12.04.09
"Und das ist das Mindeste was wir im Gedenken
an die Ermordeten tun können!"
Rede der Jungen Linken Lippstadt
anläßlich der Karfreitagsmorde 1945 am Gedenkstein an der St.
Josephs Kirche in Lippstadt am Samstag, den 11.04.09
"Was sind das für Zeiten, in denen
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!"
fragte einst Berthold Brecht angesichts der nazistischen
Barbarei, vor welcher er ins schwedische Exil geflohen ist.
Was waren das für Zeiten, in denen es als Verbrechen galt,
Hungernden Brot zu geben? Was waren das für Zeiten, in denen dass
eigentlich selbstverständliche mit dem Tode bestraft wurde?
Für uns als Nachgeborene ist es kaum vorstellbar, dass vor kaum
mehr als sechzig Jahren eine Ideologie von so vielen Millionen
Deutschen begeistert getragen und zur Staatsdoktrin erhoben wurde,
welche Menschen in Rassen, in lebenswert und lebensunwert,
unterteilte.
Dieser Wahn wurde zur Praxis, als Menschen anderer Überzeugung
zu hunderttausenden in die Konzentrationslager verschleppt, als
Menschen jüdischer Herkunft, aber auch Sinti und Roma, zunächst
sukzessive entrechtet wurden bevor man ihnen das Lebensrecht
gänzlich absprach. Und wie kann es erst vorstellbar werden, dass
Menschen, vom Säugling bis zum Greis, in Ghettos eingepfercht
wurden, um sie dann in Viehwaggons zu deportieren und in eigens
dafür entwickelten Fabrikanlagen in industrieller Perfektion zu
ermorden?
Weil es geschehen ist, weil es dazu kommen konnte, weil die
nazistischen Mörder über eine riesige Massenbasis verfügten, muss
auch von den Nachgeborenen immer wieder der Frage nachgegangen
werden: wie konnte es dazu kommen?
Die Holocaust-Überlebende Celine van der Hoek, Präsidentin des
Internationalen Rombergparkkomitees, betont in ihren zahlreichen
Gesprächen mit Schülern immer wieder, dass die Jugendlichen von
heute keine Schuld für die Vergangenheit tragen. Aber uns als
Nachgeborene kommt eine hohe Verantwortung zu, dass sich ähnliches
nie wiederholen kann. Und aus diesem Grund müssen wir wachsam sein,
müssen wir bescheid wissen darüber, wie das braune Gesindel an die
Macht gekommen ist, warum die Großindustrie Zig-Millionen von
Reichsmark in die nazistische Bewegung hat fließen lassen und warum
Millionen von Menschen nach einem Führer schrieen, der Krieg und
Vernichtung schon lange vor der Machtübertragung propagierte.
Wenn Angela Merkel in der israelischen Knesset fordert, dass
Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus in Deutschland nie
wieder eine Chance haben dürfen, hört sich dass erst einmal gut
an.
Aber es bleibt in aller Dringlichkeit darauf zu verweisen, dass
genau dieses Gedankengut schon wieder bis weit in die Gesellschaft
hinein wirkt, dies belegen zahlreiche Umfragen immer wieder auf das
Neue. Aber auch der offene Nazismus erlebt ein erschreckendes
Revival. Es ist unglaublich, dass sich in dem Land, von dem 2
Weltkriege ausgingen und aus dem heraus in der Vergangenheit
Verbrechen unglaublichen Ausmaßes begangen wurden, sich Nazis
wieder nahezu ungehindert politisch organisieren dürfen. Im Osten
macht sich die NPD breit und sitzt schon in 2 Landtagen, ein Einzug
in den thüringischen Landtag ist nicht unwahrscheinlich. Und das
die NPD für die gleichen Inhalte steht wie einst die NSDAP, daraus
macht die Neonazipartei keinen Hehl.
In Dresden marschierten im Februar viele tausend Alt- und
Neonazis ungestört zum Jahrestag der Militärschläge auf die
Elb-Metropole im Zweiten Weltkrieg. Sie richteten sich gegen die
Befreiung vom Nationalsozialismus und behaupteten diese sei der
"wahre Holocaust" gewesen. Dabei handelte es sich um den
größten Aufmarsch seit 1945. Nur selten wird über rechte
Übergriffe so berichtet, wie im Falle des aller Wahrscheinlichkeit
nach von Rechtsextremisten attackierten Passauer Polizeichefs
Mannichl. Rechts motivierte Übergriffe kommen fast täglich vor,
erregen aber nur selten eine breite Aufmerksamkeit.
Und es wäre fatal das Problem auf das Gebiet zwischen Elbe und
Oder zu begrenzen. Vor allem in Dortmund, aber auch in Hamm,
Gütersloh, dem Schaumburger Land und im Sauerland machen sich
neonazistische Strukturen breit, die bundesweit organisiert sind und
zur ernst zu nehmenden Bedrohung für anders Denkende werden.
Und auch in Lippstadt hat sich einiges getan in letzter Zeit -
leider in negativer Hinsicht! Auch wenn es um die örtliche
Neonazikameradschaft etwas ruhiger geworden ist, ist diese nach wie
vor gut im Spektrum der parteifreien Kameradschaften verankert und
ihre Mitglieder nehmen an diversen braunen Aufmärschen teil. Immer
wieder tauchen in der Stadt Hakenkreuzschmiereien und Parolen wie
"Zerschlagt die Antifa" oder "Fight Israel" auf,
hinzu kommen rechtsradikale Plakate mit der Aufschrift "Nationale
Sozialisten". Und im wenige Meter von hier entfernten
"Kiosk Walter Püschel" wird schon seit Langem die Zeitung
der NPD, die "Deutsche Stimme", sowie das DVU-Blatt, die
"Nationalzeitung", öffentlich ausgehängt. Rassistische
Hetze darf niemals als Meinungsfreiheit gelten, sie ist das genaue
Gegenteil!
Aber an einem anderen, sehr viel prominenteren Beispiel lässt
sich in viel erschreckenderer Hinsicht belegen, wie sehr Nazis in
dieser Gesellschaft, ja in dieser Stadt, auf eine breite Sympathie
stoßen. Als im vergangenen Jahr der Rechtsanwalt Kaus Petri von
Seiten der Stadt die Honoration aus Anlass des 100jährigen
Bestehens von Teutonia Lippstadt entgegennahm, löste dies eine
Welle des Protestes aus. Zu Recht, handelt es sich bei ihm doch um
einen Bundestagskandidaten der offen neonazistischen NPD. Allerdings
lies der Solidarisierungseffekt nicht lange auf sich warten, welcher
leider nicht nur von seinen braunen Stammtischbrüdern kam. Das eine
geistige Affinität zum Nationalsozialismus und das Engagement für
eine Partei, welche offensiv dafür Eintritt die Demokratie
abwickeln und durch ein 4. Reich ersetzten zu wollen, nicht zur
Ächtung durch demokratische Institutionen führt, haben die
Mitglieder von Teutonia Lippstadt bewiesen, als sie Petri erneut
Einstimmig zum Vorsitzenden wählten. Doch nur die dümmsten Kälber
wählen ihre Schlächter selber - den Verantwortlichen dieses
großen Sportvereins der Stadt ist bekannt, wen sie sich da erneut
an ihre Spitze gesetzt haben.
Derzeit reden alle von der Wirtschaftskrise und überschlagen
sich dabei in den Forderungen nach Maßnahmen um dieser beizukommen.
Der Kapitalismus, zu dem die Krise gehört wie das Gewitter zur
Wolke, wird dabei leider nur selten in Frage gestellt. Wie fest das
demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung verankert ist, wenn
die Auswirkungen der Finanz- und Absatzkrise Millionen weiterer
Menschen in ihrem bescheidenen Wohlstand gefährden, bleibt
abzuwarten. Die hohen Zustimmungswerte für rassistische und
autoritäre Positionen, gepaart mit der Akzeptanz von Nazis, die
fest im gesellschaftlichen Leben verankert sind, lässt da böses
erahnen. Und eine Politik der Mahnung und Erinnerung an die
Verbrechen der Nazis wird hier nicht ausreichen, vielmehr muss es
darum gehen Solidarität zu praktizieren und für eine Welt jenseits
von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg weltweit zu kämpfen.
Und nichts desto trotz muss es auch über sechzig Jahre nach dem
Sieg über Nazideutschland darum gehen, die Erinnerung an die Opfer
des Faschismus wach zu halten. Und um das Gedenken an die 7
französischen Zwangsarbeiter und deren 6 deutschen Kollegen steht
es nicht gut und nur die wenigsten Jugendlichen wissen überhaupt
von ihrem mutigen Widerstand und den an ihnen begangenen Verbrechen.
Ebenso wenige dürften von dem Leid der jüdischen
Zwangsarbeiterinnen wissen, die im Außenlager des KZ Buchenwald in
der Hospitalstraße Zwangsarbeit leisten mussten, bevor sie kurz vor
der Befreiung auf einen Todesmarsch geschickt wurden. Die vor Jahren
gestohlene Gedenktafel fehlt bis heute! Gerade in Zeiten, in denen
Courage so bitter nötig ist, darf ihre Geschichte nicht in
Vergessenheit geraten. Sie sollten als Vorbilder für die heutige
Jugend jedem in Lippstadt bekannt sein, jeder sollte wissen, dass
der Kampf, den sie geführt haben auch ein Kampf für unsere
Freiheit war. Eine Freiheit, die wir mit allen Mitteln verteidigen
müssen!
Aus diesem Grund gilt es folgendes umzusetzen:
- Eine klare Distanzierung Seitens der Stadt vom Nazi-Anwalt
Petri, nicht trotz, sondern gerade wegen der breiten Akzeptanz,
welcher dieser genießt.
- Ferner plädieren wir dafür, das neue Straßen in Lippstadt
nach den Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern sowie der
ermordeten Lippstädter Juden benannt werden.
- Die Gedenktafel für die jüdischen Zwangsarbeiter muss wieder
angebracht werden!
- Außerdem appellieren wir, in Lippstadt einen Aktionsplan zu
entwerfen, der eine demokratische Jugendkultur stärken soll.
Dies ist die wirksamste Prävention gegen Rechtsextremismus.
Eine Jugend, die sich aktiv gegen neonazistische Bestrebungen zu
wehren weiß, ist der beste Schritt dahin, dass Nazis keine
Chance mehr haben.
Und das ist das Mindeste was wir im Gedenken an die Ermordeten
tun können!
Vielen Dank!
Junge Linke Lippstadt, April 2009
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