26.02.09
"Sie preisen offen den Holocaust"
Wie durchkreuzen wir die Absicht
der Nazis, sich als legitime Kraft zu verankern?
Interview der UZ mit Ulrich Sander,
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund
der Antifaschisten (VVN/BdA)
UZ: Dem "Nie wieder", das in letzter Zeit
glücklicherweise wieder öfter zu hören ist - wir denken da nur an
das Echo auf Herrn Ratzinger -, sollte wieder die überkommene
Konkretisierung folgen: "Nie wieder Krieg und Faschismus",
und nicht nur "Nie wieder Antisemitismus". So ist es aus
der VVN-BdA zu vernehmen. Worum geht es da?
Sander: Ich finde, wir müssen dieses Deutschland, das sich eine
beachtliche faschistische Strömung hält, genauer unter die Lupe
nehmen. Dies gerade in der großen Krise.. Ich war jedenfalls
verblüfft, in der UZ von der letzten Parteivorstandstagung der DKP
zu vernehmen, es sei ein falsches Bild, vom deutschen Imperialismus
zu sprechen, der im Rahmen der EU seine alten Pläne durchsetzen
wolle. In den Texten der militärischen Think-tanks liest sich das
ganz anders: Zwar nie mehr deutscher Sonderweg, denn jedes
Verbrechen soll nun kollektiv begangen werden. Der Rückfall in die
alte Politik ist jedoch heute möglich und wird auch hingenommen,
weil er über die EU und die "internationale Gemeinschaft"
inklusive Nato daherkommt: Deutschland als Krieg führende Macht.
Deutschland, das sich unerwünschte Ausländer fernhält, indem es
mittels EU und Frontex das Meer vor Afrika zum Massengrab macht.
Deutschland, das die Demokratie im Innern angreift und mit der
Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit auch sämtliche
rechtsextremistischen Reservisten zu Hilfspolizisten macht.
Deutschland, das unter Berufung auf die internationalen
Antiterrormaßnahmen zu diktatorischen und kriegerischen Maßnahmen
greift. Das können wir doch nicht so stehen lassen.
UZ: Antifaschisten und Nazis sind sich jeweils auf ihre Weise
einig, man schaue nur ins www: Dresden war ein Erfolg. Wie siehst Du
das?
Sander: In Dresden wurde Erhebliches gegen die Neonazis
geleistet. Aber deren politische Ausstrahlung hin zur Mitte ist nach
wie vor gegeben. Das kommt vor allem in dem Schutz des Staates, den
er Naziaufmärschen und Naziorganisationen gewährt, zum Ausdruck.
Während sich die maßgeblichen Medien daran erfreuen, dass die NPD
sich selbst zerlegt und somit Maßnahmen gegen sie überflüssig
seien, schicken sich die Kinder der deutsch-faschistischen Besatzer
Polens, die 1944/45 vertrieben wurden, an, per deutsch-polnischem
Stiftungsrat wieder gen Osten zu ziehen. Das rassistische
"Ausländer raus" wird mittels Abschiebeknästen
unterstrichen und stolz wird auf rückläufige Zuwanderungszahlen
verwiesen.
UZ: Wie müssen wir uns auf die Nazibewegung und auf den
Widerstand gegen sie einstellen?
Sander: Wir müssen endlich erkennen, dass es die Absicht der
Nazis ist, sich als legitime politische Strömung in Deutschland
fest zu verankern. Und dabei kommen sie voran. Die
Reservistenverbände und der Bundeswehrverband bieten den Nazis eine
Plattform. Die katholische Kirche nimmt eine antisemitische
Organisation, die Pius-Bruderschaft, wieder auf, benannt nach dem
Papst, der den Faschisten unter den Katholiken immer zu Diensten
war. Nur den Holocaust dürfen die Herrschaften nicht leugnen, aber
sie dürfen den Holocaust preisen: Wir gratulieren Euch zu Eurer
Geschichte, und dazu gehört auch Auschwitz, rief auf dem letzten
"nationalen Antikriegstag" in Dortmund ein
niederländischer Redner seinen deutschen Kumpanen zu.
UZ: Und für den 5. 9. dieses Jahres ist schon wieder ein
solcher faschistischer "Antikriegstag" angekündigt?
Sander: Ja, diese Art von Provokationen soll nun jedes Jahr in
Dortmund stattfinden. Dresden im Februar und Dortmund im September,
das sind nunmehr die festen Daten des bundesweit operierenden
Nazismus, der trotz Streit um Udo Voigt sehr vital bleibt.
UZ: Wie stellt sich die VVN-BdA darauf ein?
Sander: Wir sollten uns so darauf einstellen, wie sich die
Demokraten und Antifaschisten auf Dresden einstellten, mit einer
wichtigen Ergänzung: Wir lassen uns das Recht auf Blockade der
Nazis nicht nehmen. Wir lassen das Innenministerium und den
Polizeipräsidenten nicht aus der Kritik aus. Die Polizeihilfe und
Justizunterstützung für die Nazis - unter Berufung auf das
Bundesverfassungsgericht -, damit finden wir uns nicht ab. Wir haben
kürzlich in Wuppertal eine antifaschistische Landeskonferenz
gehabt, und wir waren uns einig: Bundesweit müssen wir gegen die
Nazis mobilisieren, die sich bundesweit auf Dortmund vorbereiten.
UZ: Was ist im Superwahljahr in dieser Hinsicht zu tun? Auch
darüber wurde doch auf der Landeskonferenz gesprochen.
Sander: Wir meinen, die Kampagne gegen die NPD "NoNPD",
für ihr Verbot, muß ergänzt werden mit Forderungen, die
profaschistische staatliche Institution "V-Leute-System"
anzugreifen und alle Möglichkeiten zu ergreifen, um den Nazis
Wahlerfolge zu verbauen. Zum letzten Thema haben wir auf unserer
Konferenz eine bemerkenswerte Einheit von Sozialdemokraten,
DieLinke-Sozialisten, Grünen, Gewerkschaftern und DKP-Leuten wie
auch Autonomen festgestellt. Wir wollen eine Plakataktion
"Keine Nazis und andere Rassisten in die Parlamente"
starten. Wahlausschüsse sollen die NPD und DVU wie auch die
Pro-Rassisten abweisen. In kommunalen Parlamenten wollen wir
örtliche und regionale Anti-Nazi-Pläne durchsetzen. Der Bundestag
muss daran erinnert werden: Noch vor der Wahl ist die Bearbeitung
der 175 000 Unterschriften gegen die NPD fällig.
UZ: Ostern und am 4. April wird es zahlreiche Aktionen geben -
gegen den Afghanistankrieg und gegen die nunmehr 60jährige NATO.
Wie ordnen sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten dort ein?
Sander: Wir sind in den entsprechenden Bündnissen aktiv. Wir
rufen zu den Aktionen mit auf. Wir fügen den Aufrufen hinzu:
Deutschland raus aus der NATO. Wir setzen ferner hinzu unsere
antimilitaristischen Aussagen: Schluss mit der Wehrmachtstradition
in der Bundeswehr, Stoppt das Bündnis von Bundeswehr und
NS-Wehrmachtsveteranen. Stoppt die Unterstützung der Regierung für
die Treffen von völkischen Militaristen, unter ihnen
Kriegsverbrecher. Entschädigung der Opfer der NS-Wehrmacht und
Bestrafung der Täter.
UZ: Mit einer der reaktionärsten militaristischen Formationen
liegen die VVN-BdA und du persönlich in Fehde. Wie steht es damit?
Sander: Der Kameradenkreis der "Gebirgstruppe" wollte
mir und der VVN-BdA einen Maulkorb verpassen. Ich sollte nicht mehr
die Wahrheit über die Geschichte, die Tradition, die Politik und
Praxis dieser Vereinigung sagen dürfen. Jetzt musste die
Vereinigung in ihrer Zeitschrift "Gebirgstruppe"
einräumen, ich dürfe weiter sagen, dass der Kameradenkreis aus den
Reihen der NS-Gebirgstruppe gegründet wurde und dass an seinen
Treffen jedes Jahr Kriegsverbrecher teilgenommen haben. Mit seiner
vergeblichen Widerrufsklage wollte der Kameradenkreis erreichen,
dass keine Verbindung zwischen Wehrmacht und Bundeswehr sowie den
reaktionären Traditionsvereinen aufgezeigt werden dürfe. Die
Geschichte sollte umgeschrieben werden. Alles was seit der
Wehrmachtsausstellung Allgemeingut in der geschichtlichen
Betrachtungsweise wurde, sollte wieder rückgängig gemacht werden.
Eine Bundeswehr, die Krieg führt, soll sich wieder an der Wehrmacht
orientieren.
UZ: Wie geht es in diesem Streit nun weiter?
Sander: Wir klagen weiter gegen jedwede Übernahme von
Prozesskosten, nachdem der Kameradenkreis seine Widerrufsklage als
erledigt erklären musste. Verzichten muss der Kameradenkreis nun
auch auf seine jährlichen Pfingsttreffen; er will sich nun zwei
Wochen vor Pfingsten auf dem Hohen Brendten versammeln. Wir werden
auf geeignete Weise reagieren.
Die Fragen stellte Adi Reiher
Mit freundlicher Genehmigung von Unsere
Zeit.
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