13.02.09
Zwei empfehlenswerte Beiträge von Robert
Steigerwald
Zum Umgang mit katholischer
"Kapitalismuskritik" und zur Frage "Ist der Feind
meines Feinde mein Freund?"
Der Philosoph Robert Steigerwald hat im Januar und Februar in der
Zeitung "Unsere Zeit", herausgegeben von der DKP, zwei
wichtige Beiträge zur linken Bündnispolitik, zum Verhältnis der
Linken zu den Katholiken sowie zu Islamisten und Zionisten
veröffentlicht. Die VVN-BdA NRW erhielt von "Unsere Zeit"
die Erlaubnis zur Verbreitung der Beiträge von Robert Steigerwald.
Das kapitalistische System muss man
angreifen!
Offener Brief an Dr. Reinhard Marx,
Erzbischof von München Von Robert Steigerwald
Sehr geehrter Herr Erzbischof, ich hoffe, Sie akzeptieren diese
bürgerliche Anrede.
Es war zur Weihnachtszeit, dass ich in eine Sendung des
Bayrischen Fernsehens geriet und dort ein Gespräch zwischen Ihnen
und Frau Reiber anhörte. Da ich aus Medien um ein von Ihnen unter
dem Namen Karl Marx veröffentlichtes Buch mit dem Titel "Das
Kapital" wusste, war ich gespannt, ob Sie und wenn ja im
Gespräch auf das Buch zu sprechen kommen würden, was ja auch
geschah. Zu dem, was da in Vorankündigungen mitgeteilt wurde,
fehlte - so meine Vermutung - noch das "dicke Ende". Und
dies kam ja dann auch im Gespräch mit Frau Reiber: Nach dem
Ausdruck der Achtung vor der Person Ihres Namensvorgängers folgte
das in aggressiver Tonlage vorgetragene Verdammungsurteil des
Marxismus/Kommunismus. Nun, so muss das auch sein, wenn ein
Kirchenfürst sich zum Marxismus äußert. Der jetzige Papst hat es
unlängst vorgemacht, als er Marxens intellektuelle Kraft lobte und
gleich danach den Sozialismus/Kommunismus verurteilte. Auch Heiner
Geisler (der aber immerhin bei Attac mitwirkt) hat, als er den
Kapitalismus verurteilte, dem Urteil zugefügt, der Sozialismus sei
auch nicht besser. Der Verurteilung des Kapitalismus folgt der
Spruch: Was nachher kommen könnte, wird auch nicht besser, man
sollte es also doch einfach beim Gegenwärtigen bleiben lassen. Auch
so kann man das "Ende der Geschichte" preisen, den
Kapitalismus verteidigen.
Mir fällt bei solchem Gerede immer einiges aus Ihrem
"Parteiprogramm" ein. Wenn also Jesus von jenen sprach,
die den Splitter im Auge des anderen sehen und den Balken im eigenen
nicht sehen, oder wenn er vom Pharisäer sprach, der sich dafür
lobte, nicht so zu sein wie der Zöllner, oder, um noch ein drittes
Beispiel anzuführen, Sie kennen ja all diese Stellen: Wer unter
euch frei sei von Schuld, der hebe den ersten Stein. Ja, sie alle
haben Recht, wenn sie den Sozialismus/Kommunismus wegen Untaten
anklagen, die in seinem Namen begangen worden sind, und wir
Kommunisten, - auch die später Geborenen, ich bin einer von ihnen,
- wollen nicht, wie dereinst der Christ Helmut Kohl, die Gnade der
späten Geburt beanspruchen. Wir stellen uns unserer Geschichte und
wissen, welchen Ballast wir neben den unbestreitbaren Erfolgen und
Leistungen mitzutragen haben. Aber dies muss doch gesagt werden:
Ohne diese Leistungen wären wir im Faschismus versunken. Sie
ermöglichten den Sieg über Hitler. Und die "Westmächte"
haben, durchaus im Verein mit dem Vatikan (ich komme darauf noch zu
sprechen), kräftig daran gearbeitet, den Sieg Hitlers über jenen
Bolschewismus zu erwirken, dem wir letztlich die Befreiung vom
Faschismus verdanken.
Nehmen wir ein Beispiel. Die USA und die Bundesrepublik - auch
die anderen "westlichen" Staaten - werden von
Persönlichkeiten regiert, die sich bekennende Christen nennen. Ganz
schlimm steht es in dieser Hinsicht um den wahrlich bigotten
Kriegstreiber und Lügenpräsidenten der Vereinigen Staaten, auf
dessen Konto einige Hunderttausend tote Iraker gehen. Frau Merkel
kann es ihrem Vorgänger im Bundeskanzleramt, Schröder, danken,
dass sie nicht in den Strudel dieses Krieges und Mordens mit hinein
gezogen wurde, denn das wollte sie ja. Indem ich dies schreibe,
tönt Frau Merkel, für das derzeitige terroristische Massaker
Israels im Gaza-Streifen sei allein die Hamas verantwortlich, als ob
sie nicht wüsste, dass es all die Opfer im Nahen Osten schon
längst nicht mehr gäbe, würde Israel sich nicht ständig der
völkerrechtlichen Verpflichtung entziehen, endlich die
Zweistaatenlösung einzurichten: Denn Israel allein hat dazu als
Besatzungsmacht die Pflicht und die Macht. Israel allein. Aber Frau
Merkel macht sich zur Bauchrednerpuppe der reaktionären und
terroristischen Führung Israels!
Wechseln wir das Thema. Wenn Banken in Schwierigkeiten geraten,
werden mal so mir-nix-dir-nix Billionen "locker" gemacht,
aber dass allein im vergangenen Jahr 9,5 Millionen Kinder in der
Dritten Welt verhungerten, dass nach Berechnungen von Organen der
Welternährung 6 Milliarden Dollar genügt hätten, dieses
Kindersterben zu verhindern oder dass, wenn es um Geld für die
Dritte Welt geht, die "christlichen" Regierungen der
"ersten Welt" wie Basarhändler feilschen und dann nur
einen Bruchteil von einem Prozent des Bruttosozialprodukts zur
Verfügung stellen, das ist ein Verbrechen. Jährlich begangen an
Millionen von Kindern. Rechnen wir noch auch die verhungernden
Erwachsenen hinzu. All jene, die an vermeidbaren Seuchen nur darum
krepieren, weil das dazu nötige Geld (siehe Banken) zwar vorhanden
wäre, aber nicht eingesetzt, nicht bereitgestellt wird. Denn
solcher Einsatz brächte keine Profite. Sie alle zusammen, das sind
in jedem Jahr so viele Tote, wie während all der fünf Jahre des
zweiten Weltkrieges zusammen genommen: Nämlich fünfzig Millionen.
Dies ist der Preis, den die Menschheit für die Fortsetzung des
Kapitalismus - in dem die "westliche Wertegemeinschaft"
das Sagen hat - bezahlt. Wo ist der Fluch der Kirchenführer? Aber
es gibt ja auch eine Geschichte. Hier einiges aus deren Buch, soweit
es um die Kirchen geht: Als die Heerscharen des Ersten Kreuzzugs
Jerusalem eroberten, metzelten sie 70 000 Menschen, egal, welchen
Glaubens. Und wie mit den Albigensern und Waldensern umgegangen
wurde, oder mit den Bogumilen auf dem Balkan. Als es zur
Endabrechnung mit den südfranzösischen "Ketzern" kam und
die Kirchenführer des Kriegszuges befahlen, die Gefangen
abzuschlachten, als man sie darauf aufmerksam machte, darunter
befänden sich doch auch Frauen und Kinder, hieß es: Tötet sie
alle, Gott wird schon die Rechten von den Falschen zu trennen
wissen.
Sie wissen, dass es der Beispiele weit mehr gäbe, etwa bei der
Eroberung des amerikanischen Kontinents oder in der Zeit der
Sklavenwirtschaft.
Aber, werden Sie mir entgegnen, das ist doch Geschichte und wir
haben uns zu dieser Schuld bekannt. Ich will dem nicht nachgehen
sondern nur fragen: Ist Schuld vergeben, wenn Christen sich schuldig
bekennen, aber nicht, wenn Kommunisten das tun? Denn haben Sie nicht
wahrgenommen, dass Kommunisten nicht Jahrhunderte brauchten, um mit
in ihrem Namen begangenen Untaten Schluss zu machen und sich dazu
bekannten, und dies allein aus eigenem Verantwortungsgefühl?
Aber lassen wir die fernere Vergangenheit, wenden wir uns der
näheren zu. Ich erinnere an den, diesen Freund des italienischen
Faschismus, der als Nuntius in Berlin den ersten völkerrechtlich
verbindlichen Vertrag mit Nazi-Deutschland einfädelte, es damit in
die Reihe der zivilisierten Völker beförderte. Er hat, mitten in
dem der Republik Spanien aufgezwungenen Todeskampf, in seiner
Enzyklika "Divini redemptoris" nicht etwa den
faschistischen Putsch des katholischen Christen Franco verurteilt,
nicht die hohe Zahl katholischer Priester, die dem
Franco-Mord-Regime Zutreiber-Dienste leisteten zur Ordnung gerufen,
nein, sondern in dieser Enzyklika in entschiedener Weise zum Kampf
gegen den Bolschewismus aufgerufen, Hitler, Mussolini und Franco in
die Hände gearbeitet. Und der Wojtyla-Papst, hat wenigstens er im
Nachhinein die Mitwirkung des katholischen Klerus von Spanien an
Francos Verbrechen verurteilt? Das Gegenteil hat er getan, Hunderte
spanischer Priester, Mittäter Francos, hat er selig gesprochen.
Hat Papst Pius XII., wissend um die Judenmord-Maschinerie
Hitlers, sein großes Prestige eingesetzt, dem Morden zu
widersprechen? Er hat es nicht getan, nicht aus Angst vor Hitler,
der hätte dem Repräsentanten von vielen Hundert Millionen
Katholiken nichts angetan. Aber dann, als die Faschisten geschlagen
waren, wurde nicht allein nur unter der Ägide dieses Papstes 50 000
deutschen SS-Kriegsverbrechern, unter ihnen Mengele und Eichmann,
über die vom Vatikan eingerichtete "Rattenlinie" die
Flucht nach Südamerika ermöglicht?
Sie sehen, Herr Erzbischof, das Sündenregister der Kirche reicht
bis in die Gegenwart. Denn da war ja auch der Mord an vielen
Zehntausend Serben, die sich unter der Herrschaft der katholischen
Kroaten in der Nazizeit weigerten, von ihrem griechisch-orthodoxen
Glauben zu lassen.
Jawohl, Kirchenführer und Bischofskonferenzen haben den
Kapitalismus oft moralisch verurteilt, nicht selten mit Worten, die
schärfer waren als gewerkschaftliche Verlautbarungen. Aber es geht
nicht in erster Linie um Moral. Wenn sich Kapitalisten
"unmoralisch" verhalten, so nicht, weil sie so sein
wollen, sondern weil sie unter die Räder des kapitalistischen
Systems gerieten, würden sie sich nicht den Regeln dieses Systems
unterordnen. Dieses System muss man angreifen und nicht die aus
diesem folgende "Moral".
Das ganze Gerede von Gier und Ähnlichem, das nicht ohne Grund
ist, ist wirkungslos, wenn die wahren Gründe von Unmoral allein
moralischer Verurteilung ausgesetzt werden. Während
Kirchenführungen auf diese Weise zwar Unternehmer moralisch
verurteilen, ansonsten aber nichts tun, sind sie mit
Exkommunizierungen rasch bei der Hand, wenn Priester, etwa Jesuiten
wie die Brüder Boff, bei Moralappellen nicht Halt machen wollen.
Gegen das Kapital nur Moral, gegen Sozialismus notfalls Predigt und
aktive Teilnahme an Aktionen der Gewalt.
Um einem Missverständnis oder einer Missdeutung vorzubeugen:
Dies ist keine Anklageschrift gegen die Religion! Ich verwechsle
nicht Weltanschauung und Organisation, Weltanschauung und Missbrauch
derselben durch Organisation (was ja nicht nur Spezifikum von
Religion ist). Marx hat Religion zwar als verkehrtes Weltbewusstsein
bezeichnet, in ihm aber zugleich den Trost- und Rechtfertigungsgrund
gequälter Kreaturen und den Grund für Protest gegen unmenschliche
Verhältnisse gesehen.
Ich weiß sehr wohl um Christen, aktive Christen, die sich dem
Kapital, seinen Kriegen, seiner Ausbeutungs- und
Unterdrückungspolitik widersetzen, bin mit nicht wenigen solcher
Christen befreundet. Ich weiß, dass die Katharer, die Ketzer, die
Bauern in ihrem Aufbegehren Christen waren und sangen: "Als
Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" Und es
war Friedrich Engels, der - einem Wort Heines zustimmend - Luthers
Lied von der festen Burg die Marseilleise des 16. Jahrhunderts
genannt hat. Aber diese Christen sind eben nicht die Kirche, sie
wurden und werden oft genug von den Kirchen gemaßregelt, ja sogar
verfolgt und - wie das Beispiel der Brüder Boff gezeigt -
exkommuniziert.
Mit freundlicher Genehmigung von "Unsere Zeit" vom
9. Januar 2009
Wie ist das mit dem Feind meines
Feindes?
Klassenpositionen und
gesellschaftliche Ziele beachten Von Robert Steigerwald
Ende Januar hat sich in Beirut ein eigenartiges Bündnis
zusammengeschoben, über das österreichische
"Antiimperialisten" im Internet berichten. Unter der
Überschrift "Islamische und linke AntiimperialistInnen
vereinigen sich" steht da u. a.: "Der stellvertretende
Sekretär der Hisbollah, Scheich Naim Kassem, drückte in der
Eröffnungssitzung den gemeinsamen Geist aus: Es existieren heute
lediglich zwei Blöcke in dieser Welt. Der des US-Imperialismus und
seiner Alliierten und auf der Gegenseite der Widerstand ungeachtet
seiner ideologischen, kulturellen oder religiösen Verwurzelung. Der
Widerstand muss vereint gegen seinen gemeinsamen Feind auftreten und
dies ist nur möglich, indem seine Vielfältigkeit respektiert
wird." Dieses Treffen wurde von den
"Antiimperialisten" euphorisch als Signal begrüßt,
Schritte zu einer breiten internationalen
"antiimperialistischen Front" zu gehen.
Wie ist so etwas einzuschätzen? Wie sollten sich Marxisten in
einer solchen Situation verhalten? Der Sachverhalt ist: Leute, die
sich als "Linke" bezeichnen, gehen hier mit Vertretern
reaktionärer Kräfte zusammen. Die Klassenfrage bleibt wie die
reaktionären Gesellschaftsvorstellungen dieser Islamisten völlig
unbeachtet. Politik "machen" geht aber auch für linke,
fortschrittliche Kräfte - und erst recht für Marxisten - nicht
ohne Analysieren der Lage, der konkreten Bedingungen, der
Kräfteverhältnisse, der Bewegungsrichtungen _ und daraus
Folgerungen zu ziehen.
Wie sind die agierenden Kräfte einzuschätzen? Für welche
gesellschaftspolitischen Ziele und auf welchen Klassenpositionen
stehen sie? Warum kann man sie zeitweilig unterstützen oder warum
auf keinen Fall?
Wer kann andererseits für Kommunistinnen und Kommunisten sogar
zu einem Bündnispartner werden - möglichst zu einem dauerhaften?
Mit der bloßen Volksweisheit, der Feind meines Feindes ist mein
Freund, kann man in die Irre gehen, wenn man die Frage beantworten
will, mit welchen politischen und militärischen Akteuren sich
Kommunistinnen und Kommunisten in den gegenwärtigen Konflikten
solidarisieren sollten.
Ich kann eigene Erlebnisse anführen. Ich vertrat einmal die DKP
auf dem Parteitag der KP des Libanon, reiste von Berlin aus an.
Neben mir in der Maschine saß der Chefredakteur des gemeinsamen
Theorie-Organs der arabischen Kommunistischen Parteien, ein
kurdischer Genosse aus dem Irak. Während des Gesprächs zeigte er
mir die Narben, die von den Einschüssen in seinem Genick
herrührten, die ihm die Schergen der Baath-Partei (des Saddam
Hussein) beigebracht hatten. Ich hatte in der Zeitung gelesen, in
Tripoli, einer Stadt im Norden Libanons, hätten Fatah-Leute in
einer Nacht siebzig kommunistische Familien umgebracht. Nach der
Landung in Damaskus fragte ich den Genossen des Politbüros der KP
des Libanon, ob das wahr sei. Ja, es sei wahr, siebzig Familien,
Erwachsene und Kinder, "by knife", mit dem Messer, also
indem man ihnen die Kehlen durchschnitt. Und dann saß ich mit den
anderen Delegierten im Parteitagspräsidium, neben mir der Vertreter
der Fatah (Hamas gab es damals noch nicht). Er lobte uns Deutsche,
weil wir so viele Juden umgebracht hätten - solches "Lob"
habe ich bei meinen Fahrten im Nahen Osten immer mal wieder gehört.
Also der Vertreter einer Partei, die unsere Genossen abschlachtete
und der mich wegen der Judenmorde lobte. War er mein Freund und ich
der seinige, denn wir standen ja gemeinsam gegen das zionistische
Israel: Waren wir Freunde, weil wir den gemeinsamen Gegner hatten?
Die Losung "Der Feind meines Feindes ist mein Freund"
taugt hier gar nichts.
Könnten Geschichtskenntnisse
helfen?
Gab es da nicht das Beispiel, das Stalin erwähnte: In
Großbritannien, einem imperialistischen Land, regiert die
Sozialdemokratie, und gegen sie kämpft der Emir von Afghanistan,
ein feudaler Herrscher. Wir Kommunisten kämpfen ebenfalls gegen den
Imperialismus, auch gegen den britischen, obwohl dort die
Sozialdemokratie regiert. Wie sollten wir uns verhalten? Stalin
machte klar, dass die Hauptfrage nicht sei, der Emir ist ein
Feudaler, sondern er und wir Kommunisten kämpfen gegen den
Imperialismus, also auch gegen das von der Sozialdemokratie regierte
Großbritannien. Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Wirklich? Gibt es da nicht auch andere Auskünfte? Etwa bei Marx
und Engels?
Ich erinnerte mich des "Kommunistischen Manifests" - es
ist immer gut, in unsere Geburtsurkunde reinzuschauen. Im Abschnitt
IV "Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen
oppositionellen Parteien" schrieben sie: "Sie kämpfen
für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und
Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der
gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung ...
In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die
Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie
gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die
Kleinbürgerei.
Sie unterlässt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein
möglichst klares Bewusstsein über den feindlichen Gegensatz
zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten, damit die
deutschen Arbeiter sogleich die gesellschaftlichen und politischen
Bedingungen, welche die Bourgeoisie mit ihrer Herrschaft
herbeiführen muss, als ebenso viele Waffen gegen die Bourgeoisie
kehren können, damit, nach dem Sturz der reaktionären Klassen in
Deutschland, sofort der Kampf gegen die Bourgeoisie selbst beginnt
...
Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede
revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und
politischen Zustände." Jede revolutionäre Bewegung!
Die beiden Gründerväter haben im Manifest auch das Thema
Kapitalismuskritik anderer Kräfte untersucht. Da gibt es heute ein
breites Spektrum. Sind alle Kapitalismus- oder Imperialismuskritiker
- so unterschiedlich ihre Positionen auch sonst sein mögen -
unsere, der grundlegenden, marxistischen Kapitalismuskritiker
Freunde?
Marx und Engels haben diese Position abgelehnt und sich mit
beißendem Spott über feudale Kapitalismuskritik ausgelassen.
Kapitalismuskritik aus der Vergangenheit ist reaktionär,
Kapitalismuskritik aus der Position einer zu erkämpfenden Zukunft,
das ist unsere Sache.
Es gab in der Geschichte der Kommunisten immer mal Situationen,
in denen wir vor analogen Problemen standen. Hier ein Beispiel aus
der Geschichte der KPD: Als 1923 das imperialistische Frankreich das
Ruhrgebiet besetzte und sich dagegen eine Partisanengruppe
herausbildete, waren die unterschiedlichsten Kräfte des Landes zur
Positionierung gefordert. Wie verhielten sich die Kommunisten und
wie Hitler?
In Essen trafen sich am 6. und 7. Januar die Kommunistischen
Parteien Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens,
Italiens, der Niederlande und der Tschechoslowakei. Sie riefen zum
gemeinsamen Kampf auf und appellierten an die deutschen Arbeiter:
"Euer Feind ist nicht der französische Soldat, nicht der
französische Arbeiter noch der französische Kleinbauer, die gleich
euch Ausgebeutete und Opfer der Bourgeoisie sind. Euer gemeinsamer
Feind ist der deutsche und der französische Kapitalist. ... Stellt
dem phrasenreichen Nationalismus der sogenannten Nationalsozialisten
und ihrer Verbündeten, der großdeutschen Parteien, die
internationale Solidarität und den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter
gegen die internationale Bourgeoisie gegenüber." Das war eine
klare marxistische Klassenposition.
Trotz dieser richtigen Orientierung gab es unter Kommunisten
kurzzeitig eine Position des gemeinsamen nationalen Widerstands, die
viele Mitglieder der KPD völlig desorientierte. Im Juni 1923 schlug
Karl Radek auf einer Sitzung der Exekutive der Komintern (EKKI) vor,
die KPD solle sich an den Nationalismus der Faschisten anpassen, um
von ihnen verführte Arbeiter und kleinbürgerliche Elemente zu
gewinnen. Die kleinbürgerlichen Massen, Intellektuellen und
Techniker, die eine große Rolle in der Revolution spielen würden,
befänden sich im nationalen Gegensatz zum Kapitalismus, behauptete
Radek. Um als Arbeiterpartei den Kampf um die Macht zu führen,
müsse man Zugang zu diesen Massen finden. Den von den Franzosen
erschossenen faschistischen Vorkämpfer der nationalistischen
Partisanengruppe Leo Schlageter, würdigte Karl Radek in dieser Rede
gar als "mutigen Soldaten der Konterrevolution"!
Hitler orientierte im Interesse des Kapitals völlig anders: Man
müsse erst die Widersacher im Reichsinneren niederkämpfen, Juden,
Kommunisten usw., danach, auf dem Boden der "geeinten"
Nation den Krieg nach draußen richten.
Oder nehmen wir die Bedingungen während des zweiten Weltkriegs.
Damals gab es in Indien - auch unter Kommunisten -die Meinung: Es
nütze dem antikolonialen, antibritischen Freiheitskampf, die
nationale Bewegung Indiens als Bundesgenossen des deutschen Staats
zu verstehen, weil auch der gegen Großbritannien kämpfe. Solche
perversen Parteinahmen gab es auch in Ägypten und - damals schon -
in Palästina.
Erinnert sei auch an das Schicksal der iranischen Kommunistinnen
und Kommunisten, die für den Sturz des Schah-Regimes gekämpft
hatten und zunächst -obgleich sie für die Gründung einer
demokratischen Republik als notwendigem Zwischenschritt zu einer
sozialistischen Gesellschaft eintraten - die islamische Republik
unter der Herrschaft der Mullahs anerkannten. Auf Khomeinis Befehl
wurden 1982 Tausende Mitglieder und Sympathisanten der Partei
verhaftet, als "sowjetische Spione" verleumdet und viele
Hunderte dieser politischen Gefangenen ermordet.
Dürfen sich Linke mit
Fundamentalisten verbünden?
Gegenwärtig ist viel die Rede von Fundamentalismus, von
islamischem, als ob es nur diesen gäbe. "Westler" haben
keinen Grund, mit dem Finger auf Anhänger des Islam zu verweisen,
die übrigens keinesfalls alle dem Fundamentalismus anhängen. Ich
kann hier nicht speziell den islamischen Fundamentalismus und seine
antiaufklärerischen, frauenfeindlichen und intoleranten Positionen
analysieren, sondern möchte nur einige grundsätzliche Probleme
benennen, die eben nicht nur den islamischen Fundamentalismus
betreffen.
Vergessen werden darf nicht, zu den Gründen eines
Fundamentalismus in Ländern der Dritten Welt gehört: All die
schönen Verheißungen seitens der "Kulturbringer", ob sie
nun offen erklärte Imperialisten oder Sozialdemokraten waren bzw.
sind, erwiesen sich als irreführend, verminderten nicht, sondern
erhöhten das Elend. Wo man den Ausbruch aus dieser Realität mit
Hilfe von Marxismus und Kommunismus versuchte, hat das bislang auch
nicht geklappt.
Ist es ein Wunder, dass Fundamentalisten sagen konnten: Unser
Elend kommt dadurch zustande, dass wir uns von unseren alten Werten,
von unserer Religion, von unseren ureigensten Lebensformen
abgewendet haben?
Um vor einem Missverständnis zu warnen: Orientierung an
"Fundamenten" ist noch kein Fundamentalismus - auch wir
Marxisten haben "Fundamente". Zum Fundamentalismus wird
dies, sobald darauf verzichtet wird, solche Fundamente
wissenschaftlich zu erarbeiten, sie rational zu begründen und der
empirischen Überprüfung zu unterwerfen.
Sie sollen sich aus einem nicht weiter hinterfragbaren,
gegebenenfalls geoffenbarten (Gott hat uns dieses Land zugewiesen!)
"Grund" herleiten. Dies bewirkt einen intoleranten Umgang
mit Andersdenkenden, denen die fundamentalistische Orientierung mit
Gewalt beizubringen ist.
Das Zurück zu den Fundamenten der eigenen "Kultur",
die Erinnerung an die eigene Geschichte wirken dahin, die jeweiligen
Adressaten zusammenzuschweißen, sie der Volksgemeinschaftsideologie
zu unterwerfen, das Vorhandensein von Klassen und Klasseninteressen
zu negieren, ist insofern dem ganz normalen bürgerlichen
Nationalismus und Chauvinismus verwandt. Das ist ein Hinweis darauf,
dass es keinen wirklichen Unterschied zwischen dem
imperialistischen, insbesondere US-amerikanischen (seiner Politik
der US-Amerikanisierung des Restes der Welt) und dem islamischen
oder israelischen Fundamentalismus gibt. Fundamentalismus ist in
keiner Weise emanzipatorisch.
Auf diese Seite der Barrikade sollten sich Linke und vor allem
Marxistinnen und Marxisten niemals stellen.
Was lehren diese Beispiele?
Wurde da in der Vergangenheit in unserer Bewegung nicht oft und
viel zu schnell gefolgert: Die kämpfen gegen den Imperialismus bzw.
ihre/unsere bisherigen kapitalistischen Unterdrücker, sind also als
unserer Freunde zu betrachten?
Was für Folgen hatte die Nichtberücksichtigung von
unterschiedlichen Klasseninteressen und Gesellschaftszielen? Wie
viele von denen, die einst auch durch die führenden Parteien der
Sowjetunion oder der DDR vorschnell als dauerhafte Verbündete im
Kampf gegen den Imperialismus betrachtet wurden, sind auf einem
antikapitalistischen Entwicklungsweg geblieben? Sind nicht einige
gar im Laufe der Jahre zu fundamentalistischen, reaktionären
Bewegungen "übergelaufen"?
Kommunisten dürfen nicht wegen vorübergehender, teilweiser
"Übereinstimmungen" im Kampf ihre Klassenpositionen
vergessen, d. h. dass wir über den Augenblick hinausweisende Ziele
haben, und wer diese des Augenblicks willen zurückstellt, der
verhält sich wie ... Bernstein: Das Ziel ist nichts, der Weg alles.
Das ist klassischer Opportunismus.
Es gibt Feindschaften recht unterschiedlicher Art. Wir müssen
uns stets fragen, ob sich "Feindschaften" in unsere über
den Augenblick hinausführenden Ziele einfügen lassen. Es muss
geprüft werden, in welche Richtung sich der Kampf entwickelt, ob in
die Zukunft hinein oder auf die Vergangenheit orientiert.
Fundamentalismus, gleich welcher Art, enthält immer die Gefahr,
sich nach dem Motto zu entwickeln: Und willst du nicht mein Bruder
sein, so schlag ich dir den Schädel ein! Das ist eine Position, wie
sie auch in Europa lange Zeit und immer mal wieder Orientierung war,
man denke nur an unsere Religionskriege.
Die Herausbildung der bürgerlichen Revolution, die damit
verbundene Aufklärung hat dieser Position den Kampf angesagt - und:
Die Aufklärung ist eine der Quellen des Marxismus, die wir nicht
preisgeben werden. Und auch darum sind Fundamentalisten keine
Bündnispartner für uns.
Wir müssten bei unserer Parteinahme für die Vorgänge im Nahen
Osten, im Mittleren Osten und anderen Regionen der Welt immer auch
dies bedenken: Wir treten nicht ein für Positionen, die hinter die
Errungenschaften bürgerlicher Revolutionen und bürgerlicher
Aufklärung zurück zerren sollen. Deren Losungen und
Errungenschaften weiter zu entwickeln heißt, sie vielmehr
aufzuheben, nicht aber zu zerstören.
Dieser marxistischen Klassenposition entspricht auch die
Resolution der Bundeswahlkonferenz der DKP am 10. Januar 2009. Dort
steht unter anderem:
"...
- Wir erklären unsere Solidarität mit den fortschrittlichen
Kräften in Israel, die sich der Aggression entgegenstemmen.
- Wir erklären unsere Solidarität mit der Bevölkerung
Palästinas und mit den politischen Kräften, Parteien und
Bewegungen, die sowohl die israelische Aggression und
Unterdrückung bekämpfen, sich gleichzeitig aber auch
reaktionären, fundamentalistischen Bewegungen entgegenstellen,
weil sie sich Emanzipation und gesellschaftlichen Fortschritt
auf ihre Fahnen geschrieben haben."
Und vergessen wir in der aktuellen Situation auch nicht dies:
Israel ist ein bürgerlicher Staat in der Epoche des Imperialismus,
ein Nah-Ost-Degen des US-Imperialismus, ein Staat, in dem es _ das
ist ja keine von Klassen unabhängige Sache -auch faschistische
Militärs und Politiker gibt. Aber es gibt auch bürgerliche Wahlen,
ein bürgerliches Parlament, Gewerkschaften und eine legale
kommunistische Partei, die auch im Parlament vertreten ist. Legale
kommunistische Parteien gibt es nur in wenigen arabischen Ländern.
Wir treten mit der Kraft, die wir haben, aktuell wie langfristig
für eine Lösung des Nah-Ost-Konflikts ein, für das
Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, in einem eigenen Staat
neben Israel leben zu können und das friedliche Miteinander beider
Staaten. Wir treten ein für die Durchsetzung demokratischer und
fortschrittlicher Entwicklungen auch in dieser Region.
Mit freundlicher Genehmigung von "Unsere Zeit" vom
6. Februar 2009
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