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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

09.01.09

Trennen Sie sich von der sog. "Gebirgstruppe" 

 VVN-BdA schrieb der Bundeskanzlerin

Die VVN-BdA schrieb zwei Briefe an die Bundeskanzlerin. Keine Antwort ist bekanntlich auch eine Antwort. Hier sind die Briefe mit der Forderung, sich endlich vom Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. zu trennen, der aus der NS-Gebirgstruppe der Wehrmacht hervorging und noch heute Kriegsverbrecher in seinen Reihen hat.

Wuppertal, 10. November 2008

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel!

Die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat laut Grundgesetz-Artikel 65a der Bundesminister für Verteidigung, sie geht im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler über, und zwar laut Artikel 115 b des Grundgesetzes. Obwohl die derzeitige "Verteidigung am Hindukusch" - so nennt diesen Kriegs- und Verteidigungsfall die Bundesregierung - auf einen Bündnisfall laut Bundestagsbeschluss vom November 2001 - der Bündnispartner USA war nach Nato-Lesart am 11. September 2001 angegriffen worden - zurückgeht, haben der Kanzler und später die Kanzlerin nicht die Kommandogewalt entsprechend dem Grundgesetz übernommen. Sie haben auch nicht, was unbedingt nötig wäre, die Truppen von den Auslandseinsätzen zurückgeholt. Dazu fordern wir Sie angesichts der Entwicklung in Afghanistan ausdrücklich auf.

Nichts enthebt die Bundeskanzlerin von der besonderen Verantwortung für alles, was in der Bundeswehr und mit ihr passiert, dies eben nicht nur

  1. aufgrund jenes Artikels 115 b des Grundgesetzes, sondern
  2. auch aufgrund der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin und
  3. angesichts der immer mehr erkennbaren Inkompetenz des Verteidigungsministers und seiner militärischen wie politischen Vertreter.

Letzteres wird besonders erkennbar am Umgang des Ministervertreters Staatssekretär Christian Schmidt (Mitglied der CSU und des Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V.) mit seinem Amt. Schmidt missbraucht seine Stellung, indem er einen offenkundig rechten völkischen Verein, seinen "Kameradenkreis", in Antworten der Bundesregierung an Bundestagsabgeordnete von jeder verbrecherischen Geschichte freispricht und auch die Rechtsaußen-Orientierung des e.V. abstreitet. Diese kommt u.a. in der Mitwirkung von Kriegsverbrechern am Vereinsleben in Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck. Sie kommt zum Ausdruck im Festhalten an der Wehrmachtstradition, die vom Kameradenkreis gepflegt wird und entgegen den gültigen Traditionsrichtlinien in die Truppe vermittelt wird. Sie kommt zum Ausdruck im Drängen der Gebirgstruppe und des Kameradenkreises in Richtung immer neuer Einsätze in völkerrechtwidrige Angriffskriege.

In Medien wie in der Verbandszeitschrift des Bundeswehrverbandes wird von den "Verbrechen von Führung und Truppe derselben Gebirgsjäger" geschrieben, die vom Kameradenkreis verharmlost werden ("Die Bundeswehr", 4/08). In der Süddeutschen Zeitung wird der Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. als "Selbsthilfeverein für Kriegsverbrecher" dargestellt und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird an die durch die Gebirgstruppe vorgenommene "Räumung des jüdischen Ghettos als Voraussetzung für die Deportation seiner Bewohner in die Vernichtungslager" erinnert. Diese Geschichte wurde nie durch den Traditionsverein bearbeitet, sondern bemäntelt.

Dennoch sprechen Vertreter Ihrer Regierung, Frau Bundeskanzlerin, die Gebirgstruppe in Vergangenheit und Gegenwart frei. Von höchsten Stellen der deutschen Regierung bekommt sie Unterstützung. Das deutsche Verteidigungsministerium ruft Jahr für Jahr mit zu den Treffen der Gebirgstruppe auf (übrigens im Gegensatz zum österreichischen Verteidigungsministerium, das den Soldaten die Teilnahme in Mittenwald untersagt). Das Verteidigungsministerium - wie geschildert - ist mit dem CSU-Staatssekretär Christian Schmidt in der Mitgliedschaft der Gebirgstruppe vertreten.

Die Unterzeichner dieses Schreibens haben dies höchst zweifelhafte Regierungshandeln am eigenen Leib erfahren. Während im vergangenen Jahr auf dem Gebirgstruppentreffen auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald der in Italien zu lebenslänglich Verurteilte und gegenwärtig auch in München vor Gericht stehende Josef Scheungraber, ehemaliger Gebirgstruppen-Offizier und aktives Kameradenkreismitglied ungehindert herumspazierte, von Bundeswehrsoldaten umringt und den Worten des Staatssekretärs Christian Schmidt lauschend (siehe Foto Nr.1 in der Anlage), wurden die Unterzeichnerin und der Unterzeichner von Bereitschaftspolizei und Staatsanwaltschaft verhaftet und unwürdigen Haftbedingungen für Stunden unterzogen (siehe Foto Nr. 2 in der Anlage).

In diesem Jahr verstieg sich nun der Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. zu einer Klage gegen den Repräsentanten der VVN-BdA, Bundessprecher Ulrich Sander, um ihn mit Strafandrohungen von 250.000 Euro oder sechs Monaten Haft zum Widerruf seiner Äußerungen über die Vergangenheit und Mitgliederzusammensetzung des Kameradenkreise zu zwingen - was Sander aber entschieden ablehnt. Ermuntert wird der Kameradenkreis zu seinem Tun gegen die Meinungsfreiheit, gegen die Grundrechte der Bürger und für den Geschichtsrevisionismus durch die schon dargelegte Haltung des Ministeriums.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bitte nehmen Sie die Sache in Hand, distanzieren Sie sich vom Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. und entziehen Sie ihm jede Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrike Düwel, Landessprecherin Jürgen Schuh, Landessekretär

Anlagen: Foto Scheungraber und Foto Düwel/Schuh und andere

In gleicher Angelegenheit schrieb auch die Bundesorganisation der VVN-BdA an die Bundeskanzlerin. Beide Briefe blieben bis zum Januar 2009 unbeantwortet.

Hier der Text der Briefes von Prof. Heinrich Fink an die Kanzlerin:

Berlin, 20.11.08

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten beunruhigt uns zutiefst der geradezu verächtliche Umgang mit der Forderung nach Wiedergutmachung von italienischen und griechischen ehemaligen Sklavenarbeitern, die in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft unter dem Nazi-Regime arbeiten mussten. Ihnen und ihren Hinterbliebenen gegenüber sind keinerlei Verpflichtungen übernommen worden, während deutsche Kriegsverbrecher und deren Hinterbliebene seit Jahrzehnten volle Fürsorge genießen.

Aus konkretem Anlass wenden wir uns mit der Bitte an Sie, Frau Bundeskanzlerin, dass die Würde dieser Zwangsarbeiter und denen durch die Gebirgsjägerdivision zu Tode Gekommen sind, nicht länger so nachhaltig verletzt wird.

Dass Urteil des obersten italienischen Gerichtshofes, dass unser Land zur Zahlung von Entschädigung an griechische und italienische Nazi-Opfer und ehemalige Zwangsarbeiter verpflichtet, ist in den meisten Medien als unzumutbar kommentiert worden. Gleichzeitig aber werden Urteile aus Italien gegen Kriegsverbrecher aus SS, Wehrmacht und speziell der Gebirgstruppen von der deutschen Justiz ignoriert. Keiner der Verurteilten wurde ausgeliefert; nur gegen einen einzigen von hunderten noch lebenden Teilnehmern von deutschen Massakern in Italien und Griechenland wird gegenwärtig in München vor dem Landgericht verhandelt, was unverständlich ist, nachdem er in Italien bereits rechtskräftig verurteilt wurde.

Aber alljährlich wird auf dem in Mittenwald veranstalteten Traditionstreffen der Gebirgsjäger der toten Kameraden ehrend gedacht und zwar in offizieller Anwesenheit von Bundeswehrangehörigen in Uniform. Der Kameradenkreis der Gebirgsjäger e.V. gedenkt keineswegs der 5.000 entwaffneten italienischen Kriegsgefangenen, die von deutschen Gebirgsjägern bewusst gegen die Maßgaben des Völkerrechtes auf Kefalonia ermordet wurden. Sie gedenken auch nicht der Ermordeten von Kommeno und Dutzenden anderer Gemeinden Norditaliens und Griechenlands.

Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU, Mitglied im Kameradenkreis der Gebirgstruppe) beantwortete wahrheitswidrig die Fragen von Bundestagsabgeordneten nach der in der Gebirgstruppe gepflegten Wehrmachtstradition mit den Worten: "Gebirgstruppen haben keine verbrecherische Vergangenheit." So kommt es, dass Polizei und Justiz nicht etwa gegen schwer belastete Wehrmachtsveteranen vorgehen, sondern gegen einen Repräsentanten unserer traditionsreichen Opferorganisation, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten. Der Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. verlangt zur Zeit bei einem Prozess in Nürnberg von unserem Bundessprecher Ulrich Sander, wahrheitsgemäße Äußerungen über die Geschichte der Gebirgstruppe und die Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft zurück zu nehmen oder eine hohe Geldstrafe zu zahlen, allenfalls ersatzweise 6 Monate Haft abzusitzen.

Wie wird so eine Klage bewertet, wenn Überlebende der damaligen Massaker und Angehörige der Ermordeten diese Traditionstreffen als Beleidigung ihrer Toten ansehen?

Wir aber hoffen immer noch, dass Sie Frau Bundeskanzlerin, die Teilnahme von Bundeswehrangehörigen an diesen fatalen Traditionstreffen der Gebirgsjäger der deutschen Wehrmacht nicht länger dulden und damit einem Gesinnungsprozess wie gegen Ulrich Sander der Boden entzogen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Heinrich Fink, Vorsitzender