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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.11.08

Vom Bürger in Uniform zum ‚archaischen Kämpfer'

Welchen Weg geht die Bundeswehr?

Einstmals sollte die Bundeswehr der Landesverteidigung dienen, heute ist sie eine Aggressionsarmee für weltweite Kampfeinsätze und für den Einsatz im Innern.

Vortrag von Ulrich Sander, VVN-BdA, im Rahmen der Freiburger Friedenswochen. DGB-Haus, Freiburg im Breisgau, 26. November 2008

"Unterhöhlt werden die klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden." (Gutachten des Zentrums für Transformation der Bundeswehr, Waldbröl, aus: Information für die Truppe 2/2002)

Seit Ende der Blockkonfrontation streben die USA die Errichtung einer von ihnen bestimmten und geprägten Neuen Weltordnung an. Deutschland und die Europäische Union sind bei diesem Bemühen Partner und Konkurrenten der USA in einem. Diese Neue Weltordnung zu schaffen, bedeutet, die Ordnung zu zerstören, die im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und der Antihitlerkoalition errichtet wurde. Entsprechend Artikel 2 der UN-Charta beruht diese "alte" Weltordnung "auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder", und es unterlassen diese Mitglieder "in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt".

Bis Anfang des neuen Jahrhunderts war der "Kampf um die Menschenrechte" die Überschrift über die damalige Etappe des Ringens um die Neue Weltordnung. Schon sehr bald nach dem 11. September 2001 wurde aber in den tonangebenden Medien ziemlich offen darüber reflektiert, dass der Terrorismus-Begriff zur Kriegsrechtfertigung nun viel geeigneter sei als der Begriff der Menschenrechte. Seit dem 11. September sei der Begriff der Menschenrechte politisch unbrauchbar geworden und habe Terrorismusbekämpfung "den Begriff der Menschen-rechte als Argument für westliche Interventionen ersetzt." (J. Ross, Arbeit am neuen Weltbild, in: Die Zeit, Hamburg, Nr. 45 vom 31.10.2001, S. 16.)

Worum es wirklich geht - weder um Menschenrechte, noch um Terrorismusbekämpfung - machte der führende CDU-Politiker Kurt Biedenkopf deutlich. Er betont, dass "die Fortführung unserer eigenen Lebensweise nur möglich ist, wenn sie auch in Zukunft einer privilegierten Minderheit, den hoch entwickelten Industrienationen, vorbehalten bleibt." (K. Biedenkopf, 1998 - 1990. Ein deutsches Tagebuch, Berlin 2000, S. 224. Dies ist im Zeichen der Globalisierung, so angesichts des Aufstiegs von Indien und China kaum möglich. Keine substantiellen Änderungen an der gegenwärtigen ungerechten Weltwirtschaftsordnung zuzulassen, das bedeutet, den 20 Prozent der Weltbevölkerung den Verbrauch von 80 Prozent der Weltressourcen zu sichern.

Daher gehört zur neuen Weltordnung eine Strategie der Rekolonisierung, welche die USA und ihre Hauptverbündeten eigentlich nie aufgegeben hatten, die sie jedoch nach dem Untergang der Gegenmacht Sowjetunion hemmungsloser denn je verfolgen.

Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien Minister Rühes vom 26. November 1992 wurde entsprechend dieser Strategie die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" zum erklärten Auftrag der Bundeswehr und damit Hauptursache ihrer Umstrukturierung zu einer nicht mehr auf Landesverteidigung ausgerichteten, sondern vorwiegend für weltweite militärische Interventionen bestimmten Streitmacht.

An die kolonialen Traditionen des imperialistischen Deutschland erinnert, dass man die in den besetzten Gebieten Jugoslawiens und Afghanistans oder in Stützpunkten am Horn von Afrika eingesetzten Bundeswehrkontingente wieder so wie die Kolonialtruppe des deutschen Kaiserreiches führt.

Bundeswehrgeneralinspekteur Klaus Naumann erinnerte direkt an diese Traditionen, als er am bereits am 24.10.1995 erklärte, es handle sich um eine "neue Dimension für deutsche Soldaten, die ähnliches in diesem Jahrhundert bislang nur zweimal vor 1945 (...) erlebten." (Nach UTOPIE kreativ, Berlin, Heft 75, Januar 1997, S. 12.7) Diese Position General Naumanns löste damals besonders in der SPD heftige Diskussionen aus, denn mit den zwei Beispielen vor 1945 war die Teilnahme deutscher Truppen an der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China 1900 und der Ausrottungskrieg der deutschen Schutztruppe gegen die Hereros im damaligen Deutsch-Südwestafrika 1904 gemeint. Später bildete sich eine ganz andere, Naumann angepasste Position der SPD-Führung zu neuen Kolonialkriegen heraus. Rudolf Scharping hat sie am 21.01.2001, als er noch Bundesverteidigungsminister war, auf dem Programmforum Sicherheit für Deutschland, mit dem die SPD ihren Wahlkampf eröffnete, ganz unverblümt so formuliert: "In 25 Jahren ist das Gas in der Nordsee alle, aber in der Region um Afghanistan und im Kaukasus ist alles vorhanden. Und ob dort regionale Sicherheit entsteht, ist im Interesse aller, die in Zukunft aus der Region Energie beziehen wollen." (junge welt, Berlin vom 23.01.2002, S. 5)

Wie gelangt man an die Energiequellen? Es wird jenes Land, das diese Quellen dem Westen nicht überlassen oder ihm keinen Zugang geben will, zum angriffslüsternen Popanz erklärt. So war es mit dem Irak, so ist es mit dem Iran. Passend dazu hat der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, - so die FAZ vom 23. Januar 03 - "über bisher Undenkbares" nachgedacht. Über die Frage, "ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen."

Mit dem Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee treten der "Kämpferkult" und mit ihm die reaktionärsten militaristischen Positionen einer traditionalistischen Gruppe in der Führung der Bundeswehr wieder offen hervor. General Hans-Otto Budde, Heeresinspekteur, wurde 2004 verantwortlich für den deutschen Einsatz in Afghanistan. Laut Budde braucht die Bundeswehr wieder den "archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann" ("Welt am Sonntag", 29.02.04).

Damit knüpft er an die rassistischen Thesen von Oberleutnant Reinhard Herden in "Truppenpraxis/Wehrausbildung"(2/3 - 96) über moderne Kriegsführung an, die seinerzeit für kurzfristige Aufregung gesorgt hatten. Dem "zivilisierten westlichen Soldaten" steht der "rohe, barbarische fremde Krieger" gegenüber, der "dem Proletariat" entstammt. "Das Verständnis ganz primitiver menschlicher Beweggründe, z.B. sexueller Frustration, ist bedeutsam für die Beurteilung des Kriegers als Gegner des Bundeswehrsoldaten." Herden weiter: "Für den Soldaten der westlichen Demokratie mit seinem ethischen und moralischen Prinzipien ist der Krieger ein gefährlicher Feind ... Es wäre ... unklug, sie (die Bundeswehrsoldaten) nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die kleinen bösen Männer auszubilden."

General Klaus Naumann hat als Generalinspekteur nicht nur den neuen Kolonialkrieg gefordert, er hat auch eine typisch imperialistische Begründung dafür geliefert: Es gibt nur noch "zwei Währungen in der Welt: Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen." lt. "Spiegel" 3/93 vom 18.1.93

Die neue Aufgabenstellung der Bundeswehr definierte der frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU). Er sprach sich dafür aus, an unerledigte Aufgaben, die uns Kaiser und Hitler, hinterlassen haben, unmittelbar anzuknüpfen: Er führte 1991 vor Managern und Offizieren aus, dass "der Jugoslawienkonflikt unbestreitbar fundamentale gesamteuropäische Bedeutung hat. Wir glauben, dass wir die wichtigsten Folgen des zweiten Weltkrieges über-wunden und bewältigt hätten. Aber in anderen Bereichen sind wir heute damit befasst, noch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu bewältigen. Jugoslawien ist als eine Folge des Ersten Weltkrieges eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsrecht nie vereinbar gewesene Konstruktion." Das bedeute, "dass meines Erachtens Kroatien und Slowenien völkerrechtlich unmittelbar anerkannt werden müssen. Wenn eine solche Anerkennung erfolgt ist, dann handelt es sich im Jugoslawienkonflikt nicht mehr um ein innenpolitisches Problem Jugoslawiens, in das international nicht interveniert werden dürfe." (so auf dem Fürstenfeldbrucker Symposium für Führungskräfte aus Bundeswehr und Wirtschaft" im September 1991)

Sieben Jahre später, am 16. Oktober 1998 war es soweit. Nachdem Deutschland nicht nur durch Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken zur Zerschlagung Jugoslawiens und zum Bürgerkrieg beigetragen hatte, stand nun der Krieg gegen Restjugoslawien bevor. Der Bundestag beschloss an diesem Tag die Beteiligung an Luftoperationen der NATO gegen Serbien. Das ist nun zehn Jahre her, doch der Jahrestag wurde nicht beachtet. Den Beschluss fasste noch der Bundestag unter der Regierung Kohl, verwirklicht hat ihn dann die Bundesregierung unter Kanzler Schröder; ab 24. 3. 1999 fielen wieder Bomben, auch deutsche Bomben, auf Belgrad und andere serbisch-jugoslawische Städte. Deutschland war wieder eine Krieg führende Nation geworden. Der Schwur: Nie wieder Krieg, war gebrochen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder tönte dann am Silvestertag 2003 in die deutschen Wohnzimmer hinein: "Manchmal können wir mit Spenden helfen, manchmal müssen wir Soldaten einsetzen".

Seine spätere Nachfolgerin Angela Merkel, damals nur CDU-Vorsitzende, sagte in ihrer Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2004, also wenige Wochen nach Schröders Neujahrsansprache folgerichtig dies: "Um die Politik anderer Nationen zu beeinflussen, um den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen werden, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern."

Der Staatsbürger in Uniform war zum archaischen Kämpfer und Compiter-Kämpfer geworden. Bereits im Juni 1993 überschrieb die "Information für die Truppe" die "Gedanken zum Selbstverständnis des deutschen Soldaten" mit den Worten: "Gesucht - Weltbürger in Uniform".

Diese Entwicklung hat unser Land verändert. Dem Staatsbürger in Uniform folgt jetzt auch der uniformierte Staatsbürger nach. Davon - von der Truppe im Innern, soll im folgenden die Rede sein.

In diesem Jahr erinnern wir mahnend an 75 Jahre Machtübertragung an Hitler 1933 und 70 Jahre Reichspogromnacht. Neben 1933 und 1938 sollte aber auch das Jahr 1923 thematisiert werden. Vor 85 Jahren wurden nach Wahlerfolgen der Arbeiterparteien in Sachsen und Thüringen Landesregierungen aus Sozialdemokraten und Kommunisten gebildet. Daraufhin marschierte die Reichswehr in Sachsen und Thüringen ein, setzte die verfassungsmäßig gebildeten Arbeiterregierungen ab. Derzeit wird wieder über den Einsatz der Bundeswehr im Innern gesprochen. Nach dem neusten Beschluss der SPD-Führung sei die Gefahr des Bundeswehreinsatzes im Innern gebannt, wird uns erzählt. Jedenfalls soll das Grundgesetz nicht geändert werden. Doch wir haben Heiligendamm nicht vergessen, wo Tornados, Panzer und Marineboote gegen Demonstranten eingesetzt wurden. Wir sollten nicht vergessen, dass im Februar 2005 die rot-grüne Bundesregierung ein neues Reservistenkonzept in ein Gesetz gegossen hat, das rund eine Million Reservisten im Alter bis zu 60 Jahren für den baldigen Einsatz im Innern und Äußeren vorsieht. Und wenn in Hessen jetzt eine links gestützte Landesregierung zugunsten des mit rassistischen Methoden Politik treibenden Roland Koch verhindert wurde, dann waren dazu zwar noch keine Truppen unter Waffen nötig, da reichten noch reaktionärste Formationen in Medien und in der SPD selbst aus. Die Waffe heißt Antikommunismus und Antitotalitarismus - damit wird die Rechtsentwicklung vorangetrieben, die nicht nur im wachsenden Neonazismus besteht.

Zustände wie in den zwanziger Jahren möchten offenbar die rechtesten Militaristen wieder herstellen. Schon Ende Juli 2002 forderten der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch "zu Hause" einzusetzen; schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" auf dem Balkan zu sorgen. Reinhardt, Chef der einflussreichen Clausewitzgesellschaft, höchstrangiger Gebirgsjägergeneral a.D. der Bundeswehr und Ex-Kosovo-Kommandant, hat auf der jährlich stattfindenden gemeinsam von Bundeswehr, Gebirgsjägerveteranen und -reservisten veranstalteten Ehrung von Kriegsverbrechern am Hohen Brendten (Mittenwald) die Unentbehrlichkeit des Vorbilds der Wehrmachtsgebirgstruppe für den heutigen Auftrag der Gebirgsjäger betont: Es sei richtig und notwendig, das "Koordinatensystem ihrer Werteordnung", das der NS-Wehrmachtsgebirgstruppe, an die Bundeswehr weiterzugeben. (Rede am Hohen Brendten, Pfingsten 2002)

Die Bundeskanzlerin betont immer wieder - gemeinsam mit ihrem Innen- wie auch dem Verteidigungsminister: Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sind von gestern. Und das sieht so aus: Wir müssen Marschbefehle der Militärs gegen Demonstranten hinnehmen, wie 2007 erstmals beim G8-Gipfel in Heiligendamm geschehen. Da ist es auch sinnlos auf die Beschwichtigungen der SPD zu bauen, sie habe es sich hinsichtlich einer Grundgesetzänderung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren noch einmal anders überlegt.

Der Bundeswehr als Polizeitruppe im Innern ist seit den Struck'schen "Verteidigungspolitischen Richtlinien" und seit dem Kommando eines SPD-CDU-Innenministers von MV 2007 Realität. Es wird nur gestritten, ob das im Grundgesetz drinstehen soll oder nicht.

Unstrittig ist, das die Bundeswehr bei ihren Einsätzen, ob im In- oder Ausland, polizeiähnlicher wird. Bisher berief man sich bei Inneneinsätzen auf das Grundgesetz, Artikel 35, doch dieser gibt beim schlechtesten Willen keine Zustimmung zum bewaffneten oder polizeiähnlichen Einsatz der Bundeswehr im Innern her. In Heiligendamm wurde die "Amtshilfe" zur Hilfe genommen, die aus dem ursprünglichen Text des Artikels 35 stammt, als es noch keine Bundeswehr gab. Die Leistungen der Bundeswehr nach Artikel 35 betrafen bis Heiligendamm nur "Naturkatastrophen" oder "besonders schwere" Unglücksfälle.

Auf allen Ebenen der Republik fallen die Grenzen zwischen Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei. Dies findet seinen sinnfälligen Niederschlag in GTAZ, dem neuen Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin. Zudem werden massenweise Reservisten in die Zivil-militärische Zusammenarbeit im Innern wie im Äußeren einbezogen. Wer heute einsatzfähiger und ausgebildeter Reservist ist, und das sind mindestens eine Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren, der muss nicht nur - wie früher - mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit Einsätzen wie in Heiligendamm und am Hindukusch. (Die CDU nennt es in ihren Papieren: "Einsätze in Hindelang und am Hindukusch.") Und sollte es mal wieder zu einem Oder-Hochwasser kommen, dann werden Reservisten die Sandsäcke stapeln und keine Rekruten.

Das wurde im Rahmen von parlamentarischen Anfragen in Großstädten bekannt, so am 1. September im Rat der Stadt Bochum. Dort wurde auch ein Gutachten der Arbeitsgemeinschaft der Leiter von Berufsfeuerwehren in Nordrhein-Westfalen vorgelegt, die sich dagegen verwahren, dass die Bundeswehr Führungsfunktionen im Katastrophenschutz übernehmen. Die Bundeswehr könne "nicht für die Primärphase von Katastrophenlagen vorgesehen werden", schrieben die Feuerwehr-Führer, die im übrigen im Rahmen der Gefahrenabwehr der "Einbindung der Reservistenverbände", die ja "e.V." seien, eine Abfuhr erteilen.

Die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos der Bundeswehr kommandieren als Landeskommandeure der jeweiligen Bundesländer die Beauftragten der Bundeswehr für zivilmilitärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ) nunmehr in allen Landkreisen und kreisfreien Städten. Oberste Befehlsinstanz ist das Bundesverteidigungsministerium. Ohne viel Aufhebens zu machen, eroberte somit die Bundeswehr Positionen in Rathäusern und Landratsämtern.

Ein Oberst vermittelt nun den Regierungspräsidenten, Landräten und Oberbürgermeistern den so genannten militärischen Service. "Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen stützen können," wird seitens der Bundeswehr den zivilen Stellen bestätigt. Dazu gehörten auch "Großschadensereignisse" - aber was ist damit gemeint? Die Urkunden für die ZMZ Inneres wurden in der Regel Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie Büros in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen Fragen beratend unterstützen, wie es heißt.

Doch die "Beratung" ist höchst verbindlich. In den Krisenstäben der Städte und Kreise haben die Verbindungskommandeure auf ihre militärischen Vorgesetzen zu hören, nicht aber auf die Bürgermeister und Landräte. "Übergeordnete Stellen sind der Kommandeur des Landeskommandos, der Befehlsheber des Wehrbereichskommandos, der Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos Köln und der Bundesverteidigungsminister in Berlin," teilte der Göttinger Landrat Reinhard Schermann den fragenden Abgeordneten der Linken im Kreistag mit (Brief vom 26.11.2007).

Nach dem neuen Reservistengesetz - am 17. Februar 2005 ohne Aussprache im Bundestag beschlossen - haben die Verbindungskommandeure durchaus auf weit mehr Reservisten Zugriff als auf die zwölf, die zum Stab des Kommandos gehören. Alle männlichen Reservisten bis zum 60. Lebensjahr können gezogen werden. Im Unklaren gelassen wird die Öffentlichkeit noch, auf welche Ausrüstung die Kommandos zurückgreifen dürfen. Immerhin ist bemerkenswert, dass die Mehrzahl der Reservistenübungen auf Feldjägerschulen, aber auch bei den Pionieren abgehalten wird. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm konnte ja besichtigt werden, welche Mittel zur Verfügung standen: Tornados, Panzer, Hubschrauber, Schnellboote gehörten dazu. Es wurde dort auch ein Eindruck davon vermittelt, was unter schweren Unglücksfällen und Katastrophen auch zu verstehen ist: Die Ausübung des Demonstrationsrechts der Bürgerinnen und Bürger, das ist der Ernstfall.

Einige linke Abgeordneten fanden die Vorgehensweise der Schaffung von Kommandos in Rathäusern skandalös. Sie sagten z.B. in Dortmund: "Hier soll eine Notstandszentrale entstehen, ohne dass den Bürgern erklärt wird, für welche Krisen und welche Aufgaben welche Krisenstäbe ein solches Zentrum brauchen." Das ist nicht übertrieben.

In den Zentren der ZMZ sind erstmals seit 1945 Bundeswehr und die Polizei integriert. Mit ZMZ und dem neuen Reservistengesetz werden zusätzlich Hunderttausende Soldaten - auch über ihre Dienstzeit hinaus - zum Einsatz im Innern und Äußeren verpflichtet. Der Reservistenverband und der Bundeswehrverband - durchsetzt mit rechtsextremen Kadern, die laut Satzung nicht so ohne weiteres entfernt werden können - bekommen somit größeren Einfluss.

Die Umwandlung der Truppe zur Einsatzarmee im Inneren wie im Äußern ist Teil der Transformation der Bundeswehr. Gesteuert wird diese Transformation von einem Zentrum der Bundeswehr für Transformation. Vorher nannte sich dieses Zentrum ZAS, Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr. Das schreibt die Verteidigungspolitischen Richtlinien von morgen und übermorgen. Sein Chef, der Oberst Ralph Thiele, hat uns in den "Informationen für die Truppe" schon mal angekündigt, welche weiteren Pläne die Generalität mit uns hat. "Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung." Man macht Feinde in aller Welt aus - und reiht neben die Terroristen und die internationale Kriminalität auch gleich "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner" in die Liste der Feinde ein. (Information für die Truppe/IfdT 3/2002)

Was ist zu tun? Wir brauchen Aktionen unter dem Motto: "Nie wieder Soldaten gegen Demokraten - Nein, zum Bundeswehreinsatz im Inland - Außer zur Landesverteidigung darf es keinen Bundeswehreinsatz geben (Art. 87 b GG)" Es ist insbesondere gegen die militaristische Durchdringung der Kommunalpolitik zu protestieren. Und dazu gehört: Raus aus den Arbeitsagenturen - denn dort wird den jungen Langzeitarbeitslosen massiv - oft wie in Köln mit Feldjägerunterstützung - nahe gelegt, in die Armee zu kommen.

Gefordert werden muss schließlich: Endgültige Beseitigung der Pläne für den Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter ‚Terrorverdacht' stehen und Auflösung der integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden wie das "Gemeinsame Terrorabwehrzentrum" in Berlin.

Noch ein wichtiger Aspekt: Die enge Verzahnung von Heer und Marine mit der Bundespolizei führt zur Teilnahme an dem militärähnlichen Gemeinschaftsprojekt FRONTEX der EU. Jährlich sterben Tausende Flüchtlinge beim Versuch, die EU-Staaten zu erreichen - die Flüchtlinge werden durch die FRONTEX-Formationen abgewiesen.

Besonders alarmierend ist das, was sich NATO und EU derzeit im Georgien-Konflikt leisten. Da greift ein abenteuerlicher Politiker und Handlanger der CIA mit Waffengewalt Südossetien an, tötet Tausende Bürger, weil diese zu Russland und nicht zu Georgien gehören wollen. Und die NATO wie EU - auch die Kanzlerin - versprechen ihm, dass er mit der Mitgliedschaft in der NATO belohnt werden wird. Auf dass wir dann von Abenteurern in innere Kriege einbezogen werden!?

Der Widerspruch zwischen der Mehrheitsmeinung im Parlament und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung ist ein weiteres Problem. In keiner wesentlichen Frage haben die Regierenden eine Mehrheit in der Öffentlichkeit. Es kann die Situation eintreten, da es wieder heißt: ‚Gegen Demokraten helfen nur Soldaten'. Gegen Streikende, gegen die Jugend könnte dann versucht werden, die Meinung der Herrschenden gegen die der Beherrschten durchzusetzen.

Steuern wir auf eine Wiederholung der 20er Jahre zu? Die ‚europäische' Innenpolitik wie die Zivilmilitärische Zusammenarbeit deuten darauf hin. Ferner ist die ständig drohende militär-politische Steuerung durch NATO und EU abzulehnen.

Daher gilt:

  • Bundeswehr raus aus den Rathäusern.
  • Keine Krisenstäbe zum Vorgehen gegen Streikende und Demonstranten.
  • Und raus aus den Arbeitsagenturen
  • Endgültige Beseitigung der Pläne für den Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter ‚Terrorverdacht' stehen" - auch nicht als "Notstand" a la Jung.
  • Auflösung der integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden.
  • Schluss mit der Militarisierung der EU.
  • Deutschland raus aus der NATO

Quellen und Literatur: 

  • Arno Neuber, Marxistische Blätter, März 2005 (zu 50 Jahre Bundeswehr) 
  • Ernst Woit: Kolonialkriege für eine "Neue Weltordnung". [Woit-Home] 23.11.2002, geschrieben für Dresdner Studiengemeinschaft SICHERHEITSPOLITIK e.V. (DSS) 
  • Ulrich Sander "Die Macht im Hintergrund" - Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck, papy rossa Köln, 2004, und "Szenen einer Nähe" - Nach dem großen RechtsUm bei der Bundeswehr, Pahl Rugenstein Verlag Bonn, 1998.