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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.12.08

"Erinnerung an die Opfer des Faschismus und was sie uns heute zu sagen haben"

Rede der Bundesvorsitzenden der VVN-BdA Cornelia Kerth am 23.11.2008 (Totensonntag) in Karlsruhe

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

liebe MitstreiterInnen,

es ist eine gute Tradition, dass Ihr in Karlsruhe am Totensonntag besonders an die Opfer des Faschismus erinnert. Erinnerung tut Not!

Wir denken an diesem Ort besonders an die Menschen – Männer, Frauen und Kinder -, die den Euthanasie-Morden zum Opfer gefallen sind; es waren Tausende. Wir denken an andere lange „vergessene Opfer“: an Schwule und Lesben, Zwangssterilisierte, Zeugen Jehovas, nicht an die Normen der faschistischen Volksgemeinschaft angepasste Menschen, die als „Asoziale“ verfolgt wurden und – gerade kamen wir an einem großen Kriegsgräberfeld vorbei – wir denken an die Deserteure.

Vor zwei Wochen, am 9. November jährten sich zum 70sten Mal die Pogrom-Nacht, die den Übergang von Diskriminierung und Ausgrenzung aus der „Volksgemeinschaft“ zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Deutschlands und ganz Europas markierte. Millionen wurden in Konzentrations- und Vernichtungslagern, auf Transporten, in Wäldern und in ihren Dörfern im Osten Europas umgebracht. Hunderttausenden Roma und Sinti erging es nicht anders.

Wir erinnern an 55 Millionen Tote des Krieges, den der deutsche Faschismus über Europa, ja man muss sagen: über die Welt, gebracht hat, allein 20 Millionen Opfer waren in der Sowjetunion zu beklagen.

Im offiziellen Gedenkkalender kommen diese Toten kaum vor. Selbst in der öffentlichen Diskussion um die Ausstellung über den Vernichtungskrieg im Osten und die Verbrechen der Wehrmacht wurde ja vor allem um individuelle, kollektive, politische Schuld und nach wie vor behauptete Unschuld durch angeblichen „Befehlsnotstand“ gesprochen; weit mehr als über die Männer und Frauen, die in Dörfern lebendig verbrannt, in selbst ausgehobenen Gräben erschossen, als Partisaninnen und Partisanen gehenkt oder schlicht – wie in Leningrad – ausgehungert wurden.

Statt dessen wurde seit Mitte der 90er Jahre das „Leid der Deutschen“ von einem angeblichen Tabu befreit. Ungeachtet der Tatsache, dass meine Generation in den 50er und 60er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland tagtäglich mit den Kriegserinnerungen der Eltern und Großeltern aufwuchs, in denen sie selbst natürlich Opfer waren und anderes nicht vor kam, las man plötzlich auf den Titelseiten der Magazine, nun sei es Zeit sich daran zu erinnern, was „den Deutschen“ angetan worden sei.

Nicht etwa, dass man darüber gesprochen hätte, dass neben den deutschen Juden, Roma und Sinti ja auch die deutschen Antifaschisten, weit überwiegend Kommunisten, zu den ersten Opfern des Faschismus gehörten.

Ja, sie waren deutsche Opfer. Menschen, die liebten, hofften und kämpften – nicht nur ums eigene Überleben, sondern für eine andere Welt, in der die die Güter dieser Welt jedem Volk und jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, wie es in einer späteren Formulierung der Weißen Rose ausgedrückt wird.

Mit diesem Ziel ist der größtmögliche Gegensatz zum Faschismus formuliert, der schon das Recht auf das nackte Überleben an vermeintliche Rasse-, Bluts- und Volksgemeinschaftszugehörigkeit bindet. Es ist dieser elementare Gegensatz, der den faschistischen Verbrechen zu Grunde liegt, der die faschistische Ideologie notwendig zu einer verbrecherischen macht, die nicht als „freie Meinung“ durchgehen und geschützt werden darf.

Nein, auch für die deutschen Antifaschisten ist im offiziellen Gedenkkalender kein Platz reserviert. Im Gegenteil: In manchen Behörden dieses Landes ist der Gebrauch des Begriffs Antifaschismus mittlerweile per Dienstanweisung aus dem dienstlichen Sprachgebrauch verbannt. „Rechtsextremismus“ muss es heißen. Und – Ihr wisst es aus der Erfahrung mit dem ursprünglichen Bündnis gegen das Nazi-Zentrum im Karlsruher Stadtteil Durlach – von da aus ist es nicht weit zum verlangten „Bekenntnis“ gegen „jede Art von Extremismus“.

So gibt es ja nun auch einige Politiker, die statt auf ein Verbot der NS-Nachfolgeorganisation NPD lieber auf eine Aushebelung des steuerrechtlichen Parteienprilvilegs im Falle „extremistischer“ Parteien hinarbeiten.

Ich kann an dieser Stelle nicht umhin, auch daran zu erinnern, dass im Gedenkjahr 2008, 75 Jahre nach dem Beginn der faschistischen Terrorherrschaft in Deutschland und später in ganz Europa, die Menschen, die hier mit Abstand den gewaltigsten Blutzoll im Kampf gegen diese Tyrannei bezahlt haben, die deutschen Kommunisten, nach wie vor von Entschädigung ausgeschlossen sind, wenn sie ihrer Überzeugung auch nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik Deutschland treu geblieben waren. So hat es der Bundestag am 9. Mai diesen Jahres bestätigt.

Damit befindet sich die Bundesrepublik Deutschland noch immer weit entfernt von europäischer Normalität, wenn es um die Anerkennung des Beitrags geht, den die deutschen Kommunisten am Widerstand gegen und die Befreiung vom Faschismus geleistet haben.

Leider ist in Zeiten, in denen die Totalitarismus-Theorie immer mehr zur Staatsdoktrin wird, kaum zu erwarten, dass sich dies ändert. Die gegenwärtig in der Beschlussfassungsprozedur von Bundestag und Bundesrat befindliche „Gedenkstättenrichtlinie“ des Bundes und entsprechende Pläne einiger Bundesländer machen dies überdeutlich. Um einer behaupteten „Verharmlosung der SED-Diktatur“ entgegen zu treten, wird der Schwerpunkt der künftigen Gedenkstättenplanung einschließlich der entsprechenden Finanzierungsgrundlagen darauf gelegt, einschlägige Erinnerungsorte zu schaffen.

Und, hier komme ich wieder zum behaupteten Tabubruch, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ wird in Berlin entstehen. Darin werden dann, durchaus ganz nach Lesart von Frau Steinbach und der Vertriebenen-Verbände, die Aussiedlungen der deutschen Minderheiten aus den vom deutschen Faschismus platt gemachten östlichen Nachbarländern mit den Deportationen im Zuge des Holocaust auf der Ebene „menschlichen Leids“ nebeneinander gestellt.

Nicht Vergleichbares gleich stellen. Das scheint zur Zeit die Linie zu sein, auf der die Bundesrepublik Deutschland sich ihres ganz besonderen historischen Erbes und der damit eigentlich gebotenen Zurückhaltung in Sachen Weltmachtstreben entledigt.

Da passt es nicht, wenn einige sich doch noch etwas genauer erinnern. Zum Beispiel in Mittenwald am Hohen Brendten. Dort treffen sich alljährlich die noch lebenden Angehörigen der NS-Gebirgstruppe mit ihren Kameraden von der Bundeswehr und gedenken gemeinsam derer, die den Heldentod mit dem Hakenkreuz am Helm gestorben sind. Die Bundeswehr stellt der Gebirgsjäger-Kameradschaft die Logistik zur Verfügung und Vertreter des Verteidigungsministeriums und der bayrischen Staatskanzlei halten den politischen Schirm über die Veranstaltung.

Jeder weiß, dass sich an keinem Ort der Republik so viele im Ausland – vorwiegend in Italien – verurteilte Kriegsverbrecher öffentlich zusammenrotten, aber keinen scheint 's zu stören. Minister Jung weiß, „dass die Gebirgstruppe an keinen Verbrechen beteiligt war“, italienische Gerichte sehen das anders und haben jetzt die Bundesrepublik Deutschland zu Entschädigungszahlungen verurteilt.

Ganz deutsches Opfer hat nun Frau Merkel einem verständnisvollen Berlusconi mitgeteilt, dass man gegen die italienischen Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof klagen wird. Der Schutz der Täter vor Bestrafung findet also im schäbigen Umgang mit den Opfern sein Pendant.

Weltweit bestätigt sich der NS-Nachfolgestaat eine vorbildliche „Aufarbeitung der Geschichte“. Wer sich wirklich erinnert, wie seit der Befreiung mit Opfern und Tätern, ganz zu schweigen von den Lobbyisten und Profiteuren, verfahren wurde, fragt sich, wie es möglich ist ...

Noch leben die letzten Opfer und Täter des NS-Regimes, da marschieren „nationale Sozialisten“ schon wieder aufs Neue durch unsere Straßen und stellen sich ungeniert in die mörderische Tradition.

Das darf eigentlich gar nicht möglich sein. So wollten es die Alliierten in Potsdam und so schrieben die „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes es auch in Artikel 139 – so wie eigentlich das ganze Grundgesetz einst als Gegenentwurf zum faschistischen Staatsverständnis gedacht war ...

Offensichtlich hält die herrschende Politik die „vorbildliche Aufarbeitung“ aber auch in so fern für abgeschlossen, dass diese Verfassung eigentlich nur noch ein Steinbruch ist, aus dem man weg haut, was stört. Abbau demokratischer Rechte, Ausbau staatlicher Überwachung und Repression, immer mehr militärische Interventionen zur Sicherung ökonomischer Interessen weltweit stehen auf der Agenda.

Unter den gegebenen Bedingungen ist das alles im Rahmen des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus zu machen. Ernsthafter Widerstand flackert nur vereinzelt auf. Faschismus steht nicht auf der Tagesordnung.

Wenn trotzdem braune Banden in ganzen Landstrichen anders Denkende terrorisieren bis hin zu Mord und Totschlag und doch ihre zentrale Struktur, die NPD nicht verboten wird, so hat das auch etwas vom „Bi-Ba-Butzemann“. Indem dann – schön der Symmetrie des Grauens folgend – noch ein „linksextemistischer“ Buhmann dazu halluziniert wird, kann Michel sich dem Gedanken, er lebe in der besten aller möglichen Welten, ja kaum noch verschließen.

Dagegen hilft Erinnern.

Die Rede wurde am 23.11.2008 (Totensonntag) Karlsruhe gehalten.