12.04.09
"...und in dieser Welt haben Neonazis keinen
Platz"
Rede des Vertreters des
Internationalen Rombergparkkomitees Ernst Söder aus Dortmund bei
der Gedenkveranstaltung am Gedenkstein an der St. Josephs Kirche in
Lippstadt am Samstag, den 11.04.09
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Sommer,
lieber Heinz Rittermeier, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen!
Wir stehen am Anfang eines Jahres, in dem wir uns in besonderer
Weise an Ereignisse der deutschen Geschichte erinnern. Wir feiern 60
Jahre Grundgesetz und 20 Jahre friedliche Revolution, beides
herausragende Ereignisse, die es wert sind, genannt zu werden.
Aber an die Verbrechen des Nationalsozialismus und an den
Holocaust müssen wir ebenfalls erinnern. Und - meine Damen und
Herren - vergessen dürfen wir auch nicht die Geschehnisse im Jahre
1945 in Lippstadt, und wir wollen heute erneut daran erinnern, was
hier in dieser Stadt vor 64 Jahren geschah und was uns heute, zum
wiederholten Male, an diesem Gedenkstein zusammengeführt hat.
In diesem Jahr, am 1. September, jährt sich mit dem Überfall
auf Polen auch zum 70. Mal der Beginn des verbrecherischen Zweiten
Weltkrieges. Daran muss ebenfalls erinnert werden; denn mit diesem
Angriff gegen Polen begannen die schrecklichen Ereignisse, die die
Welt verändert hatten. Niemals davor hat es staatlich angeordnete
Verbrechen gegeben, wie in den Jahren des Nationalsozialismus
zwischen 1933 bis 1945.
Die Vertreter der deutschen Staatsmacht und ihre mörderischen
Einrichtungen schreckten vor nichts zurück und führten in den
nahezu sechs Jahren des Krieges Deutschland und Europa in den
Untergang. Am Ende sind es 60 Millionen Tote, die maßlosen
Zerstörungen; Elend und Massenflucht, die es zu beklagen gibt.
Am gestrigen Karfreitag gedachten viele hundert Menschen der
Naziverbrechen im März und April 1945. Zwischen dem 7. März und
dem 12. April 1945 ermordete die Gestapo im Rombergpark und in der
Dortmunder Bittermark etwa 300 politische Gefangene und
Widerstandskämpfer aus sieben Ländern auf heimtückische und
bestialische Weise.
Zu den Mordopfern gehörten die sechs Arbeiter des Unionwerkes in
Lippstadt und sieben ihrer französischen Arbeitskameraden, die zur
Zwangsarbeit bei der Union verpflichtet wurden. Ihre
Lebensbedingungen in dem Zwangsarbeiterlager und im Betrieb waren
menschenunwürdig und sie waren immer wieder Misshandlungen
ausgesetzt.
Die deutschen Kollegen halfen den Franzosen, gaben ihnen zu Essen
und behandelten sie als ihre Arbeitskollegen. Das - und auch andere
Ereignisse - führte dazu, dass man sie verhaftete. Von der
Werksleitung wurden sie bei der Gestapo denunziert. Man brachte sie
nach Herne. In der Karwoche 1945 holte die Gestapo die Männer in
Herne ab und überführte sie nach Dortmund-Hörde, in die Kerker
der Gestapo, wo sie mit anderen zusammen gepresst auf ihren
Abtransport in den Tod warteten. Bei Nacht und Nebel wurden die
Gefangenen mit Stacheldraht gefesselt aus den Kellern geführt, auf
Lastwagen verladen und zur Mordstätte gefahren. Vor Bombentrichtern
niederkniend wurden sie von Gestapobeamten erschossen und
verscharrt.
All' das ereignete sich in den Tagen, als amerikanische Truppen
bereits den Stadtrand im Westen und Süden von Dortmund erreicht
hatten.
Und in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es möglich
war, dass ein verbrecherisches Regime Menschen derartig manipulieren
und dazu bringen kann, aus bedingungslosem Gehorsam derartige
mörderische Befehle auszuführen.
Heute gedenken wir der Opfer und ihren Angehörigen und wir
erinnern an sie, weil sie nicht anonym bleiben dürfen. Ich denke,
mit der heute hier zugänglich gemachten Broschüre über die
Geschehen am Ende des Krieges im Jahre 1945 haben IG Metall,
Deutscher Gewerkschaftsbund und die Stadt Lippstadt eine bedeutende
Gedenkschrift geschaffen, die auch der jüngeren Generation hilft,
diesen Teil unserer Geschichte aufzuarbeiten.
Und wir dürfen auch nicht vergessen, wer die Täter und wer die
Profiteure dieser unvergleichbaren Verbrechen waren, die für den
Vernichtungskrieg die Verantwortung getragen haben. Viel zu wenige
von ihnen wurden nach 1945 für ihre Vergehen und Verbrechen
bestraft und zur Rechenschaft gezogen. Manche bekamen wieder
Positionen in der Staats- und Justizverwaltung oder arbeiteten
weiterhin bei der Polizei, wie einige Gestapobeamte, die an den
Exekutionen 1945 beteiligt waren.
Erinnerung bedeutet für uns aber auch gleichzeitig Mahnung, wach
zu bleiben, damit sich ein solches Verbrechen nicht wiederholen
kann.
Deshalb können und wollen wir nicht akzeptieren, dass
Rassenhetze und Faschismusverherrlichung in unserem Lande wieder um
sich greifen. Neofaschistische Umtriebe und Überfälle können
nicht verharmlost werden. Rechtsextremismus und Gewalt müssen
bekämpft werden.
Peter Gingold, ein Kämpfer in der französischen Resistance und
Ester Bejarano, eine Überlebende des KZ Auschwitz, haben sich zu
den rechtsradikalen Erscheinungen in Deutschland in einem
gemeinsamen Dokument geäußert und dort niedergeschrieben:
"1945 war es für uns unvorstellbar, dass ihr, die
Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus,
Rassismus, einem wiederauflebenden Nationalismus und Militarismus."
Und weiter:
"Wir hoffen auf euch. Auf eine Jugend, die das alles
nicht stillschweigend hinnehmen wird. Wir bauen auf eine Jugend, die
sich zu wehren weiß. Die nicht kapituliert, die sich nicht dem
Zeitgeist anpasst, die ihn zu trotzen versteht und deren
Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist."
Wenn wir diesem Gedanken folgen,
brauchen wir das Verbot der NPD. Es kann nicht sein, dass unsere
Demokratie überstrapaziert wird und die NPD für ihre mäßigen
Wahlerfolge in einigen Bundesländern mit Steuergeldern des Staates
finanziert wird, den sie auf der andere Seite massiv bekämpft.
Darüber hinaus gilt es aber auch - entgegen den wachsenden
sozialen Ungleichheiten - für eine wirtschaftliche Ordnung
einzutreten, in der der Mensch und nicht die Maximierung des Profits
im Mittelpunkt steht. Wenn dies nicht geschieht, verkommt jedes
Bekenntnis gegen den Rechtsextremismus zur Farce. Denn soziale
Ungleichheiten sind die Triebkräfte für einen erstarkenden
Neofaschismus.
Ein menschenwürdiges Leben, Arbeit, Wohnung, Bildung und Kultur
für alle - das ist die Grundlage für ein gesellschaftliches Klima,
in dem Ausländerhass und faschistische Demagogie keine Chance
haben. Doch so lange die Regierenden in unserem Land sich mehr
Sorgen um die Demonstrationsfreiheit für die Neonazis machen, als
den Schutz der Bevölkerung und der Demokratie vor ihren Feinden zu
garantieren, wird es nicht so leicht gelingen, eine Mehrheit für
ein NPD-Verbot zu finden.
Wir müssen wachsam und aktiv bleiben. Wir kämpfen gegen
faschistische Aktivitäten und Propaganda. Wir setzen uns ein für
eine solidarische Welt des Friedens und der Freiheit. Und in dieser
Welt haben Neonazis keinen Platz.
Öffentliche Gedenktage für die Opfer des deutschen Faschismus,
ein aktives Erinnern an den vielfältigen Widerstand - und heute
hier an die 13 Opfer in Lippstadt - sind vielseitige und wichtige
Markenzeichen einer wahren Demokratie.
Für das Internationale Rombergparkkomitee danke ich Ihnen allen,
dass sie hierher gekommen sind und an der Gedenkveranstaltung
teilgenommen haben.
|