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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.12.08

"Schauen wir doch mal ins Telefonbuch"

Über den Umgang mit NS-Verbrechen in Österreich der Politologe Walter Manoschek in chilli.cc

„Gedenken um zu vergessen“

Politologe Walter Manoschek kritisiert die halbherzige Verfolgung von NS-Mördern in Österreich

Beim Wiener Universitäts-Professor Walter Manoschek gehen nicht nur Studierende ein und aus. Auch Beamte des Verfassungsschutzes sind ab und zu in seinem Büro anzutreffen: Manoschek und seine Studenten forschen über Nazi-Verbrecher. Deren halbherzige Verfolgung in Österreich nach dem Jahr 1945 bezeichnet Politologe Manoschek als „Riesenskandal“. Warum Bruno Kreisky die Nazis zurück ins Rampenlicht geholt hat, erklärt Manoschek genauso, wie die „rechtsextreme“ Politik der FPÖ und warum die Grünen nur mehr „Wischiwaschi“ betreiben.

CHiLLi: Im Juni dieses Jahres hat der in Kroatien gesuchte, mutmaßliche NS-Verbrecher Milivoj Ašner in Klagenfurt die Fanmeile bei der Fußball-Europameisterschaft besucht, öffentlich Kaffee getrunken und ein Interview gegeben. Ist Österreich ein Altersparadies für Kriegsverbrecher? 

Walter Manoschek: Ob es ein Paradies ist, kann ich nicht sagen. Aber die Wahrscheinlichkeit gerichtlich belangt zu werden, ist in Österreich nicht wahnsinnig groß.

CHiLLi: Jörg Haider war damals gegen eine Auslieferung Ašners. Er hat gesagt, er schätze diese Familie sehr. Ein Landeshauptmann nimmt einen gesuchten NS-Kriegsverbrecher in Schutz und trotzdem erfolgt kein Aufschrei in der Öffentlichkeit. Überrascht Sie das? 

Walter Manoschek: Das interessiert doch niemanden hier. Dafür gibt es in der politischen Kultur in Österreich kein Problembewusstsein. Von daher überrascht mich das überhaupt nicht, schon gar nicht in Kärnten. Ašner hatte einmal die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist mittlerweile offensichtlich kroatischer Staatsbürger. Für Verbrechen, die er in Kroatien begangen hat, kann ihm in Österreich nicht der Prozess gemacht werden.

CHiLLi: Hat Jörg Haider mit solchen Aussagen dazu beigetragen, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verharmlosen? 

Walter Manoschek: Das ist ja nichts Neues. Das hat der Herr Haider ja immer getan. Ich erinnere nur an das Jahr 1995, als er in Krumpendorf bei seiner Rede die versammelten Waffen-SSler ob ihrer Standhaftigkeit auch in schlechten Zeiten gelobt hat und sie als Vorbild für die Jugend hingestellt hat. Was erwartet man von so jemandem?

CHiLLi: Welche Instanz ist für die Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern zuständig? 

Walter Manoschek: Das Justizministerium. Es gibt ja auch den Historiker Efraim Zuroff, der seit Jahren immer wieder Personenlisten ans Justizministerium schickt. Ob da ermittelt wird oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls ist das Ergebnis null.

CHiLLi: Macht es in solchen Fällen einen Unterschied, ob das Justizministerium von der Volkspartei oder den Sozialdemokraten besetzt ist?

 Walter Manoschek: Völlig wurscht.

CHiLLi: Sie haben gesagt, dass das Problembewusstsein in Österreich fehlt. Wo müssten die Politiker ansetzen, um das zu ändern? 

Walter Manoschek: Die Sache mit den Kriegsverbrechern ist aus biologischen Gründen dem Ende zugehend. Wenn man sich die Geschichte der Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach 1945 ansieht, so ist das ein einziger Riesenskandal. Bis auf die ersten zwei Jahre nach dem Krieg, wo wirklich sehr harte Urteile ergangen sind, hat es danach de facto nichts mehr gegeben. In den Sechzigern gab es Freisprüche für tragende Mitarbeiter von Adolf Eichmann (dem Organisator der Juden-Deportationen, Anmerkung der der Redaktion), die internationales Aufsehen erregt haben. Da hat es Szenen gegeben, wo in der Steiermark KZ-Kommandanten freigesprochen wurden und nachher die Geschworenen inklusive Richter ins nächste Lokal feiern gegangen sind. Also diese Geschichte zu schreiben, ist wahrlich kein Vergnügen.

CHiLLi: Wie hat sich der Umgang mit NS-Verbrechern danach verändert? 

Walter Manoschek: Den Höhepunkt hat das ganze unter Bundeskanzler Bruno Kreisky erreicht. Er hat damals in seiner Minderheitsregierung einige ehemalige NSDAP-, beziehungsweise Waffen-SS-Mitglieder gestellt. Das ist nicht zufällig passiert, sondern das war ein Signal an die FPÖ, diese Minderheitsregierung zu stützen.

CHiLLi: Ihr Student Andreas Forster hat in Deutschland einen Mann ausfindig gemacht, der zu Kriegsende im Burgenland sechzig Juden erschossen haben soll. Dieser Mann stand ganz normal im Telefonbuch. Hatten die Behörden in Österreich und Deutschland sechzig Jahre lang kein Telefonbuch? 

Walter Manoschek: Da müssen Sie die Behörden fragen. Offensichtlich nicht.

CHiLLi: Sie sind nach Deutschland gefahren und haben mit diesem Mann, dem ehemaligen Waffen-SS-Mitglied Adolf S. [Storms], gesprochen. Ist er geistig noch fit? 

Walter Manoschek: Der ist geistig voll fit. Zumindest war er das zu dem Zeitpunkt, als ich zwischen Juli und September mit ihm gesprochen habe. Der ist geistig absolut da. Seine Enkelin hat mir inzwischen aber Hausverbot erteilt. Sie meint, ihr Großvater sei unschuldig. Ich habe sie daraufhin gefragt, woher sie das so genau wisse. Da hat sie gemeint: „Weil er es mir gesagt hat.“

CHiLLi: Glauben Sie, dass dieser Mann irgendwann noch einmal vor Gericht gestellt wird? 

Walter Manoschek: Soweit ich die Materialen und die Beweislage kenne, und ich kenne sie sehr gut, denke ich, dass Anklage erhoben wird.

CHiLLi: Im Jahr 2008 jährt sich Österreichs „Anschluss“ an Nazi-Deutschland zum siebzigsten Mal. Empfindet sich Österreich noch immer als Opfer-Nation? 

Walter Manoschek: Nein, ich glaube da hat sich in den letzten zwanzig Jahren schon einiges getan. Die Umfrageergebnisse besagen: Ungefähr ein Drittel hält Österreich für ein Opfer, ein Drittel für Täter und ein Drittel sagt sowohl als auch. Bei Jugendlichen ist es übrigens besser. Die haben einen besseren historischen Realitätssinn. Dieses Umdenken ist aber erst im Zuge der Waldheim-Affäre erfolgt. Ich kann mich noch gut an die Zeit davor erinnern, als wir versucht haben in diese Richtung ein Bewusstsein zu schaffen. Das war, als würde man gegen Puddingwände laufen.

CHiLLi: Wie kann ein breites Bewusstsein für solche Problematiken bei den Menschen entwickelt werden? 

Walter Manoschek: Naja, da sind Politik und die Medien gefordert, nicht immer nur Lippenbekenntnisse von sich zu geben. Was soll ein Novemberpogrom-Erinnerungstheater, wenn wenige Tage vorher Martin Graf von den Freiheitlichen mit Stimmen der SPÖ zum dritten Nationalratspräsidenten gewählt wird? Jemand, der bei einer Burschenschaft (der Olympia, Anmerkung der Redaktion) ist, aus der andere Burschenschaftler ausgetreten sind, weil die zu rechtsextrem ist. Wenn so ein Mann viert wichtigste Person im Staat wird, interessiert mich kein November-Gedenken der Regierung oder des Parlaments. Das ist einfach lächerlich.

CHiLLi: Solche öffentlichen Erinnerungs-Zeremonien sind für Sie also sinnlos? 

Walter Manoschek: Sinnlos ja, ein Gedenken um zu vergessen.

CHiLLi: Hat es Sie überrascht, dass sich eine antifaschistische Partei wie die SPÖ nicht geschlossen gegen Martin Graf ausgesprochen hat? 

Walter Manoschek: Von der SPÖ erwarte ich gar nichts mehr. Diese Partei war irgendwann einmal antifaschistisch. Mittlerweile sind das wahrscheinlich nur noch einzelne Personen. Aber als Partei sehe ich überhaupt nichts, was in diese Richtung geht. Außer vielleicht irgendwelche Zeremonien die man halt absolvieren muss.

CHiLLi: Martin Graf selbst hat sich immer von nationalsozialistischen Inhalten distanziert. Kann das jemand, der bei der Olympia ist, glaubhaft tun? 

Walter Manoschek: Nein, das schließt sich aus.

CHiLLi: Unterdreißigjährige wählen wieder mehrheitlich FPÖ und BZÖ. Warum hat der Sündenbock-Wahlkampf dieser Parteien noch immer so viel Erfolg? 

Walter Manoschek: (überlegt) Was die Jugendlichen betrifft, so sind glaube ich alle überrascht. Ich denke, dass die traditionellen Parteien SPÖ und ÖVP, den Jungen überhaupt nichts bringen. Die agieren an Problemstellungen von Sechzehn- bis Zwanzig-Jährigen völlig vorbei. Sie sind unverständlich. Die haben einen Jargon, der ist für Jugendliche ...

CHiLLi: … unattraktiv? 

Walter Manoschek: Völlig unattraktiv. Und was die Grünen angeht, das ist keine Oppositionspartei mehr. Es spricht die Jugendlichen nicht an, wenn man keine Oppositionspolitik betreibt, sondern eine Wischiwaschi-Geschichte. Ich glaube, dass junge Leute die FPÖ wählen, weil sie ein scharfes Profil hat. Es ist gar nicht so wichtig, welches Profil das ist, aber es ist scharf. „Der traut sich was“ – das ist der Punkt. Wenn ich auf eine Berufsschule gehe und mir anhöre, wie dort über „die Tschuschen“ geredet wird, dann ist mir schon klar, dass der Herr Strache dort gut ankommt. Rassismus ist unter den Jugendlichen nicht weniger stark ausgeprägt oder vielleicht sogar noch stärker ausgeprägt als bei den Älteren.

CHiLLi: FPÖ und BZÖ kokettieren immer wieder mit Symbolen oder Phrasen aus der NS-Zeit. Fehlt den Wählern in dieser Hinsicht das geschichtliche Wissen oder ist ihnen das einfach egal? 

Walter Manoschek: Zum einen ist ihnen das egal. Es gibt kein Problembewusstsein. Zumindest bei der großen Masse. Zum anderen meine ich, dass diese dreißig Prozent, die FPÖ und BZÖ wählen, keine Dummköpfe sind. Für so blöd darf man die nicht halten. Die kennen das Parteiprogramm von FPÖ und BZÖ vielleicht nicht, aber sie wissen wofür diese Parteien stehen. Sie wissen, dass die „gegen die Tschuschen“ sind.

CHiLLi: Das Protestwähler-Argument zieht Ihrer Meinung nach nicht? 

Walter Manoschek: Ach Quatsch! Da sollen sie die Kommunisten wählen oder die Grünen. Sie wählen aber nicht die, sondern offen rassistische Parteien, die sich in nichts von den Aussagen und ihrer Programmatik von der der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, unterscheiden. Die Programmatik ist genau die gleiche: Anti-EU plus Ausländer raus. Dieses Weichspülen macht mich wütend. Nach dem Motto: „Das sind nur Protestwähler und das sind nur rechte Parteien“. Das sind keine rechten Parteien, das sind rechtsextreme Parteien.

CHiLLi: Können Sie den Unterschied zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“ kurz erläutern? 

Walter Manoschek: Rechte Parteien, wie wir sie in der Politikwissenschaft verstehen, stehen für konservativ, um es einfach zu machen. Rechtsextreme Parteien sind Parteien, die offen rassistisch argumentieren. Das ist für mich der Kernpunkt: Rassismus. Das tut eine rechte Partei nicht, oder sie tut es nur verschämt. Die Ausländerpolitik der ÖVP ist zwar politisch gesehen durchaus rassistisch und rechtsextrem, aber sie propagiert es nicht so. Rechtsextreme stehen dafür und fordern diese Politik.

CHiLLi: Sie selbst haben sich im Wochenmagazin „Profil“ dazu bekannt, dieses Jahr KPÖ zu wählen. Was war ausschlaggebend für diese Entscheidung? 

Walter Manoschek: Ausschlaggebend war, dass mich das Programm, das die KPÖ für diese Wahl vorgelegt hat, durchaus überzeugt hat. Ich konnte mit den Themen, die sie gefordert haben, durchaus etwas anfangen. Das Zweite war, dass sich die Grünen für mich zu einer Partei entwickelt haben, die keine Oppositionspolitik mehr macht.

CHiLLi: Antifaschismus sehen Sie bei den Grünen nicht gut aufgehoben? 

Walter Manoschek: Doch, durchaus. Ich sage ja nichts gegen die Grünen. Die haben durchaus gute Leute und ich arbeite sehr viel mit den Grünen zusammen. Aber als Gesamtpartei ist mir das einfach zu wenig, was an Oppositionspolitik geleistet wird.

CHiLLi: Macht es Sie nicht angreifbar, wenn jemand behaupten kann, Sie seien Kommunist? 

Walter Manoschek: Das ist völlig wurscht. Bin ich ein Kommunist nur weil ich die KPÖ wähle?

CHiLLi: Nein, aber das kann von der Gegenseite so verkürzt werden. 

Walter Manoschek: Das ist mir herzlich egal. Das ist einer der Vorteile, wenn man Beamter ist.

CHiLLi: Wenn Sie in einer neuen Regierung ein Gesetz umsetzen könnten, welchen Inhalt hätte dieses? 

Walter Manoschek: (überlegt lange) Sagen wir so: Wenn ich Wissenschaftsminister wäre, würde ich versuchen ein Gesetz zu verabschieden, dass es erlaubt, nur alle fünf Jahre ein Buch zu schreiben.

CHiLLi: Warum das? 

Walter Manoschek: Weil diese Fülle an Unsinn, die publiziert wird, erschreckend ist. Beispiel Wissenschaft: Ich sehe keinen Sinn darin, dass jedes Mal Sammelbände publiziert werden, in denen immer derselbe Schmarrn drin steht, nur halt zehn Prozent überarbeitet. Das ist einfach Betrug, würde ich sagen. Das hängt damit zusammen, dass es in unserem Bereich der Wissenschaft notwendig ist, ständig etwas zu publizieren. Das Ranking und die Wissenschaftskarriere sind nach diesen Kriterien orientiert, was völlig unsinnig ist und zu solchen Blüten führt.

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