eingebunden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Diese "zivil-militärische Zusammenarbeit" ist ihrer Struktur und ihrer massiven Unterfütterung aus Militär und Reservisten nach eine reaktionäre Konstruktion. Sie unterläuft die aktiv erkämpft gewesenen gesellschaftlichen Vereinbarungen und sie untergräbt die ethischen Grundsätze einer demokratischen Verfasstheit. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund: "Es gibt einen großen Schnittmengenbereich zwischen militärischer Verteidigung, zivilem Katastrophenschutz, polizeilicher Gefahrenabwehr und - in einer linearen Eskalation - dem inneren Staatsnotstand." Deutsche Erfahrung lehrt - der ist schnell erklärt.

Ich möchte hinzufügen, dass die "zivil-militärische Zusammenarbeit" auch in ihren Ressourcen - in den Militärs der Kommandostellen und im massenhaften Einsatz von Reservisten - eine reaktionäre Konstruktion ist. Zivile Zögerlichkeit bei Entscheidungen und die bekannten Skrupel der Zivilisten, "das Notwendige" zu tun, treffen auf Generalstabseffizienz in Lagebesprechung und Befehlsstruktur und auf die bekannte Fraglosigkeit der Soldateska beim Ausführen "des Unumgänglichen".

Das ist das allgemein Reaktionäre an dieser Konstruktion. Es ist aber auch das Einfallstor für das konkret Reaktionäre: Das Durchdringen des zivil-militärischen Netzwerks mit rechtskonservativem und faschistischem Gedankengut und Handlungspotential. Alle empirischen Indizien und gelegentlichen Einblicke weisen darauf hin, dass diese Infiltration begonnen hat, vielleicht war sie nie unterbrochen. Vieles spricht dafür, dass sie gerade jetzt demokratie- und friedensgefährdende Dimension annimmt - dabei spielt auch die radikale Krise des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eine verhängnisvolle Rolle. Deutsche Erfahrung lehrt - ein solcher Prozess wird unumkehrbar, wenn er nicht frühzeitig gestoppt werden kann. Es ist unsere Aufgabe!

Ulrich Sander (VVN-BdA): Kommentar zu W. Richters Rede

Die Bundeswehr "zuhause" als Krisenreaktionsarmee im Einsatz 

Vom Ende der Gelassenheit

Im Juli 2002 diskutierte eine prominent besetzte Runde von Politikern und Offizieren im oberbayerischen Weilheim das Thema "Die Bundeswehr und die Herausforderungen beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus". Bundeswehrgeneral a.D. Klaus Reinhardt, Präsident der einflussreichen Militärkamarilla "Clausewitz-Gesellschaft" und ehemaliger KFOR-Oberbefehlshaber, fragte die Runde, warum man denn die Bundeswehr nicht "zuhause" einsetze. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" zu sorgen.

Die Bundeswehr, so ihr im Kosovo wie in Afghanistan stationierter Teil, ist polizeiähnlicher geworden. Und die Polizei im Innern unserer Republik wird immer militärähnlicher. Eine Verzahnung beider liegt auf der Hand. Sie geschieht im Rahmen von ZMZ I, das heißt: Zivilmilitärische Zusammenarbeit Inneres. Nach dem noch von "Rot-Rot" in Schwerin beschlossenen Polizeigesetz erfolgte der Bundeswehreinsatz zusammen mit der Polizei gegen die Demonstranten von Heiligendamm beim Gipfel 2007. Es wurden die Instrumente gezeigt: Tornados, Schnellboote, Panzer, Hubschrauber. Die Wirkung hielt bis zum NATO-Gipfel 2009 in Baden-Baden/Kehl an. Es wurde angekündigt, die Bundeswehr werde wieder dabei sein, die Polizeitruppe werde 30.000 Personen umfassen. Da überstieg dann die Zahl der Uniformierten jene der Demonstranten.

Es sind Zahlen wie diese, die den "Tagesspiegel" und andere Medien erfolgreich beschwören lassen: Die Deutschen sind in der Krise "gelassen" und neigen nicht zum Protest. Doch auf die Gelassenheit ist kein Verlass. Deshalb wurde ein Heimatschutz als neue Armee innerhalb der Bundeswehr aufgestellt. In allen Landkreisen und kreisfreien Städten der Republik existieren nun zwölfköpfige Kommandos von Reservistenoffizieren, die im öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb von Minuten mobilisierungsfähig sind. Sie haben Zugriff auf rund eine Million Reservisten im Alter bis zu 60 Jahren. Auf welches Equipment und welche Waffenlager sie Zugriff haben, darf man ahnen. Die plombierten Bestände aus der Zeit des Kalten Krieges wurden nie als abgerüstet gemeldet.

In seiner Rede auf dem Ostermarsch in Dortmund hat Prof. Wolfgang Richter als kommunistischer Abgeordneter aus der Fraktion "Die Linken im Rat" die Frage aufgeworden: Was ist die Krise, die zum Tätigwerden der ZMZ-Kommandos führt?

Wenn die Gelassenheit der Bürger in der Krise ihr Ende findet, dann wird es sicher auch mit der Gelassenheit des ZMZ-Militarismus Schluss sein.

Ulrich Sander