27.11.08
Gebirgsjägerfeier ist
Kriegsverbrechertreffen
Maulkorb gegen Bundessprecher
der VVN-BdA aufgehoben. »Kameradenkreis« scheut Gerichtsverfahren
"junge Welt" vom 26. November 2008 / Antifa / Seite
15
Frank Brendle
Die Gebirgstruppenfeier, die Jahr für Jahr im bayerischen
Mittenwald stattfindet, darf weiterhin als »das größte
Soldatentreffen, das auch das größte Kriegsverbrechertreffen ist«
bezeichnet werden. Der Veranstalter darf zudem »Kameradenkreis der
(NS-)Gebirgstruppe« genannt werden. Ebendas war dem Bundessprecher
der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), Ulrich
Sander, im Juli vom Landgericht Nürnberg per Eilverfügung
untersagt worden – auf Antrag des Kameradenkreises. Sander ließ
sich aber nicht einschüchtern, vielmehr legte er es mit
Rückendeckung der VVN-BdA auf eine Hauptverhandlung an. Wenige Tage
vor dem anberaumten Termin am 2. Dezember hat der Kameradenkreis nun
gekniffen und seinen Antrag zurückgezogen. Nazigegner dürfen
Naziverbrecher also wieder als solche benennen.
Die Gebirgsjäger haben gute Gründe, eine gerichtliche
Untersuchung zu scheuen, denn Sanders Behauptung ist keine
polemische Übertreibung, sondern basiert auf Fakten. Die Treue zur
Wehrmacht und der Versuch, ihre verbrecherische Kriegführung zu
verschleiern, prägen den Verein, der 1951 ausschließlich von
Generälen der Wehrmachtsgebirgseinheiten gegründet wurde, bis
heute. Die Wahl seines Ehrenpräsidenten war bezeichnend: General
Hubert Lanz, in Nürnberg zu zwölf Jahren Haft verurteilter
Kriegsverbrecher; er wird heute noch bei offiziellen Anlässen vom
Verein geehrt. Die Vereinszeitschrift Die Gebirgstruppe bringt immer
wieder geschichtsrevisionistische Artikel; die Teilnehmer der –
von der Bundeswehr unterstützten – Feiern in Mittenwald
bestreiten auf Nachfragen, daß ihre Vorbilder Verbrechen begingen
oder tun dies als Einzelfälle ab. Als 1998 die Ausstellung
»Verbrechen der Wehrmacht« in München zu sehen war, mobilisierte
der Verein im Bund mit NPD und CSU zur Gegendemo. Erst Anfang dieses
Jahres ist eine umfassende Dokumentation der 1. Gebirgsdivision
erschienen (Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß). Sie führt so
viele Massaker auf, daß man das Mitzählen aufgibt. Beim
Kameradenkreis hat das keine Folgen gezeitigt, bei der Bundeswehr
hingegen sind immerhin erste Absetzbewegungen zu erkennen.
Eines der Mitglieder des Kameradenkreises, Josef Scheungraber,
muß sich derzeit in München vor Gericht für die Ermordung von 14
Zivilisten im Jahr 1944 verantworten. Der Prozeß verdeutlicht, in
welch extrem rechtes Netzwerk der Kameradenkreis eingebunden ist:
Scheungrabers Anwälte sind bei Ultrarechten hochangesehen. Sie
haben von Nazigrößen wie Anton Malloth und Klaus Barbie bis hin zu
sächsischen Kameradschaftsschlägern schon alles verteidigt, was
auf Hitler hört. Anwalt Rainer Thesen klagt gerne über die
»Diffamierung« der Wehrmacht – und zwar in der
»Gebirgstruppe«. Er war es auch, mit dessen Hilfe der
Kameradenkreis Sander den Maulkorb verpassen wollte. Dieser Versuch
wurde nun allerdings zum Eigentor.
URL: http://www.jungewelt.de/2008/11-26/007.php
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Leserbrief von Ulrich Sander an die
junge welt zu obigem Artikel:
Die von Frank Brendle zitierte Formulierung zum Kameradenkreis
Gebirgstruppe e.V. wurde mir per Einstweiliger Verfügung und
heftiger Strafandrohung untersagt. Ich stellte daher klar, dass ich
mit dem Begriff der „NS-Gebirgstruppe“ ausschließlich Einheiten
der Nazi-Wehrmacht gemeint habe, also die Gebirgsjägerdivisionen
aus der Zeit bis 1945, aus deren Reihen heraus im Jahre 1952 der
Kameradenkreis gegründet wurde. Ich stellte weiter fest, dass der
Begriff „größtes Kriegsverbrechen“ nicht auf die Mehrheit der
Teilnehmer in Mittenwald beim Treffen auf dem Hohen Brendten bezogen
war. Richtig bleibt aber weiterhin, dass regelmäßig am Treffen in
Mittenwald Kriegsverbrecher teilnehmen. Kriegsverbrecher sind für
mich Personen, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren, unabhängig
davon, ob sie für diese Taten je verurteilt wurden oder nicht.
Der Kameradenkreis hatte von mir darüber hinaus einen Widerruf
verlangt, um zu erreichen, dass ich jeden Zusammenhang zwischen
Kameradenkreis Gebirgstruppe und der Wehrmacht, inklusive
NS-Gebirgstruppe, widerrufe und niemanden aus diesem Kreis einen
Kriegsverbrecher nenne, weil ja niemand verurteilt worden sei.
Schlimm genug, dass (fast) niemand verurteilt wurde, da muß ich ja
nicht auch noch einen unsinnigen Widerruf veröffentlichen. Das habe
ich auch abgelehnt. Daraufhin gab der Kameradenkreis klein bei, zog
seine Widerrufsklage zurück, und somit wurde der Gerichtstermin am
2. 12. abgesagt. Was übrig bleibt, ist der Versuch des
Kameradenkreises, seine Kosten für das Verfahren bei mir
einzuklagen. Dagegen wehre ich mich weiter. Ich habe das
überflüssige Verfahren ja nicht betrieben.
Ich danke allen, die der VVN-BdA und mir in diesem Zusammenhang
geholfen haben. Sollten Mittel, die uns als Solispende für den
Prozess zugingen, übrig bleiben, so bitte ich darum, einverstanden
zu sein, dass wir davon eine aufklärende Broschüre über den
Kameradenkreis, seine NS-Vorgeschichte und seine Bundeswehr- wie
auch Kriegsverbrecherverbindungen veröffentlichen. Vor allem werden
wir auch das Zusammenspiel von Bundesministerium der Verteidigung
und der „Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher“ (Süddeutsche
Zeitung) offen legen und die Bundesregierung kritisieren, weil sie
der Forderung „Entschädigung für die Opfer, Bestrafung der
Täter“ nicht nachkommt, sondern sogar noch, unterstützt von
Berlusconi, vor dem Internationalen Gericht in Den Haag zugunsten
der Täter und zulasten der Opfer klagen will.
Ulrich Sander
Bundessprecher der VVN-BdA, Dortmund
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