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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.01.09

»Braune Szene ist dank guter Pflege angewachsen« 

Dortmunder Normalität: Neonazis werden verharmlost, Antifaschisten kriminalisiert

Ein Gespräch mit Ursula Richter Markus Bernhardt Ursula Richter ist Sprecherin des Bündnisses Dortmund gegen rechts

Wiederholt ist das Haus, in dem Sie wohnen, von Neonazis beschmiert worden. Nehmen die Aktivitäten der Rechten in Dortmund weiter zu?

Der jüngste Farbanschlag liegt nur einige Tage zurück, wiederum an Weihnachten - diesmal ohne Grußbotschaft. Vor zwei Jahren hieß es »Frohes Fest, die Anti-Antifa!« Im Sommer darauf gab es neben brauner Lackfarbe im Hauseingang die Warnung: »Finger weg von unserer Jugend! Antifaarbeit verhindern! Antifagruppen zerschlagen! Wer der Bewegung im Weg steht, muß mit den Konsequenzen leben«. Wir sind hier nicht die Einzigen, die seit Jahren immer wieder bedroht werden. Auch andere Antifaschisten, linke Büros, eine Szenekneipe und ein fortschrittlicher Buchladen sind mehrfach Ziel neonazistischer Angriffe geworden. Unter dem Vereinsnamen »Tremonia« betrieben sie sogar in der Turnhalle einer Dortmunder Schule Kampfsport, bis sie kürzlich enttarnt wurden.

In den vergangenen zehn Jahren ist es in Dortmund bereits zu vier von Neonazis verübten Morden und Dutzenden gezielt vorbereiteten gewalttätigen Übergriffen gekommen. Gibt es keinerlei Umdenken bei der Polizei?

Nur an den vierten Ermordeten, den Punker »Schmuddel«, wird regelmäßig von Antifaschisten erinnert. Die Morde an den drei Dortmunder Polizisten, verübt von dem Neonazi und vermuteten V-Mann Michael Berger im Jahr 2000, sind weitgehend aus dem öffentlichen Bewußtsein getilgt. Auch die Polizei selbst scheint sie verdrängt zu haben. Sonst hätte sie die Aggressivität der Neonazis bei ihrer sogenannten Antikriegsdemo am 6. September, bei der mehrere Beamte verletzt wurden, anders beantworten und die Demonstration auflösen müssen. Neonazis durften einmal mehr marschieren, Antifaschisten wurden gestoppt.

Nein, ein Umdenken bei Polizei und Staatsschutz ist nicht in Sicht. Die Praxis des Verharmlosens wird seit Jahren von Politik, Justiz und Staatsschutz gefahren. Inzwischen ist die braune Szene dank guter Pflege so angewachsen und frech geworden, daß zumindest von politischer Seite ein Umdenken und Gegensteuern spürbar wird.

Gemeinsam mit anderen Senioren haben Sie anläßlich des rechten Aufmarsches im September die »Aktion 65plus« ins Leben gerufen. Nun wird gegen Sie ermittelt...

Die »Aktion 65plus« wurde von alten Antifaschisten ins Leben gerufen, weil wir das Neonaziunwesen und die ständigen Aufmärsche in unserer Stadt nicht mehr ertragen können und wollen. Mit der Anmeldung von Mahnwachen an den »Stolpersteinen«, die an Opfer des Faschismus erinnern, längs der Naziroute wollten wir uns dem Aufmarsch in den Weg stellen. Trotz des Verbotes, zu diesen kleinen Gedenkstätten zu gehen, folgten 700 Menschen, alte und junge, dem Transparent der »Aktion 65plus« und machten sich auf den Weg. Gegen mich wird nun als Leiterin einer »verbotenen Demonstration« ermittelt, da mir die Strecke zu den »Stolpersteinen« an der Naziroute durch die Polizei untersagt war und sie unseren Gang nicht als »Spontandemo« wertet.

Werden Sie sich von den zunehmenden Attacken der Neonazis und den Einschüchterungen durch die Dortmunder Polizei in Ihrer Arbeit behindern lassen?

Dann hätten die Nazis das erreicht, was sie wollen: ihre Gegner einschüchtern. Unsere »Aktion 65plus« hat in der Öffentlichkeit viel Zustimmung erhalten und so erwarte ich die Solidarität, die über den Ärger, die materielle Schädigung und das beschämende Verhalten der Dortmunder Polizeileitung hinweghilft. Wir werden jetzt in den Bündnissen unsere Gegenwehr gegen den nächsten angekündigten Aufmarsch vorbereiten. Die »Aktion 65plus« wird sich wieder aktiv einmischen. Ursula Richter wird im Rahmen des Antifaschistischen Jugendtreffens der VVN-BdA am 10. Januar in Berlin (Statthaus Böcklerpark, Prinzenstraße 1, ab 14 Uhr) im Rahmen eines Workshops »Naziaufmärsche blockieren ist unser Recht! Vom Protest zum zivilen Ungehorsam« neben weiteren Antifaschisten über ihre Erfahrungen berichten, http://www.vvn-bda.de/

(junge Welt vom 31.12.2008)