06.02.09
Zeitungszeugen
Nachdruck von Nazi-Zeitungen umstritten
Westfalen, 23.01.2009, Jan Philipp Bensmann
Dortmund. Ist Nazi-Propaganda in Deutschland am Kiosk zu
haben? Das behaupten Gegner des Projekts „Zeitungszeugen“. Das
bayerische Finanzministerium stellte jetzt Strafantrag gegen die
Herausgeber kommentierter Zeitungsnachdrucke aus der NS-Zeit.
Der Respekt gegenüber Holocaust-Opfern und das Copyright des
Freistaats würden missachtet. Auch zivilrechtlich will man gegen
den Nachdruck der Nazi-Zeitungen vorgehen.
Doch das Projekt hat auch Fürsprecher. Dienstagnachmittag, TU
Dortmund. In der Vorlesung „Einführung in die Journalistik“
diskutieren Studenten über das Thema. Ihr Professor, Horst Pöttker,
ist Mitglied des 10-köpfigen Beraterteams von „Zeitungszeugen“.
Gegenüber den Studenten rechtfertigt er das Vorgehen. Er gibt ihnen
aber auch die Pressemitteilung des bayerischen Finanzministeriums zu
lesen. In Gruppen werden Argumente für beide Seiten gesucht. „Wer
den Nachdruck von Nazi-Zeitungen verbietet, müsste auch die NPD
verbieten“, meint Natalie Klinger. „Außerdem ist das Projekt
gerade für Journalistik-Studenten interessant.“ Johannes Zuber
erklärt: „Es ist das Prinzip der Demokratie, dass Leute sich
selbst eine Meinung bilden können.“
300 000 Exemplare Startauflage
Der britische Verleger Peter McGee plant, insgesamt 51 Ausgaben
von „Zeitungszeugen“ herauszubringen, jeweils im Abstand von
einer Woche. Die erste Nummer, die den Tag nach der so genannten
Machtergreifung behandelte, kam am 7. Januar dieses Jahres in die
Läden. 300 000 Exemplare wurden gedruckt. In der juristischen
Auseinandersetzung steht also viel auf dem Spiel. Wenn Bayern sich
durchsetzt und eine einstweilige Verfügung erwirkt, dürfen keine
Zeitungen mehr nachgedruckt werden. Alle Exemplare, die noch im
Umlauf sind, müssten eingezogen werden – ein wirtschaftliches
Desaster.
Neben der juristischen Seite hat der Streit aber auch eine
moralische Ebene. Das bayerische Finanzministerium begründet seine
Ablehnung von „Zeitungszeugen“ mit der politischen
Verantwortung. Die „Wiederverbreitung nationalsozialistischer
Propaganda“ müsse unterbunden werden, teilte das Ministerium in
einer Pressemitteilung mit. Darum nehme der Freistaat bei der
Verwaltung der Rechte seit Jahrzehnten eine restriktive Haltung ein.
„Abdruckgenehmigungen für Gesamtwerke werden weder im In-, noch
im Ausland erteilt“, heißt es. „Diese Haltung ist auch vor dem
Hintergrund der Verantwortung und des Respekts gegenüber den Opfern
des Holocausts zu sehen, für die Neuveröffentlichungen immer
wieder einen Affront und eine Konfrontation mit ihren Leiden
darstellen.“ Aufgrund der Missbrauchsgefahr in
nationalsozialistischen Kreisen könne die Vorgehensweise von „Zeitzeugen“
nicht akzeptiert werden.
Professor glaubt an mündige Bürger
Prof. Pöttker sieht die Sache anders. Die Argumentation Bayerns
müsse man zwar ernst nehmen. Er glaubt aber an die Mündigkeit der
Bürger. „60 Jahre nach Kriegsende brauchen wir keinen
pädagogischen oder paternalistischen Umgang mit dem
NS-Propaganda-Material mehr“, meint Pöttker. Das gelte nicht nur
für die Zeitungen, sondern zum Beispiel auch für Propagandafilme
aus den Kriegsjahren.
Wie Pöttker erläuterte, kann die im Grundgesetz garantierte
Pressefreiheit in drei Fällen eingeschränkt werden: durch
Persönlichkeitsrechte, die nicht verletzt werden dürfen, durch
Regelungen zum Jugendschutz und durch allgemeine Gesetze, wie zum
Beispiel Strafrechtsnormen, die das Leugnen des Holocausts unter
Strafe stellen. Alle drei Fälle seien bei „Zeitungszeugen“
jedoch nicht gegeben.
Zudem seien die Zeitungsnachdrucke mit beigelegten Kommentaren
von Historikern versehen.
Ein ähnliches Projekt wie „Zeitungszeugen“ sei außerdem
schon in Österreich unter dem Titel „NachRichten“ durchgeführt
worden. Dabei seien bereits Nachdrucke des „Völkischen
Beobachters“ verkauft worden, ohne dass Bayern wegen einer
möglichen Copyright-Verletzung protestiert habe.
"Interessant und erschreckend
zugleich"
Ulrich Sander, der Landessprecher NRW der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN), erzählt: „Ich habe die erste
Ausgabe der Zeitungszeugen gekauft und fand sie interessant und
erschreckend zugleich.“ Besonders erschreckt habe ihn, dass das
Nazi-Blatt „Der Angriff“ keine Information, sondern nur
Beschimpfungen von Juden und Linken enthalten habe. Er hält das
Zeitungszeugen-Projekt nicht für ausreichend, um aufzuklären.
Wissen über das Dritte Reich müsse vor allem an den Schulen
vermittelt werden.
Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Charlotte Knobloch, hat ebenfalls Bedenken. „Das Ansinnen ist aus
wissenschaftlicher Sicht völlig legitim“, gesteht sie zu. Doch:
„Wenn nur die Zeitungen und die darin auch enthaltene
nationalsozialistische Propaganda, die deutlich abgesetzt von den
Kommentierungen veröffentlicht wird, zur Kenntnis genommen würden,
wäre dies fatal.“ Als Überlebende der Schoa seien diese Texte
für sie weit mehr als nur interessante, historische Quellen. „Sie
sind Teil einer grauenvollen Wirklichkeit.“
Das bayerische Finanzministerium macht die Rechte an den
Nazi-Zeitungen „Völkischer Beobachter“ und „Der Angriff“
geltend. Der „Völkische Beobachter“ ist im Franz-Eher-Verlag
erschienen, dem Verlag der NSDAP, der seinen Sitz in München hatte.
Nach dem Krieg fielen alle Rechte des Verlags an den Freistaat
Bayern, der sie bis heute innehat. Das bayerische Finanzministerium
macht auch die Rechte an der von Joseph Goebbels herausgegebenen
Zeitung „Der Angriff“ geltend. „ ,Der Angriff’“ ist aber
gar nicht im Eher-Verlag erschienen, sondern in Berlin“, erklärt
Prof. Horst Pöttker, Journalistik-Professor an der TU Dortmund und
Mitarbeiter von „Zeitungszeugen“. Pöttker hat Zweifel, ob ein
Verlag überhaupt das Copyright an Zeitungen geltend machen kann.
Möglicherweise lägen die Rechte auch bei den Einzelautoren.
Außerdem habe das Copyright lediglich einen ökonomischen Sinn. „Das
Copyright existiert, damit man mit Publizistik Geld verdienen kann“,
meint der Professor. Das strebe Bayern aber überhaupt nicht an.
Quelle: www.DerWesten.de
vom 23.01.2009
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