07.04.09
"Schmuddel war einfach nur zur falschen Zeit
am falschen Ort, denn treffen können hätte es jeden von uns"
Reden zur Erinnerung an den von
einem Nazi ermordeten Punk Thomas Schulz aus Dortmund
Am 28. März 2009 jährte sich zum vierten Mal jener Tag, an dem
der Punk Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“, von dem
damals noch 17 jährigen Neonazi Sven Kahlin von der Skinhead Front
Dortmund-Dorstfeld in einer belebten U-Bahn-Station brutal
niedergestochen wurde und kurz darauf verstarb. Aus diesem Anlass
fand am 28.03.2009 das „Gedenken an den vor vier Jahren hier
erstochenen Punker Thomas Schulz“ als antifaschistische Mahnwache am U-Bahnhof
Kampstraße statt. Den Veranstaltern ging es bei der diesjährigen
Gedenkdemo einerseits darum, an das Opfer des Nazimordes zu erinnern
und diese traurige Realität gegen diejenigen zu verteidigen, die
diese Tat zu entpolitisieren versuchten und es immer noch versuchen.
Die VVN-BdA veröffentlicht nachstehend zwei der bemerkenswerten
Reden, die bei der Mahnwache gehalten wurden. Redner waren u.a.
Micha vom Bündnis Dortmund gegen rechts und Frank L., genannt Frank
der Punk.
Die Eröffnungsrede von Micha vom Bündnis
Dortmund gegen rechts
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute, am 28. März 2009, jährt sich zum vierten Male der Tag,
an dem hier unter uns, im U-Bahnhof Kampstraße, der Punker Thomas
Schulz, genannt "Schmuddel", erstochen wurde.
Wir treffen uns heute hier, weil wir um die Stunde der Tat, um 19
Uhr, Schmuddels gedenken wollen.
Und wir wollen auch der vielen anderen Opfer neofaschistischer
Mordtaten gedenken. Mehr als 130 Menschen sind seit 1990 in der BRD
umgebracht worden, weil sie nicht in das Weltbild der Neofaschisten
passten.
Etwas mehr als ein Jahr nach der Tat beschloss die
Bezirksvertretung Dortmund Innenstadt-West auf Initiative von
Mitbürgern die Anbringung einer Gedenktafel. Der Beschluss erfolgte
gegen die Stimmen der CDU-Fraktion, die befürchtet, das
"subjektive Sicherheitsgefühl" werde berührt, wenn der
"normale Passant einen solchen Gedenkstein sieht."
"Außerdem", so die CDU, gehörten "nicht nur die
Übergriffe von rechts, sondern auch die von links
angeprangert."
Ich möchte den Kollegen von der CDU-Fraktion an dieser Stelle
sagen, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger in dieser
Stadt ganz zu recht berührt ist! Weil in dieser Stadt Menschen
leben, die anderen Menschen aufgrund deren Herkunft, Aussehen,
Sexualität oder Religion nach dem Leben trachten!
Und das sind nicht die von Ihnen beschworenen Linksextremisten!
Es sind auch nicht die von Ihnen beschworenen Linksextremisten,
sondern es sind die Neofaschisten und ihre Mitläufer, die in
Dortmund drei Polizisten ermordet und unseren Freund Schmuddel
getötet haben! Machen Sie sich mit der Beschwörung des sogenannten
Linksextremismus nicht noch zum Stichwortgeber für die
Neofaschisten!
Ich will Ihnen mal sagen, was mein subjektives Sicherheitsgefühl
berührt: Ich habe hier in der Innenstadt schon ungezählte Male
miterleben müssen, wie diese "ganz normalen Passanten"
mit ihren prall gefüllten Einkaufstaschen oder ihren teuren
Aktenköfferchen einfach weitergingen, wenn ein Mensch ihre Hilfe
gebraucht hätte!
Ob jemand besinnungslos am Boden liegt; ob jemand mit einem
epileptischen Anfall zusammenbricht; ob ein Ehepaar als
"Drecksausländer" beschimpft und mit Gewalt bedroht wird;
ob jemand mitten im Hauptbahnhof fast bis zur Besinnungslosigkeit
gewürgt wird - Ihre "ganz normalen Passanten" sehen weg
und gehen weiter. Sie streben ihren glitzernden Ramschläden zu und
den feisten Feinkosttheken der Kaufhäuser. Sie kümmern sich einen
Dreck um ihre Mitmenschen! Sie rufen noch nicht mal eben mit ihrem
Handy einen Krankenwagen, wenn jemand hilflos in der Gosse liegt!
Sie rufen noch nicht mal eben die Feuerwehr, wenn es ganz
offensichtlich im Glockenturm von St. Reinoldi brennt! Ich habe das
wirklich so erlebt!
Vor solchen Leuten, den "ganz normalen Passanten", habe
ich Angst. Es sind die Leute, von denen Joachim Gauck in der
Bittermark ganz richtig gesagt hat, nicht von den so genannten
"Rändern" der Gesellschaft gehe die größte Gefahr für
die Demokratie aus, sondern von jenen Leuten, die sich stundenlang
über die Farbe ihrer nächsten Handtasche oder ihr nächstes
Urlaubsreiseziel unterhalten können, aber keine fünf Minuten über
die Gestaltung unseres Gemeinwesens.
Ich bin mit denen, die sich für ihre Mitmenschen zuständig
fühlen! Egal ob Punker oder sonstwas: Diese Stadt gehört allen,
und sie gehört ein bisschen mehr denen, die sich um ihre
Mitmenschen kümmern!
Zurück zur Gedenktafel: Der Antrag der CDU-Fraktion gegen die
Gedenktafel für Schmuddel wurde in der Bezirksvertretung
Innenstadt-West auf der Sitzung am 22. August 2007 abgelehnt, die
Gedenktafel soll kommen. Das ist in jedem Fall anzuerkennen. Wie ich
hörte, will man noch die Neugestaltung des "Boulevard
Kampstraße" abwarten.
Der beschlossene Text lautet: "In dieser U-Bahn-Haltestelle
wurde am 28.3.2005 der Punk Thomas Schulz von einem Neo-Nazi
erstochen."
Der Text bleibt damit hinter den Vorschlägen von Schmuddels
Freunden zurück, die sich ein Bekenntnis zu Zivilcourage und
Solidarität gewünscht hatten. Aber vielleicht lässt sich da ja
noch etwas machen.
Wir wollen jedenfalls mit dieser heutigen Kundgebung, zunächst
noch mit einer provisorischen Gedenktafel, ein würdiges Gedenken
organisieren.
Ich danke euch.
Micha, Bündnis Dortmund gegen rechts 28. März 2009
Die Rede von Frank L., genannt Frank
der Punk
Rot Front!
Als sich am Ostermontag 2005 unter uns Zecken das Gerücht
verbreitete, man habe einen Punker mit einem roten Iro erstochen,
wussten wir alle noch nicht, dass es sich dabei um Thomas Schmuddel
Schulz handeln würde. Zudem hielten, so glaube ich, die meisten von
uns die ganze Sache für ein Gerücht, denn offenbar schien keiner
in unseren Reihen zu fehlen.
Gegen 18.30 Uhr verließ Schmuddel den Keuningpark mit den
Worten: "Ich geh' jetzt nach Hause, ich bin zu besoffen für
das Konzert."
Die Stadt wimmelte nur so vor Bunthaarigen, denn am Abend sollte
in der HirschQ ein Konzert mit den Bands Kickstern, Sidetracked,
Combshot 16 und anderen stattfinden, und so sahen wir Schmuddel zum
letzten Mal, als er in den U-Bahnhof Leopoldstraße verschwand. Eine
halbe Stunde später war Schmuddel bereits tot.
Bis Dienstag morgen blieb es dann auch das Gerücht des
unbekannten Punkers mit dem roten Iro. Der Verdacht erhärtete sich,
dass es Schmuddel sei, und eine Freundin gab sich bei der Polizei
als besorgte Ehefrau aus, die nach ihrem verschollenen Ehemann
fragte. Das unbekannte Iro-Phantom hatte plötzlich einen Namen, ein
Gesicht, eine Geschichte, ein erloschenes Leben.
Heute, vier Jahre nach diesem brutalen, feigen Mord an unserem
Freund, Kumpel, Saufbruder, Ehemann und Vater zweier Kinder, stehen
wir ein weiteres Mal hier, um an dich und den brutalen Mord zu
erinnern.
Jeder Mensch hat seine Geschichte, und manchmal, vier Jahre
danach, scheint es mir so, als habe die seinige erst mit seinem Tod
begonnen.
Vor seinem Tod war er einer dieser unbequemen Zecken, einer
dieser Menschen, welche die Nazis damals und die Neonazis heute
gerne in die Schublade mit dem "unwerten Leben" packen.
Und so wie sie es damals taten, tun sie es auch heute wieder. Sie
bringen diejenigen, die sie nicht wahrhaben wollen, einfach um.
So auch der 17jährige Sven Kahlin der Skinheadfront
Dortmund-Dorstfeld, welcher Schmuddel hasserfüllt, blindem Gehorsam
folgend, mit drei Messerstichen für die rein arischen
Herrenmenschen ermordete.
Mit seinen 33 Jahren war Schmuddel einer dieser unbequemen
Geister, die es lieben, die gesellschaftlichen Werte und Normen in
Frage zu stellen.
Jemand, der unser Leben nicht kennt, nicht hinterfragt, warum wir
so leben wie wir leben, der nicht hinterfragt, warum wir auf der
Straße stehen und fragen: "Haste mal'n Euro?", der wird
auch nicht verstehen, warum Thomas Schmuddel Schulz aus Nazisicht
zum unwerten Leben gehörte.
Schmuddel war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, denn
treffen können hätte es jeden von uns.
So wie wir, besetzte er Häuser, lief er nachts laut lärmend
durch die Stadt, betrunken oder unter Einfluss von Drogen, manchmal
auch nüchtern.
So wie wir, suchte er im Kampf ums Überleben seinen Platz in der
Gesellschaft und geriet dabei oft an ihre Grenzen.
So wie bei uns, verging auch bei ihm kaum ein Tag, an dem er
nicht in die Mühlen von Ordnungsamt, Polizei und Justiz geriet, sie
wieder und wieder in Frage stellte und diesen ganzen Unsinn von
Platzverweisen, Häuserräumungen und Polizeigewalt nicht verstand.
So wie wir.
So wie wir, stellte er die ach so soziale Gesellschaft in Frage,
lebte diese Frage jeden Tag, um von dem Wenigen, das er von anderen
bekam, auch noch abzugeben. Er war damit oftmals sozialer als
mancher Mitarbeiter eines karitativen Vereins, welcher uns an den
Freitreppen entgegnet: "Geh doch mal arbeiten."
Bei dem Versuch, seiner eigenen Anarchie und Freiheit einen Sinn
zu geben, blieb er durch die bestehenden gesellschaftlichen und
sozialen Umstände oftmals auf der Strecke. In einer Gesellschaft,
die ihre Freiheit auf Arbeit und Kapital aufbaut, definiert sich der
Anarchist jeden Tag neu. Und das tat er, jeden Tag aufs Neue, bis zu
seinem Tod.
"Arbeit macht frei" - stand das nicht schon mal
irgendwo geschrieben?
Und anstatt dafür Sorge zu tragen, dass sich rechtes Gedankengut
nicht weiter ausbreitet, dafür zu sorgen, dass wir Zecken,
Alternative, Schwarzen, Roten, Juden, Palästinenser, wir anders
Denkende und anders Fühlende gefahrlos durch unsere Städte gehen
können, schmeißt man uns raus. Man stürmt unsere alternativen und
autonomen Zentren, erteilt uns Platzverweise, verbietet uns,
Konzerte zu veranstalten, weist uns in unsere Herkunftsländer aus,
tritt unsere Grundrechte mit Füßen, schlimmer noch: Man gibt uns
das Gefühl, der Nationalsozialismus hätte nie aufgehört zu
existieren.
Und in gewissen Kreisen, Behörden und Regierungen hat er das
auch nicht. Er lebt unter uns, von der kleinsten Nebenstraße bis in
höchste Regierungskreise haben wir täglich mit Rassenwahn und
Herrschaftsmenschen zu kämpfen. In der letzten Zeit habe ich mir
manchmal gewünscht, du hättest Thomas Schmuddel Mannichl
geheißen, dann hätten vielleicht auch die Bullen geschnallt, dass
die Gefahr in dieser Stadt und in diesem Land schon lange nicht mehr
von links kommt.
Schmuddel, du hinterlässt eine Menge Menschen, die deine Fragen
weiter fragen werden, so oft, bis dieser und andere Staaten nicht
mehr anders können als sie zu beantworten.
Du hinterlässt eine Ehefrau, zwei Kinder und jede Menge andere
Menschen, die dich sehr mochten, obwohl du manchmal auch ein echtes
Arschloch warst.
Und egal, wo und in welchem Universum du dich befindest, deine
Mutter ist jetzt schon bei dir, und auch wir werden uns mit
Antworten im Gepäck wiedersehen.
Darum lasst uns auch in Zukunft weiterhin unbequem und Narren
sein, denn es ist gut, ein Narr zu sein! Dann ertrinkst du in der
Wüste. Gut ist's, ein Narr zu sein, denn die Unbequemen sind den
Unbequemen stets bequem.
No borders, no nations - that's what we want!
Frank L., 28. März 2009
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